Die
Weltanschau
der
Naturvölker
Leo Frobenius
^arbarto College itbrarg
KU o M THB HEQJ1KS I OF
JAMES WALKER, D.D., LL.D.,
(Claas of 18x4)
FORMER PRESIDENT OF HARVARD COLLEGE J
M Preference being given to works in the Intellectual
and Moral Sciences."
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Die Weltanschauung der Naturvölker.
Von
L. Frobeiüus.
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Beiträge
zur
Volks- und Völkerkunde.
Sechster Band.
Die Weltanschauung der Naturvölker.
Von
L. Frobenius.
Weimar
Verlag von Emil Felber
1898.
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CD
Weltanschauung der Naturvölker
Von
L. Frobenius
Mit 4 Abbildungen im Text und 3 Tafeln
Weimar
Verlag von Emil Felber
1898
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[
Alle Rechte vorbehalten.
i
Druck von Emil F elber in Weimar.
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Vorwort.
Der Verfasser bittet den Leser um die Freundlichkeit,
nach der Weise eines raffinierten Roman verständigen zu
verfahren und nach dem alten Rezept: „Kriegen sie sich,
oder kriegen sie sich nicht?" zuerst das Schlusskapitel zu
durcheilen. Es erspart mir die Erörterung, ob dieses Buch
berechtigt ist und, was zu unserer Zeit eng damit zusamen-
hängt, ob es etwas „Neues" berichte. In der Voraus-
setzung, dass dieser Bitte Folge geleistet werde, erwähne
ich nur das Notwendigste.
Hauptsächlich habe ich in den letzten Jahren meine
Arbeit der Frage nach dem Werden der afrikanischen Kultur
gewidmet. Immer und immer wieder ward ich dabei nach
den Inseln des Grossen Ozeans gedrängt, denn es erwies
sich, dass von hier eine Strömung nach Afrika wie nach
Amerika geflossen ist, deren eminente Bedeutung wie ihr
Dagewesensein überhaupt ganz unbekannt war. Gerade
die Unkenntnis dieser malajonigritischen Kulturbeziehung
ist der Grund, weshalb bislang die afrikanische Völker-
kunde so verworren, vor allem aber so unentwirrbar er-
schien. Da die Lösung der Probleme der afrikanischen
Kultur stets wieder im westlichen und — mit einer Aus-
nahme — nie im Östlichen Asien gesucht worden ist,
wurden Hypothesen auf Hypothesen gewälzt, die alle ins-
gesamt keine Befriedigung, sondern anwachsend steigende
Verwirrung brachten.
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Jetzt darf die Frage oder die Summe der Fragen nach
dem Werden der afrikanischen Kultur als im grossen und
ganzen beantwortet gelten 1 ). Das Problem hat die merk-
würdigste und wenigst erwartete Lösung gefunden, dass
in weiter prähistorischer Vergangenheit, aus der wohl kaum
eine Sage, noch weniger eine Aufzeichnung etwas vermeldet,
auf der südlichen Halbkugel unseres Planeten eine Kultur-
und Völkerwanderung stattgefunden hat, im Vergleich zu
der jede bekannte Wanderung mit Ausnahme der modernen
europäischen unbedeutend erscheinen muss. Eine mächtige
Welle dieser malajischen Flut hat sich über Afrika, eine
andere über Amerika ergossen. Wesen und Wirkung der
ersteren glaube ich nachgewiesen zu haben, die der letzteren
festzustellen wird mir, soweit ich die Verhältnisse über-
sehe, auch nicht schwer fallen.
Wenn ich mich nun der Entwicklung eines wenn auch
des interessantesten Zweiges des menschlichen Kulturbesitzes
zuwende, der Weltanschauung, oder wie man bisher sagte,
der Religion, so erscheint es wünschenswert, die Unter-
suchung und Darstellung auf ein Gebiet zu beschränken,
dessen historische und prähistorische Vergangenheit uns leid-
lich bekannt ist. Denn jede derartige Darstellung muss mehr
oder weniger die geschichtlichen Ereignisse berücksichtigen.
Demnach ist hier ein grosses Beispiel der Weltan-
schauung der Naturvölker 2 ), die des altmalajischen Kultur-
') Ueber dies Problem vergl. „Der westafrikanische Kulturkreis tt
bei Petermann I und II 1897, III und IV 1898, da« Hauptwerk L. F. „Ur-
sprung der Kultur" Bd. I, „Der Ursprung der afrikanischen Kulturen"
Berlin 1898 und endlich die beiden von der kaiserlichen Akademie
herausgegebenen Werke „Der Kameruner Schinaschnabel* 1897 und
„Die Masken und Geheimbünde" 1898.
*) Dieser Titel ist vom Verleger gewünscht, und zwar mit vieler
Berechtigung statt des früher citierten: „Fragmente einer Welt-
anschauung". (Siehe Schiffsschnabel S. 95 und bei Petermann.)
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— VII
kreises untersucht, und zwar: 1. in den Ländern, in denen
die malajische Rasse noch heute, auch linguistisch vorherrscht,
in Oceanien (in Mela-, Poly-, Mikro-, Indonesien); 2. in
den Ländern, in denen die Spuren derselben nachgewiesen
sind, d. i. Nordwestamerika (bei den sogenannten Nutka-
stämmen), Australien, Afrika. Damit sind einmal und vor
allem die Quellen dieser Weltanschauung im engeren Aus-
strahlungsgebiete, dann aber auch die Wirkungen und Nach-
wirkungen in verschiedenen Kulturkreisen in den mannig-
faltigsten Umgestaltungen und Spiegelbildern untersucht.
Der erste Teil beschäftigt sich einleitungsweise mit
der Vogel- und Fanany-Mythe, deren Verbreitung in den
entsprechenden Formen Beweise für malajonigritische und
malajoindianische Kulturbeziehung bilden, der zweite mit
der Entwicklungsgeschichte der Weltanschauung in den
östlichen, der dritte mit dem Wesen und Charakter der
Weltanschauung in den westlichen Provinzen.
Eine hochwichtige Eigenschaft des Menschen hat mir
allein meine Erfolge ermöglicht: das zähe Festhalten des
Althergebrachten. Nicht in den Prunkgemächern, sondern
in den Rumpelkammern der primitivsten „Religionen"
lagern die Dokumente ihrer Entstehungsgeschichte. Jetzt,
wo ich die Arbeit absehliesse, bitte ich den Leser von
ganzem Herzen, bei sich diese Eigenschaft soweit zurück-
zudrängen, dass sie sein Urteil nicht beeinflusse, wenn er
so manches Neue aufnehmen soll. Auch ohne diesen dog-
matischen Widerspruch wird manches an meinem Opus
auszusetzen sein, deswegen ich um Nachsicht bitten muss.
Halle a. S., 15. Oktober 1897.
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L. Frobenius.
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Inhalt.
I. Teil: Die Togel- und Fanany -Mythe.
1. Kapitel. Die Vogelmythe in Oceauien.
Die Oceaniache Mythologie. — Maui und Mann. — Der Vogel
trägt die Seele ins Jenseits. — Die Bolebungskraft dea Vogels.
Die Götter als Vögel. — Entstehung de« Menschen, der "Welt aus
dem Ei. — Die Seele als Vogel. Die Kahnfahrt der Seele. — Das
Totenschitf. — Maui als Totenfülirer. - Die Seele folgt iler Sonne.
- MauPs Ursprung als Vogel. — Identität von Seele, Feuer, Schlange.
— Maui 1 » Lichtvogel-Toten-Schiff in der hohen Mythologie. — Vogel -
orakel. — Die Wurzeln der Vogelmythe. S. 3.
'2. Kapitel. Die Vogelmythe in Nordwestamerika
und Au st rali en.
Die Provinzen. — Nordwest am c r i k a. — Charakter der Mytho-
logie. — Die Tiermythologie. Der Vogel (Jelch) führt die Seele
ins Jenseits. — Die Belehungskraft des Vogels. — Der Sonnen-
diebstahl. — Vogel und Sonne. Der seelentragende Lichtvogel. —
Die Kahnfahrt der Seele. - Sonne, Vogel und Kahn. - Totenschiff-
mythen. — Totenschiffe, Schnitzereien in Oceanien und Nordwest-
amerika. — Die Deutung der Kabenrasseln. — Australien. — Die
Bruchstücke der Vogelmythe. — Flutmythen in Australien, Nord-
westamerika und Oceanien. S. 23.
3. Kapitel. Die Vogelmythe in Afrika.
Die afrikanische Mythologie. — Nashornvogel, Rabe, Krähe,
Halm. — Verhältnis der höheren und niederen Mythologie im Osten
J
— IX —
und "Westen des Oceanier. — Der Vogel trägt die Seele ins Jen -
seits. — Die Belehungskraft des Vogels. — Die Seele als Vogel. —
Seele und Kahn. — Vogel und Totenschiff. — Der Lichtvogel. —
Eichtvogeltotenschjft'. - Vogelorakel. Die Vogelnivthe. S. 4H.
4. Kapitel. Die Fanany- Mythe in den östlichen Provinzen.
Das Motiv. — Oceanien. — Die Mythe auf Madagaskar. —
Untergang und Weiterbestehen. — Bclebungskraft. — Auffangen
des Atems und des Muudsehaumes. -— Trinken der Verwesungs -
sauce. — Beschmieren mit derselben. — Entweichen der Flüssigkeit.
— - Ableiten derselben in den Boden. — Die Eidechse im Magen des
Menschen. — Ramahavaly. — Seelenwurm-Eidechse. — Entstehung
des Menschen aus dem Wurm. Entstehung der Schweine.
Schweineaberglaube. — Analogie in Afrika. — Die Kidechse entstellt
aus dem Menschen. — Der Eidcchsenglaube auf Xeu-Seeland. — Die
heiligen üefässe der Indonesier. Die Kawok. Quellen des (ie-
fässdienstes. — Bestattung der ausgegrabenen Gebeine in Polynesien,
in Melanesien. — Verschiebung des Schwerpunktes in den Sitten. —
Die Mythe von der Entstehung der Tupfe. — Die „gana u der Töpfe.
— Totemistische Einflüsse. — Einwirkung der Vogelmythe. — Seelen-
fangen in Gelassen. — Australien. — Die Verwesungssauce und
das Nierenfett. — Eidechsenglaube. — iNordwestanierika, - Frag-
mente. — S. 51.
5. Kapitel. Die Fanany-Mythe in den westlichen Provinzen,
Verbreitung der Mythe. — Afrikanische Reste. — Ableiten der
Verwesungssubstanzen. — Verwendung der Verwesungsbrühe und des
Fettes. — Vergeistigungsgebräuche. — Die Mode. — Krokodil. —
Schlange. — Eidechse. — Die Mythe von der Regenbogenschlange.
Verbreitung derselben. — Peruanische Urnen. — Regenzauber. —
Töpfe in Regenzauber. — Der Topf in Sonnenmy then. — Fettsubstanz.
— Inhalt der heiligen Töpfe. Amulette aus Kot etc. — Ahnen -
befragung. — Vogel und Topf. — "Wert der Fragmente der Fanany-
mythe. — Vorkommen in Afrika und Oceanien. Beweisskraft los-
getrennter Mytlienfraginento für kulturelle Verwandtschaft. S. 77.
- X -
II. Teil. Die Sonnenmythen der östlichen ProTinzen
nebst westlichen Analogien.
6. Kapitel. Die Sonnenmythen Oeeaniens.
Die melanesischen Sonnenmythen von Quat. - Sonnenauf- und
Untergang. - Deutung der Quatmythen. — . Vergleich der melane-
sischen und polynesischen Sonnenmythen. — Die mikronesischen
8onnenmythen. — Deutung derselben. - Vergleich mit den mela-
nesischen und polynesischen Sonnenmythen. — Der Sonnenkultus in
Polynesien, Melanesien, Indonesien. S. 94.
7. Kapitel. Die Sonnenbahn in Oceanien.
Die Sonnen- und Schöpfungsmythen Indonesiens. Der Typus
derselben. Sonnenstrahlen. ■ Die Tawhaki Mythen Neu-Seelandg.
Form und Gestalten oceanischer Göttergestalten. - Die Spinne.
Der Regenbogen. — Der Baum als Pfad der Götter und Menschen.
- Die Sonnenbahn. S. 121.
8. Kapitel. Die Seelen- Sonnenbahn und Ableitung
in Oceanien.
Die Seele folgt der Sonne. Die Seele auf der Sonnenbahn.
— Maui als Schiingenfänger und Strickverfertiger. — Die Seelen
im Netz der Sonne. — Die Seelen in Schlingen gefangen. — Der
Strick im Tempel. Die Strick-Seelen der Götterbilder. — Der
Strick beim Gebet. — Der Strick als Trauerzeichen. — Seine Be-
ziehung zur Httttenmaske. — Der Strick als Zaubermittel (Amulett).
Der Strick als Hoheitszeichen. S. 134.
9. Kapitel. Sonnenmythen, Sonnenbahn und Ableitung
in Nordwest- Amerika und Australien.
Nordwestamerika. — Das Formale der Mythen. — 1. Sonnen-
bahn-Pfeilleiter. 2. Sonnenfahrtsnnthus-Strickleiter. Oceanische
Parallelen. — 3. Wasserfahrtsmythen. — Die Sonnenbahn der Ober-
und Unterwelt. — 4. Wasserfahrtsmythen-Strick. — Analogie zum
Feuerdiebstahl Mauis. Die Zahl 4. — Die Menschen auf der
Sonnenbahn. — Die Seele folgt der Sonne. — Bastringe. — Trauer-
schurz. — Australien: Sonnenmythen. — Die Seele folgt der
Sonne. Der Strick als Leiter, die Schlinge, der Trauerstrick. S. 14i>.
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- XI -
10. Kapitel. Pfeilmythen in östlichen und westlichen
Provinzen.
Nordwestamerika: Pfeilketten. — Pfeil und Vogel. — Die
Mink-Mythen. — Sonnenaufgang. Tiere in der hohen Mythologie,
ßtrahlen der Mittagssonne. — Oceanien. Mythe von Delingavouv.
— Tangaro. — Pfeilmythen in Polynesien. — Pfeilwerfen im Cultus
Australien. Pfeilmytheu. — Die Entwicklung der Pfeilkette. —
Afrika. Pfeil und Sonne. — Pfeile im Cultus. — Pfeile in Mythen.
— Einheitliche Verbreitung der Fundamente der Pfeilmythen. S. 169.
• *
11. Kapitel. Untergangsmythen in östlichen und westlichen
Provinzen.
Oceanien: MauPs Tod. - Die Nacht verschlingt die Sonne.
Die Götter verschlingen die Seelen. Götterkot. — Anschluss an
die Vogelmythe. — Anschluss an die Mondmythen. — Das Ver-
schlingen der Augen. — Jonasmythen. — Mythe von Kamakajakau.
— M. v. Mutuk. — Haarausfall. — Weitere Jonasmythen. — Mauis
Geburt. -- Der Hai in der niederen Mythologie. - Australien:
Mond und Nacht verschlingen die Seelen. Anschluss an die
Vogelmythen. No r d wes tamer ik a : Sonnenuntergang. — Jonas-
mythen. — Haarausfall. - Die Mythe von Tsekis. — Afrika: Die
Mythe von Kammapa. — Jonasmythen. — Die Gestirne werden
verschlungen. — Ocean. Austr. Nord wes tarn. Afr.: Kampf am
Eingang zur Unterwelt. — Verschlungenwerden in der Vergeistigung.
— Das „Beissen" in der plastischen Darstellung. Unterkiefer.
Gleichheit der Motive in allen Provinzen. S. 182.
12. Kapitel. Rohrursprungsmythen in östlichen und west-
lichen Provinzen.
Mikronesien.: Umkehrung der Untergangsmythe. — Indo-
nesien: Menschenerschaffung. — Das Totenkahnrohr. — Polyne-
sien: Die Kiji-Kiji-Mythe. — Die indonesisch-polynesische Parallele.
— Mauis Ursprung. — Melanesien: Die Mythe von Upi. — Lösung
derselben. Fragmente im östlichen Melanesien. — Australien. -
Nord westamerika: Jelchmvthen. — Wandermvthen. — Afrika:
Baumursprung. — Rohrursprung. Vorläufer der Mythe im Norden.
S. 203.
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III. Teil. Die Kosmogonie, Götter- und Sonnenraythen
in den westlichen Provinzen mit östlichen Analogien.
13. Kapitel. Die Götter Afrikas.
Oceanische und afrikanische Parallelen. — Fetischismus. —
Bastian. — W. Schneider. — Reisewerke. — Ratzel. — Mythologie und
geographische Provinz. — Die Fragmente der afrikanischen Welt-
anschauung. — Die Abstammung der afrikanischen Götter. — Dreierlei
Ursprung derselben. - Die Götter der hohen Mythologie. Die
Weltanschauungsprovinzen. — Deren Merkmale. Die Geschichte der
Afrikaner. — Bezirke der Weltanschauung. Verbreitung der
Götternamen. - Veränderung der Götternamen und GötterbegriflFe.
Ableitungstabelle I Tschuku. — Ableitungstabelle II Tsui Goab.
- Ableitungstabelle III Rupe. ■ — Gleichheit der Motive bei formaler
Verschiedenheit. Unsere Kenntnis der Götter. 8. 217.
14. Kapitel. Schango und Hubeane.
Schangos Beziehungen und Verwandtschaft als Gott. — Schango
als König. — Schango als Gott. — Schangos Erde. — Schango der
„Flammende". — Schanges Verfolgung der Oja. — Schango als
Sonnengott. — Hubeane und Modimo. — Hubeanes Tod und Auf-
erstehung. — - Hubeane oder Litaolane und Kammapa. - Litaolane
wird verfolgt. Hubeane ein Sonnengott. — Oceanische Parallelen
zu Hubeane und Schango. — Die letzten unverfälschten Sonnengöttter.
S. 232.
15. Kapitel. Die Mythologie der Hottentotten.
Urteile über dieselbe. — Heitsi-Eibibs Durchgang durch das Meer.
Heitsi-Eibib als Stier und Topf. Heitsi-Eibib als Schutzgeist.
Heitsi-Eibibs Gräber. - Tsui-Goab als Mensch. — Tsui Goab als
Gott. — Kauna otl*T Gunja. — Ursprungsmythen. Entwicklung
der Hottentotten-Mythologie. — Die Untergangs- und Ursprungs-
grube. — Wanderung der Hottentotten. Die Sonnengötter der
Hottentotten. — Entwicklungsprozesse. S. 24«.
16. Kapitel. O-Dente und Akotia.
Die westlithen Bezirke der westafrikanischen Provinz. — Die
O-Dente-Mythe Der O-Dente-Cultus. Seine Verbreitung. — Der
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Erdhaufen. - Akotia. Akotschang. — Bedeutung Akotias. —
Schankpanna. Sapatan. — Aizan. Grausame Sonnengötter. —
Typus der Sonnengötter. — Der westafrikanische Gott. S. 256.
17. Kapitel. Sonnenkultus und Sonnenmythen der Afrikaner.
Einäugige Götter. — Einäugige und hinkende Götter. — Die
Sonnenhöhle. -- Die Ursprungshöhle. — Die Mythe von Fugamu.
— Termitenhaufen. — Die Erd- und 8teinkegel. — Die Steine;
Motive des Steinkultus. — Sonnenhöhen, blutige Opferstätten.
Heilige Farben. — Die Farbe der Geister, Die Mythe von der Ent-
stehung der schwarzen und weissen Menschen. — Eirre sekundäre
Mythe. — Ursprünglich das Motiv der Sonnenmythen. — Vorstellung
von der Sonne. — Lisa, der Sonnengott der Yoruba. — Feuerdienst.
— Der Feuergott Dso. Der Feuerdienst des Damara. - Der Feuer-
dienst in Monoraatapa und Usundi (Congo). — Feuerbringer. —
Sonnenmythen und -Kultus in Afrika. S. 271.
18. Kapitel. Die afrikanischen Spinnenmythen.
Verbreitung. — Spinne als Menschenschöpfer. — Spinne ver-
liert die Hände. — Die drei Geister der Unterwelt. Das viel-
äugige Tier. — Enjebiribi, der Menschentöter. — Nyankupongs
Tochter. — Spinnes Topf. — Der Tod im Spinnennetz. — Spinne in
der Kuh. — Spinne als Schöpfer. — Der Spinne Tod. — Charak-
ter der Mythen. — Der Spinne Charakter. — Solare Eigenarten. -
Kühe in afrikanischen Sonnenmythen. — Im malaiischen Archipel.
S. 294.
19. Kapitel. Die Sonnenbahn und deren Ableitung in Afrika.
Fragmente von Sonnenmythen. — Die Sonne im Totenland. —
Die Seele folgt der Sonne. — Umkehrung; der Mensch stammt vom
Himmel. — Die Eanda. — Strick, Kette, Bäume als Sonnenpfade.
— Sonnenbahnmythen. — Sonnenbahnmythe als einmaliges Ereignis
— „Turmbau zu Babel u . — Sonnenbahnbrücke. — Die Spinnenfäden.
— Der Strick in der Hütte. — Das Motiv des Trauerstrickes. —
Der Trauerstrick. — Priesterabzeichen oder Götterpfade. — Der
Uebergang zum Profanen. — Der Strick im Geheimbund. — Strick-
amulette und Speiseverbote. — Das selbstkräftige Amulett. — Krank-
heitsamulette. — Geisterstricke im allgemeinen. — Verbreitung. —
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- XIV -
„Thoramulette." — Erklärung der Tafel III. — Der Strick als Be-
lebungsmittel. — Die Geisterschlinge und -angel. — Menschenfang
= Menschenbeseelung. — Verbreitung der Knotenstricke. — Ent-
wickelung derselben in Oceanien — in Afrika. — Die „Aroko" oder
symbolischen Botschaften. 8. 315.
20. Kapitel. Die Schöpfungsmythe in westlichen und öst-
lichen Provinzen.
Die Schöpfungsmythe der Yoruba. — Olorun. — Obatala. —
Odudua. — Aganju. — Yemaja. Orungan und Yemaja. — Der
Götterursprung. — Analogien in Sonnenmythen. — Einst lag der
Himmel auf der Erde. — Tag und Nacht. — Himmel und Erde —
Vater und Mutter der "Welt. Himmeleinsturz. — Die Schöpfungs-
mythe der Wanyoro. — Motiv det Sonnenmythen. — Oceanische
Schöpfungsmythen. — Tangaroa. — Bäume in Schöpfungsmythen. —
Aufheben de» Himmels. — Männliche und weibliche Götter. —
Niedersinken der Erde. — Einsturz des Himmels. — Australische
und nordwestamerikanische Analogien. Der Oktopus in der ocea-
nischen Schöpfungsmythe. — Der Oktopus in den nordwestamerika-
nischen Sonnenmythen. — Erdgötter. — Erstlingsfeste in Afrika.
S. 348.
21. Kapitel. Die Todes- und Mondmythen in westlichen
und östlichen Provinzen.
Der afrikanische Mondkultus. — Die Mondmythologie. — Mond-,
Sonne-, Hinimelsverehrung. — Das Wiederaufleben des Menschen und
des Mondes. — Mau. — Todesbewusstsein. Die Todesmythe der
Zulu. — Die Todesmythe der Hottentotten. — Hase. — Eidechse. —
Chamäleon. — Das Erwachen des Todesverständnisses. — Rhythmus
der Sonnenmythen. — Die polynesische Todesmythe. — Die Todes-
mythe in Indonesien, Mikronesien, Melanesien. — Die Wemut der
Todeserkenntnis. — Formwechsel-Motiv und Hautwechsel-Motiv. —
Das Gleiehe in Afrika. — Die Selbstverständlichkeit des Todes. —
Der abnehmende und zunehmende Mond bei den Afrikanern. — Neu-
mondteste. — Vorstellung vom Mondweohsel. — Das Schicksal der
Gestirne und des Menschen. — Orun und Oschu. — Der Mond als
Frau. — Mondmythe in Neu-Guinea. — Mondmythen Oceanien». —
Mondmythen Nordwestamerikas und Australien«. S. 368.
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- XV -
IV. Teil. Die Weltanschauung.
22. Kapitel. Die Religion vom Standpunkte der Ethnologie.
Religionswissenschaften. — Theologie. — Terminologie. — Reli-
gion. — Problem der Weltanschauungslehre. Fetischismus. —
Alte terminologische Methode. - Schurtz über „Religion". — Religion
und Weltanschauung. Weltanschauung. — Animalismus. — Manis-
mus. — Solare und lunare Weltanschauung. — Das Problem des
Todes. — Schöpfungsmythen. — Gesetz von der Umkehrung. — Bei-
spiele. — Beweglichkeit und Einheitlichkeit. — Gesetz vom Wandel
der Beweggründe. — Beispiele etc. — Gesetz von der Einschaltung.
— Linguistische Beispiele. — Tsui-Goab. — Methode. — Boas. —
Schurtz. 8. 387.
Anhang.
Literaturverzeichnis s. 411
Textil lustrat ionen.
Fig. 1. Schlinge zum Fangen der Seelen auf Aitutaki (nach
Williams) S. 140
„ 2. „Seele" eines Holzbildnisses von Rarotonga (nach
Williams) S. 142
„ 3. Der Lehmhügel O-Dentes (nach Photographie) . . S. 263
„ 4. Symbolischer Brief aus Yoruba; Aroko (nach Bloxam) S. 346
Tafeln.
1. Totenschiffschnitzereien.
II. Maske von Neuirland. Museum in Kiel.
III. Westafrikanische Zauberschnüre.
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1. Teil.
Die Vogel- und Fananymythe.
Frobeniua, Weltanschauung der Naturvolker.
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I. Kapitel.
♦
Die Vogelmythe in Oceanien.
Die Oeeanische Mythologie. — Maui und Manu. Der Vogel
trägt die Seele ins Jenseits. — Die Belebungskraft des Vogels.
Die Götter als Vögel. — Entstehung des Menschen, der Welt aus
dem Ei. — Die Seele als Vogel. Die Kahnfahrt der Seele. •— Das
Totensehitf. — Maui als Totenf uhrer. — Die Seele folgt der Sonne.
MauPs Ursprung als Vogel. — Identität von Seele, Feuer, Schlange.
— Maui's Lichtvogel-Toten-Sehiff in der hohen Mythologie. — Vogel-
orakel. — Die Wurzeln der Vogelmythe.
Die Mythologie der Oceanier geniesst unter den Mythen-
bildungen der Naturvölker einen grossen Vorzug. Im
Munde eines dichtkundigen Volkes hat sie sich zu einer
Klarheit und Tiefe entwickelt, die wir europäischen Fein-
schmecker sogar oftmals bewundern. Es fehlt ihr weder
Grösse d. h. Erhabenheit, noch Feinheit, Geschmeidigkeit,
Zartheit, ja Lieblichkeit. Da ist es nicht erstaunlich, dass
ihr schon oftmals Aufmerksamkeit gewidmet worden ist,
dass Kenner und Liebhaber ersten Ranges sich mit ihr
beschäftigt haben.
Was uns doppelt anziehen muss, ist aber ein neuer
oder wenigstens neuerer Fund, die Aufklärung der Mytho-
logie in der melanesischen Provinz. Die polynesischen
Dichtungen waren ausgezeichnet durch hohen Schwung und
mächtigen Stil, die melanesischen, die Ratzel märchen-
hafter nennt, reizen durch ihre Menschlichkeit. Dazu tritt
als dritte Schwester die indonesische Mythologie, die
„orientalisch-asiatisch" gefärbte, prunkende Dichtung, der
meistens die Einfachheit ihrer beiden östlichen Geschwister
fehlt. Es ist für uns, die wir von ihrer nahen Verwandt-
schaft wissen, dies Drillingspaar ein köstliches Kleeblatt.
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- 4 -
Wir könneu die Variationen desselben Motives immer in
drei Formen und Farben studieren.
Der polynesischen Dichtung ward zuerst Beachtung ge-
schenkt und deren Charakter entsprechend, den hohen
Mythen und Göttergestalten. Und doch muss auch für sie
der Satz gelten, dass das Erhabene den Tiefen entspross.
Die Probleme der polynesischen Mythologie sind daher oft
verkannt und ihre Lösung und Bedeutung raissverstanden.
Schirren war es, der mit einer für die damalige (1856)
Zeit erstaunlichen Kenntnis und Geschicklichkeit das Augen-
merk auf diese fernen Welten lenkte. Bastian und Gerland
haben auf seinen Pfaden vieles gefördert. Aber Schurtz
war es vorbehalten auf das Fehlen des mythologischen
Grundstudiums, in den Tiefen der niederen Mythologie
hinzuweisen. Meine Aufgabe auf diesem Feld ist es, die
angedeuteten Vorarbeiten weiterzuführen und den Be-
ziehungen der hohen und niederen Mythologie in Oceanien
nachzugehen.
Schirren erkannte nicht nur die grosse Wichtigkeit der
Sonnengötter in der oceanischen Weltanschauung, sondern
er legte auch das Skelett, der entsprechenden Dichtungen
klar, bewiess dass der Sonnengott Maui im Mittelpuukte
der polynesischen Mythologie stehe. Schirren hat sich
lediglich mit hohen Göttern beschäftigt und insofern sind
seine Studien vortrefflich. Immerhin muss es Aufsehen
erregen, dass vou anderen Maui als der mythische Ahn
der Neu-Seeländer bezeichnet wird, wie auch gesagt
wird, dass es nicht ein Gott, sondern ein Mensch ge-
wesen sei 1 ).
Und es ist wahr! wenn wir hören, es sei ein Gott ge-
wesen, mit einem mächtigen Kopfe, dazu 8 Kleinen auf
den Schultern, oder sein eines Auge sei ein Aal, das
') Priehard: „Oceanien" S. 143.
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I
andere ein Stück grünen Talkes, oder er habe nur ein
Auge gehabt, dass er die Sonne fängt und bändigt, dass
in seinem Schicksal der Ursprung des Todes zu suchen
sei, dass er am Himmel aufsteigt, das Feuer holt 2 ) etc.
etc. dann scheint Schirren der Wahrheit näherzutreten.
Ausschlaggebend ist vielleicht in diesem Falle der
Name. Mauis Name hat allerdings nichts mit der Sonne,
die in Oceanien stets oder fast stets Ra, La etc. heisst, zu
thun sondern die nächsten Affinitäten finden wir in Worten
mit anderen Bedeutungen. Eine tabellarische üebersicht
mag dies beweisen.
Bedeutung.
Name.
Land.
Quellenangabe.
\ ogei
manu
m aricesas
Dusciiniaiin o. «4.
T)
Toi,;*; \
öd. iu». loa uixon
Hawai /
8. 241.
>»
Motu
H. Greffrath in Zeit-
(Port MoreBby)
schrift der Gesell-
schaft für Erd-
kunde in Berlin
1879, 8. 154.
Mani
Offach Bai \
Lesson III S. 106
n
Möue
Ualan /
und a. a. 0.
heiliges Biid
Manuk-Manuk
Battak
Pleyte „zur Kennt-
des Huhneg
nis S. 289.
Vogel
Manuc
Negrito8 auf
Schadenberg in Zeit-
den Philippinen
schrift für Eth-
nologie, Bd. XII
1880, 8. 171.
Manu,
Manui; Manik I
Div. indonesische
Wallace II 8. 445.
Mano; Manoek 1
Dialecte
Eysinga II S. 77
Manch
und 91.
n
Maut, Manu ^
Div. Dialecte
Ribbe „Seram u S.
Malok;Manuwanj
' auf Gross Seram
199.
») Tyermann und Bennett Bd. I 8. 40/1. Yate S. 144. Schirren.
Bastian : „Oceanien" a. v. O. Als Maui vor der Glut des Feuers sich
in das Wasser stürzte, ging die Sonne das erste Mal unter.
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- (5 —
Das liesse sich noch lauge so fortsetzen: aber die vor-
liegende Reihe mag genügeu, um zu beweisen, dass hier
die Frage nach dem Ursprünge des Namens Maui's des
Sonnengottes noch offen ist. Seine Hauptbedeutung scheint
im Vogel zu beruhen unjd es heisst demnach fesstellen:
iu welchem Verhältnis steht das Wesen des Gottes zu
seinem Namen, die Maui-Mythologie zur Vogelmythe.
Hier bietet Schurtz den Anknüpfungspunkt: Das Boot
in Vogelgestalt trägt die Seelen in das Jenseits 3 ).
Dies ist nun aber eine Kombination, die Verschmelzung
zweier Motive, von denen das eine der Vogelmythe ent-
nommen isi. Die in Frage kommende Anschauung ist auf
Tahiti und Tonga noch lebendig. Wenn nämlich ein Mensch
die Seele aushaucht, wird sie von einem Vogel ergriffen.
Also der Vogel trägt die Seele ins Jenseits. Thatsächlich
heissen auch auf Mangaja, Aitutaki, Rarotonga und Hawai
die Götter oder Herrscher der Unterwelt Miru oder
Mihi, welches Wort nichts anderes als ein Vogelname ist 4 ).
Auch beim Tode Maui's spielen Vögel eine unserer
Annahme entsprechende Rolle. Als er im Rachen der
Hine-nui-te-po geschlupft ist (der Sonnenuntergang!) lacht
ein Vogel — und die Göttin schliesst den Rachen. So
stirbt Maui und deshalb müssen auch die Menschen sterben.
Demnach sind die Vögel die Ursachen des Todes 5 ).
Als er sah, dass nun alles dunkel war, verfolgte er sie und brachte
sie am Morgen zurück. (Neu -Seeland.) Yate S. 143. Die Seelen
der Vornehmen folgen Maui und wohnen mit ihm in der Sonne
(Tahiti). Förster 8. 463 und 454. Achelis. Waitz-Gerland etc.
3 ) Schurtz: „Augenornament. u S. 68 ff.
*) Wilson: „Missionsreise* S. 367. Cook 3. R. Bd. JI S. 35 Gill.
S. 81. 90. 93. Bastian: „Allerlei" Bd. I S. 109. Rienzi etc. Schirren
S. 87 nach Forster und Garnot.
5 ) Dazu bedenke man, dass Hine-nui-te-po die Schwester jenes
Eies ist, von dem alle Vögel abstammen. Bastian: „Allerlei" Bd. I
S. 316 — Taylor S. 30 1. Schirren S. 34 nach Shortland. Weiterhin!
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— 7 —
Eine Missdeutung der Mythe spricht aus folgender neu-
seeländischer Geschichte. Eine Frau, die gestorben und
wieder erwacht war, erzählte ihre Erlebnisse. Als sie auf
der Wanderung an das grösste Wasser gekommen war. au
dessen anderem Ufer das Land der Seeligen liegt, ward
ihr gesagt, sie möge sich eilen, ein Canoe zu besteigen;
bald würde ein grosser Vogel kommen, der sie aufhalten
würde. Wirklich schwebte, als sie kaum den Nachen be-
stiegen hatte, ein mächtiger Vogel heran 6 ).
Unverfälschter lebt die Mythe in Indonesien. Das
Banama Tingang (Tingang ist der Name einer Buzerosart),
bringt die Seelen der toten Dajak sicher und wie im Fluge
zur Seelenstadt. Neben den Buzeros (Nashornvogel) tritt
das Huhn als Seelenführer, das auf den Nikobaren dem
Leichnam auf die Brust gebunden, auf Borneo als
Opfer dargebracht, mit dessen Blut auf Sumatra der Sarg
besprengt wird 7 ). So wird das Huhn zu einem heiligen
Tier, das nicht verzehrt wird, sondern geschützt werden
muss 8 ).
Auf Fidji sandte Ndengei die SOndfluth, weil zwei böse Knaben
seinen Lieblingsvogel getötet hatten. Williams: „Fidji" Bd. 1 S. 252.
Man denke hier auch an die nordwestamerikanischen SündHuth-
Raben-Sagen. Boas, ^iblack, Er man. — Eine Uebertragung spricht
aus der tabitinchen Sitte, als Zeichen der Trauer einen Schleier mit
Federn, von eiuer dem Tode heiligen Farbe vor dem Gesichte
zu tragen. Bongainville S. 194.
«) Taylor, S. 104/5.
7 ) Grabowsky: „Tod, Begräbnis" S. 184. Svoboda Bd. VI S. 26.
Marsden 8. 388. John Bd. I S. 68. Dazu ist daran zu denken, dass
bei den Kopffesten der Dajak an Stangen phantastisch geschnitzte
Vögel aufgehängt werden. John Bd. I S. 76 7. Pleyte in: „Revue
d'Ethnographie" 1885 S. 314 von Hein zitiert. In: „Dajakkünste"
*8. 83/4.
8 ) Ratzel: „Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. I S. 433 Chamisso Bd. II
S. 219.
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- 8 —
Der Vogel, der die Seele in das Jenseits trägt, bringt
aus dem Jenseits die Lebenskraft, wird überhaupt der
Träger der Belebungskraft. Das ist die erste Um-
kehrung. (Siehe Kapitel 22.)
So wird dem heiligen Manuk-Manuk-Bilde Lebensodem
eingeführt, indem ein totes Huhn in eine Höhlung auf
seinem Rücken eingefügt wird. Bei der Kopulation eines
Dajakbrautpaares wird es mit Hühnerblut besprengt. Dann
wird ihnen ein Hühnerei erst an die Zähne geklopft, darauf
unter die Nase gehalten. Das ist kaum miszuverstehen 9 ).
In Polynesien vertreten Federn die Vögel. Im Süden Neil-
Seelands war eine Art kleiner Holzbildnisse in Brauch,
ein Pflock mit einem Gericht. Wenn der Priester das Pahau
oder Vogel genannte, mit roten Papageifedern besetzte
Band darum befestigte, Hess sich der Atua in das Bildnis
herab und belebte es. — Die Götterbilder auf Tahiti sind
im allgemeinen hohl; in die Höhlung waren rote, heilige
Federn gelegt. Wenn der König auf Rajatea eingesegnet,
gekrönt wurde, ward ihm der Maro, das erbliche Kleid
des König8tums, aus Netzwerk und roten Federn bestellend,
angelegt 10 ). Und so ziehen endlich auch die Götter selbst
in Vogelgestalt in ihre Bildnisse ein 11 ).
Die Kraft, die somit im Vogel blute wohnt, wird noch
anderweitig verwertet und zwar in einem Sinne, der der
primären Anschauung geradezu zu wiedersprechen scheint.
Gegen die Angriffe der bösen Geister, oft sogar gegen
die, die man eben zu Grabe trug, wird eine Besprengung
mit Hühnerblut vorgenommen 12 ).
•) Pleyte: „Zur Kenntnis« S. 289. Junghuhn Bd. II S. 333.
,0 ) Taylor 8. 72. Eilig : „Pol. Res." Bd. II 8. 205. Tyermann und
Bennet Bd. I 8. 526/7.
") Bastian: „Oceanien" 8. 12. Ellis: „Pol. Res." Bd. 8. 191.
Pollack Bd. I 8. 233.
Ir ) In Krankheitsfällen und nach Begräbnissen. Grabowsky:
„Tod, Begräbnis" 8. 182. Svoboda Bd. VI 8. 16 und 13/4.
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— H —
Doch kehren wir nun wieder zurück und beobachten
eine zweite Bewegung der Mythe: Der Vogel trägt die
Seele ins Jenseits. Mit der Betrachtung der Umkehrung
zur Anfangsbildung, zur Menschenschöpfung betreten wir
den Weg zur hohen Mythologie.
In der Tonganischen und Samoanischen Kiji-kiji- oder
Turi- Mythe trägt Tuli als Vogel nicht nur die Seele in den
Menschenkörper, sondern auch jene Schlingpflanze, Fue, zur
Erde, aus deren faulender Masse erst die Würmer, dann
aus diesen die Menschen hervorkommen. Die Vorfahren
der Rarotonganer lebten im Vogelland Manu, dem Lande
der roten Federn. Auch auf Buru stammen die Ahnen
aus dem Lande Manu. Auf Fidji erschafft Ndengei die
Menschen aus den Eiern der Schnepfe 13 ).
Während so zuletzt der Mensch vom Vogel abstammt,
bringt auch die Menschenmutter Vögel zur Welt. Ein Weib,
auf eine kahle Insel der Torresstrasse verschlagen, nährt
sich von den Samenkörnern ihres Ohrschmuckes. Sie fühlt
sich infolge dieser Nahrung Mutter und bringt ein Ei zur
Welt, aus dem ein riesiger Vogel zu Tage kommt, der seine
menschliche Mutter mit Nahrung versieht. Oder ein noch
charakteristischeres Beispiel der Dajak- Mythologie: Ein
Geist heiratete eine Frau und diese gebar Vögel u ).
Von der Schöpfung des Menschen durch den Vogel
oder als Nachkommen des Vogels 15 ) nähern wir uns mit
,s ) Bastian: „Samoanische* 8. 11. „Oceanien" S. 43, 23 und 60.
Schirren S. 35. Riedel S. 3. Williams: „Fidji« Bd. I 8. 253.
»*) Haddon: „Legends" 8. 50 ff. John Bd. I 8.203.
15 ) Nach der Meinung einiger neuseeländischer Stämme senkte
sich im Anbeginn ein Vogel zum Meere hinab, dessen enorme Flügel
den Ozean weithin beschatteten. Während des Fliegens liess er ein
Ei fallen, worauf er mit grosser Geschwindigkeit und gleichsam be-
glückt über die Befreiung von der Last emporstieg und entschwand.
Aus dem Ei aber kamen, als es lange in der See gelegen hatte, ein
alter Mann und eine alte Frau, ein Knabe und ein Mägdlein mit
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10 —
leichten Uebergängen den Mythen, die den Vogel die Mutter
der Welt nennen.
Die Tagalen auf den Philippinen glaubten, dass die
Welt im Anfange lediglich aus Wasser und Himmel be-
standen und zwischen diesen ein Hühnergeier gelebt habe.
Derselbe war müde des Umherfliegens, fand aber keinen
. Platz zum Rasten. Da setzte er das Wasser in Mishellig-
keit mit dem Himmel, der, um es in Schrahkeu zu halten,
es mit einer Anzahl von Inseln belud, auf denen der
Hühnergeier sich nieder setzen und ausruhen konnte. Nach
tahitiseher Schöpfungsmythe war Tangaroa im Anfang iu
einer Muschel wie in einem Ei. Er entstieg ihr und schuf
daraus die Erde. Auf Rajatia herrscht die Meinung, im
Anfang zur Zeit der Finsternis habe Taroa im Ei gelegen,
und, erst als er die Schale zersprengt habe, sei Lieht ge-
worden. Hawai ist aus dem Ei entstanden, das ein riesiger
Vogel in das Meer legte l6 ).
Sehr klar tritt das Belebungsprinzip, das diesen Vogel-
mythen eigen ist, auf Sumatra hervor.
Der an einem Tau herabgelassene zweite Sohn Batara
Guru's formte im Mittelpunkt der Welt aus der vom Vater
herabgeworfenen Erde die Erde. Er baute darauf ein
Haus, und ein Weib gesellte sich zu ihm. Eines Tages,
als er auf der Treppe seiner Wohnung sass, sich in der
Sonne erwärmend, sah er, wie ein Huhn geflogen kam und
sich auf sein Haus niedersetzte. Seine Frau sah es auch,
nahm eine eiserne Stange und schlug das Huhn tot. Der
Kopf des Huhnes ward ein „Götzenbild", der Schnabel
eine Goldschmiedezange, der Kopf eine Goldwage, der
Hund und Schwein in einem alten Canoe hervor und landeten an
der Küste Neu-Seelands. Pollack Bd. I 8. 17.
Marsden S. 303. Lesaon Bd. II 8. 131/2. Tyennann und Bennet
Bd. II S. 31. Bastian: „Oceanien* 8. 21 und 226. Kllis: „Hawai*
8. 439 Rienzi Bd. II 8. 147.
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11
I
Magen Gold und Silber; die Federn Bäume, Blätter
und allerlei Pflanzen, der Schwanz Zucker, die Ein-
geweide Gewächse etc., sein Fleisch F>de, sein Blut Wasser.
„Damit war die Erde fertig" 17 ).
Um die Entwicklung nach einer andern Seite hin zu
verfolgen, greife ich auf die belebende Eigenschaft des
seelentragenden Vogels zurück. Das Bildnis mit dem Vogel-
blute besprengt, mit den Vogelfedern geschmückt, wird
belebt, wird zur Wohnstätte des Gottes. Es lag nahe,
anzunehmen, die Götter senkten sich als Vögel, herab. Und
so nehmen sie denn überhaupt die Vogelgestalt an, sie
kommen als Reiher und Spechte herab. Sie kommen im
Vogelleib herab, verlassen den Körper und ziehen zur
Begeisterung des Priesters in diesen ein. Es werden die
heiligen Feste zu Ehren der Himmlischen verschoben bis
zum Erscheinen eines Vogels, in dem die Samoaner den
Gott sehen 18 ).
Die Eigenschaft und Art der Geisterträger ward so
auf den Geist übertragen. Doch das Ziel, wohin diese
Entwicklung deutet, wird auch noch auf anderem Wege
erreicht. Die Menschen stammen vom Vogel ab, wie wir
sahen. Es sind die Neu- Mecklenburger in totemistische
Familien eingeteilt, von denen Parkinson die Möven-,
Buceros-, Tauben-, Papageien- Familien nennt. Dieser
Totemismus hat seine Reflexlichter auf die plastischen
Darstellungen in Masken und Stammbaumschnitzereien ge-
worfen. So ist es nicht merkwürdig, wenn wir von Bünden
,7 ) Pleyte: „Zur Kenntnis" S. 290.
1H ) Wilson: „Missionsreise " S. 273 und 458. Bastian: „Oeeanien*.
S. 12 und 46. Turner S, 242. Hawkesworth (D. A.) Bd. II S. 239.
Die weHtlichen Dajak erweisen einem schwarzen, elsterartigen Vogel
eine re^e Verehrung, denn sie halten ihn für einen Geist. Earl
S. 265/6.
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12
der Banks hören, die „gewöhnlich nach Vögeln genannt
sind* 19 ).
Der Kreis der Mitteilungen, aus dem die Ansicht
spricht, die Seele des Toten kehre in einen Vogel ein, ist
nicht eng.
Von den Dajak wird es direkt ausgesprochen. Die
Alfureu nennen den mystischen Orakelvogel Tictic; das
Wort Tikitiki bezeichnet ursprünglich in oceanischen
Sprachen die Ahnengeister. Auf Neu -Seeland erkennt man
in bestimmten Vögeln bestimmte Geister, Personen wieder.
Manches Märchen weiss von Verwandlungen in einen Vogel
zu erzählen 20 ).
Die Seelen braver Palauer become very beautiful,
holding his hand in the hair, and giving a flutte ring motion
to his fingers. — Ein Mann will seine gestorbene Frau
aus der Totenwelt zurückholen, aber sie weicht ihm aus,
immer neue Gestalten von Vögeln annehmend 21 ).
Finsch brachte von Ruck Ahnenbilder mit, die die
Gestalt eines im Rücken ausgehöhlten Vogels hatten. Von
Mortlock stammten offenbar ganz ähnliche Stücke im
Museum Godeffroy. Die Stücke gleichen auffallend dem
in gleicher Weise ausgehöhlten schon erwähnten Battak sehen
Manuk-Manuk- Bilde 22 ).
I9 ) Parkinson bei A. B. Meyer 8. 11, ebenda Taf. IX Fig. 4.
Aehnliches in den Museen von Lübeck, Frankfurt, Berlin etc. Codrington
8. 77, vergl. m. vierte Mitteilung über Oceanische Masken im Inter-
nationalen Archiv für Ethnographie 1897 oder 1898.
") Junghuhn Bd. II S. 332. John Bd. I S. 203. Bowring 8. 120.
Wilson: „Missionsreise* 8.364. Pollack Bd.I S. 124—126. Brenner 8.202.
51 ) Keate 8. 323. Kubary S. 8. Auf einem heiligen Hause, das
Hockins abbildet, sind untereinander dargestellt: oben eine Ahnen- /
reihe, darunter Vögel, hierunter Boote mit Insassen. Hockins 8. 30
") Finsch: „Ethnol. Erf. a S. 559. Schmeltz und Krause 8. 301/2.
Ein gleiches Stück befindet sich im Lübecker Museum. Pleyte: „Zur
Kenntnis" 8. 290. vergl. Kap. 26.
Taf. I.
13
So ward der Vogel, der die Seele ins Jenseits trägt,
zur Seele selbst.
Das zweite Motiv der oceanischen Totenschiftmythe
entspringt der Erinnerung an die einstige Wanderung über
die Meere. Das Totenland liegt nicht nur sehr oft da,
woher einst der Stamm kam, sondern die Ereignisse auf
der Seelenreise entsprechen den Vorgängen der einstigen
Wanderung. So ziehen die Seelen dieser Völker, die einst
zu Boot Ober den Ocean kamen, im Kahne über das Wasser
hin in das Land der Seligen.
Die Seele wird nach tahitischem Glauben gleich nach
dem Tode in einem grossen, schnellsegelndeu Kanoe in
ein fernes Land gebracht 23 ).
Daher werden auf Ambrym, den Anachoreten, Neu-
Britanien, den Nikobaren, Aaru etc. die Leichen in Booten
bestattet, während auf Timor Laut und den Barbar- Inseln
der Sargkasten die Form einer Prau hat, nach dajakischeu
Glauben der Sarg in der Totenstadt in das banamabulan,
das goldene Schiff verwandelt wird 24 ). Anderseits steht
auf dem Grabe das Modell eines Bootes. Im Typeethal
auf den Markesas entdeckte Melville das Grabmal eines
Häuptlings, der als Holzbild mit dem Huder in der Hand
im Hinterteil eines Kanoes sass, während die Spitze des
Fahrzeuges mit einem Menschenschädel verziert war 23 ).
So entsteht ein Mittel des Verkehrs mit denen in der
Geisterwelt. Ein unruhiger Störenfried, ein lästiger Geist
wird von dem Nikobaren im Geisterkorbe eingefangen,
M ) Wilson: „Missionsreise" S. 311.
**) Codrington S. 288. Weisser in dem „Verh. d. Vereins für
Erdk. tt Berlin 1883 S. 292. Parkinson: „Bismarckarchipel" S. 64.
Riedel S. 267, 306 und 3. r >9. Svoboda Bd. VI 8. 26 und 28. Clra-
bowsky: „Tod, Begräbnis 1 * S. 180.
2S ) Angas Bd. I 8. 71 und 279 Bd. II 8. 153 Melville S. 191.
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14
dieser auf ein Geisterschifflein gelegt und in die See hinaus-
gerudert. Pomarri baute ein Kanoe, dass er den Eatua
zum Opfer brachte 26 ).
Marsden erzählt, die Schiffe und Boote der Battak
seien hänfig „betuab". Dies Wort ubersetzt er mit sacred,
impassive, invulnerable, not liable to acc^dent 27 ). Ohne
au der Richtigkeit zweifeln zu wollen, möchte ich diese
Bedeutung als sekundär bezeichnen. Die Aehnlichkeit mit
dem polynesischeu Atua-Geist ist zu gross, um unbeachtet
bleiben zu können. Danach wäre die Heiligkeit dieser
Schiffe von einer Beziehung zu den Geistern der Toten
herzuleiten.
Doch ohne durch Verfolgung dieser Einzelheiten das
Ganze zu verwirren, wolleo wir nun die Verbindung der
besprochenen zwei Motive zum Totenschiffe betrachten.
Ein von Timor Lant stammender Häuptlingssarg wird
von Forbes abgebildet und beschrieben, ein ähnlicher
Sarkophag im Modell von den Battak befindet sich im
ethnographischen Museum in Dresden. Es sind das Särge
in Gestalt von Booten. Sie sind auf Gerüsten aufgestellt.
Auf ihrer Oberseite befindet sich der Tote mit seinen An-
gehörigen und Schlitzgeistern. Aehnliche Formen sind in
Süd-Nias heimisch 28 ). Die gleiche Kombination in ähn-
lichem, engverwandten Sinne treffen wir auf Ruck wieder.
Im Museum Godefroy befand sich unter No. 8405 ein Idol
von diesen Inseln. Es war im Doppelkanoe aus einem
Stück Holz, welches aufgehängt wurde. Die Spitzen des-
selben endeten in vogelähnlichen Figuren. Das Schnitzwerk
galt als Symbol des Geisterlandes 29 ).
") Turnbnll 8. H18. Svoboda Bd. VI S. 10 1.
") Marsden 8. 293.
,h ) Forbes 8. 822/8 Schürt*: „ Augonormunenf Tat". TU Fi*.».
*') Rodenberg S. 156. Schul tz und Krause 8. 35« 7. Eine mehr
Äußerliche Verbindung der Motive tritt in eiiwr Sitte der Nikobaren
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15 —
Nachdem dergestalt die Vogelmythe in ihren wesent-
lichen Zügen klar gelegt ist, wird es möglich sein, das
Verhältnis von Mauis Namen zu seiner Bedeutung zu ver-
stehen. Vor allem wissen wir ja jetzt, dass die Vogelmythe
zu den niedern, den Ahnenmythen gehört. Sie hat in ihrer
einfachsten Form zu den grossen, kosmogonischen Dichtungen
kein Abhängigkeitsverhältnis. Es treten demgemäss
die Fragen in den Vordergrund, ob Maui Beziehungen zum
Kreis der Ahnenmythen hat und in welchem verwandtschaft-
lichem Verhältnis diese Ahnen-Vogelmythe zu ihm in seiner
Eigenschaft als Gott steht.
Mauis nahe Beziehungen zu den Geistern sprechen
daraus, dass auf der Savage Insel das Land der Toten
Maui heisst. Auf Mangaja sind Manu Schutzgeister. Die Um-
kehrung der ersteren Mitteilung, dass nämlich die Menschen
aus dem Lande Manu stammen, kennen wir schon 30 ).
Was sich hier schon vermuten lässt, findet sich bestätigt.
Maui kommt als AVhare atua, als Götterhaus von den
Wolken herab, er nimmt die Abgeschiedenen mit
sich. So auf Xeu-Seelaud. Auf Tahiti folgeu die
Seelen der grossen, d. h. der vornehmen Häuptlinge
Maui in der Sonne 31 ).
Es mischt sich hier der dritte Mythenbestandteil hinein.
Die Seelen der Toten folgen der Sonne. Erst im zweiten
Teil kann die grosse Bedeutung dieser Mythe betrachtet
werden. Hier müssen wir uns mit der Thatsache begnügen,
es schon an dieser Stelle erkannt zu haben. Damit ist die
weitere Entwickelung, sind die weiteren Verschmelzungen
und Kombinationen verständlich.
hervor. Diese nfiinliih besprengen vor den Wettfahrten <1 i <* Boote
mit Hühnerblut. Svoboda Bd. VI S. 2i>.
30 ) Turner S. 470. Bastian: „Creamen- S. 22. 2» und 2«.
Riedel S. 3.
31 ) Schirren 8. 123. Forster S. 4C,3 und 4;>4.
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— 1() —
Sehirren meinte, die Beziehungen zwischen Maui und
den Vögeln zu lösen, indem er ihn auch den Herrscher
der Lüfte, der Winde nannte. Achelis hat sich ihm ange-
schlossen. Es ist dies aber nicht tief genug gegriffen.
Schon dass Mauis Vorfahren die Vögel, diese Hauptglieder
der Ahnenmythologie, seien, lässt Bedenken aufsteigen.
Wie vielmehr fallen aber noch die folgenden Angaben iu's
Gewicht. Auf Hawai legte Akalanai den zurückgelassenen
Gürtel Akamalos an, ward schwanger und gebar aus einem
Ei Maui. Auf Neu-Seeland wird berichtet, dass Maui bei
der Inselfischung seine Seele in einen Papagei verwandelte,
dass dieser auf gen Himmel flog und mit einem Strick
im Schnabel ihm beim Emporheben der Insel behilflich
war. Die das Märchenhafte liebenden Samoaner lassen
beim Akt der Himmel- und Erde-Trennung Myriaden von
W asser jungfrauen (Libellen), statt des Vogels, helfen 32 ).
Das zeigt, dass schon in den Samenkörnern, aus denen
die Riesenbäume der polynesischen Kosmogonischen Mytho-
logie sprossen, Maui's Eigenart als Vogel bedeu-
tungsvoll war. Es wird das noch klarer dadurch, dass
Maui auf Hawai, Tahiti, Neu -Seeland, Mangaja etc. etc.,
entweder selbst als Vogel oder auf dem Vogel, oder aus
der Stirn des Vogels das Feuer dem Menschen bringt 33 ).
Die letzte Mythe gibt uns Aufschluss über die noch
unklaren Beziehungen. Der Vogel trägt die Seele, wie
wir jetzt hinzufügen können, der Sonne, dem Lichte nach
in das Jenseits. Wir können nun zweierlei Dinge unter-
scheiden, die der Vogel im Schnabel trägt: 1. das Feuer,
2. die Schlange. Eine Hawaische Mythe berichtet, wie
32 ) Schurtz: „Augenornament" 8. 90. Bastian: „Oceanien u S. 232.
Thomson: „New Zeeland" Bd. I S. 109/10, Williams: „Narrative"
S. 542.
") Bastian: „Hawai" 8.26, 17, 99 100, 100 -103 nach Orev,
Oill etc. Bastian: „Oceunien" 8. 232 u. a. a. O.
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17 —
Maui die Vögel belauscht, um ihr Feuer-Geheimnis zu
erfahren.
Er fängt einen und verlangt den Verrat desselben.
Jener macht falsche Angaben. Erzürnt darüber, wollte
ihm Maui den Schnabel auseinanderreissen, da gab derselbe
den gewünschten Bescheid. Auch auf den Audamauen
bringt ein kleiner mystischer Vogel das Feuer im Schnabel
zu den Menschen 34 ). Eine eingehende Prüfung der Maui-
Mythen vom Feuerdiebstahl ergibt, was nahe liegt, dass
sie sekundärer Natur sind. Sie enthalten Züge, die direkt
auf einen Ursprung aus der Ahnenmythologie unter der
Sonnenmythen, hinweisen. AVir werden dieselben später
keuneu lernen.
Die Schlange im Schnabel der Vögel ist aus Neu-
Mecklenburg genugsam bekannt. Sind doch 2r 3 der Masken
damit versehen. Nun ist die Schlange nach oceauisrhem
Glauben eine Inkorporation der Seele. Es sind die Ana-
logien in der Fananymythe zu erwähnen (Kap. 5). In
der Kiji-Kiji-Mythe entstehen aus den Würmern die ersten
Menschen. Auf Melanesiens und Indonesiens östlichen
Teilen, erzählt die Legende, starben früher die Menschen
nicht, denn sie konnten die Haut wechseln wie die Srhlangen
u. s. w. 3S ).
Wenn nun zu diesen primär -mythologischen Angaben
die Mitteilungen kommen, dass auf Fidji die Sonne als
Schlange gedacht ist, und die Schlangen ihr geweiht
sind, dass das eine Auge Maui's nach Neu-Seeländischer
Tradition ein Aal — der überall einer Schlange gleich
erachtet wird — ist, so ist damit der Ring geschlossen.
Darnach ist Maui aus jenem Vogel, der die Seele der
**) Bastian: „Allerlei 44 Bd. I i*. 121. „Ozeanien" 8.278 9. Ad.
de Roepstorff in: „Zeitschrift d. Ge*. f. Erdk." Berlin 1879 S. 13 etc.
") L. F.: „Ein Motiv* Codrington S. 283.4, 260 und 265. Riedel
8. 362.
Frobeniu», Weltanschauung der Naturvölker. 2
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IS
Sonne nach, zur Sonne emporträgt, hervorgegangen, (las
Feuer, das er aus der Unterwelt als Vogel holt, ist die
Seele, die der Seelenträger in s Land der Seeligen, des
Lichtes führt. Damit eröffnet sieh eine bedeutungsvolle'
Erkenntnis. Die hohe Mythologie Polynesiens ist aus der
niederen der der Geister- Mythologie (Manismus) hervor-
gewachsen, Maui, ihre grösste und mächtigste Gestalt, hat
in der Sonnenmythe eine sekundäre Form angenommen 36 ).
Nun ist es ein Leichtes, die Fäden zu entwirren. Aller-
orts erscheinen Um kehr un gen des Lichtvogels-Toten-
schiffmythe. Maui nimmt als Whare atua die Seelen mit
ins Jenseits, und in der Umkehrung kommt er als Tiki,
Ahnherr und erster Mensch an s Land. Tangija wird nach
Berichten von Rarotonga von Vögeln aus dem Po — dem
Hehl der nächtlichen Totenwelt — in einem Kahn zur
Erde gebracht. Aus dem Ir-Ei kommt der Kahn mit dem
ersten Menschenpaar 37 ).
Die Maori erzählen, dass Heekatoro, der Gott der
Thränen und des Kummers, als er durch einen Unfall
seine Gattin verloren hatte, in der grössten Bestürzung
vom Himmel zur Erde herab kam, um sie zu suchen, und
nachdem er fruchtlos an sehr vielen Stellen gesucht hatte,
am Ende so glücklich war. sie in Neu -Seeland zu finden,
wohin sie sich verirrt hatte. Sehr entzückt, wieder in
ihren Besitze zu sein, setzte er sie sogleich in ein Canoe,
und nachdem er an beiden Enden ein Seil befestigt hatte,
wurden sie in demselben zum Himmel hinaufgezogen, wo
sie. um ihre Wiedervereinignng zu signalisieren, in ein
Sternbild verwandelt wurden. Auf Waikatto wurde die
Mähr von einem Knaben erzählt, der aus dem Ellbogen
seiner Mutter gekommen, zur Sonne aufgeflogen war .-.und
M ) Sc hirren 8. 149. Y»ite S. 144.
,T ) Aihelis nach White S. 10. Schirren S. 120. Pollnck Bd. I
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~ 1U —
von dort an einem aufgehängten Canoe zurückkehrte 38 ).
Später, wenn ich die plastischen Darstellungen des ocea-
nischen Totenschiffes zu besprechen haben werde, werden
die Mythen in den Vordergrund treten, denen zufolge die
Seelen sich auf dem Rücken des Totenvogels befinden. Es
ist das der Kinfluss des Schiffes, auf dem die Menschen
stehen.
Auf dem Rucken seiner Taube fliegt Maui in die Unter-
welt, als er das Feuer holen will. Das Totemtier Rath-
man's (Palau-Inseln), ist auf dem Rucken eines Vogels zur
Erde gekommen. Auf Rajatea ist in folgender Mythe
Tangaroa an Maui's Stelle getreten. Als er im Anbeginn
der Dinge aus dem Ei gekommen war — es ist also ein
Vogel — machte er den Menschen aus seinen Rücken.
Dann verwandelte er sich in ein Canoe und trug einen
Haufen Menschen. Später ruhte sein Leichnam auf der
Erde und zwar mit den Rippen unten; (also er lag auf dem
Bauche). Und so ward sein Körper das Haus der Götter 39 ).
Es erübrigt noch die Bedeutung des Vogels, im all-
täglichen Leben der Oceauier mit einigen Bemerkungen
zu bedenken.
Wenn die Reisenden Hawais von Tanes Vogel geschützt
werden, auf Tahiti Vögel an Bäumen Herabstürzende vor
Unglück bewahren, Vögel auf den Philippinen um Für-
sprache angefleht werden 40 ) und so weiter, so erinnert das
ebenso an die besprochenen Anschauungen wie das Vogel-
3K ) Nieholn« 8. M 8. Bastian: „Ozeanien" 8.24. Schirren S. 109.
**) Bastian: „Hawai* 8. 101. Kubary 8. 39. Tvermann und
Bcnnet Bd. II 8. 31.
*°) Tvermann und Bennet Bd. I 8. 248. Bastian: „Oceanien*
8. 247. Bowring 8. 15S, vergl. auch 8. 120.
2*
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20 —
aug- Ornament 41 ), das .sich auf den Nasen der alten Maori
tätowiert findet 42 ).
Die nächstliegenden, einfachsten, den Vogel betreffenden
Anschauungen sind aber in den Orakeln und Omen zu
suchen. — Auf Timor wird es aus der Lage, in der das
geschlachtete Huhn stirbt, gelesen. Auf Hawai schlachtete
der Priester, der den Urheber einer Krankheit erkennen
sollte, ein Huhu und einen Hund, isst etwas von beider
Fleische und legt sich zum Schlafe nieder. Beim Erwachen
weiss er den Namen des Zauberers zu nennen* 3 ). Auf
Borneo, den Kei- Inseln, den Gilbert, auf Samoa und
Tonga etc. werden die Ereignisse der Zukunft aus dem
Fluge des Storches, des Habichts, Nashornyogels etc. er-
kannt 44 ).
Dann wird der Gesang und der Schrei bestimmter
Vögel ausschlaggebend, so auf Celebes, Markesas, bei den
Alfuren etc. 45 ). Wenn dazu hervorgehoben wird, dass zu-
mal der Ruf der Nachtvogel unglücksverkündend sei und
anderseits der Schrei bestimmter Vögel den Tod eines
Stammesgliedes ankündigt 46 ), so werden wir wieder in die
Nähe der seelentragenoeu Lichtvögel geführt.
41 ) Siehe eine populäre Besprechung desselben in „Westermanns
Illustrierten Deutsehen Monatsheften-. 1895, 6 8. 335.
**) Abbildungen bei Earle Titelbild. Dumont DTrville Taf. 35,
31, 39. Nr. 3 und 4. 50 Kr. 5. 24 Nr. 1 2 und 5. Hochstetter
S. 64. Pollaek Bd. I Titelbild 8. 68, 252. Bd. II S. 49, 50. Ellis:
„Pol. Res. u Bd. I 8. 30. Cook 2. K. Bd. III Taf. 57 u. a. o. a. O.
**) Forbes S. 445. Ellis: „Hawai" 8. 283 4.
«*) Bock 8. 254. Junghuhn Bd. I 8. 332. Rienzi Bd. I 8. 274.
John Bd. I 8. 80 und 202/3. Bd. II 8. 26. Rosenberg S. 351/2.
Finsch: „Ethnol. Erf." 8. 316. Prichard: „Oceanien" S. 165. Mariner
S. 490.
* 6 ) Bondyck 8. 326. Rosenberg S. 229. Bastian : „Ozeanien" 8.
25/6. Junghuhn Bd. II. 8. 322.
*•) Ribbe: „Aru" 8. 168. Eysinga Bd. I 8. 70. Riedel S. 60, 223,
253 u. v. a. 0.
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— 21 -
Am meisten Beachtung wird dem Huhn, dem Haustiere,
geschenkt. Auf Timor wird sein Tod (siehe oben), seine
Klauen und Federn, endlich seine Eingeweide von orakelnden
Priestern geprüft. Die Battak besitzen die Kunst, aus der
Lage der Eingeweide geschlachteter Hühner die Orakel zu
lesen und ist hierbei für den Guru (Priester) die Kenntnis
von 127 Linien erforderlich. Die Meutawejjer Hessen den
Häuptling ein Huhn schlachten, dessen Magen herausnehmen,
ihn aufschneiden, reinigen und aufspannen. Dann musste
der Prüfende es gegen das Licht halten und ans dem Netz
des Blutgefässes und Flecken das günstige oder ungünstige
Prognostikon feststellen 47 ).
Das sind die mehr oder weniger komplizierten Vogel-
orakel der Oceanier, aus deren Häufigkeit und Verbreitung
hervorgeht, wie bedeutungsvoll sie für die Völker sind.
Das Huhn spielt in ihnen eine Hauptrolle.
Die Formen spielen in manchen Variationen, lassen
aber doch erkennen, dass — wenn ich am Schlüsse eine
Vermutung aussprechen darf — in ihrer Mitte die Funda-
mente der, wie wir gesehen haben, zu gewaltiger Bedeutung
angeschwollenen Vogelmythen zu suchen sind, nämlich: in j
dem Vogelorakel, in dem Hühneropfer, das dem Toten
geweiht und mitgegeben wird, und in dem zur Sonne sich /
aufschwingenden jubilierenden Vogel.
* 7 ) Perron Bd. II S. 40G— 208. Brenner 8. 332. Anmerk. Nr. 4.
Rosenberg 8. 198.
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II. Kapitel.
Die Vogelmythe in Nord -West- Amerika und Australien.
Die Provinzen. — Nordwestamerika. — Charakter der Mytho-
logie. — Die Tiermythologie. Der Vogel (Jelch) führt die Seele
ins Jenseits. — Die lielebungskraft de* Vogels. — Der Sonnen-
diebstahl. — Vogel und Sonne. Der seelentragende Lichtvogel. —
Die Kahnfahrt der Seele. - Sonne, Vogel und Kahn. — Totenschiff-
mythen. — Totensehiffe, Schnitzereien in Oceanien und Nordwest-
amerika. — Die Deutung der Rabenrasseln. — Australien. — Die
Bruchstücke der Vogelmythe. — Flutmvthen in Australien, Nord-
westamerika und Oceanien.
Die ethnolographischen Eingenarten der Provinzen,
die wir jetzt betreten, sind ganz andere wie die Oceaniens.
In letzteren leben Ackerbauer, in ersteren Fischer und
Jäger. Oceanien wird von einem vornehmen, herrschenden
Volke bewohnt. Die Trümmer einer aufgesogenen Rasse
lagen allerdings dazwischen. Aber das nialaische Blut
herrscht wenigstens im Osten. Sowohl in der nordwest-
lichen als der südwestlichen Provinz ist der Koutinental-
eharakter unverkennbar, d. h., sowohl die Australier als
die Nord -West -Amerikaner tragen viel ausgeprägter den
Stempel des Mischvolkes. In Weltanschauung und Kunst
spielt dieser Unterschied die Hauptrolle. Inselvölker bieten
verschiedene Variationen, Stilformen derselben Motive. Die
Motive heben sich klarer von einander ab. Kontinental-
völker besitzen einen einheitlichen Formtypus. Jede heran-
rollende Völkerwoge wird absorbiert bei diesen, während
sie bei jenen Umwälzungen hervorruft. Man denke an die
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— 23
grössten Beispiele: Afrika einerseits und Indonesien ander-
seits. Alles, was nach Afrika kam, ging unter. Alles,
was nach Indonesien kam, hinterlies Spuren.
Ich betrachtete die beiden Gebiete von diesem Stand-
punkt aus. Für uns ist es wichtig, die Verbreitung einer
Weltanschauung und deren Wandlungen in verschiedenen
Verhältnissen kennen zu lernen. Deshalb ist Nord -West-
Amerikas, um mit diesem zu beginnen, Bedeutung als einer
Seitenproviuz altoceauischer Weltanschauung ausschlag-
gebend. Forster, Jakobsen und vor allem Schurtz haben
besagtes Abhängigkeitsverhältnis schon erkannt, geprüft,
klar gelegt.
Ks sind ganz andere Seiten der Mythologie dieses
Gebietes, die den interessieren, der vom Innern des Kon-
tinentes nach Westen sieht, als diejenigen, die dem von
Polynesien Herannahenden auffallen. Der erstere erkennt
vor allem die amerikanische F o r m , der zweite den
oceanischen Gehalt. Und dementsprechend müssen
auch die Arbeiten betrachtet werden, die über die Mythologie
der Nord -West -Amerikaner vorliegen. Boas und Seier sind
die ausgesprochenen Amerikanisten, dazu Mythologen, und
somit ist ihnen eine Reihe der interessantesten Erkenntnisse
auf den Gebieten der höheren Mythologie und amerikanischen
Formverwandtschaft zu verdanken.
Das, was von diesen Männern auf der einen Seite, ist
von Schurtz auf den anderen geleistet worden. Die
oceanischen und primärmythologischen Fragen waren seine
Studienobjekte. Somit habe ich auch hier die Rolle des
Vermittlers /u übernehmen, der da, wo Gegensätze auf-
gestellt worden sind, sich nach etwaigen Uebergängen
umzusehen hat.
Das Auffällige der Nutka- Mythologie ist die Durch-
dringung mit Tiergestalten. Die Erscheinung ist des öfteren
erörtert und die Lösung des Problems auf verschiedenem
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— 24 -
Wege versucht worden. Gerade diese Stämme mit der
ausgeprägten Fischer- und Jägerkultur bieten aber die
geeignetsten Objekte der Prüfung. Dem Jäger steht nichts
näher als seine Tiere. Wie auffällig sind für ihn die Eigen-
schaften, die wir nur aus Brehm und Reisewerken oder
aus unseren mehr oder weniger kläglichen Jagderlebnissen
kennen. Wie wissen wir doch schon so viel zu erzählen,
wenn wir in kurzen Herbstferien einmal Meister Lampe
aufgelauert haben. Der brave Isegrimm ist längst ver-
schollen, und immer magerer fliesst der einstige Strom des
Jägerlateins, welches als letzter Rest jener Beziehungen
gelten mag, die unsere Ahnen eng an die Tierwelt gefesselt
haben.
Geht das Jägertum eines Volkes zu gründe, so bleibt
ihm als Rest einerseits der Totemismus; es ist die Erinnerung
an jene primitive Naturauffassung, in der der Mensch den
Tieren noch koordiniert, wenn nicht subordiniert war. Die
Erfahrungen des Lebens, die Lebensweisheit zieht in die
Tiergestalten ein: die Fabeln entstehen anderseits.
Bei den Nutka haben wir es aber nicht nur mit
Totemismus und Tierfabel zu thun, wenn beide auch wunder-
lich und kraus mit der Mythologie verwachsen sind. Wir
müssen und können diese Mythen und die Frage nach ihrer
Entstehung nur auf eine andere Weise verstehen und be-
antworten.
Schnitze hat eine gewisse Stufenleiter, die „Feti-
sehismus u , aufgestellt, die wir zwar nicht vollständig an-
erkennen können wegen falscher Prämissen, die aber in
mancher Hinsicht berechtigt ist. Er hat die Aufeinander-
folge von Mond-, Sonnen- und Himmels-Verehrung nach-
gewiesen.
Wenn das zu den Ergebnissen unserer Studien über
die bildende Kunst hinzugenommen wird und die Parallelen
der Entwicklung gezogen werden, so ergiebt sich, dass bei
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t
— "Jo —
einem Jägervolke kaum eine Sonnenverehrung, eine Sonnen-
mythologie als ein eigenes Produkt anzunehmen ist.
Nim enthält die nordwestamerikanische Mythologie alle
die ausgeprägten Züge einer solchen. Des weiteren ist
aber festzustellen, dass diese hohe Mythologie einerseits
degeneriert als Variantenspiel der niederen Mythologie
erscheint, dass anderseits die sämtlichen Gestalten mehr
oder weniger als Tiere auftreten, als Tiere mit tierischen
Attributen und Eigenschaften. Aus alledem lässt sich schon
schliessen, dass hier eine Mischung vorliegt.
Wie nun, wenn dem so ist, fragt es sich, ist der Stoff
zu erfassen, die Formenfülle zu zergliedern? Was haben
wir zu erwarten?
Wir haben oben die oceanische Mythologie auf ihre
Bestandteile untersucht. In der hohen fanden sich aller-
dings die Motive der niederen Mythologie; aber sie waren
nicht etwa rein, klar und nur vergrössert und erweitert.
Wenn das dort, wo das mythendichtende Volk im eigenen
Lande unentwegt weben konnte, schon so ist, wie verzerrt,
umgebildet, zerrissen muss dann das Echo einer hohen
Mythologie von Gestalten der nordöstlichen Fischervölker
znrückklingen! Wohl besassen diese genügende Gestaltungs-
gabe, um ihre Formen, in ihren Stil die Mythen umzugiessen,
aber es wurde doch vieles aufgegeben, Heterogenes ver-
bunden, Zusammengehöriges getrennt, neuer Sinn den alten
Formen gegeben, alten oceanischen Gestalten ein neuer,
amerikanischer Geist eingehaucht. Was eine einfache
Meditation vermuten lässt, wird durch die Thatsachen be-
stätigt. Im nördlichen Teil des nordöstlichen Gebietes
können die oceanischen Götterspuren noch verhältnismässig
gut wieder erkannt werden. Es ist ihnen noch mancher
grosse Zug eigen. Es heben sich noch einige Figuren als
bedeutender, wichtiger, mächtiger von den Nebenpersonen
ab. Im Süden herrscht allgemeine Abflachung.
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— 26
Vor allem gehört zu diesen wirklich höheren Göttern
des Nordens Jelch der Rabe. Bei den Selisch im sudlichen
Teil Kolumbiens spielt er mehr eine lustigen Narrenrolle.
Aber auch dort und noch viel mehr bei den Tlingit,
Haida etc. verraten ausgeprägte Züge seine Abgtammung
von Maui, dein mächtigen seelenführenden Vogel -Sonnen-
gotte Polynesiens. Diese Züge und deren Wert klarzulegen,
wird die Aufgabe dieses Kapitels sein.
Die Hauptergebnisse der mythologischen Studien von
Schurtz und Seier stimmen nicht ganz überein.
Beide Gelehrte haben die sogenannten Rabenrasseln
untersucht. Es sind dies (vgl. Taf. I Fig. 8 und 9) Tanz-
rasseln in Gestalt eines Rabens, auf dessen Rücken sich
eine Gruppe- mehr oder weniger ausführlich gearbeiteter
Figuren befindet. Seier hat bewiesen, dass sich auf der
Brust des Rabeus oft (Fig. 9) das Bild der Sonne befindet.
Er fasst diese Rasseln gewissermassen als Bild der Gottheit,
der Sonne auf. „Sie zeigen die Gestalt des Rabens mit
der Sonne auf dem Bauche — die aufgehende Sonne, das
Sinnbild des Lebens (bezugsweise das Wasser des Lebens) —
und auf seinem Rücken das Feuer und die Nacht, die
untergehende Sonne (bezugsweise das Feuer des Todes) l ). u
Schurtz ist der Ueberzeugung, dass den Rabenrasseln
die typische Form des malaischen Totenschiffes zu gründe
liegt, „obwohl der ursprüngliche Sinn bei den Nord-W r est-
Amerikanern vergessen oder durch sekundäre Deutungen
verdrängt zu sein scheint 2 ) u . Beide Forscher habeu in
ihrer Weise das Rechte getroffen, und es ist nicht schwer,
dies nachzuweisen.
Jelch ist vor allem der Totenvogel, der Seelenführer.
Er ladet die Geister der Verstorbenen zu Gaste; er fordert
') Seier S. 235.
2 ) Schurtz: „Augenornament* S. 8(5.
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-- '21
andere auf, mit ihm um die Toten zu trauern. Auch mögen
andere Vögel die Seele hinforttragen. Ein Jüngling schüttelt
einen erbeuteten Adler derart, dass Fleisch und Knochen
herausfallen. Er kleidet sich in den Pelz und fliegt von
dannen. Oder eine sterbende Frau verwandelt sich in einen -
Vogel. Menschenraubende Vögel sind auf das gleiche Motiv
zurückzuführen etc. 3 ).
Eine sehr hübsche Umkehrung findet sich bei den
Kwakiutl. Dort wirft ein Vogel einen Wappenpfahl zur
Erde hinab, der vor einem Hause stecken bleibt. Das^
zeigt, wie die Umkehrungen auch auf Grund des Vergessens
entstehen können. Der Vogel, der alle Ahnen hinauftrug,
wirft den Stammbaumpfahl hinab 4 ).
Daran schliesst sich die Todesmythe an. Des Rabens
Sohn, Kyiotl. begleitete den Vater zu einem neu aus-
gearbeiteten Kanoe. Sie fanden dort in der Mitte des
Bootes einen Hut. Der Rabe wusste, dass es gefährlich
sei, denselben zu berühren. Daher warnte er seinen Sohn.
Dieser aber setzt ihn dennoch auf und wird sogleich in
die Höhe getragen. Später kehrt der Knabe wieder, da
ihn aber der Vater nicht erkennt, sagt jener, er müsse
wieder gen Himmel fliegen und werde nie wiederkehren.
„Fortan werden die Menschen sterben und können nach-
her nicht wiederkehren. u Die Bedeutung der Mythe wird
noch klarer durch die Mitteilung Krauses, dass den toten
Häuptlingen der Tlinkit ein hölzerner Hut aufgesetzt wurde,
auf dem Figuren, die den Raben darstellten, geschnitzt
waren." Vergleichen wir damit nun Tanzrassel vom Kap
Flattery, an deren Spitze ein Menschenkopf mit einem
8 ) Krause: „Tlinkit" S. 81. Boas: „Verh.* 1892 S. 821, 1891
S. 569 und 540, 1895 S. 193, 1893 S. 450.
*) Boas: „Verh. tt 1893 S. 237. Ob eine Beziehung zwischen dem
Namen des Raben: r Jelch" und der Bezeichung für Ahnengeister:
„Jek u besteht, soll dahingestellt bleiben. Krause: „Tlinkit" S. 291.
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solchen Vogelhute geschnitzt ist (Taf. I Fig. 11), so haben
wir den Anschluss an die Rasseln hier schon erreicht 5 ).
Der zweite wichtige Zug der oceanischen Vogelmythe,
die ümkehrung des ersten, die Fähigkeit des Lebens-
spendens, treffen wir ebenfalls wieder. Andere Tiere können
nur tote Lachse machen; der Rabe erschafft lebendige.
Aus seinen Exkrementen macht der Rabe lebende Wesen k
Als die Sonne in den Händen des Mink alles zerstört und
verbrannt hat, da lässt er Bäume und Sträucher aufs neue
emporsprossen 6 ). Deshalb ist .Jelch auch nicht der Welt-
schöpfer, wie Boas sehr richtig bemerkt, sondern der
Weltordner 7 ).
Eine der wichtigsten Rabenmvthen behandelt den
Sounendiebstahl, die Befreiung. Wir folgen der Tlingit-
Mythe. Des Raben Oheim war der Herr der Fluten.
Derselbe besass ein Weib und eine Tochter. Auf erstere
war er sehr eifersüchtig. Deshalb vernichtete er alle Kinder
seiner Tochter aus Furcht, sie möchten erwachsen, sich
seiner Frau zu sehr nähern. Die Frau steckte er, wenn
er abwesend war, stets in einen Korb oder ein Schachtel,
hing dieselbe an der Decke seiner Wohnung auf und setzte
ausserdem kleine rote Vögel als Wächter ein, die, wenn
der Korb oder die Kiste durch irgend einen Zufall geöffnet
wurde, den Herrn der Fluten stets davon benachrichtigen
mussten. Nun wollte Jelch gern einiges aus dem Hause
seines Oheims für seine Menschen stehlen. Daher ver-
wandelte er sich in einen kleinen Gegenstand, den die
Tochter seines Onkels gelegentlich mit verschluckte. So
5 ) Boas: „Verb." 1893 S. 447, vergl. auch 8. 469. Krause:
„Tlinkit" 8. 225. Swan 8. 77. Im Berliner Museum befinden sich
derartige, aus Holz geschnitzte Hüte.
8 ) Boas: „Verh. tt 1891 8. 172. 1893 S. 244. 1894 8. 282.
7 ) Niblaek 8. 378 Waitz Bd. III 8.329 nach Holmberg. Krause:
„Tlinkit* 8. 267. Boa*: „Entwicklung" 8. 489.
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~ 29 -
gebar ihn dieselbe denn wieder. Des Raben Mutter lehrte
ihn mit dem Bogen zu hantieren. Er schoss einen Kranich
und gewann mit dessen Haut die Macht des Fliegens. Er
erlegte einen Taucher und erwarb das Schwimmvermögen.
Als der Oheim ihn daher in das Feuer werfen wollte,
schwang er sich in die Lüfte, und als er ihn zu ertränken
gedachte, schwamm er von daunen. Er öffnete zu Haus
die Kiste und Hess die Frau seines Oheims ins Freie. So-
fort flogen die roten Vögel zu dem Gemahl und verkündeten
den Frevel. Dieser, in Wut versetzt, Hess die Flut steigen.
Doch Jelch flog empor zum Himmel. Er bohrte sich mit
dem Schnabel ein Loch in denselben und krallte sich fest.
Die Flut stieg so hoch, dass sie seine Schwingen berührte.
Dann fiel sie. Er stahl seinem Oheim auch die Sonne und
die Sterne aus der Kiste 8 ).
Dieselbe Mythe wiederholt sich bei den meisten dieser
Völker. Es ist mehr oder weniger deutlich ausgesprochen,
dass es sich um eine Befreiung der Sonne handelt 9 ). Diese /■■
Mythe ist in Analogie zu setzen mit der Mythe vom Feuer-
diebstahl Mauis. In einer Spalte gelangt jener in die
Unterwelt (Jelch lässt sieb verschlucken). Er unternimmt
den Kampf mit dem Feuerbesitzer (Jelch soll ins Feuer
oder Wasser geworfen werden). Als Vogel gleitet Maui
herab (Jelch ist der Rabe). Dem Diebstahl Mauis folgt,
das Flammenmeer oder die Flut etc.
Doch als noch enger lässt sich die Beziehung Jelchs
zur Sonne erkennen. Die Sonnendarstellungen zeigen mehr
oder weniger deutlich ein Vogelgesicht 10 ). Ursprünglich
M ) Erman Bd, II S. 372—374. Niblack S. 279—80. Krause:
„Tlinkit" S. 254- 257. Boas: „Verh. u 1895 S. 222 ff.
•) Krause: „Tlinkit" 8. 261-263. Boas: „Verh.* 1894 S. 281 2.
1893 S. 444, S. 463, 8. 244/5. 1891 S. 637. 1892 8. 319. Niblack
8. 325. Boas: „Tlingit* 8. 159/60.
10 ) Seier 8. 215.
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- 30 —
ist der Rabe weiss. Beim Versuche der Tiere, die Sonne
zu bilden, ist auch im Süden der Rabe die erste aufsteigende
Sonne, ff eich heranwachsend erlegt einen elsterartigen
Vogel, kleidet sich in dessen Haut, fliegt empor, krallt
sich in den Himmel und lässt sich wieder herab. Der
Rabe setzt Sonne und Tageslicht an den Himmel 11 ).
Die Kinder des rotköpfigen Spechtes begaben sich
auf die Wanderschaft. Als sie am Sonnenaufgang ankamen,
gingen sie in den Himmel und wandelten nach Sonnen-
untergang. Von dort kehrten sie zurück und wandelten
wieder nach Osten. Sie hatten den Namen Quäls an-
genommen. Diese Sonnenhelden verwandeln in Steine.
Bei den Haida ist der Rabe der wandernde und bei den
Tlingit der die Leute in Steine Umwandelnde l2 ).
Doch auch in dieser hervorstehenden Gestalt als Sonne
ist des Raben Beziehung zu den der Sonne nach dem Tode
Folgenden nicht zurückgeblieben. Den zur Sonne auf der
Pfeilleiter Hinaufkletternden dient er als Schlussstein, in-
dem er die Leiter stützt, als die Pfeile nicht mehr bis zur
Erde reichen. Dem jungen Mann, den wir sonst an der
Pfeilkette zur Sonne empor klettern sehen, fliegt bei den
Tlatlasikoala im Vogelpelz empor. Nach der Sage der
Catloltq bemalt Kumsnootl (der Sonnenheld) die Menschen
mit heitern Farben und verwandelt sie in Vögel. Sentlae,
die Sonne, steigt in Gestalt eines Vogels zur 'Erde herab
und verwandelt sich in einen Menschen 13 ).
Bezeichnend für des Raben Verhältnis zur Sonne einer-
seits, zu den Toten anderseits, ist ein kleiner Zyklus von
Mythen, in denen Augen eine Rolle spielen. Dem ein-
n ) Boas: „Tlingit" S. 162. Boas: „Verh." 1895 8.225. 1891 8.
164, S. 536. Krman Bd. II S. 373/4. Boas: „Verh.* 1895 S. 224.
1S ) Boas: „Verh." 1891 8. 550. 1895 S. 219 20 228.
ls ) Boa«: „Verh. tt 1891 S. 165. 1893 S. 241. 1892 8. 33. 1893
8. 237.
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— :n —
äugigen Riesen reisst der Rabe das einzige Auge aus. Bei
der Beuteverteilung verlangt der Rabe als Häuptling die
Augen. Er verwandelt sich in eine alte Frau mit einem
Auge. Als der Tote aufgefunden wird, hat der Rabe ihm
ein Auge ausgehackt u ).
Dem Toten, dem das Auge geraubt ist, führt der Licht-
vogel der Sonne nach in das Jenseits, dessen Verständnis
allerdings die Nord -West- Amerikaner verloren haben.
An einem prächtigen Belegstück will ich noch das
Verhältnis Rabe — Sonne— Tote klar legen, ehe ich zum
Totenschiff übergehe.
Nach der Tsimshiam-Mvthe starb einst eine Frau vor
der Geburt. Der Leichnam ward beigesetzt. Da entspringt
dem toten Mutterleibe ein feurig glänzender Knabe. Er
nährt sich von den Eingeweiden der Mutter im Totenhäuslein.
Der Häuptling lässt ihn gefangen nehmen. Doch der Knabe
wird trotz alles Wohlwollens seiner Gönners traurig; er
weint ununterbrochen. Mit einem Freunde . entHieht er
schliesslich. Sie schiessen Spechte, hüllen sich in deren
Federkleid und schwingen sich zum Himmel empor. Lange
suchen sie vergeblich eine Oeffnung in demselben. Wie
sie dieselbe auffinden, wird der Freund bei der Passage
u ) Boa»: „Verh. u 1890 S. 229/30. 1891: S. 163. 1S93 8. 243.
1892 8. 336. In der Shushwap-Mythe spielt Coyote mit seinen Augen;
Die Dohle schnappt sie weg; Coyote setzt »ich neue Augen aus Hage-
butten ein und kann nun wieder sehen. — Der Specht hackt dem
Häuptling des Himmels auf Befehl des Sonnenhelden die Augen aus.
(Wie sieh spater zeigen wird — vgl. Kap. 9 — ist der Herr des
Himmels die Sonne der Unterwelt. Ks ist sehr charakteristisch, dass
diesem, dem nicht irdisch leuchtenden (iestirue, das Auge ausgerissen
wird.) — Einem halb tot gepeitschten Manne setzt der Donnervogel
seine Augen ein. Darauf wirkt sein Blick tötend. Boas: „Verh. u
1891 8. 539. 1892 8. 37. 1891 S. 633. Einäugige Masken spielen
auf Alaska, bei dem Inuit etc. eine grosse Rolle. Hauer S. 164.
Bastian: „Die Norwestküste Amerikas*. Dali etc.
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i
— 3'2 -
erdrückt, aber der „Eingeweidefressende" gelangt hindurch.
Er heiratet die Tochter des Himmelshäuptlings. Als diese
gebärt, entgleitet das Kind, stürzt auf die Erde hinab, wird
aber im Lande der Menschen zum Raben 15 ). Die Sonne
entsteigt dem toten Leibe. Das ist die Sonne, die in das
Land der Toten beim Untergange versinkt. Eine Uni-
kehruug hat hier den Raben, der die Seele als Lichtvogel
znr Toten weit trägt, aus dem Totenleibe abstammen lassen,
denn der letzte Teil ist der Untergang der Sonne. Der
Rabe, der von dem Himmelsgestirn abstammt, ist der zu
ihm Emporsteigende.
Soweit gekommen, haben wir schon eine bedeutende
Eigenschaft der nordwestamerikanischen Mythologie erkannt.
Denn von den Schicksalen der Seelen nach dem Tode wird
ohne Beziehung auf ein bestimmtes Individium nie ge-
sprochen. Nur noch aus schwachen Reflexlichtern auf der
Mittelschicht der hohen Mythologie lasssen sich Rückschlüsse
auf ihre einstigen Formen ziehen. Es ist eine richtige
Mittelschicht. Jedes Oben und Unten ist abgeschliffen»
Da kann es auch nicht Wunder nehmen, wenn die
Angaben über die Kahnfahrt der Seele fehlen. Immerhin
ist einerseits die Bestattung in Booten aus den nördlichen
sowie südlichen Teilen des Landes bekannt 16 ), anderseits
ist eine entsprechende Mythe zu vermuten, da die Annahme
eines einstigen Schiffahrts-Verkehrs der Nutka und Oeeanier
immer mehr Wahrscheinlichkeit gewinnt.
Die Beziehung zwischen dem Kahn und den Toten
spricht aus der Totenmythe, deren eine Fassung oben ge-
geben wurde. Die Heilstuk- Mythe beginnt damit, dass
der Adler des Raben Kind, Kyioth, stiehlt, während der
*
,6 ) Boas: „Verh. u 1895 S. 195—99.
lB ) Schurtz: „Einleitung 1 * S. 45. Boas : „Chinook" 8. 256 7. Van-
kouver Bd. 1 S. 183. Yarrow S. 171 ff.
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— m —
Vater im Walde Holz sammelt. Der Rabe kam zurück,
ward sehr traurig, weinte und fragte die Ruder und Ruder-
bänke: „Wisst Ihr nicht, wo mein Kind ist? 4 *. Sie konnten
nicht antworten. Er fragte alle Teile des Bootes und
endlieh sprach der Schnabel: „Der Adler hat es ge-
raubt 17 )". In der oben mitgeteilten Form lag der Hut
im Kahne.
Der sprechende Schnabel des Bootes, aus dem das
Kind ins Jenseits geführt ist, berechtigt um so mehr zu
der Meinung, es handele sich hier um den Rest einer
Totenschiff- Mythe, als die Boote des Rabens meist eigen-
artige Befähigung haben. So braucht bei den Haida der
Rabe sein Boot nicht zu rudern. Kr braucht nur an die
Seiten zu schlagen, und es bewegt sich, d. h. also, es hat
Flügel. Auch ist der Rabe der erste, der ein Boot baute.
Anderwärts hat er das Holz nach den Charlotteninseln
gebracht, aus dem die Kanoes geschnitzt werden 18 ).
Auch treffen wir die Kähne Mauis wieder, die iu den
Sonnenmythen bekannt sind. So wie der oceanische
Sonnenvogelgott vom Boote aus die Inseln aus der Tiefe
zieht, so sitzt der Rabe im Boote, als er die Sonne aus
der Kiste aufsteigen lässt.
Die Sonne, der die Menschen in das Meer hinab folgen,
hat vier Sklaven, die allen Vorübergehenden die Boote
rauben 19 ).
Die wichtigen üebergänge zum Totenschiff, aus denen
die Beziehung Vogel — Sonne — Kahn spricht, fehlen eben-
so wenig. An der Stelle, an der wir sonst gewohnt sind,
die Pfeilbrücke in der Sonnenfahrts- Mythe anzutreffen,
finden wir den Sonnenhelden in einem Boote, iu dem er
*
,T ) Boa«: „Verh.* 1893 S. 469.
") Boas: „Verh.* 1895 S. 219. Erman Bd. II S. 374. Boas:
„Verh.« 1893 8. 469.
'») Boaa: „Verh." 1892 8. 400, 8. 468.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 3
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— :u —
viele Movenflügel und Federn mitfahrt. Er braucht nicht
zu rudern, denn sein Kahn geht von selbst. Das Sisiutl-
Boot 20 ) der Kwakiutl -Mythe bestand aus Kupfer ' 21 ). Es
ging von selbst, ohne gerudert zu werden, durchs Wasser
und über Land, liess sich ausserdem zusammenfalten. Dies
Boot war dem Besitzer ein Berater. Es ward genährt mit
Seehunden, die in die Flut geworfen wurden. Dies Boot
war die Kraft des Raben. Es konnte die Flut machen 22 ).
Bei den Awikyenoq linden wir einerseits das Boot des
Rabens, in dem er, wie weit er auch fliegt, in einem
Tage ieden Punkt erreichen kann, anderseits den Kahn
Gyaloyakames (des Allerersten), in dem derselbe wie mit
einem Vogel zum Himmel emporfliegen konnte 23 ).
Die Totenschiffs- Mythen selbst nun sind schwerer zu
verstehen, da die Todesidee darin verwischt ist. Jelchs Oheim
ging täglich in den Wald, um Bäume zum Kahubau zu fällen.
Er war Meister dieser Kunst. Nach einigen Tagen
vernichtete er seine Neffen, indem er das Boot, in (lern er
sass, umkehrte. Die Sitchaer-Koloschen erzählen dagegen,
dass der eifersüchtige Onkel seine Söhne in die trogartig
ausgehauenen Sämme. die er zu Booten erweitern wollte,
gesteckt und verspundet habe. Auch sollte Jelch in der
Tlingit-Mythe in einem Boote zusammen gepresst werden 24 ).
-°| Sisiutl heisst der von der Sonne abstammende Volkszweig der
Kwakiutl.
-') Seier S. 215. Schürt/.: „Augenornament* S. S8.
- 2 ) Boas: „Verli." 1892 S. 389. 1893 S. 23* 9.
-*) Boas: „Verb.* 1898 S. 44«, S. 453.
-*! Krman Bd. II S. 373. Krause: „Tlinkit* 8.256 7. Eine in-
teressante Umkehrung vom Fräser Hiver ist die folgende: Zwei
Mädchen wurden AbendH von zwei unbekannteu Mannern besucht.
Sie brachten am nächsten Tage Kinder zur Welt. Es stellte sich
heraus, dass die Väter dieser Kinder der Hammer und Spähne vom
Bauplatze eines Boo ts -Zimmerm anns waren. — Boas: „Verh. u
1891 S. 571 2.
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— 35
Ein blinder, alter Mann ward wieder sehend, indem
eine Gans ihn auf ihren Rücken nahm und mit ihm unter-
tauchte 25 ). Damit gewinnen wir die zweite Anknüpfung
an die geschnitzten Darstellungen des Totenschiffes. Der
Mann, der in der Umkehrung tot mit gebrochenem Auge
in das Jenseits getragen wird, kann wiedererkannt werden
in Tauzrasseln, die einen ähnlicheu Vogel darstellen, auf
dessen Rücken ein Menschenkopf liegt 26 ).
Um zu zeigen, in welcher Weise die nordamerikanischen
Mythen dieser Art umgebildet siud, will ich vor der Be-
sprechung der Schnitzwerke uoch die Lesung einer Ahneu-
mythe der Bilqula versuchen. Suq sandte Isyuyot zur
Erde hinab. Der Donnervogel trug ihn durch die Welt.
In einem Orte oberhalb Nutleb wünschte Isyuyot zu bleiben.
Er machte ein Boot, das er schön bemalte und schnitzte.
Mit diesem fuhr er den Fluss hinab und traf in Nutleb
mit vielen Häuptlingen zusammen. Es wird erzählt, dass
er die Sonne in der Kiste Nusquemta .bewahrte und dass
er eine Tochter hatte, welche der Rabe schwängerte und
als deren Kind er die Sonne befreite 27 ).
Isyuyot ist also der Ahn. Er fährt im Vogelboote
ins Jenseits und trifft in der Seelenstadt der „Vornehmen''
mit den Standesgenossen ein. Die Seelen der Vornehmen
folgen der Sonne. Er versinkt mit ihr in der Unterwelt,
vom Vogel getragen. — Eine grössere Verwirrung durch
Umkehrung ist kaum denkbar. Dass auf diese Weise die
niedere Mythologie mit all den Zügen, die den Todes-
erscheiuuugen entspringen, in den Kreis der höhereu
hinaufwächst, dass alle Todes- in Anfangsmythen verwandelt
sind, das haben wir jetzt erkannt, und auf der Basis dieser
Erkenntnis des Formwesens und der Motive können wir
") Boas: „Verli." 1893 S. 4(>5.
— 2C ) Heler 8. 238. Nr. 40.
27 ) Boas: n Verh. a 1895 S. 192.
. 3*
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— 3ti
die plastischen Ausdrucksforinen des nordwestanierikanischen
Tötensen iffes und seiner Verwandten im Westen auch
wohl lesen.
Wie schon gesagt haben wir in den Tanzrasseln das
Widerspiel der ozeanischen Totenschiffe nach Schurtz vor
uns. Schurtz hat seine Arbeit lediglich der niederen
Mythologie gewidmet. Seier die seine der höheren. Diesem
letzteren ist daher die Beziehung der Toten zur Sonne
(siehe Kap. 9) nicht bekannt geworden. Thatsächlieh hat
er aber recht, wenn er die Zeichnung auf der Brust der
Rabenrasseln (z. B. Taf. I Fig. 9) als Sonnenbildnis be-
trachtet.
Das Schnitzwerk ist den Toten gewidmet, das zeigte
schon Fig. 1 1 der Kopf mit dem Vogelhut. Auch entspricht
die Mythe, die mit diesen Gegenständen verbunden ist,
unserer Deutung vollständig.
Diese Rasseln repräsentieren nämlich nach Swan den
Raben. Der Mann auf dem Rücken ist Oolalla, der in den
Bergen lebte, auf einer Bootsreise aber umschlug und bei-
nahe versank. Kr frisst von Zeit zu Zeit Kinder 28 ). Wenn
wir die Sache ein wenig herumdrehen, kommt ein ganz
klarer Text zum Vorseheiu. Vor allem ist die Figur nicht
Oolalla 29 ) selbst, sondern der Mann ist eine Seele, die dem
Zuge der Sonne folgt, von ihr dah ingetragen wird. Die
Sonne aber steigt im Osten in den Bergen empor,
senkt sich im Westen in das Meer, womit das bei-
nahe Umgeschlagen im Kahne bezeichnet ist. Die
Sonne, der die Seelen folgen, ist die Kinder Stehlende.
Nun können wir guten Mutes den Vergleich mit den
oceanischen Geschwistergestalten unternehmen (Taf, I). Den
*•) Niblack 8. 324. Schurtz: „Augenornament" S. 85/8«. Seier
S. 243, vgl. Jakobsen S. 29.
J ") Eft scheint nicht ganz ausgeschlossen, das» in „Oolalla 4 * da»
mnlaische Wort für „Sonne* 1 cuthalten ist: La, Ra od AI.
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— 37
Knjalan (Fig. 1) hat Schnrtz schon als den Toteuvogel erkannt,
derden von totemistischen Tieren begleiteten Geist ins Jenseits
befördert. No. 2 stellt eine neuirländische Maskensch nitzerei,
ein mit den Zähnen zu erfassendes Stuck, dar. Leicht
erkennbar ist der Buceroskopf und die Schlange, die er
im Schnabel hält, Er ist mit den menschlichen Extremitäten
ausgestattet. Der Leib ist ein gebogener Stab. Der
darüber befindliche Kreis mit den Dreiecken ist möglicher-
weise als Sonne zu denken. Hinter den Füssen, über dem
Körper läuft die vorn die Schlange wieder berührende
Schwanzfeder 30 ). An der linken oberen Ecke ist das tote-
mistische Tier, der Fisch, zu finden. Sein weisser Schwanz
ist abgebogen und ragt in der Mitte der oberen Kante des
Schnitzwerkes in die Höhe. Feststellen möchte ich nur
noch, dass hier die Figur des Menschen mit der des Vogels
zusammengefallen ist.
Im weiteren verdient eine Erscheinung Beachtung.
Der Knjalan zeigt das sehr selbständig ausgebildete Horn
des Jahrvogels. Es ist im Begriff, sich in eine nach hinten
gebogene Spirale umzugestalten, wogegen der Flügel geneigt
erscheint, eine nach vorn gerollte Spirale zu bilden. Das
so ) Eine Betrachtung belebter Schwänze bei Fisch und Vogel
scheint nicht zwecklos. Die Neu-Meeklenburger Schnitzereien bieten
reiches Material an Vogelschnitzereien, welche die Seele in die
Schwanzfedern geklammert, darstellen. — Der Himmelsvogel der
Tlingit und Koloschen besitzt einen besonders langen Schwanz.
Erman Bd. II S. 373. Krause: „Tlingit" S. 255. - Der Walfisch,
der den Haben verschlungen hat, hat einen als Kopf gebildeten
Schwanz. Niblaek Taf. L II Nr. 283 und Nr. 280. — Demnach ist
auch eine von Seier besprochene Darstellung: der Vogelschwanz als
Schopf einesVogelkopfes keine alleinstehende Thatsaehe (Taf. I Fig 9)
vielmehr etwas echt malaisches; denn auch die Hinterteile der Maori-
kühne zeigen den mit dem Menschen verbundenen Vogelschwanz.
Z. B. Dumont D'Urville Taf. 34 Nr. 3. Auch auf den Knjalans steht
der Mann respect, die Seele auf dem Schwanz des Vogels, vgl.
Taf. 1 Fig. I.
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— 88 —
Basisstück eines Kamerunerschifts- Sehnabels (siehe ent-
sprechende Publikation Taf. 1 Fig. 6 und unsere Taf. 1
Fig. 3) lässt dieselben wieder erkennen, ebenso wie die
Schiffsschnabel der Maori (Fig. (> und Fig. 7).
Die Schiffe der Maori sind oft als Totenschiffe gestaltet.
Am Vorderteil ragt der Vogel hervor 31 ), wenn es nicht
mehrere Vögel hintereinander sind 3 ' 2 ). Am Hinterteil ist
der Schwanz oft mächtig in die Hohe gebogen. Manchmal
steht der Geist an den Schwanz gelehnt, manchmal befindet
er sich auf dem Vogelvorderteil, und das (Fig. 5) ist der
wichtigere Fall.
Die euge Verwandtschaft der Form Fig. "> mit dem
nord westamerikanischen Totenschiff Fig. 8 ist frappierend.
Der Geist beisst bei beiden in den Schwanz einer Schlange,
die wiederum vorn in den Kopf des Vogels beisst. Für
Oceanien ist die Bedeutung der Schlange als gleichbedeutend
mit Seele und Feuer im Schnabel der Vögel schon be-
sprochen worden. Auch in Afrika ist das Problem dem-
entsprechend gelöst ( vergl. Kap. 4 und 5).
In Nord -West -Amerika finden sich aber auch schöne
Parallelerscheinungen. Cook bildet eine Vogel maske der
Nutka ab, deren Schnabelspitze in ein Menschengesicht
ausläuft. Einen Menschenkopf tragt ein als Vogel dar-
gestelltes Sonnenbild im Mund. Und das ist sicher vielsagend.
Soust ist häufig ein Kupferstück im Schnabel der Raben-
rasseln anzutreffen. Das Kupfer ist das Sinnbild des Feuers
oder der Sonne. Bemerkenswert ist fernerhin, dass die
Sonnenhelden zur Probe einen glühenden Stein in den
Mund nehmen müssen und dass der Himmelsvogel einen
Schnabel so fest wie Eisen hat. Endlich besitzt der Donner-
S1 ) Taylor 8. 125.
") Sihurtz: „Einleitung* 8. 41. Blight Tat'. III Fig. 4.
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— 3<)
vogel, der hierin, wie öfters, seine Rolle mit dem Raben
vertauscht zu haben scheint, eine Schlange als Gürtel 33 ).
Nehmen wir dazu, dass die Rabenmythen von der Be-
freiung der Sonne doch auch als eine umgebildete Seelen-
fahrtsmythe erklärt werden muss, so tritt die Parallele
Seele — Feuer doch recht deutlich zu Tage. Hier, wo die
Schlange an Stelle des Kupferstückes und des Menschen-
kopfes erscheint, ist es also wohl berechtigt, die Schlange
als Seele aufzufassen.
Zu dieser formalen Aehnlichkeit tritt nun die in An-
merkung besprochene Eigentümlichkeit der Schwanzbildung.
Damit dürfte sowohl die Motivgleichheit als das Motiv:
r die vom Vogel-Sonnen-Kahn ins Jenseits getragene Seele"
nachgewiesen sein.
Meine Aufgabe ist somit gelost. Die Bindeglieder
zwischen Schurtz s und Seiers Ergebnissen sind gefunden,
die Ideenverwandtschaft der oceanischen und nordwest-
amerikanischen Mythologie noch schärfer hervorgehoben.
Ich betrete die australische Nebenprovinz mit viel
unbedeutenderen Hilfsmitteln. Das verhältnismässig sehr
geringe Material kann nur ausreichen, die Oleichartigkeit
bestimmter Züge der australischen Mythologie mit der
oceanischen nachzuweisen.
Wenn Krankheit und Tod einem Vogel zugeschrieben wird,
der die Lebenskraft zerstört, so ist damit der Anschluss an
die Mythe: der Vogel trägt die Seele ins Jenseits, gewonnen.
Weiterhin erzählt eine Mythe, dass vor den Menschen das Land
von Vögeln bewohnt gewesen sei. Das heisst nach der Um-
kehrung, dass die Seele nach dem Tode in Vögel einziehe 3i ).
aa ) Cook 3. R. Bd. II Taf. 40. Seier S. 215 Nr. 5 a. Schurtz:
„Augenornament* 8. 88/9. Scler 8. 215. Erman Bd. 11 8. 273. Boas:
„Verh." 1892 S. 35, 8. 36, 8 344.
") Angas Bd. I 8. 110. Brough Smith Bd. I 8. 430.
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■
— 40 -
Der Tod tritt mit dem Licht schon insofern in Be-
ziehung, als dejr Ruf der Nachteule den Tod verkündet 35 ).
Der Wegweiser der niederen Mythologie weist also auch
hier zum Licht und zum Vogel. Der Sonnenvogel der
australischen Mythologie ist die Krähe. Daneben ist der
Adler der Herrschende. Adler und Krähe haben im Vogel-
lande in der vormenschlichen Zeit geherrscht. Sie haben
die Welt geschaffen. Allerdings muss auch hier hinter
dem „geschaffeu u ein Fragezeichen gemacht werden. Ks
scheint auch die Thätigkeit der Krähe eine r weltordnende"
zu sein, wenigstens hat sie den ersten Hegen gesandt 36 ).
Sonne und Krähe sind oftmals eins. Als zu einem
Corrobberri Waung, die Krähe, die Seinen zusammenruft,
machten sie ein grosses Licht in der Luft. Waung wird
gefangen, getötet, lebt aber wieder auf wie die Sonne auf-
geht oder wieder erscheint. Au die oceanischen Tangaroa-
Mythen erinnert es, wenn im Anfange die Sonne ein Emu-
Ei gewesen sein soll, das ein kleiner Vogel präparierte und
in die Luft warf« worauf es auf der Erde Licht ward 37 ).
An die der primären Mythenbildung entspringenden
oceanischen Feuerdiebstahl -(Maui-) Mythen klingt es oft-
mals an. Waung stiehlt das Feuer, das in einem Stabe
enthalten ist. Oder, der Mann, der das Feuer stahl, ist
zum Vogel mit dem roten Male auf dem Schwänze ge-
worden. Ich erinnere an das oben über die Schwänze der
Totenschiff- Vogel gesagte! Mit einem Worte, wir stossen
hier auf die Todtenschiffmythe, an die um so eher erinnert
werden darf, als die Bestattung in Booten nicht fehlt 38 ).
") Priehard: „Ozeanien" 8. 285. Auch sonstige Vogelorakel
Howitt S. 254.
*•) Brough Smith Bd. I S. 423, S. 4<>2.
37 ) Brough Smith Bd. I S. 428, S. 451, S. 432.
S8 ) Brough Smith Bd. I S. 434, S. 4f»0, 8. 459, S. 458. Anga»
Bd. II S. 228.
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41 -
Typischer aber ist die Flutmythe, die hier kurz be-
sprochen werden mag. — Wie gesagt, lebten vor den
Menschen Vögel auf der Erde, unter denen Adler und
Krähe herrschten. Das Kind des Adlers war der Krähe
anvertraut. Diese führte es zur Tränke. Der Leib des
Kindes schwoll dabei mächtig auf. Waung warf darauf
einen Gegenstand auf seinen Leib. Da platzte das Kind
und die Flut brach über das Land herein 39 ).
Auch auf den Fidji ist der Tod eines Vogels die Ur-
sache der Flut. Nach Maori-Mythe entsteht die Flut, als
Maui das Feuer gestohlen hat 40 ).
In Nord-West- Amerika treffen wir die Lösung dieser
Flutsagen. Als Jelch die Sonne befreit hat, steigt die
Flut mächtig; das ist die oceanische und die gekürzte
australische Form.
Nun ist aber im allgemeinen der Rabe der Herr der
Fluten, der mit seinem Hoote die Flut heraufbeschwört.
Die Eigenarten dieses Bootes habe ich besprochen. Es
ist das Heisch(Seelen-)fressende Totenschiff-Sonnenboot.
Noch näher kommen wir aber dem Kern der Mythe,
wenn wir hören, dass Jelch mittelst seines Hutes die Flut
macht. Die andere Eigenschaft des Hutes ist die des
Todesvogels. Er trägt die Seelen hinfort, hat die Form
eines Vogels 41 ).
Die Seeleu folgen der Sonne beim Untertauchen in
das Meer. Das ist die wichtige und richtige Lesart der
Mythe, sowohl der oceanischen als der nord-west-amerika-
nischen, als auch der australischen Form.
**) Brough Smith Bd. I 8. 430.
*°) Williams: .Fidji- Bd. I 8. 252. Bastian: „Hawai" 8. 100.
41 ) Fluthhut: Boas: „Verh,* 1«95 8. 218, 219. Todeshut:
Krause: „Tlinkit* 8. 225. Boas: „Verh.* 1898 8. 447.
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III. Kapitel.
Die Vogelmythe in Afrika.
Die afrikanische Mythologie. Nashornvogel, Rabe, Krähe,
Hahn. — Verhältnis der höheren und niederen Mythologie im Osten
und Westen de» Oeeanier. Der Vogel trägt die Seele ins Jen-
seits. — Die Belebungskraft des Vogels. Die Seele als Vogel. —
Seele und Kahn. — Vogel und Totenschiff. — Der Lichtvogel. —
Liehtvogeltotenschiff. — Vogelorakel. — Die Vogelmythe.
Die afrikanische Vogelmythe ist schon im „ Schiffs-
schnabel behandelt. Die Hauptzüge sind dort dargestellt.
Aber mancher neue wichtige Anschlus ward seidem gefunden,
besonders sind die Sonnenmythen seitdem erst entdeckt.
So ist eine Neubesprechung sicherlich mit Resultaten ge-
krönt. Das bisherige Studium der afrikanischen Welt-
anschauung hat mich gelehrt, dass ihre Art von der
ozeanischen und nordwestamerikanischen infolge der Ver-
kümmerung der hohen Mythologie sich unterscheidet. Im
Osten verkümmerte die niedere, in der äussersten Provinz
verschwanden alle das Seelenschicksal angehenden Mythen
fast gänzlich.
Die afrikanische Weltanschauung muss als eine ein-
förmige, niedere angesehen werden. Alles Interesse
konzentriert sich um das Seelenschicksal. Unterschiede
formaler und ideeller Art in den einzelnen Provinzen können
nicht verkannt werden, sind aber bei weitem nicht so gross
wie im oceanischen Gebiet. Mau denke an die Mythologien
Polynesiens und Melanesiens! Es ist zunächst hier das
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— 43
antbropogeographische Problem zu betonen. Die afrikanische
ist eine kontinentale Weltanschauung.
Neben diesem Form pro blem drängt sich die Frage
nach den Motiven in den Vordergrund. Dass dieselben
infolge des Fehlens jeder durchgehenden mächtigen Dichtung,
Weltvorstellung, Schöpfungsgeschichte, hoher und klarer
Göttergestalten, sich nur in den unteren Schichten aus-
breiten, Lebenskraft gewinnen konnte, ist leicht verständlich.
Wenn wir die Spuren degenerierter, hoher Mythen antreffen,
so werden wir vor die Frage nach ausserafrikanischer Ab-
stammung gestellt.
Schon auf den ersten Blick tritt der grosse Unterschied
der östlichen hohen und der westlichen niederen Mythologie
hervor. Der Nashornvogel ist der Totenvogel der Oceanier
(nach Schurtz), der Rabe der der Nutka, die Krähe der
der Australier. Wenn auch andere Vögel auftreten, so
kehrt die Mythenbildung doch immer wieder zur Verwendung
dieser Haupttypeu zurück. In Afrika fehlt diese ausgeprägte
Gestalt. Hahn und Huhn sind die einzigen öfter auf-
tretenden. Sie sind bedeutungsvoll für die Sitten, im
Kultus. Damit gewinnen wir aber auch sofort den Anschluss
an die indonesischen Gebräuche. In der indonesischen
niederen Mythologie erscheint nämlich gerade wie in der
afrikanischen das Huhn im Vordergrund. Ausserdem
muss es auffallen, dass in beiden Gebieten die Schlüsse
auf die Motive aus den Sitten, dagegen in den anderen
Provinzen aus den Mythen gelesen werden müssen.
Ist der Blick auf diese Erscheinung erst aufmerksam
geworden, so ist es nicht schwer, einen grossen Zug zu
entdecken. Auch im östlichen Gebiete findet sich eine
Entwicklungsskala. Je weiter von Indonesien dem Osten
zu wir uns entfernen, desto mehr verkümmert die niedere
Mythologie. Und umgekehrt: von Nord -West- Amerika, dem
charakteristischen Boden der einförmigen höheren Mythologie,
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— 44 —
aus betrachtet, kann das Anschwellen der niederen und
das Verkümmern der höheren bis zum Alleinherrschen der
niederen und dem fast völligen Verschwinden der höheren
Mythologie in Afrika als nicht nur merkwürdige und sicher
nicht zufallige, sondern auch für manches Problem ausschlag-
gebende Thatsache beobachtet werden.
Die Mythe vom seelenführenden Vogel tritt in Afrika
sehr hübsch klar hervor. Ehe der Tote ins Grab gelegt
wird, schlachtet der Kassenti- Priester ein weisses Huhn
und besprengt Leichnam und Leichenbahre mit dessen
Blute. — Ehe über dem Leichnam eines Kakongo- Fürsten
nicht ein Hahn geopfert ist, darf sein Nachfolger nicht
den Thron besteigen. — 80 wird an der Goldküste und
bei den Bullom das Grab mit Hühnerblut besprengt, in
Kallabar neben dem Kinderopfer ein Hahn aufgehängt.
Es ist dasselbe Huhn, das bei den Yoruba als Adire-irama
„the fowl that buys the road", d. h. „that opens a right
of way" dem Leichnam beigefügt wird oder es ist, um
mit einem alten Bericht derselben Sitte an der Goldküste
zu reden, „der Fetisch, der den Leichnam in die andere
Welt begleiten soll"
Noch aus anderen Melodien klingt dasselbe Motiv.
Einer Wanika-Frau sollte ein Geist ausgetrieben werden,
denn sie war besessen. Sie trug ein weisses Huhn. Lärmend
folgte ihr die Menge. Im Meere badete sie, darauf ward
das weisse Huhn mit Opfergaben in eine Schachtel ver-
schlossen und diese ins Meer geworfen. Wer die weisse
Henne essen sollte, der wird von dem ausgetriebenen Geist
') Oldendorp 8 331 2. Bastian: „San Salvador" S. 58. Ellis:
„Yoruba* 8. 128 und 160. Ks sind in diesem Kapitel nur die neuen
Quellen angeführt; früher verwandtes Material ist „K. Schiffsschnabel"
8. 51 ff. belegt.
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-
45 . —
•
besessen werden 2 ). Halm erzählt eine Mythe der Ova
Herero. Eine verfolgte Frau besteigt einen Baum. Die
Männer, die nicht nachzukommen vermögen, nahen mit
Aexten, den Stamm zu fällen. Da kommt der Geängsteten
mit weitausgebreiteten Schwingen ein Geier zu Hilfe, bietet
ihr den Rücken und trägt sie hinweg in Sicherheit 3 ).
Der Vogel, der die Seele ins Jenseits trägt, muss auch
dem Bildnis, das belebt werden soll, den Geist einhauchen.
In Guinea ward die Belebung einer hölzernen Statue da-
durch bewirkt, dass ein Huhn in sein hohles Innere geworfen
ward, sodass mit dem dem Tiere entströmenden Blute
Lebenskraft in das Bildnis drang. Um mit den Geistern
der Toten in Verbindung zu treten, besprengt der Ewe
Ganga das Lehmbild, der Somrai den heiligen Pfahl mit
Hühnerblut. Die Wassambara bespritzen die Heiligtümer
mit Hühnerblut, um die beleidigten Dorfgottheiten zurück-
zurufen.
Ein Beweis der Eigenschaften, die somit auf den Vogel
übertragen werden, spricht aus den Mitteilungen, dass, um
die Felder fruchtbar, zu machen. Eier in den Boden gesteckt
werden, dass junge, unverheiratete Weiber keine Eier essen
dürfen, da bei etwaigen unerlaubten Liebeshändeln un-
angenehme Folgen daraus folgen könnten 4 ).
Es tritt der Hahn, der einfachen Umkehrung ent-
sprechend, auch als ein die Menschen schon bei der
Entstehung begleitendes Tier auf 5 ). Aber während so
'-) Krapf Bd. I. S. 255.
8 ) J. Hahn: „Ovaherero" 8. 507/8.
*) Andererseits erfolgt eine gewisse Scheu vor Vögeln, zumal
Hühner, die in Speiseverboten oder Schutssgeboten sich äussert.
Z. B. Isert 8. 25, S. 211. Crowther: „Dictionary" S. 210. Hilde-
brandt 8. 378. „Westafrican 8ketsches tt S. 50. Goldie S. 16. Prichard:
„Afrika" S. 309. „Kamerun, Land, Leute und Mission 44 8. 30.
Eniin 8. 344.
5 ) Crowther: r Gramraar" S. I ff. Bastian: „Loangoküste" Bd. II
8. 218.
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— 4(»
»
wenigstens an einigen Funkten die Mythe ein Bedürfnis,
sich nach oben zu entwickeln, zeigt, bieten ihre Formen
doch viel mehr Kümmererscheinuugen. Vielmals ist zu
lesen, wie die Seele selbst zum Vogel ward.
Die Totenschiff- Mythe, als die von dem Vogel der die
Seele als Kahn ins Jenseits tragt, ist in Afrika naturlich
verblasst. Aber nachweisen lässt sie sich.
Zunächst interessiert die Fahrt der Seele im Kahne
ins Jenseits. Da ist vor allem die Seelen wanderungs- Mythe
der Ewe zu erwähnen, von der eine weitere 6 ) Lesart
folgen möge 7 ):
Man giebt den Toten, Männern und Weibern, eine
Pfeife und Tabak mit ins Grab. Das hat seinen guten
Grund. Alle Toten müssen den Fluss Volta passieren.
Ein altes, hässliches Weibsbild, das mit Wunden bedeckt
ist, sitzt in der Nähe und sucht die reisende Seele auf-
zuhalten. Kommt diese zu ihr ohne Pfeife, so muss sie
bei ihr bleiben und ihr die Wunden lecken. Vor dem
Feuer hingegen ist ihr bange, und wenn sie die an-
gezündete Pfeife sieht, ruft sie: „Eilet mit Euerer Reise ! u
Au<h spricht man von geistigen Fährleuten, die gegen
Erlegung von demjenigen, was der Tote mitbringt, ihn
über die verschiedenen Arme des Flusses setzen und zuletzt
zu einer grossen, sandigen Ebene bringen, die gegen die
Mündung desselben liegt. Hier sollen sich die Geister
nachts haufenweise versammeln.
Dem entspricht es, wenn in manchen Gegenden die
Leichen in Kähnen beigesetzt werden, wenn die Leichen
der Muata Yamvos in den Kalangibach geworfen, statt in
der Erde beigesetzt werden. Die Baschilange begrüssten
die ersten Weissen als die aus dem Maji Kalunga, dem
Geisterwasser, Zurückgekehrten, und ähnliches ist aus dem
g ) „Schiffsschnabel" S. :*7 ff.
7 ) Monrad 8. 1<>.
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— 47 —
Empfang Brües auf den Bissagos-(Los-)lnseln zu schliessen.
Die Ssongo, Otschi und Bakwiri empfangen die Mitteilungen
der Ahnen aus einem Wasserbecken.
Die Einwohner Nord- Guineas endlich sagten Bossmann
direkt, dass sie „den Ort künftiger Glück- oder Unglück-
seeligkeit an irgend einem Orte in der See" vermuteten.
Andererseits lassen sich auch Spuren der Beziehungen
des Vogels zum Wasser nachweisen, wenn auch die Östliche
Flutmythe fehlt. Wenn der Nashornvogel krächzt, kommt
Regen. Die Geier werden zur Gottheit gesendet, wenn
Regenmangel eintritt 8 ).
Und nun das Verhältnis: „Vogel — Kahn — Seele".
Um Sc Iiiifen eine günstige Fahrt zu sichern, verrichtet man
in Kalabar unter Anrufung der Ahnengeister folgende
Zeremonien. Man opfert eine Henne. Dieselbe wird lebendig
mit einem Fusse an eine lange Stange gebunden. Am
audern Fusse hat sie einen kupfernen Ring. In diesem
Zustand lässt man das Tier verhungern. Lander musste
auf seiner Rückreise aus den Haussa- Ländern den Müsse
überschreiten. Da dieser Fluss als sehr gefährlich bekannt
ist, tötete der Führer ein Huhn und sprengte das Blut in
den Fluss. Einen Teil der Eingeweide legte er in den
Vorderteil des Kanoes, ein zerbrochenes Ei in den Hinter-
teil. Dass der böse Geist der Wanika-Frau in einer weissen
Henne und in einer Schachtel im Meere ausgesetzt wurde,
ist schon erwähnt.
Sonst kommen Verzierungen au Booten selten vor 9 ).
Um so auffälliger sind die weissen Hennen aus Bugspriet
*) Emin S. 93. Steiner: „Globus" S. 134.
*) Erwähnenswert ist die Stange im Vorderteil der Bube-Canoves,
(Bauinann: „Fernando Po* 8. 38.) dann die sonderbare Verzierung
der Wagandaboote. (Siehe Tiedcniann, Peters, Speke, Junker Bd. III
S. 684. Ratzel: „Völkerkunde' 4 1. Aufl. Bd. I. S. 4K4. Stuhlmann
8, 145.) Endlieh die Klingelstange am Bug der Boote vom Uelle.
(Jean Üybowski 8. 201.)
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— 48
der Wabunia und Babangikähne. Besonders charakteristisch
ist aber der Kameruner Schiffsschnabel, der als die stili-
sierte Form eines Vogels (siehe Tafel I. Fig. 3) mit darauf
stehenden von den totemistischeu Tieren begleiteten Seele
erkannt worden ist 10 ).
Dem afrikanischen Todtenschiffmythus fehlt auch die
Lichtvogelidee nicht. Dass die Seelenschicksale mit dem
Lichte der Sonne in irgend eiuer Weise verbunden sind,
lässt sich schon aus der mystischen brennenden Pfeife der
Akkratodten schliessen. Ich will hier diese Ansicht be-
stätigen. Ein spateres Kapitel wird völlige Klarheit
bringen. Nach nigritischer Anschauung folgt die Seele
ebenfalls der Sonne.
Aber auch Vogel und Sonne sind in Beziehung zu
setzen. Dass weisse Hühner eine besondere Rolle spielen,
wird schon aufgefallen sein. Beim Opfer werden die Tiere
dieser Farbe stets bevorzugt 11 ).
Dazu kommt, dass die Eweer das Huhn als den Freund
des Feuergottes bezeichnen 12 ), dass Khevyosoh der
Gew ittervogel, die Inkarnation Lisa s, des Sonnen-
gottes, in Dahomeh ist 13 ), Khebieso 14 ) (Schlegels Lesart),
10 ) Ueber die neueren Auslegungen dieser Verzierungen am
Bugspriet der Dualla-Canoes vergleiche „Ursprung der afrikanischen
Kulturen" S. 336 ff. Der ursprüngliche Sinn scheint stark verwischt
oder ganz verdrangt. Das ist leicht verständlich. Die Dualla haben
nämlich, als sie aus dem Hinterlande an die See vorrückten, dieses
Schnitzwerk von ihren Vorgängern an der Küste übernommen. Und
vielleicht waren auch diese ursprünglich ein Iniandvolk.
n ) Dybowski S. 331 und 334. Spieth 8.75,76,53. Winterbottom
S. 292. Büttikofer Bd. I S. 333.
>*) Schlegel S. 15.
13 ) Skerchley S. 473.
u ) Auch bei den Betschuanen findet sich die Gewittervogelmythe,
vergl. Moffat S. 338.
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- 49 —
fliegt durch den Khekheme genannten Raum zwischen
Himmel und Erde dahin. Im Khekheme leben nur die Vögel.
Durch Khekheme steigen die Geister der geopferten
Hühner zu Mavou empor, wahrend die Körper auf der
Erde bleiben 15 ). So steigeu die Vögel, die Hühner mit
den Seelen der Toten der Sonne, dem Lichte nach empor
ins Jenseits. Es sind weisse Hühner. Der Seelenführer ,
hat die Farbe der Sonne, er ist weiss.
Der Hahn ist ein Lichtvogel. Deshalb verkündet er
des Morgens die aufsteigende Tageshelle und deshalb darf
er nicht vor Tagesgrauen krähen. Wenn er dennoch so
gegen seine Art handelt, dann wird er getötet 16 ).
Deshalb sind die ruhelosen, unbefriedigten Geister
bei den Bongo und auf Madagaskar Nachttiere, Fleder-
mäuse und Eulen 17 ), am Congo aus dem Jenseits zurück-
kehrende Seelen Nachtvögel.
Gleichwie in Oceanien ist die Bedeutung der Vögel
für Orakelei sehr gross.
Die Beobachtung des Vogelfluges liefert in ganz Afrika
wichtige Entscheidungen. Der gemeinsame Zug mehrerer
Raben galt im alten Congo als ein sehr schlimmes Zeichen.
Man hielt diese für Ahnen, die gekommen seien, ihre
Stammesbrüder von bevorstehender Gefahr zu benach-
richtigen 18 ).
15 ) „Und wenn der Opfernde der Seele des Huhnes Aufträge
an Mawu giebt, wie ich es mit eigenen Ohren gehört habe, so
gilt es eigentlich dem edro, der zugegen, oder gar als Seele im
Huhne gedacht wird." Schlegel S. 15.
'*) Bei den Ewe (Ellis: „Ewe tt S. 96); bei den Muschi-Kongo
(Cavazzi Bd. I. 8. 344); bei den Südafrikanern (Livingstone:
^MiHsionsreiaen* Bd. II S. 238.) Bei den Efik ist A b asi asuasua ein
Nachtvogel. Abasi ist Gott. (Goldie S. 2, Bastian etc.)
") Schweinfurth S. 121. Ehrmann 8. 134.
») Cavazzi Bd. I S. 344, vergl. Casati Bd. I 8. 114.
Frobeniua, Weltanschauung der Naturvölker. 4
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50 -
Die auch aus Oceanien bekannte Form des Orakellesens
aus Hühnereingeweiden ist den Mandingo-Bambara und
den Wagungo. Waruanda, Waganda, Warundi, Wanjamwesi .
bekannt und von letzteren in Urua eingeführt 19 ). Gleich-
falls den westlichen Oceaniern eigen ist die Sitte, aus der
Lage des hingestürzten Opfertieres (Huhnes) Antworten
auf die Fragen nach Zukunftsereignissen zu lesen. In
Afrika ward der Glaube bei den Ewe, Lur und Somray
angetroffen 20 ).
Endlich muss noch das Tangenaordal erwähnt werden.
Es wird dem Angeklagten entweder ein Stück Hühnerhaut
und dann der Gifttrank, oder einem Huhne der letztere
verabreicht. Flrbrechen oder Sterben entscheidet. Dieses
ist eine Vermischung des bekannten Rothwasser- Ordales
mit einem Vogelorakel. Die Verbreitung des Brauches ist
interessant: sie erweist sich auf Madagaskar 21 ), bei Saude,
Mangbattu, Aschanti, Bakuba. westliche Lunda. Barustse 22 ).
Also im Osten fehlt er.
Zum Schlüsse dieses Teiles können wir also sagen,
dass die Vogelmythen in allen durchwanderten Provinzen
auf dem gleichen Fundamentmaterial sich erheben. Die
formalen Unterschiede scheinen grösser als sie es in Wahr-
heit sind. Es wurde in allen Provinzen das gleiche Motiv
wiedererkannt. Dazu ist jetzt schon in dem Verhältnis
der hohen und niederen Mythologie eine gewisse Perspek-
tive erkannt worden.
.
") Götzen 8. 83 und 120. Mackay 8. 155. Emin 8. 15.
20 ) Ein interessantes Vogel-Orakel vom River Sinoe beschreibt
Schön: Einem Huhnerpaar, Hahn und Huhn wird Reiss hingestreut.
Entscheidend ist, ob die Tiere ihn aufpicken. Schön und Crowther
S. 10 13.
41 ) Ellis: „Hist. of Mad. u Bd. I 8. 464, 471, 479, 481.
**) Livingstone: „Missionsreise 44 Bd. II S. 282.
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IV. Kapitel.
Die Fananj mythe in den östlichen Provinzen 1 ).
Das Motiv. — Oceanien. — Die Mythe auf Madagaskar. —
Untergang und Weiterbestehen. — Belebungskraft. — Auffangen
des Atems und des Mundschaumes. Trinken der Vcrwesungs-
sauce. — Beschmieren mit derselbeu. — Entweichen der Flüssigkeit.
— Ableiten derselben in den Boden. — Die Eidechse im Magen des
Menschen. — Kamahavaly. - Seelenwurm-Eidechse. - Entstehung
des Menschen aus dem Wurm. — Entstehung der Schweine. — •
8chweineaberglaube. — Analogie in Afrika. — Die Eidechse entsteht
aus dem Menschen. — Der Eidechseglaube auf Neu-Seeland. — Die
heiligen Gefässe der Indonesier. — Die Kawok. — Quellen des Ge-
fassdienstes. Bestattung der ausgegrabenen Gebeine in Polynesien,
in Melanesien. — Verschiebung des Schwerpunktes in den Sitten. —
Die Mythe von der Entstehung der Töpfe. — Die „gana* der Töpfe.
— Toteinistische Einflüsse. ■- Einwirkung der Vogelmythe. — Seelen-
fangen in Gefässen. — Australien. — Die Verwesungssauce und
das Nierenfett. — Eideihsenglaube. — Nord westamerika. — Frag-
mente. ' —
Es ist mir kein besseres Beweismaterial für die Ein-
heitlichkeit der malajo-nigritische Weltanschauung bekannt,
als der Cyklus der Anschauungen und Sitten, die mit der
Fananymythe in näherer oder weiterer Beziehung stehen.
Diese sonderbaren, oft ekelhaften Gebräuche, krausen und
wunderlichen Vorstellungen in ihrem geschlossenen Auf-
treten bilden den besten Gegenbeweis gegen die eventuelle
Annahmen einer genetischer Verwandtschaft, und zwar
liegt die Wucht desselben in der vollständigen Ueberein-
') Aeltere Notizen über die Fanany-Mythe sind in: „Ein Motiv
etc. u gegeben.
4*
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52 —
Stimmung der Nebenformen, der Zweigspitzen, der Aus-
läufer, die iu deii westlichen und östlichen Provinzen in
gleicher Weise gestaltet und lebenskräftig sind.
Die Fananymythe geht aus von der Anschauung, dass
die Verwesungssauce im Kadaver des Menschen, resp. die
in derselben lebenden Würmer der Sitz des entweichenden
Lebens ist. Sie bringt mit dieser Flüssigkeit oder diesen
Lebewesen die Eidechsen, Schlangen und Krokodile in
Verbindung. Die Gefässe, in denen die menschlichen Ueber-
reste aufbewahrt werden, sind heilig und nehmen gewisse
Kräfte und Fähigkeiten au.
Der Name Fanany ist die Bezeichnung, die einige
Madegassische Stämme dem Seelenwurme geben 2 ). Das
Fanany, das verschiedentlich als Kidechse, Wurm oder
Schlange beschrieben wird, soll aus dem Leichname der
Toten von adeligem Blute kommen und eine Verkörperung
ihrer Geister sein. Der Körper solcher Toten wird nämlich
so lange gepresst. bis eine faulige Flüssigkeit aus den
Füssen hervorquillt, die in Töpfen aufgefangen und mit
grösster Sorgfalt aufbewahrt und beobachtet wird. Denn
der Leichnam darf nicht eher begraben werden als bis in
einen der Töpfe sich ein kleiner Wurm zeigt. Zwei bis
drei Monate sollen oft vergehen, ehe dies stattfindet. Wenn
der Wurm etwas an Grösse zugenommen hat, darf man
den Körper begraben. Der irdene Topf, in dem der Wurm
sich befindet, wird in das Grab gestellt und vermittelst
eines langen Bambusrohres, das durch eine Oeffnung an
der Spitze des Grabes herausführt, mit der äusseren Luft
verbunden. Nach Verlauf von 6 oder 8 Monaten soll der
Wurm auf diesem ihm bereiteten Wege aus dem Grabe
heraus und nach dem Dorfe kommen; er hat dann das
Aussehen einer Eidechse und wird Fanany genannt. Die An-
-) Sibree S. 570 und 329 30.
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gehörigen des Verstorbenen müssen ihm entgegengehen
und das Tier befragen ob sie in ihm ihren Verwandten er-
kennen dürften; hebt die Eidechse den Kopf in die Höhe,
so wird das als bejahende Antwort betrachtet. Um sich
aber noch mehr zu versichern, wird ein Teller, von dem
der Verstorbene seine letzte Mahlzeit genossen hat, herbei-
gebracht mit einer Mischung von Rum und Blut von dem
Ohr eines Ochsen gefüllt und vor das Fanany gestellt;
trinkt es von dieser Flüssigkeit, so ist seine Identität
zweifellos erwiesen. Nun breitet man ein reines Tuch am
Boden aus, Iässt das Tier hinaufkriechen und trägt es dann
unter Freudenbezeugung und Festlichkeiten in das Dorf.
Schliesslich wird es wieder an das Grab zurückgebracht,
aus dem es nach dem Glauben des Volkes gekommen ist;
dort soll es bleiben, der Schutzgott des umwohnenden Volkes
werden und zu einer ungeheuren Grösse erwachsen.
Der eine Bericht giebt schon Veranlassung zu ver-
schiedenen Abschweifungen. Der Leichnam darf nicht be-
stattet werden, ehe das Fanany erschienen ist. Richardson
hörte aus dem Munde eines Häuptlings, dessen Mutter ge-
storben war: „Sie ist noch nicht in dem irdenen Topfe er-
schienen, so kann ich ihren Leichnam auch noch nicht be-
graben". Ks ist das die gleiche Zeit der Enthaltungsgebote,
die so oft zwischen Tod und Bestattung, Bestattung und Toten-
fest liegt, die Zeit in der die Seele noch nicht in das Jenseits
wandert, die Umgestaltung sich vollzogen hat. Auch hier
darf nicht gegraben und gepflanzet werden, bevor das Fa-
nany erschien. Dem Niedergang auf der einen Seite (Tod
des Menschen) muss ein Emporschwellen, Aufwachsen auf
einer anderen Seite (die Entstehung des Wurmes) ent-
sprechen. Ein volltändiges Absterben giebt es nicht, die
Kraft, die hier aufhört, sich zu äussern, muss an einem
anderen Orte lebendig werden.
In der Anschauung der Battak finde ich einen ganz
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54
gleichen Zug 3 ). Am Sterbetage des Fürsten wird Reis ge-
pflanzt. Der Leichnam wird nicht bestattet, bevor dieser
Reis reif ist. Am Tage, wo der Tote beerdigt wird, wird
dieser Reis gesehnitteu. Es beginnt an diesem Tage das
Wehklagen sobald die älteste Frau einen Topf mit einem
Teile eben dieses Reises am Schädel eines Opferochsen zer-
schlagen hat. Hier entspricht der Topf mit dem neuge-
wachsenen Reis, dem Topf mit dem neuentstandenen Wurm.
Die Flüssigkeit im Körper ist für den Malaien der
Lebenssaft. Die Gehirnsubstanz des Menschen hat die
gleiche Bedeutung. Um die Panghulu balangs, Holzfiguren
zu beleben, opfern die Battak eines Knaben Leben.
Der Kopf wird abgeschlagen und in einem irdenen
Topf unter einem Baume begraben. Später wird er wieder
aus der Erde geholt, geöffnet, etwas von den inzwischen
in Fäulnis übergegangeneu weichen Teilen des Kopfes heraus-
genommen und eine Nabelöftnung an der Holzfigur gefüllt.
Der Panghulu balang hat hierdurch seine Seele bekommen.
Ebenso werden die Stammbaumschnitzereien belebt —
Wenn die Menado — Alfuren zum Kriege ausziehen, stehlen
sie Köpfe, kochen sie und trinken die Bouillon (Quaglio?)
um sich unüberwindlich zu machen. Die Bewohner Gross-
Serams meinen, die Europäer stellten ihre meisten Medi-
kamente aus dem Gehirne des Menschen her 4 ).
Auf Nias geht die Würde des Häuptlings auf den Sohn
über; doch muss der Auserwählte den letzten Atemzug
seines sterbenden Vaters aufgefangen haben, um in den
ungestörten Besitz der Herrschaft zu gelangen. Rosenberg
erzählt, dass es Fälle gegeben habe, in denen, falls der
Sterbende mit dem Antlitz auf dem Hausflur gelegen habe,
ein Loch in den Boden des letzteren gebohrt worden sei
') Junghulm Bd. II 8. 189 ff.
*) Bronner S. 22h. Rosenberg S. 59 00. Ribbe: „Gross-Seram 14
8. 194. Junghuhn Bd. II S. 323.
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— 55
um so mit Hülfe eines Bambusrohres den Atem aufzu-
fangen 3 ). Es ist das das Bambusrohr, mittelst dessen die
Lebensflüssigkeit von den Madegassen und anderen aus
dem Sarge in den Topf oder in die Erde abgeleitet wird.
Die Parallele zu diesem Brauch der Niasser findet sich
auf den Gilbert-Inseln. Die Verwandten und die Witwe
schmiert sich mit dem dem Leichnam vor den' Mund ge-
tretenen Schaum ein 6 ).
Die Uebernahme der Lebenskraft eines Toten geht auf
doppelte Weise vor sich. Die Verwesungsjauche wird ent-
weder getrunken oder die Haut damit eingerieben. Auf
Gross-Seram werden Porzellan-Schüsseln unter den Leichnam
gestellt und die so aufgefangene Verwesungsflüssigkeit ward
mit Arak vermischt getrunken. Auch wird der Arak
über den Leichnam gegossen, sodass das Getränk, auf diese
Weise gewürzt, auf ein schräges Brett tropft und nach dem
in Schüsseln rinnt, auch wird erzählt, jeder Verwandte
müsse ein Stückchen der Haut des Verstorbenen verzehren.
Die Aaru-lnsulaner macheu es ähnlich, kennen aber noch
ein zweites Verfahren. In den Boden der dem Leichnam
als Sarg dienenden Prau wird ein Loch gemacht und die
Verwesungssauce aufgefangen, um dies am Ende mit Sagu
zu trinken. Es geschieht das, wie sie angeben, einmal als
Beweis der Anhänglichkeit, dann um mit dem Toten in
beständiger Gemeinschaft zu bleiben, endlich um des Toten
Kräfte für Zauberzwecke zu gebrauchen 7 ). Die Dajak
*) Rosenberg 8. 160. — Alt* Pomarri krank war, brachten »eine
Tahitier den Körper eines Menschen, den Pomarri ca. 3 Wochen
vorher geopfert hatte, herbei und legten ihn unter denselben. — Turn-
bull S. 316.
6 ) Gullick: „Mikronesia nautical Magacine* 1862 8. 411. Ratzel.
„Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. I 8.305. Finsch: „Ethnol. Erf. tt S. 313.
Bastian: „Oceanien" 8.105.
7 ) Ey»inga Bd. I S. 150, 8. 246. Ribbe : „Aru tt S. 191. Riedel
S. 267.
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— 1
i
— 56 —
trinken die in Gefässen durch in das Unterende des schräg-
stehenden Sarges eingelassene Bambusrohre und so auf-
gefangene Sauce nicht immer; doch wird es auch berichtet.
Es herrscht dabei der Glaube, in den Maden wohne die
Seele des Verstorbenen 8 ).
Weit nach Osten reicht diese Sitte und Anschauung.
In Gana und Mota wurden die Körper der Verstorbenen
über leichte Feuer auf Stöcke gelegt und die herabtropfende
Flüssigkeit von den Frauen geschlürft. In Port Moresby
drücken die Frauen die Jauche aus dem Körper des Ver-
wesenden, beschmieren sich mit derselben und lecken sie
auch wohl auf. Die Samoaner lassen den Leichnam auf
der Erde verfaulen; sobald er aufschwillt, wird der Leib j
durch ein Loch geöffnet und die Verwandten saugen ihn
aus 9 ). Die Antakarana auf Madagaskar, die Motu in Port
Moresby, die Bewohner von Jandena und Selaru und
die Fidjianer beschmieren sich mit der Verwesungssauce 10 ).
Die Niasser zwangen einen Sklaven, die Flüssigkeit
aus dem Kadaver seines Herrn durch ein Bambusrohr zu
trinken 11 ). Sobald er daran erstickt war. wurde er ent-
hauptet und seinem Herrn nach in das Land der Toten
befördert. Das ist schon eine Abweichung.
Eine andere Umgestaltung der Sitte war auf Neu-See-
land gebräuchlich. In einzelnen Landesteilen war es näm-
lieh Brauch, dass die Witwe eine Decke über des Mannes
Grab breitete, um darauf zu schlafen 12 ). Diese Angabe-
8 ) Ratzel: „Völkerkunde* 2. Aufl. Bd. I S. 444,5.
») Codrington S. 268. Chalmers and Gill S. 265. Finseh: „Ethnol.
Erf. u S. 313. Mariner S. 309 10, engl. Ausg. Bd. 1 S. 375.
,0 ) Riedel S. 308. Sibree 8. 270. Ratzel: „Völkerkunde" 2. Aufl.
Bd. I S. 304. Williams: „Fidji* Bd. I S. 198.
n ) Piepers im: „Intern. Archiv für Ethnographie 1 * Bd. I S. 198.
Rosenberg 8. 158.
,s ) Taylor S. 99.
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— 57 -
interessiert deshalb, weil sie anzeigt, wie weit in alten
Zeiten die entsprechende Anschauung auch in Polynesien
lebendig war. Leberhaupt giebt es eine weit grössere An-
zahl von Mitteilungen über derartige Sitten, aus deren
Uebung zu ersehen ist, dass ihr Sinn vergessen ist als
solche, aus denen noch klares Bewusstsein der Eingeborenen
spricht. Es soll das mit einigen Belegstücken erläutert werden.
Die Bewohner Ponapes und der Palaus stopfen sorg-
fältig alle Oeffnungen des Körpers zu (Anus -Wagina- und
Urethra-Mündung), um zu verhindern, dass die Flüssigkeit
des Innern sich durch die Oeffnungen entleere. Ks sollte
dies hauptsächlich dem Geiste zu gute kommen 13 ). Die
Dajak, Batak, Bewohner Aarus und Sillvattas bohren in den
schräg gestellten Sarg ein Loch und leiten die Flüssigkeit
entweder in den Erdboden ab oder in einen Porzellannapf 14 ),
welch letzterer dann als Heiligtum aufbewahrt wird.
Auf den Salomonen liegt die Leiche in einem Kanoe,
dessen Kiel zum Durchlassen der Flüssigkeit mit Löchern
versehen ist. Die zivilisierten Bali haben die Sitte ver-
feinert. Die Fürstenleiche wird in einen durchlöcherten
Sarg gebettet und täglich in abendlicher Stunde mit Blumen-
wasser begossen. Ein wunderliches Reflexlicht der ursprüng-
lichen Sitte lässt sich auf CJross-Seram nachweisen. Jede
Prauw (Boot) nämlich, mit der zum ersten Male eine See-
reise gemacht wird, muss vorher durch Oel geheiligt werden.
Zu diesem Zwecke wird in den Boden des Schiffes ein
Loch gemacht und unter verschiedenen Zeremonien Oel
hindurchgegossen 15 ). In vielen Ciebieten, und so sicher war
u ) Kubary 8.9. Finsch: „Ethnol. Erf. u S. 502.
u ) Marsden S. 387/8. Rosenberg S. 333. Ribbe: „Aru u S. 192.
Grabowsky: „Tod, Begräbnis 1 * S. 181, 8. 189. Die nördlichen Orany-
Benua verbanden die Xase des Toten in der Erde mit der Erdober-
flache durch ein Rohr. Newbold Bd. II S. 409.
") Codrington 8.263. Junghuhn Bd. II 8.341. Ribbe: „Gross
Seram" S. 187.
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58 -
es früher auch auf dieser Insel Sitte, werden neue Schiffe
ebenso wie Gebäude mit einer Seele versehen, indem ein
Mensch geopfert und das Fahrzeug mit dessen Seele be-
dacht ward. Man denke an das Beleben der Ahneufiguren,
wie es in diesem Kapitel schon beschrieben ist. Aus einem
gleichen Ideenkreise hat sich sicherlich die Art der Boots-
heiligung bei den Seramern herübergerettet in die Zeit
menschlicherer Sitten
Damit darf ich wohl diesen Cyklus von Sitten uud
Anschauungen verlassen und mich den beiden verwandten
der Eidechsen- und Topfverehrung zuwenden.
Die Anknüpfung an die Fauanymythe bietet die Be-
schreibung des Seelenwurmes, der als Eidechse sichtbar
wird. Aber noch anderweitig tritt die Verwandtschaft der
Mythe und des Eidechsenglaubens hervor. Die Neu-See-
länder erklären nämlich den Grund des Todes folgender-
massen: Eine Eidechse lebe in ihren Eingeweiden und zehre
sie auf. Ein alter Manu erzählte Yate ganz ernsthaft, dass,
als er krank gewesen sei, er den feindseligen Atua resp.
Gott in Gestalt einer Eidechse habe seinem Munde ent-
schlüpfen sehen, dass er von diesem Augenblicke begonnen
habe, sich zu erholen, und dass er kurze Zeit darauf ganz
hergestellt gewesen sei 17 ).
Kin weiterer Rest der alten Sitte ist in dem Auspressen der
Flüssigkeit aus dem Körper zu suchen, auch wohl in der heiligen
polynesischen Sitte, die Gebeine des Toten abzukratzen, vergl. P'Al-
hertis Bd. II S. 100—102. Haddon: „Secular* S. 22 ff. Pollack Bd. I
S. 122. Schirren S. 90/1 etc.
") Yate S. 141, S. 142. Pollack Bd. 1 S. 244, 8. 264. Taylor S. 84.
Dumont IVUrville S. SO. „The New Zealandcrs u S. 231. Nickolaa
8. 340, S. 342. Hienzi Bd. III S. 172, 3. Falls ein Samoaner sich durch
den Genus* von infolge toteinistischer Verordnungen ihm unter-
sagten Fleisch vergangen hat, rächt sich die Familiengottheit da-
durch, das* sie in den Körper des Menschen fährt und dort zu dessen
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— 59
Die Nikobaren schreiben den Schlangen die Wirksam-
keit zu, Krankheiten heilen zu können. Hier sei darauf
aufmerksam gemacht, dass bei den meisten Naturvölkern
eine strenge Trennung von Eidechsen und Schlangen, sowie
Aalen nicht besteht. — Auf den Philippinen werden den
Kindern Krokodilzähne als Schutz gegen Krankheiten um
den Hals gehängt 18 ).
Auf Madagaskar findet sich die interessanteste Ge-
staltung dieser Anschauungen. Nach dem Gktttben der
Madagassen besass Ramahavaly die Macht, Krankheiten zu
heilen. Der Name bedeutet: „fähig zu antworten". Als
Werkzeug der Rache dieses Gottes galten die Schlangen,
durch die er jede Beleidigung rächte. Seine getreuen An-
hänger waren durch die Freundschaft mit Schlangen aus-
gezeichnet, die sich ihnen um Nacken und Körper ringelten.
Man schrieb Ramahavaly eine sehr ausgedehnte und ausser-
ordentliche Macht zu. Ramahavalys Hauptthätigkeit be-
stand im Austreiben von Krankheiten. Die Gottheit
konnte aber auch Donner und Blitz senden, beleben und
töten. Nach Zeichnungen von Eingeborenen war Rama-
havaly als zwei holzgeschnitzte Eidechsen dargestellt.
Tabu war für seiue Anhänger, eine Schlange zu töten oder
wenn sie kurz vorher an einem Begräbnis teilgenommen
hatten, das Haus der Gottheit zu betreten 19 ).
Auch hier wieder ist in der denkbar klarsten Weise
das Verhältnis der Lebenskraft zu der Eidechse angedeutet.
Ramahavaly besteht aus Eidechsen, kann beleben und töten.
Ihm sind die Schlangen heilig. Aus allen diesen An-
Verderben dasselbe Wesen entstellen lässt, von dessen Fleisch er
genossen. Ratzel: „ Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. I 8. 282.
1B ) Svoboda Bd. VI S. 13. Bowring S. 157, vergl. auch von Langs-
dorf? Bd. II 8. 134.
") Ellis: r Hist. of Mad." Bd. I S.404- 409. Schiffssohnabel
S. 70/1.
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— 60
deutungen geht hervor, dass die Eidechse nicht zu allgeraein-
verehrten oder totemistischen Tieren gehörte, sondern, dass
sie der Mittelpunkt eines ganz speziellen Anschauungs-
kreises ist.
Das geht aber, wenn diese Beweise noch nicht ge-
nügen sollten, aus noch weiteren Beziehungen, vor allen
Dingen aus der Umkehrung der Fananymythe hervor. Der
primären Mythe zufolge geht die Seele als Seelenwurm
oder Eidechse aus dem toten Menschenkörper hervor. Die
Umkehrung muss also lauten, dass der Mensch aus dem
Wurme geschaffen sei. Diese Mythe ist eine von denen,
an denen sich die Entwickelungs-, d. h. in diesem Falle
Auflösungsprozesse, am besten erkennen lassen, weil sie
nur noch in Trümmern, hier ganz vernichtet und fragmen-
tarisch, dort besser erhalten und nur verstümmelt kon-
serviert ist.
Die Samoaner und Tonganer erzählen, Taugaroa habe
im Anbeginn seine Tochter Tuli in Schnepfengestalt zur
Erde herabgesandt, um den nackten Felsen zu bevölkern.
Eine Schlingpflanze, die so entstand, verwelkte. Aus den
Blättern und Stengeln der Verfaulenden entstanden die
Würmer. Tuli zerhackte sie mit dem Schnabel und machte
Menschen daraus. Nach anderer Tonga- Version habe Maui
in Gestalt einer Seelerche einen Wurm in zwei Teile ge-
pickt und zwei Männer derart erzeugt 20 ).
Die Einwirkung der Vogelmythe ist leicht verständlich.
Es ist die ganze Mythe in dieser Form gleichsam eine
dichterische Umkehrung des so häufigen Motives in der
melanesischeu Plastik, des Vogels, der die Seele als Schlange
in das Jenseits trägt 21 ).
20 ) Turner S. 245. Schirren 8. 35. Ratzel: „Völkerkunde 1. Aufl.
Bd. II S. 294. Bastian: „Oceanien" S. 33.
2, | Vcrgl. Kap. 1.
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61 -
Im östlichen Polynesien klingt die Mythe in der hohen
Mythologie — ein uns schon bekannter Charakterzug —
aus. Im Anfange der Dinge regt es sich wurmartig. Aus
Schlamm entsteht r Mensch und All a . In für uns wichtiger
Weise ergänzen sich zwei Angaben über Tangaroa, den
Weltbildner, deren erstere aus Mikronesien, deren letztere
aus Neu-Seeland stammt. Einmal bezeichnet Tangaloa den
Eingeweide-Wurm des Menschen. Dann erscheint Tangaloa
den Neu -Seeländern als graue Eidechse 22 ). Das ist ein
charakteristisches Beispiel für eine Mythe, die aus der
niederen in die hohe übertragen ist.
An ein beliebtes Motiv der neuseeländischen Schnitzerei
ist eine sonderbare Version der gleichen Mythe vom Her-
vorgehen des Menschen aus der Eidechse geknüpft. Als
Maui die Insel aus dem Meere emporgezogen hatte, kam
eine Eidechse heraufgekrochen und brachte den Menschen
an seinem Haare herangeschleppt. Der ward der Vater
aller Neu-Seeländer. Die Deutung dürfte kaum den Sinn
der Entstehung dieses Motives darstellen 23 ).
Um noch einen weiteren Anschauungskreis der Fanany-
mythe zu erwähnen, wird eine Entfernung von dem Thema
dieses Kapitels notwendig. Die Tahitier erzählen nämlich
Folgendes über den Ursprung der Schweine: Ein Mann
starb und aus den im Körper entstehenden Würmern
entwickelten sich die Schweine 24 ). Diese bevorzugte Stellung
des Schweines, dem man dergestalt Abkunft vom Menschen
zuschrieb, lässt schon vermuten, dass es noch weiterhin
in Kultus und Mythologie eine Rolle spiele.
") Bastian: „Allerlei" Bd. I S. 115. „Oceanien* S. 22, 8.100.
„Samoanische* S. 40, vergl. auch S. 47 ff. „Globus 14 Bd. 60 8.157.
■ 9 ) Earle S. 142, 8. 266. Abbildungen bei Taylor S. 106. Hoch-
Bretter 8. 284.
2i ) Elli*: „Pol. Res." Bd. II 8. 52.
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- fr> —
Die Malaien auf Borneu und die Alfuren nehmen an,
das.s die Seelen der Menschen in Schweine übergehen. Auch
wurde von Alfuren, Dajak und Hawaiern das Orakel aus
dem Herzen oder den Bewegungen dieses Tieres gelesen.
Dieses Orakel knüpft ebenfalls den Menschen mythologisch
an das Schwein. John erzählt einen Fall, nach welchem
an Stelle eines Schweineherzens ein solches eines Menschen
des eigenen Stammes geprüft wurde. Ein Mann wurde zu
diesem /wecke ermordet 25 ). Deutlicher lässt noch folgende
Sitte von Vate die Bedeutung des Schweines erkennen.
Wenn dort Alte lebendig begraben werden, bindet man
ihnen an einen Arm ein Schwein, das dann beim Feste
verzehrt wird und die Seele ins Jenseits begleitet. Eine
Umkehrung ist einmal die Sitte der Alfuren, eines neu-
geborenen Kindes Füsse mit einem Schweine in Berührung
zu bringen und es mit dem Blute des Tieres zu beschmieren.
Zum anderen der Brauch einiger Dajak-Stämme, bei der
Zeremonie der Blutsbrüderschaftsschliessung ein Schwein
zwischen beide Männer zu legen und nach der Tötung
desselben beide mit dessen Blut zu besprengen 26 ).
Es ist hier ein uns schon bekannter Prozess bemerk-
bar. Im Anfange war das Schwein wohl nur Opfertier,
und zwar das ausgezeichnetste der Oceanier 27 ). das als
Besitztum dem Toten mitgegeben wurde, für den ein ge-
wisser Reichtum im Jenseits notwendig war, um ihm ein
") Junghuhn Bd. II 8. 322, S. 323. Bastian: „Hawai" 8. 23. John
Bd. I S. 74 und 7i>.
") Ratzel: „Völkerkunde* 2. Aufl. BcL I S. 306. Junghuhn Bd. II
8. 323. John Bd. I 8. 117.
* 7 ) Bastian hat schon darauf aufmerksam gemacht, dass auf den
polynesischen Inseln das Sehwein der grösste Vierfüssler ist. („Ztschr.
f. Ethnol." Bd. I S. 47.) Kern hat aus dem Bestände der Malajo-
polynesisehen Sprachen nachgewiesen, dass in der Heimat dieser
Völker und der Madegassen das Schwein schon zu den Haustieren
gehört haben müsse.
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freudiges und befriedigendes Seelenleben zu gewähren. Es
ist das daraus ersichtlich, dass die Unterkiefer der an
Totenfesten geopferten Schweine in Indonesien und Mela-
nesien am Hauspfeiler (vergl. „Kunst") angebracht wurden.
Die beim Totenfest genossenen Schweine sind im Jenseits
Eigentum des Verstorbenen. Nun wirken in der weiteren
Entwickelung der Anschauung alle dem Toten zugeschrie-
benen Eigenschaften durch die Ueberreste des Schweines,
dessen Seele ja im Dienste des Verstorbenen steht 28 ). So
wird es zu einem Orakeltier und zum anderen infolge
Verschiebung der Begriffe Seelenaufenthaltstier. Es ist
verständlich, dass ihm so der Vorzug des Seelenbesitzes 29 )
uhd der Abstammung vom Menschen resp. Seelenwurm
zugeschrieben wird.
Für uns, die mit Interesse die Verbreitung so ab-
sonderlicher Vorstellungen beobachten, ist das Vorkommen
eines verwandten Anschauungskreises in Afrika von be-
sonderem Werte. — Die Walesse erzählen, dass die
Zwerge nach ihrem Tode Schweine werden. Bei den Igbo
in Obo besitzt jeder Mann und jede Frau von Bedeutung
ein Djudju (Reliquie) in Gestalt des Unterkiefers eines
Schweines, oder wenn solcher nicht zu beschaffen ist. eine
2S ) Finscli: „Samoafahrten" 8. 47, S. 4S, 8. 87. (Dalmers and Gill
S. 84. Kosenberg S. 150. Schweine-Unterkiefer werden ho Amulette
gegen Diebe und Zauberer. ( Auf Neu-Brittanien schützt der mensch-
liche Unterkiefer als Amulett den Dieb.) — Jakobsen i. d. „Verb,
d. Berl. Oes. f. Anthrop." 1892 8. 236. Svoboda Bd. VI 8. 20, vergl.
auch Pleyte: „Zur Kenntnis" 8.311. — An der Südostspitze Neu-
Guineas werden Schweine an einem besonderen Orte geschlachtet
und dann dem grossen (reiste Palakau Bara (Boro heisst auf Neu-
Brittanien das Schwein) geopfert. Das Blut wird am Opferplatze aus-
gegossen. — Chalmers and Gill 8. 84.
in ) Ueber die Seele der Schweine Codrington 8. 249. Bei den
Vergeistigungzeremonien des Duk Duk auf Mioko kommt eine Szene
vor, in der der Ausruf: „Boro!* d. h. Schwein, Hauptpunkt ist, vergl.
Schmeltz im: „Globus" 8.39. Schmeltz und Krause S. 18.
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1
I
- «4 —
geschnitzte Nachbildung in Holz. Nur bei Opferfestlich-
keiten in Zwischenräumen von 10 Tagen bis 3 Wochen
werden sie hervorgeholt, tnter (iebeten wird ihnen dann
geopfert. Der Schweineunterkiefer als solcher heisst für
gewöhnlich Agba (Schwein) oder Agba-Ezhi (Schweine-
unterkiefer), als Djudju führt er aber den Namen Ofuru
oder auch Tschuku 30 ). Leber Tschuku vergl. Kap. 13.
Dieser (iöttername dürfte der niederen Mythologie ent-
springen. Ofuru, das an Buru etc. gemahnt, hat möglicher-
weise verwandtschaftliche Beziehungen zu einem melane-
sischen Wort für Schwein, nämlich „Boro 41 (vergl. An-
merkung 29).- Wie dem nun auch sei, es ist mit diesen
Notizen bewiesen, dass auch von dieser Mythe und diesem
kleinen Sitteukreise in Afrika Fragmente wenigstens sich
nachweisen lassen.
Zurückkehrend zum Eidechsenglauben will ich auf eine
weitere Umkehrung hinweisen. Wir sahen, wie die Eidechse
den Menschen hervorbrachte oder sich zu ihm umgestaltete.
Nun giebt es mehrere Sagen, auf Java und Huahine erzählt
mau Geschichten von Müttern, die Eidechsen und Krokodils-
kinder hervorbrachten. Es ist das eine nicht mit der
primären Anschauung zu verwechselnde Mythe. Derzufolge
geht eine Seele in eine Reptilie über; dieser zufolge bringt .
80 ) Stuhlmann S. 463. Baikie 8. 312. — Das Totenfest eines
Stammes südlich der Kongomündung besteht darin, dass ein Schwein
geschlachtet und dessen Kopf in den Fluss geworfen wird, in dessen
Fluten es von dannen treibt. „Bei Unterlassung fällt die Seele dem
in der Unterwelt residierenden Kadiampembe anheim." — ■ Die beim
Beerdigungsfest auf den Markegas den Schweinen des Festmahles
abgeschnittenen Köpfe fallen den Göttern zu, damit sie dem Ver-
storbenen eine sichere und ruhige Fahrt in die Unterwelt gestatten
mögen. („Schiffsschnabel" S. 42/3; nach Bastian: „San Salvador"
S. 101/2. Krusenstern Bd. I S. 24«, vergl. auch a. 0.) — Hieraus ist
wieder zu ersehen, wie die Anschauungen im Westen und im Osten
bis in die Details übereinstimmen.
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— <>5
eine Menschenmutter sie hervor. Die neuseeländische
Sage dieser Art ist übrigens die klarste. Nach dieser gab
es nämlich eine Epoche in der wechselweise Eidechsen
und Menschen entstanden. Twahiki war Mensch, seine
Brüder waren Eidechsen. In der Mythologie der Mangaja-
Insulaner ist Tanga-iti, der Eidechsengott der jüngere
Bruder der Tangaroas 31 ).
So ist es denn nur eine naturgemässe Folge dieser
verwirrenden Anschauungszersplitterung, dass die Ueber-
sicht über alle die vielen Verzweigungen und die Kenntnis
des sowieso lockeren Zusammenhanges vergessen wurde,
dass die Mitteilungen, in der Eidechse oder dem Krokodil
wohne ein Ahn, sehr häufig 32 ), dass diese Tiere ohne
weitere Begründung als heilig erklärt wurden, noch häufiger 33 )
sind. — Auch ist der Seelenwurm nicht immer an die
Eidechsenform gebunden. Es wurden sonst noch manche
kriechenden und fliegenden Kreaturen genannt, als Regen-
würmer, Schmetterlinge, Heuschrecken, Schildkröten,
Schlangen etc. Schlangen, Krokodile, Fische (zumal Aale)
und Eidechsen, sind sowieso für diese Völker verwandt.
So ist denn z. B. auf Hawai ein Hai der König der Ei-
dechsen und Aligatoren 3 *).
51 ) Ty ermann und Bennet Bd. 1 8. 250. Hawkesworth D. Ausg.
Bd. III 8. 367. Taylor S. 33. Bastian: „Samoanische 44 S. 49.
52 ) Bo wring 8. 120. Riedel 8. 8, 8. 198. Marsden 8. 303. Perron
Bd. II S. 410 11. Romilly 8. 85.
3 ») Z. B. Hockins 8. 27. Svoboda Bd. VI 8. 13. Lesson Bd. IV
S. 113, Bd. III S. 105. Forbes S. 405. Chalmers S. 172. Bastian:
„Oeeanien" S. 152. lieber Schlangen und Aale S. 57 und 74, aueh
Brenner S. 124 etc. Krokodilsorakel: Codrington S. 213. Sibree
8. 318. Ausserdem kommt es auf Bomeo und in Ostafrika zur An-
wendung. — Eidechsenbild als Tabuzeichen. Mariner S. 488.
**) Ellis: „Hawai* 4 S. 75. Bastian: „Hawai" 8. 16. Rienzi Bd. II
8.118, vergl. auch Turner 8.234. Rosenberg 8.452. Ellis: „Hist.
of Mad." Bd. I S. 298. Kubary 8. 52. Wilson: „Missionsreise"
S. 217.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 5
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Um das über die Eidechsen Verehrung gesagte kurz
zusammenzufassen und doch nicht unnötig zu wiederholen,
gebe ich zum Schluss die Notizen über die auf unsere
Mythen sich beziehenden Anschauungen der Neu-Seelander,
die noch am klarsten sie bewahrt haben.
Nach der Ansicht der Stämme an East (Jap. geht die
Seele in einen Wurm über, anderen Ansichten zufolge
kehrt sie, im letzten Stadium der Erniedrigung in Reinga
angelangt, in einen Wurm verwandelt zur Erde zurück.
Auch erzählen die Maori. in der Todesstunde zeige sich
die Eidechse, um die Seele aufzunehmen. Auch dürfen
diese Tiere nicht getötet werden, weil sie die Einkörperung
der Verstorbenen, zumal der abgeschiedenen Häuptlinge
sind. Die Atua, bei denen in Neu-Seeland nie ganz klar
ist. ob es sich um bestimmte Götter, bestimmte Ahnen
oder vergötterte Menschen handelt, erscheinen besonders
gerne in Eidechsen, und zwar gilt als solch überirdischen
Wesens Lieblingsaufenthalt eine grüne Eidechsenart. Auch
nahen bestimmte Götter in dieser Form. Es sind darunter
bösartige wie z. B. Tu 35 ).
Der dritte grosse Kreis von Anschauungen, die sich
allerorts in den Vordergrund drängen und da unzweifel-
hafte Beziehungen zu der Fananymythe besitzea, erstreckt
sich auf Bedeutung und Verwendung gewisser Gefässe.
Zumal das „heilige" Geschirr, das aus Indonesien stammt,
hat bei deutschen und niederländischen Forschern und
Gelehrten Interesse erregt, nicht zum mindesten allerdings
deshalb, weil es sich erwiesen hat, dass hier sehr altes
und wertvolles Porzellan aus China sich in dem Kultus
primitiver Völker einen bedeutungsvollen Platz errungen hat.
3ft ) Angaa Bd. I 8.67. Bastian: „Oeeanien 14 8. 143, 8. 149, S. I<>8,
S. 211, 8.212. Diefenbach Bd. II S. 117. Taylor 8.33. Thomson:
„New Zealand* Bd. I 8. 114.
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— (u
Es ist nachgewiesen worden 36 ), dass diese Topfe schon
im 14. »Jahrhundert durch zwischen Fukien und Rorneo
handelnde Chinesen in grossen Massen nach Indonesien
gebracht sind. Einen Fingerzeig, auf welche AYeise dieses
Geschirr Anwendung fand uud Verehrung erwarb, giebt
die Mitteilung, dass am beliebtesten jene Töpfe waren,
auf denen sich das Bild des „Drachen" fand.
Dem Abbildungsmaterial, dass mir zur Verfügung
steht, und der Annahme massgebender Gelehrter zufolge,
muss das Drachentum dieser Figuren, die den Namen
„Kawok" führen, angezweifelt werden. Kawok heisst
Eidechse, Leguan. Die Bilder entsprechen diesem Tiere
in höherem oder geringerem Masse. Ich neige zu der An-
nahme, dass die Industrie in China die Wünsche dieser
Konsumenten bei der Gestaltung der Tierfiguren berück-
sichtigt hat. Der Absatz muss ein ganz eminenter gewesen
sein und die Gestalten weichen oftmals ostentativ von dem
Vorbilde des chinesischen Drachen zu Gunsten einer
Eidechsenfigur ab. Dass die Dajak einerseits in diesen
Kawok Eidechsen erblicken und diese andererseits vom
Standpunkte der oben besprochenen, dem Kreise der
niederen Mythologie augehörenden Anschauung betrachten,
geht aus den folgenden Thatsachen hervor.
Die Kawok können sowohl männlichen als weiblichen
Geschlechtes sein und wird dies recht wohl unterschieden.
Die Töpfe selbst sind mit wunderbaren Eigenschaften aus-
gestattet. Einige vermögen zu sprechen, andere werden
um Rat gefragt, zumal vor Schädeljagden. Infolge einer
Entstehungsmythe, der wir sogleich unsere Aufmerksamkeit
widmen wollen, sind diese Gefässe, mit dem Monde und
der Sonne verwandt. Daher hat jeder seinen Stammbaum,
der sich von Geschlecht zu Geschlecht vererbt. — Auf
3 ") Vergl. Hein: „Bildende Künste 44 S. 136 7. L. F. „Ein Motiv"
8. 534.
5*
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— <;<s
Bomeo stehen chinesische Töpfe mit einer Pflanze zu Ehren
der Abgeschiedenen auf den Haiisdächern 3T ).
Es ist klar, dass die Töpfe aus dem Ahnendienste
ihre Verehrung erworben haben. Sie können nicht anders
aufzufassen sein, als jene Pfähle und Holzklötze, die deshalb
heilig sind, weil der Ast, aus dem sie geschnitzt sind,
vom heiligen Baum auf dem Grabe des Toten stammt.
Die Kraft des Verstorbenen ging in den Baum, in den
Ast über und so vermag der daraus geschnitzte Pfahl dem
Geiste als Wohnort zu dienen. In der gleichen Weise
muss die manistische Kraft heiligen Töpfen entstanden
sein, und zwar giebt es mehrere Quellen, die alle dem
gleichen Grunde eutspringen. Die Dajak verschiedener
Gegenden verbrennen ihre toten Angehörigen und sammeln
die Asche in Urnen, die entweder in Tumulis oder Höhlen
aufbewahrt werden 38 ).
Auch findet sich die Bestattung in grossen Urnen und
Holzblöcken anderweitig in Oceanien 39 ).
Zum zweiten ist an jene Töpfe zu erinnern, in denen
die Verwesungssauce aufgefangen wird. „Die Töpfe, welche
die Jauche faulender Leichname aufnahmen, werden zur
Erinnerung aufbewahrt", sagt auch Ratzel. Diese Sitten-
quelle halte ich für die wichtigere. Denn sie macht einen
grossen Kreis von Bestattungsgebräuchen verständlich. Be-
sonders in Polynesien kommt ungemein häufig die doppelte
Beisetzung sterblicher Ueberreste vor. Die Tahitier legen
den Körper auf ein Gerüst, bis er zerfallen ist; dann wird
die Hirnschale sorgsam eingewickelt und in einen Kasten
") John Bd. I S. 309. Riedel S. 7, vergl. auch S. 316. Bock
S. 226. Earl S. 275.
M ) Junghuhn Bd. II S. 333. Earl S. 275. John Bd. II S. 119.
Bock S. 89/90.
»•) Z. B. Schadenberg: „Ztach. f. Ethnol.« Bd. XII S. 148. Jung-
huhn Bd. II S. 329, vergl. auch oben Gesagtes.
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- 69 -
gelegt. Die Gebeine werden begraben. Es sind so die
den indonesischen Töpfen entsprechenden 40 ) heiligen Laden,
die te wharre no te Orometua oder Ewharre no Eatna
genannten Kästen entstanden 41 ).
Auf Neu-Seelandsind verschiedene Bestattungsgebräuche
heimisch. Der Mapuli-Sitte zufolge Hess man den Körper
erst auf einem Pfahlwerk in einem alten Cauve zerfallen,
ehe man ihn bestattete. Im Süden werden die Toten be-
stattet, nach vier Wochen aber wieder ausgegraben. Zwei
heilige Zähne werden abgenommen und die Körper von
neuem feierlich bestattet. Nach zwei Jahren wird die
Leiche abermals ausgegraben und dann entweder in einem
Baumstamm oder in einem auf einem Pfeiler errichteten
Kanoe oder in der Spitze eines Baumes oder in einem
Hüttlein niedergelegt resp. verbrannt. Diese Hüttlein sind
wegen ihrer formalen Aehnliehkeit mit den nordwest-
amerikanischen Totenhütten sehr bemerkenswert. Es sind
die gleichen Formen wie die neuseeländischen Vorrats-
häuser, die nach meiner Ausicht aus ihnen hervorgegangen
sind. Leichen von Häuptliugskindem werden in Körben
aufbewahrt. Aus diesen Kisten und Körben sind die
Formen der schönen Schmuckkistchen offenbar hervor-
gegangen, die eine sehr wertvolle Parallelerscheinung zu
den Kawok der Dajak — das Bild der Eidechse zeigen 42 ).
Die Hawaner bestatten die Toten, graben, nachdem
Fäulnis die verwesenden Teile entfernt hat, die Gerippe
aus und verwahren einen Knochen oder den Schädel in
einem Korbe. Die Nukahiver hoben den Knochen in einem
*•) Bekanntlich fehlt auf diesen Inseln die Töpferei.
*') Bougainville S. 182. Wilson: „Miasionsreise* S. 376, S. 398.
Hawkesworth Bd. II 8. 234, 8. 249. Forster 8. 445. S. 460,1.
42 ) Yate 8. 137. Taylor 8. 99/100. Angas Bd. I S. 331. Bastian;
„Oceanien" 8. 213. Karl 8. 20. Giglioli im „Intern. Arch. f. Ethnogr.*
Bd. I S. 186.
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— 70 —
aus dem Holze des Brotfruchtbaumes hergestellten Kasteu
auf etc. 43 ). Neu-Guinea bietet mehrere gleiche Beispiele.
Im Südwesten liegen die menschlichen Gebeine in ausge-
höhlten Baumstämmen. Die Schädel sind auf den Deckel
gesetzt. Ks hat sich hier die merkwürdige Ahnenfigur
ausgebildet; ein Holzbild mit mächtigem Kopfe, dem der
Schädel eingefügt ist. Im Busen von Lakahia werden die
ausgegrabeneu Schädel und Knochen im Inneren der Häuser
selbst in Körben oder Säcken aufbewahrt. Aehnliches ist
ans dem westlichen Gebiet und von den Inseln der Torres-
strasse bekannt 44 ).
Es lässt sich in der reichen Fülle dieser Sitten ohne
Schwierigkeit eine gewisse Entwickelungsreihe erkennen,
wenn man bedenkt dass die ursprüngliche ekelhafte Sitte
unter civilisiertcrem Verhalten, zumal wenn die manistischen
Anschauungen durch die der hoheu Mythologie, durch die
kosniogonischen verdrängt werden, auf jeden Fall aufge-
geben werden musste.
Zunächst wurde die Lebenskraft aus dem Leibe des
Toten ausgesogen. Dann wurde die Verwesungsflüssigkeit
in einein Topfe aufgefangen und dann getrunken. Nun
kam der Wendepunkt. Zuerst war das Auffangen der
belebenden, kraftverleihenden Säfte Zweck; jetzt wird es
Gesetz der Pietät und der manistischen Anschauungsweise,
den Körper oder einen Teil aufzubewahren, um den Geist
des Verstorbenen so in der Nähe zu behalten, ihn nicht
aus der Nähe zu verlieren! Daher wird die Verwesungs-
* s ) Elli«: „Hawai" S. 120. Kruaenatern Bd. I S. 249, dagegen
von Langxdortf' Bd. J S. 154. Rienzi Bd. IJ 8. 128,-8. Bastian: r Oce-
anien"' S. 234.
**) Hosenberg S. 419 und 434. Rienzi Bd. III S. 339. Hchmeltx
und de Clerq T.if. XXXVI, vergl. Kap. 22. ßowvuk S. 30—32. Haddon:
„Secular* S. 23 und 25. Auf den Marianrn. Aufbewahrung der
Schildel in Kürben. Kienzi Bd. II 8. 67.
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— 71 —
sauee jetzt als etwas den Körper Schädigendes, das Auf-
bewahren unmöglich Machendes angesehen, einfach ausge-
presst und in den Boden geleitet. In den heiligen Gefässen
findet sich jetzt der Schädel oder ein Knochen oder sonstige
Ueberreste des Toten.
Dass das Gefäss im Anfange und am Ende gleich-
massig der Sitz der Seele ist, ist klar, aber die Anschauung
hat eine bedeutende Wandlung durchgemacht. Für uns.
ist dieses Ergebnis das wichtigste.
Diesen Entwickelungsketten möge noch eine kurze
Betrachtung der Anschauungen, die mit dem besprochenen
Ideengange in Beziehung stehen, folgen. Zunächst wende
ich mich nochmals den heiligen, chinesischen Gefässen zu,
deren Dasein durch folgende Mythe erklärt wird 45 ).
Mahatara schuf erst die Sonne und dann den Mond
aus Thon. Es blieb aber noch ein gut Teil übrig. Einige
erzählen, er habe hieraus die heiligen Töpfe geformt,
andere, er habe daraus Berge gestaltet, und Uatu Tjampu,
ein javanischer Fürst, habe aus dem Lehm dieser sieben
Hügel kunstvolle Töpfe gemacht, die er in einer Höhle
sorgsam bewahrte. Ratu Tjampu heiratete und zeugte
einen Sohn. Er beschloss, in den Himmel zurückzukehren.
Bevor er es aber that, zeigte er seinem Sohne die in den
Höhlen aufbewahrten Töpfe und ermahnte ihn, sie sorgfältig
zu bewachen. Dieser jedoch vernachlässigte gar bald den
Rat seines Vaters und infolgedessen entflohen die Töpfe,
die man nicht schnell genug erfassen konnte, nach allen
Seiten. Einige stürzten sich in die See und wurden Fische.
Andere flüchteten sich in die Wälder; sie wurden Hirsche
und Schweine etc. Darum, so meinen die Dajak, kann
es uoch heute geschehen, dass ein glücklicher .läger ein
Wild erlegt, dass aus einem solchen Topfe entstanden ist.
45 ) Book S. 22« nach Pereiner: ^Ethnographische Benehreibung
der Dajaks" S. 102 120. Urabowsky: „Ueber die Djawets- S. 122ff.
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— 72 —
Während der Todeszuckungen verändert sich das Tier in
den ursprünglichen Topf.
Diese Mythe, die natürgemäss sekundärer Natur ist,
enthält einen wertvollen totemistischen Grundzug. Den
Totemismus der Dajak hat unter Anderen John nach-
gewiesen. Für die manistisehe Natur der heiligen Topfe,
d. h. ihre Eigenschaft, die Seele eines Toten in sich zu
verbergen, ist es charakteristisch, dass sie sich in die Totem-
tiere verwandeln können. Es giebt noch manche weitere
Meinung über sie, die für diese ursprüngliche Bedeutung
der heiligen Töpfe spricht. Sie besitzen, wie schon er-
wähnt, ein jeder einen Stammbaum. Ein jeder hat eine
„gana", eine Seele. Es giebt männliche und weibliche
Töpfe. Bei wichtigen Gelegenheiten, bei Orakeln etc.
bestreicht man die Töpfe mit Hühnerblut.
Dieser letztere Punkt führt nach verschiedenen Seiten
in bekannte Gebiete. Es kann nichts schaden, solchen Wegen
zu folgen, zumal so die Richtigkeit oder das Irrtümliche
einer Annahme sich erweisen muss. Wir sahen oben schon,
wie das Besprengen mit Hühner- oder Vogelblut, das An-
legen der Federbinde, die Bedeutung, dass damit die Seele
oder der Geist in einen Gegenstand oder eine Person ge-
bannt wird, durch den oder die nun der Verstorbene oder
der Geist seinen Willen äussern kann (vergl. Kap. 1). Wie
also aus dem vom Vogel zerhackten Wurm der Mensch
ward, so wird infolge Bestreichens mit Hühnerblut der
heilige Topf „beseelt"; die gana zieht ein.
Die zweite wichtige Form der Verbindungen von Gefäss
und Vogel ist auch schon im ersten Kapitel erwähnt worden.
Die Ahnenbilder sind Schalen in Vogelgestalt. Dass es
sich um den Inhalt einerseits und die äussere Gestaltung
andererseits handelt, geht z. B. aus Folgendem hervor. Beim
Schädelfest wird eine Schale geschnitzt und auf der einen
Seite mit dem Bildnis eines Vogelkopfes, auf der anderen
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— 73
mit dem eines Vogelschwanzes versehen. Der Besitzer füllt
sie nun mit Arak und, sie immer in den Händen haltend,
führt er nun einen wilden Tanz auf, worauf sie von den
jungen Leuten in der Runde geleert wird.
Durch Heranziehung der Schädelfestschnitzereien wird
noch die Analogie zu den Knjalansvogelbildern, auf deren
Rücken die Seele mit den totemistischen Tieren steht, auf-
gethan. Diese Gruppe entspricht der Höhlung, in der beim
Manuk-Manuk (Kap. 1) der belebende Hühnerleichnam gelegt
wird. Wie die Gehirnsubstanz eines Menschen, in einMenschen-
bild geschmiert, diesem Leben verleiht (siehe oben), so ist
umgekehrt der Inhalt solcher heiliger Bildnisse von be-
seelender und kräftigender Wirkung. Deshalb trinkt die
junge Mannschaft aus dem Vogelbilde Arak, früher wahr-
scheinlich audere Getränke, Blut, Verwesungssauce etc.* 6 ).
Ein weiterer Beweis dafür, dass der Topf Seelen-
aufenthalt ist, geht aus folgendem Sittenkreise hervor.
Wenn die Seele einen Dajak verlassen hat, d. h., er krank
wird, so wird sie in eine der besprochenen Schalen gebannt
und so wieder eingefangen. Aehnlich ist das Verfahren
auf Hawai. Sehen die Priester die Seele eines Lebenden
ausserhalb des Körpers umherwandeln, so suchen sie die-
selbe in einem Gefäss zu greifen und pfropfen den Behälter
mit heiligem Grase, das für den Geist undurchdringlich
ist, zu. (Das Gras möchte ich von der „Himmelsleiter"
ableiten. Es wäre eine umgekehrt wirkende Eigenschaft
desselben. Vergl. Kap. 8.) Wenn auf den Marianen jemand
im Sterben liegt, stellt man einen Korb zu seinen Häupten.
Man bittet die Seele inständig, diesen Behälter als Wohn-
sitz zu wählen oder in ihm wenigstens bei späteren Besuchen
zu ruhen. Daher wird auch von Töpfen als Wohnsitzen
der Geister gesprochen. Auf den Nikobaren ist ähnliches
beobachtet. Wenn die „Iwis", die bösen Geister, sich in
") John Bd. I S. 197.
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I
— 74 —
einer Wohnung dadurch unangenehm bemerkbar machen,
das* Fälle von Erkrankungen eintreten, so unternimmt
man auf den Nikobaren eine Seelenvertreibung. Es wird
ein grosses Fest gefeiert, welches alles in fröhliche Laune
versetzt. Daun locken die durch den Palmwein in Auf-
regung Versetzten den Iwis mit Schmeicheleien; dann aber
schelten und schimpfen sie ihn ganz ordentlich, und, während
die Weiber immermehr heulen, entwickelt sich ein fingierter
Kampf. Man ringt mit ihm, bis er erwischt ist: sodann
bringt man ihn in den Geisterkorb, dann auf das Geister-
schiff, ein Boot, auf dem er auf das Wasser herausgefahren
wird 47 ).
Der Seelenaufenthalt im Topfe wirkt bis in die
Mythologie der Polynesier nach. Im Jenseits sind zwei
Bassins für die Seele des Volkes und der Vornehmen — -
nach der Anschauung der Polynesier 48 ).
In weitereu Einzelheiten, zum Tabupfahl, Orakelobjekt,
Amulet etc.. brauche ich wohl den heiligen Topf nicht auf-
zusuchen. Die weite Verzweigung, in der jedes derartige
Motiv sich zuletzt verliert, ist schon mehrmals besprochen.
Nachdem im obigen die Ideengänge und Entwickelungs-
reihen, die diese Sitten und Anschauungen verbinden,
eingehend behandelt worden sind, werde ich mich darauf
beschränken, auf die australischen und nordwestamerika-
nischen Parallelerscheinungeu hinzuweisen.
Australien bietet eine reiche Fülle von hierher-
gehörigen Thatsachen. Wir hören, dass die Verwandten
aller Grade, mit alleiniger Ausnahme des Vaters, vom Fette
i: ) Bastian: „HRwai" S. 21. John Bd. I S. 189. Rienzi Bd. 11
S. 67. Priehard: ,.Oceanien" S. 187. Svoboda Bd. VI 8. 10,1, vergl.
Schurtz in „Amulette und Zaubennittel" S. 61, der eine interessante
ParallelerKchehiun«,' erwähnt, die aber nic ht auf unser Motiv zurück-
geführt zu werden braucht.
* s ) Turner S. 2M\.
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75
des Toten gemessen, dass sie unter dem verfaulenden
Kadaver schlafen, das herablaufende Fett auf sich nieder-
tröpfeln lassend in dem Glauben, dadurch in den Besitz
der Kraft des Verstorbenen zu gelangen, dass Haut und
Fett der angehörigen Toten in Taschen und Körben als
Amulete umgehängt getragen würden. Andererseits fehlt
auch nicht die Sitte der Palau- und Ponape- Insulaner,
alle Körperöffnungen des Leichnams zuzustopfen 49 ).
Auch werden die Krankheiten durch Bestreichen mit
Nierenfett und Exkrementen geheilt. Nächtlicherweile
werden Fremdlinge überfallen, um ihnen das zauberkräftige
Nierenfett herauszuschneiden. Howitt sagt, das Fett des
Menschen stehe im australischen Glauben mit seiner Lebens-
kraft in engster Beziehung. Das werde durch weitverbreitete
Gebräuche bewiesen. Das Fett gestorbener Personen. Ver-
wandter und Befeindeter werde genossen. Fernerhin ist
das menschliche Xierenfett gegen böse Geister zauberkräftig.
Wie in Oceanien und Afrika ist eine Schlange als Krankheits-
bringerin bekannt 50 ).
Der Eidechsenglaube äussert sich in ausserordentlich
typischen Meinungen. Gleich nach dem Tode entschlüpft
eine Eidechse dem menschlichen Körper. Sie zeigt den
Verwandten den Weg an, auf dem zaubernde oder mordende
Todesursache zu suchen sei. In der Umkehrung stammt
der Mensch von der Eidechse ab. Sie hat den Menschen
geschaffen, aus ihr ist er hervorgegangen 51 ).
Spezielle Mitteilungen über heilige Gelasse siud mir
nicht bekannt.
49 ) Lumholtz 8.285. Bastian: „Oceanien" 8. 132. Brough Smith
Bd. I S. 112, S. 120, S. 121.
60 ) Howitt S. 205. Alisas Bd. T 8.123, 8.96. Ratzel: „Völker-
kunde" 2. Aufl. Bd. 1 8. 856. Brough Smith Bd. I 8. 446.
") Angas Bd. I 8. 109. Brough Smith Bd. I S. 116, 8. 110, 8. 425 6.
Ratzel: „Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. I 8. 353 4. Bastian: ..Oceanien"
S. 114.
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- 76 —
In Nord westamerika ist eine direkte Vererbung der
Fananymythe nicht mehr nachweisbar. Das kann nicht
Wunder nehmen. Schon in Polynesien sind die Spuren
schwach; Immerhin finden sich wichtige Reste in den
Bestattungssitten. Die Chinook legen ihre Toten in Kähne,
an deren Enden sich im Boden Löcher befinden.
Wir kennen diese Sitte und ihre Bedeutung schon aus
Indonesien. Fernerhin liegen die Reste der Verstorbenen
in Kästen, Körben und geschnitzten Schalen. Die Toten-
häuschen entsprechen denen der Neu- Seeländer ganz genau.
Ausserdem lassen die Koloschen die Leichen erst verwesen
und austrocknen, ehe sie beigesetzt werden 52 ).
Einige Mythen bringen bekannte und vielsagende Züge.
Ein Mädchen nimmt einen Totenkopf und lässt ihren Bruder
dessen Gehirn verschlingen; sie steckt in einen Korb
Eidechsen, Kröten und Schlangen. Oben kommen schreiende
Kinder darauf. Auf dem geschnitzten Totenschiff kommen
nach primärer Anschauung offenbar Seelendarstellungen
repräsentierende Schlangen und Frösche vor. Das ward so
gedeutet: „Man glaubt, in dem Kopfe des Frosches befinde
sich ein feines Gift, das, ausgesaugt, den Mediziner befähigt,
schlechten Zauber auszuüben". — Von der Verwandlung
von Menschen in Salamander wird auch gesprochen 53 ).
Zum Schlüsse erwähne ich noch die Verwandlung von
Exkrementen in Menschen 54 ).
Also Spuren der Fananymythe und dem Kreise der
mit dieser in Zusammenhang stehender Sitten lassen sich
auch hier nachweisen.
") Boas: „Chinook" S. 256/7. Vankouver Bd. I S. 183. Niblack
8. 350 ff., Taf. 64 und Taf. 65, Fig. 349. Dixon 8. 162 3, engl. Ausg.
8. 175 6. Krause: ,.Tlinkit" 8. 225, S. 227. Erman Bd. II 8. 380.
5 *) Niblack S. 324. Boas: „Verh.* 1891 S. 632, S. 554.
M ) Z. B. Boas: „Verli." 1891 8. 167, 8. 170, 8. 171, 8. 172, S. 537,
8. 560, 8. 561, 8. 569, 8. 643. 1892 8. 333. 1893 8. 230 ete.
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V. Kapitel.
Die Fanany- Mythe in den westlichen Proyinzen.
Verbreitung der Mythe. — Afrikanische Reste. — Ableiten der
Verwesungssubstanzen. — Verwendung der Verwesungsbrühe und des
Fettes. — Vergeistigungsgebräuche. — Die Mode. — Krokodil. —
Schlange. — Eidechse. — Die Mythe von der Regenbogenschlange. —
Verbreitung derselben. — Peruanische Urnen. — Regenzauber. —
Töpfe in Regenzauber. — Der Topf in Sonnenmythen. — Fettsubstanz.
Inhalt der heiligen Töpfe. Amulette aus Kot etc. — Ahnen-
befragung. — Vogel und Topf. — Wert der Fragmente der Fanany-
mythe. — Vorkommen in Afrika und Oceanien. - - Beweiaskraft los-
getrennter Mythenfragmente für kulturelle Verwandtschaft.
Die afrikanischen Formen der Fanany -Mythen sind
nicht wörtlich überliefert. Die Klarheit des madegassischen
Berichtes fehlte aber auch den oceanischeu Traditionen,
obgleich sie an Fülle nichts zu wünschen übrig Hessen.
Immerhin ist es ein treffliches Zeichen, dass jenes vielum-
strittene Grenzgebiet östlicher und westlicher Eigenart, dass
Madagaskar die reine unverfälschte Form geliefert hat.
Der Zustand der Verbreitung im Osten entsprach
dem Verhältnis der manistischen und der kosmogonischen
Anschauungsweise. In Australien, wo der Animalismus
stärker ausgeprägt zu sein scheint wie der Mauismus, spielt
das Zaubern mit Nierenfett die Hauptrolle. Im indone-
sisch- melanesischen Gebiet herrscht der Ahnendienst. Da
sind die manistischen Züge besonders entwickelt. In Poly-
nesien regiert die Kosmogonie und der Bestand an Aus-
läufern der Fanany-Mythe schrumpft stark zusammen. In
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I
7S -
Nordwestamerika endlich werden alle Zuge in die Gewan-
dung der Tiermythologie gekleidet.
In Afrika nun ist das Gesamtbild der Ausdrucksformen
unserer Mythe, wie sich aus den Studien der einzelnen
Teile schon früher ergab, ausserordentlich fragmentarisch
und lückenhaft. Jedoch fehlen keine wichtigen Teile.
Die Wahollo-hollo -Weiber hängen die Leiche ihres
Gatten in der Hütte am Halse auf, bis sie verfault. Die
stinkende Jauche, die Maden und Knochen, die herabfallen,
werden in einem Topfe aufgefangen, der nach der Be-
endigung der Prozedur in den Tanganjika geworfen wird.
Die Maschinsche, Kioko und Minungo legen die Fürsten-
leichen offen in ein Haus. Alle Einwohner ziehen von
dannen, an den Hof des neuen Regenten. Nur drei Sklaven
bleiben bei dem Toten wohnen und mit ihm in dem gleichen
Hause, und sammeln sorgfältig Tag für Tag die vom Fleische
fallenden Würmer. Diese anmutige Beschäftigung üben sie
wohl drei Jahre hindurch aus, bis nur noch das Skelett
übrig geblieben ist. Alsdann werden die in einem Gefässe
aufbewahrten Würmer, die das Fleisch des Verstorbenen
repräsentieren, mit allen Knochen in den Busch geworfen 1 ).
Das Auffangen der restierenden Lebenskraft ist also
unverkennbar ein weitverbreiteter Brauch. Dass es sich
hier aber thatsächlich um eine Anschauung handelt, der
zufolge die dem Körper entquellenden Säfte die Lebens-
kraft bedeuten, geht aus vielen Bemerkungen hervor. Die
Herrscher Monomotapas schmierten sich mit der aus dem
Körper gehängter Verbrecher tröpfelnden FäulnisHüssigkeit
ein, um ihr Leben zu verlängern. Noch jüngst ward be-
richtet, dass der Häuptling der Matabele seinen Leib mit
Mensehenfett einsalbe und mit solchem seine Felder fruchtbar
mache. Und aus dem Norden hören wir gleiches. Wenn
M Stuhlmann 8. »0. Schütt S. 115.
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— TU —
ein Gaukler stirbt, verbrennen ihn die Schilluk. Mit grosser
Sorgfalt sammeln sie das von seinem Körper herabHiessende
Fett, um es als Universalmittel zu gebrauchen 2 ).
Noch deutlicher wird uns der Sinn dieser Gebrauche,
wenn wir uns den Vergeistiguugssitten nähern. Die Leute
Setschellis glaubten, die neu bekehrten Christen würden
bei der Taufe ein Absud vom Gehirn toter Menschen
trinken müssen. Die Pongwe schmieren sich die Stirne
mit der in Kreide aufgefangenen Hirnsubstanz weiser
Männer ein, um deren Weisheit zu gewinnen. Eine Sitte
des Namaqua darf wohl nur als eine zivilisierte Ausdrucks-
form derselben Idee genannt werden. Beim Tode eines
Häuptlings wurde nämlich der Sohn in die Würde erhoben.
Ein Bankett fand statt. Das Fett und die besten Stücke
erhielt der junge Häuptling. Das rote Fett . wurde dem
Toten auf den Kopf gelegt und blieb dort liegen bis es
eintrocknete. Dann übergab man es einem alten Weibe,
die es als Amulett von hohem Werte aufbewahrte. Die
Hirnkraft des Toten lebte also hier in dem roten Fett.
Die Boni -Neger am Maroniiiuss hängen den Leichnam in
einer Hängematte auf und fangen die herabtröpfelnden
Verwesungsstoffe in einem Topfe auf. Die jungen Zauber-
ärzte müssen diesen „Extrakt" vermischt mit Tabak und
Quinquina-Blättern schlürfen 3 ). Wenn ein Akkraueger be-
weisen will, dass ein Toter ihm noch etwas schulde,
2 ) Die Bapeti reiben ebenfalls den Leib mit Menschenfett ein:
Bastian: „San Salvador" S. 293. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I
S. 172 und 517. Wangemann: „Lebensbilder" S. 123.
*) Ich war früher geneigt, diese Sitte den Caraiben zuzuschreiben;
nachdem mir aber der gewaltige Einfluas der nigritischen Kultur auf
die dieser Völker klar geworden ist, ich fernerhin in Erfahrung ge-
bracht habe, das» die Calibi (Cariben) und Oyampi (Tupi) die Sitte
sonst nicht üben, es sei denn, sie wohnen in der Mitte oder an der
Grenze des Gebietes importierter Neger, schriebe ich die Urheber-
schaft entschieden den Afrikanern und nicht den Amerikanern zu.
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so
trinkt er etwas von dein Wasser, mit dein der Tote ge-
waschen ist*).
Wie gesagt, ist der Kreis dieser Sitten auf die Ver-
geistigungsideen zurückzuführen. Dadurch, dass man von
der Verwesungs- oder Gehirnbrühe eines Toten trinkt
resp. sie sich mit ihr bestreicht, wird der Verstorbene im
Lebenden lebendig. — Aber wie wir in Oeeanien sehen,
dass zunächst die Brühe aufgefangen und als wertvolles
Gut aufbewahrt wurde, dass sie später aber als ekelhaft
entfernt wird, so wird auch in Afrika die Substanz eiumal
als Belebungsmittel verwandt, zum andern wird sie sorg-
samst ausgepresst und vernichtet (z. B. in Uganda). Wie
in Oeeanien die Brühe einmal abgeleitet wird und das
andere Mal sorgfältig ihr Ausrinnen verhindert wird (Palaus)
so auch in Afrika. Einige Stämme der Guinea- Küste ver-
stopfen alle Oeftnungen des Leibes, auf dass ja kein
Tröpflein hervorkomme 3 ).
Die Beziehungen zu dem Eidechsenglauben fehlen
nicht. Doch mangelt die Klarheit der oceanischen An-
schauung: „Im Tode oder bis zur Kraukheit entweicht dem
Körper eine Eidechse*.
Der König Rumalika erzählte Speke: Als ein grosser
König Karagues gestorben war, wurde er nach Sitte der
Väter in eine Kuhhaut genäht und drei Tage auf dem See
schwimmen gelassen, bis die Zersetzung begann und drei
Maden aus seinem Körper geboren waren, welche in
den Palast gebracht und demThronerben zur Pflege übergeben
wurden. Aber statt zu bleiben was sie waren, verwandelten
sie sich alle drei in Tiere. — Das erinnert daran, dass die
Leiche des Muata Jamvo in den Kalanji-Bach geworfen,
nicht aber bestattet wird, denn, sagen die Kalunda, ge-
*) Lisiongstone: „Missionsreise" Bd. IS. 24. Wilson: „Westafrika"
8.293. Anderin Bd. IT 8.68. Creveaux S. 158. Bonner (8. 74?).
ft ) Mackay S. 172. Bastian: „Allerlei" Bd. II. Einleitung 8. 64.
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— 81 —
sehehe letzteres, so würde sie sich in ein wildes Tier ver-
wandeln 6 ). Also der Seelenwurm fehlt nicht, allerdings
aber eine direkte Mitteilung über sein Verhältnis zur
Eidechse. Dafür ist nun aber wieder ein anderes wichtiges,
das fehlende vollständig ersetzendes Bindeglied durch eine
Bornu- Mythe gegeben. Danach stammen alle Schlangen
vom Aligator ab; der brütete aus einem seiner Eier die
Kulutschi-Schlange aus, diese die Abr-Schlange, welche der
Gangu-Schlange das Leben gab. Von der Gangu-Sehlange
stammte die Fuschi, die Mutter der Rokodini, von letzterer
die Tschibati ab. Die Tschibati brachte die Komon-Augu
und diese die Schergo- Schlange hervor 7 ). Daraus spricht
die vollständige Unklarheit über die verwandtschaftlichen
Verhältnisse dieser Tiere. Eine weitere Uebereinstimmung
ist aus Uganda bekannt. Kranke Waganda meinen, eine
Schlange lebe in ihrem Innern, so wie dies die Maori von
der Eidechse glauben. Und damit steht im umgekehrten
Sinne die Verwendung von Eidechse, Schlange und Kroko-
dilen zum Krankheitsheilen in Verbindung 8 ).
Wenn der Seelenwurm auch nicht Schöpfungsmaterial
ist, so besitzt doch Wurm und Schlange Kraft der Belebung,
sie sind Erscheinungsformen der Toten. Wenn nach dem
Tode eines Menschen die Wanjamwesi um das Huhn als
einem Orakeltier herumsitzen, das den Mörder ausfindig
machen soll, so erscheint bei der schnellen Verwesung des
Vogels der Wurm auf der Seite, auf der der Mörder sitzt.
Fernerhin wird bei Eheschliessungen die Schlange herbei-
gebracht etc . •).
8 ) Speke 8.221. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I S. 47.
Wissmann, Wolf S. 87.
7 ) Koelle: „Afr. Nat. Lit.« 8. 185—188, 8. 189—198. Bleek
8. lf>3ff.
•) Stuhlmann S. 181, vergl. „K. Schiffsschnabel 4 * 8. 70. Mackay
8. 148. Emin 8. 45.
•) Stuhlmann 8. 93. Pogge 8. 195. Waitz Bd. I S. 179.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 6
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In welcher Weise die Kidechse in diese Ausehauungs-
kreise gezogen worden ist, ergiebt sich z. B. aus Folgendem.
Zu den Hauptobliegenheiten der Priester der Serrer gehört
es, den Dieb zu entdecken, wenn einem Gemeindemitgliede
etwas gestohlen wurde. Unter den Klängen eines Tam-
Tam zieht dann der Priester durch das Dorf und verkündet
dass der Bestohlene eine Eidechse gefangen habe uud sie
am folgenden Tage zum Schmied tragen werde, um sie
von diesem mit einem Hammer töten zu lassen. Eine
solche Ankündigung verfehlt niemals die Wirkung. Der
Dieb nämlich, fest überzeugt, dass jeder Ha mm er-
schlag, der die Eidechse träfe, hundertfach seinen
Körper treffen und seinen Tod herbeiführen wurde,
bringt in der folgenden Nacht schleunigst die Dinge
zurück 10 ).
So endet denn auch hier dieses Ausbreitungsgebiet in
der Anschauung, Schlange ll ) und Eidechse resp. Krokodil 12 )
wird von Ahnengeistern bewohnt.
Ich komme nunmehr zur Besprechung einer der merk-
würdigsten und verbreitetsten Mythen der Afrikaner, der
Mythe von der Regenbogenschlauge. Dieselbe konnte ich
in 4 Gegenden nachweisen: 1. im Kwe-Yoruba-Nupe- Ge-
biet; 2. an der Loangoküste; 3. bei den Wanika; 4. bei
den Ama-Zulu.
Anyi-ewo ist der Regenbogengott der Ewe, der sich
zumeist in einer Schlangenform äussert und nur erscheint,
wenn er durstig ist. Dann schlürft er aus den Wolken
seinen Trank. Was es verschüttet, erkennen wir im Regen.
,0 ) Heichen 8. 1190.
n ) Baumann: „Usambara" 8. 141. Freemann S. 279, 5. Fritsch
8. KW. Schweinfurth S. 45. Vita Hassan Bd. I S. 59. Casati Bd. II
S. 180. Weiteres im „K. SchiffwHchnabel" 8. 68 ff.
") Endemann 8. 32. Coquilhat 8. 292. Sibree S. 302. „Allg. Hist.
d. R. u Bd. III 8. 233. Weiteres im „K. Schiffsschnabel« S. 67 ff.
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Ist er gesättigt, so kehrt er an den Rand der Welt, seinen
Wohnort zurück. Der Name heisst: „ Grosse Schlange
(ewo — eine grosse Schlange) der Unterwelt (anji = Untere
Teil oder Unterwelt)". In Weida und Dahome scheint der
Gott einen andern Namen zu haben. Die bekannten Popo-
und Agry- Perlen hält man für W T erke dieses Gottes.
Seine Exkremente meint man, hätten die Macht, Mais-
körner in Kauris zu verwandeln. Die Tempel des Gottes
sind mit den Farben des Regenbogens in Streifen bemalt.
Seine Boten sind kleine Arten der Boa. Anyi-ewo hat
seine eigenartig geformten Thonbilder, bestehend aus
Schlangen mit kleinen roten Federn statt der Horner. Sie
sind weiss bemalt und stehen häufig unter Baumwoll-
bäume*!. In Dahome heisst nach einigen der Gott Danh,
doch heisst dies nur Schlange. Daselbst sind seine Send-
boten Ameisen. Hügel sind seine „busch houses". Die
Popo- Perlen sind auch hier seine Exkremente. Sein
Emblem ist in Joruba eine in einem Topfe oder einer
Colebasse ruhende gehörnte Schlange. — Im Westen findet
sich eine interessante Umwandlung der Ewe- Mythe: die
Aschantisagen, dass ein schlangenförmig aus dem Boden
aufsteigender Dunst ihnen anzeige, wo sie nachgraben
sollten, um die geschätzten Agri- Steine zu finden. — In
.Nupe führt die gleiche Gottheit den Namen Duwa 13 ).
In Loango ist Umschama-umwula die im Wasser be-
findliche Schlange, die sich vom Horizont aus am Himmel
erhebt, der Regenbogen. — Ein Häuptling der Wanika er-
zählte von einer grossen Schlange, die bisweilen zur See
gesehen werde uud vom Meer bis an den Himmel reiche.
Die Schlange, erzählte er, erscheine besonders bei starkem
Regen. — Die Ama-Zulu sagen, „der Regenbogen sei ein
,8 ) Ellis: „Ewe* 8. 47 49. Skerchley S. 473. Burton: „Dahome"
Bd. II 8. 148. Bowdtsh 8. 364. Crowther und Taylor: „The Gospel"
8. 193.
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— 84 —
Umnyaina (siehe oben; Loangoküste !), das in einem Teiche
wohnt und wie ein Schaf gestaltet ist. Sie sagen, dass es
dort, wo es die Erde berührt, aus einem Teiche trinkt.
Die Leute fürchten sich, sich in einem grossen Teiche zu
waschen, sie sagen, dass ein Umnyarna darin ist; und wenn
ein Mensch hineingeht, fängt es ihn und frisst ihn auf. Aber
sie sagen, dass derjenige, welcher vorbereitet wird, ein
Ganga zu werden, in einen Teich hineingeht, der ein Um-
nyarna in sich birgt und das Umnyarna frisst ihn nicht,
sondern beschmiert ihn mit farbigem Thone; und er kommt
aus dem Teiche heraus, mit Schlangen um seinem Körper
geschlungen und geht mit ihnen nach Hause" 14 ).
Interessant ist hier wiederum das Verhältnis der Ver-
breitung und Erhaltung der Mythe. Im Westen, dem
malajo-nigritischen Schwemmgürtel, ist sie am vollendetsten.
Parallelen in Oceanien lassen sich recht wohl nachweisen.
Nach der Ansicht der Bagobos auf Süd-Mindanao ist der
Kopf des Meeres oben im Himmel; bewegt das Meer seinen
Kopf, so regnet es. In der Mythologie der Gilbertinsulaner
hat Rigi von Na reua die Eigenschaft erhalten, „sich nach
Belieben in einen Aal zu verwandeln, damit er das Himmels- ,
gewölbe um Samoa mit der Wasseroberfläche verbinde" 15 ).
In diesem Falle möchte ich die Deutung der Mythen
mit einer Beweisführung H. Schurtzs über den Sinn der
peruanischen Thongefässe in Verbindung bringen. Eine
Untersuchung der Ornamente auf den überaus zahlreichen
Thongefässen aus den Gräbern der Chimu hat ihn .gelehrt,
dass das Symbol des Regens und Gewitters das typische
Abzeichen derselben ist, oftmals ist die Gottheit des Ge-
u ) Bastian: „Loangoküste« Bd. II 8.229. Krapf Bd. I S. 412.
Kllis: „Ewe- 8. 48. Haarhoff 8. 4 5.
,s ) Schadenberg i. „Ztschr. f. fithnol." Bd. 17 8. 32. Parkinson:
„Gill»ertinsulaner u S. 106.
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I
— 85 -
witters auf denselben dargestellt, auf deren Schild das
Bild des Regens von Schurtz entdeckt worden ist.
Es ist nun im höchsten Grade interessant, dass eine
Mitteilung über die Bedeutung dieser Linien recht wohl
existiert, die Schurtz aber entgangen ist. Sie bestätigt
seine Ansicht. Es wird nämlich berichtet, die alten
Peruaner hätten den Regenbogen angebetet, und die
Incas hätten ihn neben zwei ausgestreckten
Schlangen im Wappen geführt 16 ).
Schurtz ist über die Bedeutung der Regensymbole auf
den Gräberurnen zu der Ansicht gekommen, es handele
sich hier um eine Mahnung au die Toten, ja nicht des
Regenspenders, ihrer wichtigen Obliegenheit zu vergessen.
Auch auf afrikanische Vorkommnisse weist Schurtz hin.
Auf Gräber und Graburnen wird Palmwein, übrigens auch
reines Wasser gegosseu. auf dass die Ahnen nicht ihren
Nachkommen den befruchtenden Regen vorenthalten. —
Dass die Oceanier in gleicher Weise an die Ahnen die
gleichen Anforderungen stellen, geht übrigens daraus hervor,
dass neucaledonische Priester, um Regen zu bekommen,
von einem über Taro-Blättern aufgehängten Skelett Wasser
herablaufen lassen 17 ).
Wir erhalten also sehr interessante Beziehungen, deren
Zusammentreffen das Entstehen der Mythe vollkommen
erklärt. Denn die Schlange als Träger der Ahnengeister
und wasserliebendes Tier ist in doppelter Weise mit dem
Regen in Beziehung zu bringen.
Auch stehen wir infolge dieser Beziehungen jetzt
anderen, noch nicht zu enträtselnden Verhältnissen mit den
nötigen Vorkenntnissen gewappnet gegenüber. Es handelt
sich um die Töpfe, die in gleicher Weise, wie es Schurtz
") Gottfried 8. 31. Schurtz: „Peruanische Thongefässe."
") Schurtz: „Peruanische Thongefäsae" S. 5. Bastian: „Oceanien 44
S. 86.
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- *6 —
für Peru annimmt, in Afrika dem Zauber dienen. Bumba
ist an der Loangaküste ein mit Zaubermitteln gefüllter
Topf, der vergraben wird, um Regen zu erzeugen. Die
Ganga der Makaraka vergraben einen mit Hexenkraut
und Zaubermitteln gefüllten Topf zum gleichen Zwecke.
Die Akkraneger warfen einen Topf in ein Gewässer, eben-
falls um Regen zu erlangen. Auch scheinen Gefässe bei
den Battak eine grosse Rolle zu spielen in den Zeremonien,
die anlässlich grosser Trockenheit abgehalten werden 18 ).
Bei den Yaunde kehrt der Topf im gleichen Sinne
wieder. Wenn drohende Wolken am Himmel aufsteigen zu
einer Zeit, da Regen sehr störend sein würde, errichtet
der Ganga eine Stange, an deren oberen Ende ein Töpfchen
mit Medizin befestigt ist. Am Fusse der Stange ist ein
Huhu angebunden. — Nach der Ansicht der Ewe sollen
die Priester die Winde in grossen Töpfen verschlossen
halten 19 ).
Wir werden den Topf häufig in den Sonnenraythen treffen.
Des Sonnengottes Lissas Emblem ist ein weissbemalter
Topf. Die Sonne war bei den Mandant in einem Topfe
repräsentiert. Auf Odentes Hügel steht ein Topf. Akod-
schang ist im Topf dargestellt. — Heitsi-Eibib schnitzt
als Mensch Holztröge und verwandelt sich in einen solchen,
der alles Fett konsumiert, das in ihn gethau wird.
Die letzte Mythe ist das Bindeglied. Wir sahen, dass
die Sonne auch als Fettballen aufgefasst wird. Das Fett
ist andererseits das „Belebende". Diese beiden An-
,H ) Bastian: „Loangoküste" Bd. 1 8. 40. Junker Bd. I S. 404.
„Allg. Hist. d. K.» Bd. IY S. 280 1. Brenner S. 212. Wenn auf
Buru Regeu füllt, fängt man ein wenig in einem Topfe auf und lässt
diese« über einem Feuer unter Gebeten nach Regenfülle verdunsten.
Auch wirft man wohl einen Topf in da« Wasser mit der
Bitte um Regen. Riedel 8. 10.
Zenker S. 4«. Herold Bd. V S. 145.
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— 87 —
sehauungeu wachsen aus der Fananymythe heraus. Der
die Jauche der verwesten Mitmenschen enthaltende Topf
ist hier Ausgangspunkt. Die manistische Anschauung, die
die Menschenseele der Sonne folgen lässt, übertrügt die
Eigenschaften, Schicksale und Vermögen der Menschen auf
die Sonne und die der Sonne auf die Meuschen. Daher
hat ja jede manistische Anschauung ihr Echo in der hohen
Mythologie, daher wird die Sonne zum Fettballen, und
Heitsi-Eibib zum Topfe, der alles Fett aufsaugt. Daher
thut auch Hubeane, der Sonneuheld, Unrath in die Töpfe
seines Vaters.
Ich will jetzt noch, von dem Inhalte des Topfes aus-
gehend, seine Bedeutung nach verschiedenen Richtungen
verfolgen. Wir sahen wie die Verwesungssauce in Töpfen
aufgefangen wird. Auch kommt Bestattung in Töpfen und
Körben vor. Wenn von Zwillingen einer stirbt, repräsen-
tiert ein Topf den Toten. Topf oder Korb wird so Seelen-
aufenthalt. Jede grössere, aus mehreren Höfen bestehende
Familie hat eine grössere Hütte, wo in einem runden Korbe
die Geister der aus der Familie Verstorbenen wohnen und
gepflegt werden. In dieser Geisterhütte befindet sich ausser
dem Korbe, der eigentlichen Geisterwohnung nur noch eine
Negerin, welcher die Pflege der Geister anvertraut ist, die
mit ihnen in enger Verbindung steht und sie in ver-
schiedenen Anliegen befragt 20 ).
Indem nun die Anschauung einmal den Inhalt der
Töpfe verfolgt, kommen jene Salben und Mixturen, Fett-
amulette und Düngertäschchen zu Tage, die nicht zu den
Seltenheiten gehören. Es werden die Menschenfiguren
(vergl. das oben über die Battak-Ahnenbilder Gesagte) mit
i0 ) Speke D. Ausg. Bd. II 8. 221, engl. Ausg. S. 54. Schneider S. 157.
Bohner S. 218. Zimmermann S. 174/5. Zuletzt wird aus dem Topfe
eine Gottheit oder wie im Sudan, er wird zur Moschee, zum Tempel.
— Coquilhat S. 292. Staudinger S. 41(1/1.
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— 88
zauberkräftigem Kote gefüllt etc. Ziegen- und Antilopen-
hörnchen werden durch Füllung mit solchem Schmierzeug
zu Amuletten etc. 21 ).
Ein grosser Kreis von Sitten wird verständlich, indem
Eidechsen, Baumzweige, Wasser, die sich in den Gefässen
des Kultus befinden, als Nachkommen der früher darin be-
findlichen Verwesungssauce bezeichnet werden. Folgende
Beispiele werden das genügend erläutern. — An der Gold-
küste halten die Ganga an gewissen Tagen lange Reden
an das Volk. Nach derartigen Predigten folgt noch eine
Weihzeremonie, neben ihnen steht ein Gefäss mit Wasser,
in dem eine Eidechse schwimmt. Es werden Weiber,
Kinder und ein kleiner Opferaltar damit besprengt 22 ). In
einem Dorfe der Wa-Bondei an der Grenze des Digo-Landes
sah Baumann eine „Daiia". Auf einem erhöhten Lehm-
sockel inmitten eines Stangenzaunes war ein Topf mit
Wasser eingelassen. In demselben befand sich eine lebende
Landschildkröte. Es war das ein mächtiger Zauber. Ehe
die Angola-Neger auf Reisen gehen, befestigen sie einen
kleinen Topf an einem Gerüst und legen einige Pflanzen
hinein. Bevor sie nun die Reise antreten, waschen sie sich
mit dieser Flüssigkeit und glauben sich so gegen jedes
Unheil gesichert. In Weida stand früher an jeder Thür
ein grosser Topf mit Wasser gefüllt auf einem konischen
S1 ) Cameron Bd. I 8. 310 Nr. 15. Wissmann, Wolf auf S. 215 die
Abbildung einer „Fetisch-Schnupf-Tabaks-Dose". — Campbell S. 244.
Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. 1 8. 375, S. 357. Lenz 8. 202,
S. 198. Emin S. 15. Spekc 8. 259. 8ibrcc 8. 329. Galton 8. 109.
Holub Bd. II 8. 362.
2S ) Eine interessante Parallele bei den Maori: — Als ein alter
Priester einem Knaben Unterriebt erteilte, stand neben ibm eine
mit Wasser gefüllte Schädelschale, in die der Alte von Zeit zu
Zeit einen Zweig tauchte und dann den Knaben besprengte. Dieffen-
bach Bd. II 8. 119.
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— 89 —
Piedestal aus Lehm. Darin schwamm eine wohlgediehene
Wasserpflanze. Auch das war ein Zaubermittel 23 ).
Daran schüessen sich jene Zeremonien au, in denen die
Ahnen um Rat gefragt und das Einziehen in den Körper des
Priesters gewünscht wird. Man beugt sich über ein Wasser-
becken und ruft die Ahnen an. Der Priester erkennt im
Wasser die Antwort auf die Frage. Solche Sitten lassen
sich an der ganzen Westküste und auch in Oceanien nach-
weisen 2i ).
Um auf die bedeutsame Verbindung von Topf und
Vogel noch hinzuweisen, erwähne ich folgendes. Oben
ward schon auf das Huhn am Fusse des Pfahles mit dem
Topfe bei den Yaunde hingewiesen. In Okkra stecken
Hahnenfedern in dem heiligen Gefasse, in Adamaua sind
am Pfahle Dodos, auf dem sich auch ein Topf befindet,
zwei Federn angebracht. Am bedeutsamsten ist aber die
Weise, wie die Dryaboskandidaten der Kru auf ihre Fähig-
keit hin, dem Kultus obzuliegen, geprüft worden. Es wird
der Kopf eines Huhnes in einen von mehreren verschlossenen
Töpfen gethan. Der Kandidat inuss herzutreten und an-
geben, in welchem Topfe er verborgen ist 25 ). — Die Haupt-
funktionen des Dryabo liegen im Verkehr mit den Geistern.
Das Huhn ist Vertreterin des „Geistigen", hier wohl Geist
selbst, mit welchem der Ganga und Dryabo sich in Be-
ziehung muss setzen können. Der Topf, durch den Seelen-
aufenthalt schon mit dem Gerüche der Heiligkeit versehen,
2S ) „Allg. Hist. d. Kr. u Bd. IV S. 188. Baumann: „Usambara 44
8. 140. Wissmann, Wolf S. 144. Isert 8. 136.
* 4 ) Schwarz S. 175. Pogge 8. 38. Bastian: „Felisch 44 S. 39 und 40.
Steiner im: „Tagebuch". Bohner 8.54. Bastian: „Oceanien" S. 240.
Das Gesicht des Diebes zeigt sich in Tahiti dem Wahrsagenden in
einer Kürbisflasche von Wasser. — Turnbull 8. 345.
*») Wilson: „Westafrika 44 8. 97 98. Passarge 8. 124. Bohner
8. 56/7.
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— 90 -
bietet ein geeignetes Werkzeug für die Thätigkeit des
„Geistersehers*. _____
Ich will nicht weiter in Kinzelheiten eingehen. Die
merkwürdige Gleichheit der Sitten und Anschauungen des
besprochenen Kreises in der afrikanischen und oceanischen
Weltanschauung wird zumal dem aufgefallen sein, der die
Anmerkungen nicht übersehen hat. Nicht unabsichtlich
sind diese beiden Kapitel über die Fananymythe ans Ende
des Teiles gesetzt, der dem Problem der kulturellen Ver-
wandtschaft, den Malajonigritiern gewidmet ist. Sie
bilden den Uebergang zum nächsten Teile. Es ist sicher,
dass genetische Verwandtschaft der grossen Züge der
Mythologie auf der ganzen Erde vorhanden ist, aber, dass
die Nebenerscheinungen die gleichen sind, die Reste, Aus-
läufer, Bruchstücke, Teile, deren Verbindung mit dem
Zentrum der Weltanschauung und Mythologie längst ab-
gebrochen ist, das ist Beweis für die kulturelle Verwandt-
schaft. Das scheint mir für die Fragen nach der Ver-
wandtschaft das Ausschlaggebende zu sein. Ich will den
Beweis für die kulturelle Verwandtschaft der Malajo-
nigritier in diesen Dingen wenigstens bis ins Detail aus-
geführt haben.
Nun die Sonnenmythen!
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II. Teil.
Die Sonnenmythen der östlichen
Provinzen nebst westlichen
Analogien.
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VI. Kapitel.
Die Sonnenmythe Oceaniens.
Die melanesischen SonnenDiythen von Quat. — Bonnenauf- und
Untergang. — Deutung der Quatmythen. — Vergleich der melane-
Bischen und polynesischen Sonnenmythen. — Die mikronesischen
Sonnenray then. — - Deutung derselben. -- Vergleich mit den mela-
nesischen und polynesiachen Sonnenmythen. — Der Sonnenkultus in
Polynesien, Melanesien, Indonesien.
Die in reicher Blütenpracht prangende Maui-Mytho-
logie ist schon von Schirren, Achelis, Bastian, Waitz-Gerland
untersucht worden. Wie schon oben bemerkt, ist die Arbeit
Schirrens der solaren Beschaffenheit Maui's gewidmet. Die
einzelnen Zuge sind von ihm so eingehend behandelt, dass
die Gestalt Maui's, dieses typischen Sonnengottes, voll-
ständig verständlich geworden ist. Ehe wir die bedeut-
samsten und wichtigsten Thatsachen beleuchten, soll aber
dem so lauge in Schweigen gehüllten Melanesien sein Recht
werden. Es ist von dem vielverdienten Codrington eine
Sammlung melanesischer Mythen publiziert worden. Eine
Figur derselben, Quat, ist als ein Sonnengott zu bezeichnen.
Diese Quat-Mythen der Banks-Inseln will ich zunächst in
freier Uebersetzung nach Codrington wiedergeben.
1. Mythe von Quat (Banks-Inseln).
Quat war nicht von Anfang an. Seine Mutter, deren
Name Quatgora oder Jro Ul war, war ein Stein, der aus-
einanderbarst und ihn hervorbrachte. Er hatte keinen
Vater ; er war an der Landstrasse geboren. Er wuchs auf
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und sprach mit einem Male. Er frug seine Mutter nach
seinem Namen und sagte, wenn er einen Vater oder einen
Oheim mütterlicherseits habe, solle der ihm einen Namen
geben. Dann gab er sich selbst den Namen Quat. Er
hatte auch Brüder. Der erste war Tangaro Gilagilala,
Tangaro der Weise, der alle Dinge verstand und die anderen
unterweisen konnte, der andere war Tangaro Loloquong,
Tangaro der Narr, der von nichts etwas wusste und sich
wie ein Narr benahm; die anderen waren: Tangaro Siria,
Tangaro Nolas, Tangaro Nokalato, Tangaro Noav, Tangaro
Nopatau, Tangaro Noau, Tangaro Nomatig. Tangaro
Novunue. Taugaro Novlog.
Es waren elf Tangaros. mit Quat zwölf Brüder. Die
Namen der letzten neun sind die Bezeichnungen von Blättern
von Baumen und Pflanzen, als Brotfruchtblatt. Kokosnuss-
blatt, Bambusblatt, Schirmpalmblatt etc. zu dem Namen
Tangaro gefugt, welch letzterer zweifellos derselbe ist, wie
Tagaro auf den Neu-Hebriden und Tangaro in Polynesien.
Diese alle wuchsen auf so wie sie geboren waren und
nahmen ihren Aufenthaltsort im Dorfe Alo Sepere, woselbst
ihre Mutter noch immer als in einen Stein verwandelt ge-
sehen werden kann. Daselbst begann Quat das Werk der
Schöpfung; er machte Menschen, Schweine, Bäume, Felsen,
just wie es ihm einfiel. Aber als er alle Arten von Dingen
gemacht hatte, wusste er nicht die Nacht herzustellen und
deshalb war es während des ganzen Tages hell. Da sagten
seine Brüder zu ihm: „Hallo Quat! das ist keineswegs an-
genehm; es ist nichts als Tag; kannst Du für uns nicht
etwas dagegen thuu?" Da bedachte Quat, was mit dem
Tageslicht zu thun sei, und er hörte, dass in Vava auf
den Torresinseln Nacht sei. Da nahm er ein Schwein, band
es und warf es in sein Kanoe. Dann segelte er nach Vava
hinüber und kaufte Nacht (quong) von J. Quong (Nacht),
der dort wohnte. Andere sagen, dass er an den Fuss des
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Horizontes gefahren sei, um Dunkelheit von der Nacht zu
kaufen, dass ihm diese die Augenbrauen geschwärzt und
ihm gelehrt hätte, wie man abends einschliefe und wie
morgens die Dämmerung zu machen sei.
Quat kehrte zu seinen Brüdern zurück mit der Nacht-
kenntnis, sowie mit einem Huhne uud anderen Vögeln,
welche Nachricht geben sollten von der Zeit der Nacht-
rückkehr. Er Hess die Brüder Bettplätze bereiten. Sie
drückten Kokosnusszweige platt und breiteten sie im Hause
aus. Da sahen sie zum ersten Male die Sonne sich be-
bewegen und im Westen niedersinken und riefen Quat zu,
das sie sich hinwegschleiche. „Sie wird bald gegangen
sein", sagte dieser, „und wenn Ihr einen Wechsel im An-
gesicht der Erde seht, so ist dies die Nacht." Und er
liess die Nacht kommen. „Was ist das, was dort über die
See kommt und den Himmel bedeckt?" schrien sie. „Das
ist die Nacht", sagte er, „setzt Euch nieder auf beiden
Seiten des Hauses, und wenn Ihr etwas in den Augen
spürt, legt Euch nieder und seid ruhig." So ward es
dunkel und ihre Augen begannen zu blinzeln. „Quat,
Quat, was ist das? Werden wir sterben?" „Schliesst Eure
Augen", antwortete er, „das ist der Beginn des Schlafes."
Als die Nacht lauge genug gewährt hatte , begannen
der Hahn zu krähen und die Vögel zu zwitschern. Quat
nahm darauf ein Stück roten Obsidian und schnitt die
Nacht entzwei. Das Licht, über welches die Nacht sich
ausgebreitet hatte, schien wieder hervor. Quats Brüder
erwachten. Er aber begab sich wieder an das Werk der
Schöpfung.
2. Mythe von Quat (Banks- Inseln).
Zwar hatte Quat eine Frau, aber keine Kinder. Sie
hiess Ro Lei. Seine Brüder, welche keine eigenen Weiber
hatten, beneideten ihn um den Besitz der schönen Ro Lei,
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ebenso wie den seines schönen Kauoes. Sie verbanden sieh
untereinander, um beide in ihre Hände zu bringen. Als
nun das Werk der Schöpfung beendet war. schlug Quat
seinen Brüdern vor, sie sollten sich Kanoes schneiden, und
sie begannen die Arbeit, indem jeder sich einen Baum
auswählte. Quat fällte einen langen, für ein Boot be-
sonders geeigneten Baum , und arbeitete heimlich jeden
Tag. Aber er machte am Werke keinen Fortschritt. Jeden
Tag, wenn er zur Arbeit zurückkehrte, fand er das Holz,
das er gestern gefällt hatte, wieder daran und der Stamm
war ganz solide. Endlich legte er sich eines abends nach
Beendigung des Tageswerkes, sich ganz klein machend
und mit einem Spahn bedeckend, im Geheimen zur Wache
nieder. Da sab er einen kleinen, alten Mann mit langem,
weissem Haar aus dem Boden hervorkriechen und erblickte,
wie derselbe jeden Spahn wieder an die Stelle, wo er
herausgeschlagen war, einfügte, bis der Baumstamm fast
wieder hergestellt war. Es fehlte nur noch der Spahn,
der Quat verbarg, und der alte Mann begann danach zu
suchen und Quat passte auf. Nach einer Weile erblickte
der Suchende das Fehlende und näherte sich ihm, um ihn
zu ergreifen. Aber Quat sprang hervor und erhob seine
Muschelaxt, um jenen niederzuschmettern. Jedoch Marawa,
die Spinne, ein anderer sehr mächtiger Vui, denn dieser
war es, bat Quat: „Ach Freund, töte mich nicht, und ich
will Dein Kanoe wieder fertig herstellen". Und er arbeitete
daran und hatte gar bald mit den Nägeln sein Werk
beendet.
Als alle Boote beendet waren, bat Quat seine Brüder,
die ihrigeu vom Stapel zu lassen. Und als dies geschehen
war, erhob er die Hand und eines nach dem anderen versank.
Dann erschienen Quat und Marawa mit dem Kanoe, das
sie gemacht hatten, und ruderten schnell umher, zum Er-
staunen der Brüder, die nicht gewusst hatten, dass er
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gleichfalls die Arbeit begonnen hatte. Nachdem er sieh
sattsam über diese Kränkung gefreut hatte, holte er ihre
Boote in der Nacht wieder hervor.
Nach diesem Ereignisse trachteten Quats Brüder mit
viel List ihn zu vernichten und so selbst in den Besitz
seines Weibes und seines Bootes zu kommen.
Eines Tages nahmen sie ihn mit zur Höhle einer
Landkrabbe. Dieselbe befand sich unter einem Stein und
war von ihnen noch um soviel erweitert worden, dass sie
bereit war, über Quat zusammenzustürzen. Quat kroch in
die Höhle und begann nach der Krabbe zu graben. Da
warfen die Brüder über ihm den Stein um und rannten
mit der Ueberzeugung, ihn getötet zu haben, fort, um
Ro Lei und das Kanoe zu rauben. Aber Quat rief Marawa
mit Namen: „Marawa! Bring mich zu Ho Lei." Und zur
Zeit, als die Brüder das Dorf erreichten, sass Quat zu ihrem
Eirstaunen an der Seite seiner Frau.
Bei einer anderen Gelegenheit schnitten sie den Zweig
eines Fruchtbaumes halb durch und überredeten Quat, der
Nüsse halber hinauf zu steigen. Als aber der Ast herab-
fiel und sie glaubten, er sei tot, rettete ihn Marawa aber-
mals, und als sie davonliefen, um seine Frau zu rauben,
erblickten sie ihn mit dem Kopfe im Schoosse Ro Leis
liegend.
In einer mondhellen Nacht veranlasste er seine Brüder,
zum Schiessen fliegender Füchse auszuziehen. Als sie sich
daran machten auszurücken, bedeckte er sich mit Brettern,
flog auf einen Pandanusbaum und hing sich daran wie eine
Fledermaus. Seine Brüder sahen ihn, schössen nach ihm
und trafen ihn. F> spie Blut auf den Boden und sie waren
überzeugt, dass er verwundet sei. Sie kletterten einer nach
dem anderen in den Busch, um ihn zu suchen. Wenn einer
geschossen hatte und nach ihm kletterte, flog er empor
und kehrte dann zurück, um sich wieder hinzuhängen.
l'robenius, Weltanschauung der Naturvölker. 7
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Als alle geschossen hatten und hinaufgeklettert waren,
flog er heim, zog die Pfeile, die in den Seitenbrettern seiner
Hülle steckten, heraus und hing sie im Gamal auf. Wie
die Brüder nun heimkamen, klärte er sie auf, wie er sie
zum Narren gehabt hatte.
3. Mythe von Quat (Banks-Inseln).
Und wieder berieten die Brüder, wie sie Quat ver-
nichten könnten, und beschlossen, ihn zu fangen, während
er Vögeln nachstellte. Sie bereiteten sich also jeder einen
Platz in einein Muskatnussbaum , jeder in einer kleinen
Entfernung vom andern. Und der Baum Quats war weiter
fort, als die anderen. Dann nahmen sie Quat mit hinaus
und zeigten ihm seinen Platz. Quat bestieg seinen Baum.
Sobald er mit seinen Schlingen befestigt war, stieg der
ihm nächste Bruder von seinem Platze, lief unter den
Baum, auf dem Quat sass. und sang:
„Mein Muskatnusbaum, schwelle!'' Der Stamm des
Muskatnussbaumes wuchs sogleich so stark, dass Quat ihn
mit seinen Armen nicht mehr umspaunen konnte. Quat
bemerkte es aber im Anfange nicht, da er eifrig mit
Schlingenstellen beschäftigt war. Der Bruder, der den
Zauber auf den Muskatnusbaum gelegt hatte, raunte
zurück und sammelte auf dem Wege zum Dorfe die
andern.
Sie raubten und schleppten Ro Lei hinweg, zogen
das Kanoe in das Wasser und ruderten schleunigst hinweg.
Die Insel war schon am Horizonte verschwunden als
sie ihre Muscheltrompete bliesen, um Quat von ihrem
Fortgehen in Kenntnis zu setzen. Als der das hörte, wusste
er, was geschehen war und wollte ihnen folgen. Aber
der Umfang der mächtig angeschwollenen Zweige machte
es ihm unmöglich herabzusteigen.
Er versuchte und versuchte. Es war alles vergebens.
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Da erhob er seine Stimme, schrie und weinte. Sein
Freund Marawa, die Spinne, hörte sein Klagen und \nm
herbei um nach der Ursache zu fragen. „Ich kann nicht
mehr herunter" , sagte er, „meine Brüder haben mir diesen
Streich gespielt." „Herab mit Dir!" entgegnete Marawa,
dessen Haar ungewöhnlich lang und locker war. Und
er wehte sein Haar zur Quat hinauf. Der stieg an demselben
herab und eilte in das Dorf. Da fand er aber nur noch
die Rollen seines Kanoes; vergebens suchte er sein Weib.
Die Brüder hatten Ro Lei und das Boot wie ihr Eigenes
mitgenommen.
Da ging Quat in das Haus hinein und nahm seine
Hahnenschwanzfedern, eine Schnur von Muschelgcld. seine
rothe Erde und sein Muschelbett. Dann frug er seine
Mutter nach den Bananenfrüchten. „Sie haben sie alle
abgepflückt", antwortete sie, „mit Ausnahme dieser kleinen
am Ende des Büschels." „Pflücke sie alle ab", entgegnete
Quat. Dann ergriff er eine Kokosnusflasche und packte
alle seine Sachen und die Nahrung hinein, machte sich
ganz klein und nahm seinen Platz ebenfalls in ihr.
Hierauf bat er seine Mutter, drei Wellen abzuzahlen
und bei der vierten kleinen Welle die Kokosschale in die
See zu werfen.
So schwamm Quat in seiner Flasche dahin, bis er an
das Kanoe kam, in dem seine Brüder sassen. Sie hatten
nämlich noch nicht das Land erreicht. Dann schwamm er
am Schiff entlang, bis er vor den Bug kam und zwang
sie nunmehr ihm zu folgen. Er nahm eine seiner Bananen,
ass sie und warf die Schale in die See dahin, wo das
Kanoe vorbei kommen würde. Die Brüder sahn sie und
merkten wohl, dass sie den Bananen Quats. die sie ge-
nommen hatten, glich. Sie forschten demnach wer eine
Banane gegessen habe, und als alle solches leugneten,
sprach Tangaro der Weise : „Ihr Burschen, es ist Quat, der
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die Bananen gegessen und die Schale hier vor uns in die
See geworfen hat, um uns ein Zeichen zu geben, dass er
nicht gestorben, sondern entwischt ist und uns jetzt ver-
folgte Aber die andern wollten nicht auf ihn hören und
erklärten, er sei gestorben. Dasselbe wiederholte sich, als
er ihnen eine andere Bananenschale hinwarf. Danach
sahen sie die geschlossene Flasche selbst, in welcher Quat
war. Sie trieb nahe dem Boote. Einer fischte sie auf
in dem Glauben, dass es eine gute Kokosnus sei. Als er
aber daran roch und ihren üblen Geruch merkte, warf er
sie fort. Dieses thaten sie einer nach dem andern bis auf
Tangaro den Weisen, der nicht darauf achtete.
Darauf trieb Quat seine Flasche schnell an die Küste
vom Maewo und entstieg der Schale. Er färbte sein Haar
mit der rothen Erde, bindet die Hahnenschwanzfedern in
das Haar, nimmt seinen Sitz auf der Spitze eines männ-
lichen Paiidanusbaumes, und da sitzt er und wartet darauf
dass seine Brüder ans Land kommen, denn sie rudern
immer noch über das Meer.
Da kamen sie zwischen den Riffen daher an das Ufer
und erhoben ihre Augen und sahen ihn auf dem Pandanus-
baume sitzen. Und sie forschten untereinander, wer es
sei, der dort oben sitze. „Es ist Quat u , sagte Tangaro
der Weise. Aber seine Brüder bestritten es; er könne
den Weg hierher nicht unternommen haben, da er augen-
scheinlich dem Tode geweiht sei. „Das ist Quat und kein
Irrtum", entgegnete Tangaro der Weise, denn er kannte
diese und alle anderen Dinge besser als seine Brüder. So
brachten sie denn ihr Kanoe ans Land. Aber sie brauchten
es nicht heraufzuschieben. denn Quat Hess die Felsen
steigen, und trug es so trocken und hoch hinauf. Quat
sprang herab, mitten unter sie und zerschlug mit seiner
Axt vor ihren Augen mit folgenden Gesänge das Kanoe:
„Chop, chop the canoe: whose Canoe is it? Marawa's
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Kanoe. My brothers tricked me about twisting a string —
swell uutmeg-tree — and draw the snare. 1 had one
Canoe, my Canoe slipped off from me. u So zer8chlug er
das Boot vor ihren Augen in Stücke. Danach machte er
Freundschaft mit ihnen und bat sie, von jetzt ab in Har-
monie mit ihm zu leben.
4. Mythe von Quat (Banks-lnselnj.
Eine andere Reihe von Abenteuern waren Quat's
Begegnungen mit Quasavara. Das war ein Vui, ein sehr
starker und sehr grosser Krieger, ein Tyrann und Kanibale,
der auf der Insel wohnte, die die Heimat Quat s und seiner
Bruder war.
Eines Tages nahmen die Brüder ein Bad und fanden
dabei eine den Strom herabtreibende Frucht, der tahi-
tischen Kastanie, eine Make. Sie nahmen die Frucht einer
nach den andern auf und warfen sie wieder fort, in der
Meinung, dass sie zu nichts gut sei. Quat aber nahm sie,
fand sie gut und gab sie seiner Mutter zum kochen. Nach
dem Bade kamen alle Brüder zur Mutter, um sich Speise
zu holen. Die hatte aber nichts als Quat s Make und so
nahm ein jeder etwas davon. Tangaro der Narr verzehrte
den Rest.
Quat sandte sie nun aus, um noch mehr zu erlangen.
Den Strom entlang wandernd, den die Frucht geschwom-
men war, kamen sie an den Baum. Sie kletterten hinauf,
um die Kastanien zu erreichen. Tangaro der Narr fiel
aber auf das Haus des Quasavara, über dessen Dach die
Zweige herabhingen. Der Währwolf kam in voller Wut
herausgestürmt, ergriff, tötete die Brüder und verschloss
sie in einer Speisekiste.
Quat wartete fünf Tage. Dann nahm er Bogen. Pfeil
und Muschelaxt und ging auf die Suche. Dem Laufe des
Stromes folgend, fand er den Baum. Das Ereignis ahnend,
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brachte er Quasavara aus seiner Behausung, indem er eine
Make gegen sein Haus warf. Sie fochten mit einander
und Quat tötete Quasavara. Die Gebeine seiner Brüder
fand er in der Speisekiste. Er belebte sie, indem er durch
ein Schilfrohr in ihren Mund bliess und sie bat, falls sie
seine Brüder wären, zu lachen.
5. Mythe von Quat (Banks-I nseln).
Ein anderes Abenteuer stimmt nicht ganz mit dem
eben erzählten überein. Als Quasavara mit Quat und
seinen Brüdern zusammentraf, lud er sie in sein Dorf ein
und machte ein Feuer für sie in seinen Backofen. Als es
Abend war, sagte er. dass sie in seinem Gamal bei ihm
schlafen müssten. Aber sie, die wohl wussten, dasS sie
getötet werden würden, wenn sie dies thäten, waren sehr
erschreckt. Es ward Nacht und sie wurden sehr schläfrig.
Da forderte Quat sie auf, ins Bett zu gehen. Er riss mit
den Knöcheln einen Dachsparren des Gamal auseinander
und sie setzten sich alle hinein und schliefen. Um Mitter-
nacht ergriffen Quasavara und seine Leute Keulen und
Bogen und kamen um Quat s Truppe zu töten. Aber da
sie auf den Schlafplätzen niemand trafen, zogen sie ent-
täuscht wieder ab. Gegen Tagesanbruch krähte der Hahn.
Quat weckte seine Brüder und bat sie, schnell heraus-
zuschlüpfeu, damit sie beim Tageslicht nicht beobachtet
werden möchten, wie sie den Sparren verliessen. So
kamen sie heraus. Als es heller Tag war, kamen Quasa-
vara und seine Leute herbeigelaufen. Sie fanden Quat
und seine Brüder im Gamal mit einander schwatzend.
„Wo habt ihr geschlafen?" f rügen sie. Alle antworteten
auf einmal, dass sie an dem ihnen angewiesenen Platze
geruht hätten. Nur Taugaro der Narr rief aus: „Wir
schliefen in diesem Dachsparren*'. Da waren die Brüder *
sehr entrüstet.
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Quasavaras Partei beratschlagte, als die Nacht wiederum
nahte, wie sie jene im Dachsparren töten könnten. Quat
aber riss in dieser Nacht einen Seitenpfosten heraus, öffnete
ihn und die Brüder schliefen darin. Die Leute Quasavaras
kamen in der Nacht und zerbrachen den Dachsparren. Sie
fanden niemand darin und zogen abermals resultatlos ab.
Am nächsten Morgen kamen sie in das Gamal und trafen
Quat und seine Brüder ganz gelassen. Wiederum aber
bekannte Tangaro, der Narr, dass sie im Seitenpfosten ge-
schlafen hätten. In der nächsten Nacht öffnete Quat den
grossen Hauptpfosten und sie schliefen darin. Und wieder
kam Quasavara, zerbrach den Seitenpfosten und fand
niemand darin. Tangaro, der Narr, jedoch gab abermals
ihren Zufluchtsort kund, obgleich er von seinen Brüdern
gewarnt und gescholten war.
Quasavara beschloss nunmehr einen anderen Weg ein-
zuschlagen und die Brüder beim Mahle zu töten. Diese
Nacht öffnete Quat den Giebelpfahl mit einem starken
Schlage und sie schliefen alle in demselben. — Wohl
wissend, was beabsichtigt sei, traf Quat seine Vorberei-
tungen, um die Brüder zu retten. Er pflanzte einen
Casuarinabaum und gab ihnen Instruktionen, was sie zu
thun hätten. „Wenn sie sich daran machen, das Essen
zu bereiten 14 , sagte er, „wascht Eure Hände in den Bambus-
wassergefässen bis sie leer sind. Und wenn sie dann Salz-
wasser haben wollen und jemand gebrauchen, der die
Gefässe füllt, so bieten sich zwei von Euch an heraus zu
gehen, und danach gehen noch zwei gemeinsam. Wenn
Ihr ein Stück weit fort seid, werft die Wassergefässe auf
den Boden und steigt auf den Casuarinabaum! So macht
Ihr es alle." Sie handelten alle nach dem Uebereinkommen.
Als der Ofen zugedeckt war, riefen Quasavaras Leute:
„Hallo! Es ist kein Salzwasser mehr vorhanden. Wer will
welches holen?" „Wir zwei ü , sagten zwei Brüder Quats
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und sie gingen, zerwarfen die Wassergefässe und kletterten
auf den Baum. Quasavaras Leute warteten, bis es ihnen
zu lange wahrte. Da forderten sie zwei weitere Brüder
auf zu gehen. Diese entfernten sich also ebenfalls, warfen
die Gefässe fort und kletterten auf den Baum. So ging
es, bis alle Brüder auf dem Baume und Quat nur noch
allein bei Quasavara und seinen Leuten neben dein Ofen
zurückgelassen war.
Als sie nunmehr den Ofen öffneten, setzte sich Quat
mit einer tüchtigen Hand voll von Futterbeuteln neben
den Ofen. Als sie das Esseu herausnahmen, schlug Quasavara
mit seiner Keule nach Quat, fehlte ihn aber. Quat lief
davon auf die andere Seite des Ofens, und indem er Speise
herausnahm rief er: „Das ist für meine Brüder, dies für
meinen Gefährten", und steckte sie in seinen Beutel.
Quasavara sprang hinter ihm drein, schlug nach ihm, ver-
fehlte ihn jedoch abermals. Und Quat rannte auf die
andere Seite, steckte Nahrung in den Beutel und rief das-
selbe. So sprangen sie hintereinander her, bis der Ofen
leer und Quats Beutel gefüllt war.
Dann lief Quat fort zu seinen Brüdern, Quasavara
hiuter ihm her, nach ihm schlagend, im Laufe aber ver-
fehlend, und so jagte er ihn, bis Quat seine Brüder er-
reichte. Da kletterte Quat auf den Baum und Quasavara
hinter ihm her. Die Brüder hatten sich an der Spitze
versammelt, und Quat klomm zu ihnen empor und blieb
dort sitzen, denn höher konnten sie nicht klettern. Da
stieg Quasavara nahe zu ihnen und streckte seinen Arm
aus, so weit er konnte, um nach ihnen zu schlagen. Quat
aber rief aus: „Mein Casuarina, verlängere Dich!" Und so
verlängerte sich der Baum zwischen Quat und Quasavara
und Hess diesen weit zurück. Quasavara kletterte jedoch
abermals hinter ihm her und kam wieder ganz nahe zu
ihm. Und wiederum rief Quat: „Werde länger, mein
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Casuarina". Abermals trug der Baum, .sich verlängernd,
Quat und seine Bruder von Quasavara fort. So ging es
weiter, bis die Spitze des Baumes den Himmel erreichte.
Da sprach Quat: „Biege dich herab, mein Casuarina!" Der
Baum bog seine Spitze herab bis zur Erde, und sie stiegen
einer nach dem anderen auf den Boden, Quat als der
Letzte. Als er den Boden erreicht hatte, hielt er die
Spitze des Casuarina fest, und ehe er loslies wartete er,
bis Quasavera, der ihm folgte, den Boden erreicht hatte.
Da rief Quat aus: „Jetzt räche ich mich!" „Ach Quat",
flehte Quasavara, „thue mir kein Leid an, nimm mich in
Dein Haus, ich will für Euch arbeiten." „Mit nichten",
entgegnete Quat, „ich will mich rächen für das Unrecht,
das Du mir angethan hast." So Hess er denn den Gipfel
des Casuarina fahren. Der Baum schnellte zurück und
schleuderte Quasavara fort. Sein Kopf schlug gegen den
Himmel und er stürzte auf die Erde. Da liegt er der
Länge nach auf der Erde auf dem Antlitz, in einen Stein
verwandelt.
6. Mythe von Quat (Banks-lnseln).
Die Sage erzählt, dass Quat auf Gaua von der Welt
Abschied genommen habe. Wo jetzt in der Mitte der
Insel der grosse See liegt, war früher eine grosse mit
Wald bedeckte Ebene. Quat schlug sich dort aus einen
der grössten Bäume ein Boot. Während er es herstellte,
ward er oft von seinen Brüdern ausgelacht. Sie frugen
ihn, wie er ein so grosses Kanoe in die See bringen wolle.
Er antwortete stets nur, sie würden es schon sehen. Als
das Boot beendet war, nahm er sein Weib und seine
Brüder hinein, sammelte die lebendigen Geschöpfe der
Insel, besonders so kleine wie die Enten und begab sich
mit ihnen in das Kanoe, das er mit einer Decke versehen
hatte. Dann kam ein Regenbruch. Die grosse Senkung
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inmitten der Insel ward voll Wasser, welches durch die
umgebenden Hügel hereinbrach an der Stelle, wo jetzt
der grosse Wasserfall von Gaua herabstürzt. Das Boot
nahm seinen Weg durch einen Kanal in die See und ver-
schwand. Das Volk meint, dass mit Quat das Beste von
der Insel genommen sei und wartet noch immer auf seine
Rückkehr.
7. Mythe von Quat (Aurora).
Es kamen einstmals einige Frauen vom Himmel, die
hatten Flügel gleich den Vögeln. Die kamen zur Erde
herab, um sich in der See zu baden. Und als sie badeten,
nahmen sie ihre Schwingen ab. Als Quat vorbeiging, sah
er sie zufälligerweise. Er nahm ein Paar der Flügel fort
und ging in das Dorf und vergrub sie am Kusse des
Hauptpfeilers seines Hauses. Dann kam er wieder zurück
und beobachtete die Krauen. Als diese das Bad beendet
hatten, kamen sie um ihre Klügel zu ergreifen. Sie flogeu
auf gen Himmel. Eine aber blieb zurück; der hatte Quat
die Schwingen geraubt. Und sie schrie.
Da trat Quat herzu und betrügerischen Sinnes fragte
er: „Warum weinst Du?" Sie antwortete: „Meine Klügel
sind mir weggenommen worden/ Da nahm Quat sie mit
nach Hause und heiratete sie. Quats Mutter nahm sie mit
zur Arbeit. Als sie das Blatt des Yams berührte« waren
die Yamsknolleu da, als ob sie schon jemand ausgegraben
habe. Als sie ein Blatt einer Banane berührte, waren
die Krüchte sogleich reif. Als die Mutter Quats solche.
Dinge sah, schalt sie, nicht aber Quat, der war auf die
Vogeljagd gegangen. Und als Quats Mutter also schalt,
da ging sie ins Dorf zurück, setzte sich an den Hauspfeiler
und weinte bitterlich. Da flössen die Thränen auf den
Boden und machten eine tiefe Höhle. Und die Thränen
tröpfelten herab, spülten die Klügel hervor und wuschen
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die Krde von ihnen ab, sodass sie sie fand. Da flog sie
wieder zurück zum Himmel.
Als Quat vom Vogelsehiessen heimkehrte, sah er, dass
sein Weib nicht mehr da war und schalt seine Mutter.
Er tötete ein Ferkel, befestigte Spitzen an sehr viele Pfeile
und erklomm das Dach seines Hauses. Er schoss zum
Himmel empor. Da er sah, dass sein Pfeil nicht zurück-
kam, schoss er zum zweitenmal, und der zweite Pfeil traf
den ersten. So schoss er lange Zeit und traf stets, und
die Pfeilkette reichte herab zur Erde". Und siehe da, eine
Feigenwurzel schlang sich um die Pfeile.' Quat nahm nur
einen Korb mit Schweinefleisch in seine Hand und kletterte
zum Himmel empor.
Und er traf eine hackende Person an; und er fand
sein Weil). Er sagte zu der hackenden Person: „Wenn
Du eine Feigenwurzel siehst, zerstör« sie nicht". Als aber
die beiden an der Feigenwurzel herabkamen und den Boden
noch nicht erreicht hatten, hackte diese Person die Wurzel
ab. So stürzte Quat herab und starb. Die Frau jedoch
flog zum Himmel zurück.
Die beiden Hauptmotive, die aus jeder Sonnenmythologie
in allen möglichen Melodien wiederklingen, sind Auf- und
Untergang.
Der Aufgang wird im Mauimythus eingehend behan-
delt. Wenn Maui das Feuer geholt hat und der Horizont
mächtig von Flammen umlodert wird, sodass die Eilande
scheinbar dem Untergange im Feuer geweiht sind, so ist
dies das Bild der mit blutiger Röte den Himmel über-
ziehenden aufgehenden Sonne. Den Untergang erkennen
wir in der Mythe wieder, derzufolge Maui von der Ahn-
frau Hine-nui-te-po verschlungen wird, als er in ihren
Rachen geschlüpft ist und der kleine Vogel Tiwakawaka
lacht. Das langsame Hinschleichen am Himmel zur Mittags-
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zeit wird bezeichnet, wenn Maui den Fang der Sonne, die
Bändigung am Stricke zugeschrieben wird. Das alles ist
schon von Schirren, Waitz- Gerland und Achelis so ein-
geheud und oft behandelt und ausserdem haben wir noch
einen so grossen Teil derartiger Mythen auf dieser Seite
zu besprechen, dass wir hier kurz darüber hinweggehen
können.
Die erste der Quatmythe beschäftigt sich mit dem
Sonnenauf- und -Untergang insofern, als Quat einerseits
aus dem Steine geboren wird und er andererseits die
Nacht, die im Westen — die Torresinseln liegen im Westen
des Banks und soweit geht für die Banksinsulaner die
Sonne in deren Mitte unter — oder am Fusse des Himmels
zu holen ist. macht. Kr lernt es, die Dämmerung zu
machen. Für die Verkündigung des Tagesanbruches wer-
den der Haushahn und andere Vögel augestellt, womit ein
schöner Anklang an die afrikanische Anschauung vom
tagesverkündenden Hahn und an Maui's Eigenart als Licht-
vogelgott geboten ist.
Die zweite Mythe beschäftigt sich mit Quats Frau.
Aus der letzten Mythe hören wir, dass dieselbe himm-
lischer Abstammung ist. Da sie dort den Weg zur Hei-
mat fliegend nur zurücklegen kann und da die Brüder
Quats sie zu stehlen suchen, was in der dritten Mythe
auch auf eine gewisse Zeit gelingt, so haben wir es hier
wohl mit einer weiblichen Auffassung der Sonne zu thun.
Der zweite wichtige Teil in dieser Mythe ist der Kanoebau.
Tagsüber arbeitet Quat an demselben. Es liegt geöffnet
vor ihm; nachts wird es von Marawa geschlossen. Das
ist die Erde, die am Tage vom Himmelszelt überspannt,
des nachts von der Dunkelheit bedeckt ist. — Nach ocea-
nischer Kosmogonie lag im Anfang der Himmel auf der
Erde, — das ist die Nacht, mit der die Schöpfungsge-
schichte beginnt; — bis er in die Höhe geschoben wurde,
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— das ist der Tag. Die Wichtigkeit der Kahne in der
Sonnenmythologie der Oceanier ist begreiflich. Die Sonne
geht nicht nur im Meere unter, sondern es wandern die
Seelen auch im Kahne, im Todtensehifte ins Jenseits. Wie
die Sonne morgens erst aus dem Meere emporsteigt, so
holt Quat auch die Kähne des nachts aus dem Wasser.
Wenn Quat in die Höhle der Krabbe geworfen wird, so
ist daran zu erinnern, dass dieses Tier in der Todesmythe
der Melanessier eine grosse Rolle spielt und dass die
Sonnenhöhle, wie anderweitig zu besprechen, auch sonst
in den verwandten Mythen vorkommt. Ist doch ausser-
dem Quat selbst vom berstenden Steine geboren.
Iu der dritten Mythe gelingt der Raub der Ro Lei —
vielleicht ist Ro mit dem malaischen Worte Ra = Sonne in
Verbindung zu bringen. — Quat steigt auf einen Baum
(Sonnenaufgang), wird auf ihm festgebannt (Müdigkeit und
schleppender Gang in des Tageshöhe) und kommt endlich
am Marawas langen Haaren wieder herunter (Sonnen-
untergang).
Die folgende Mythe enthält eine schöne Lntergangs-
darstellnng. Tangaro der Narr, der auf dem Baume ge-
klettert ist, stürzt herab und die Brüder werden in die
Speisekiste Quasavaras gesteckt. Das ist der Sonnen-
untergang. Der Kampf Quasavaras mit Quat ist der
Kampf von Tag und Nacht. Der Tag siegt und die Sonne
steigt wieder (aus der Speisekiste) empor.
Die bei weitem klarsten Mythen kommen aber jetzt
erst. Quasavara, der Tagesfeind, will die Brüder ver-
schlingen. Die Sonnenhelden sind aber jede Nacht seiner
Macht entschlüpft. Jedesmal, wenn die Brüder in einem
Pfahl oder Sparren schlüpfen, geht die Sonne unter,
kommen sie heraus, geht sie wieder auf.
Der Hauspfahl spielt, wie wir im nächsten Kapitel
sehen werden, auch sonst in die Sonnenmythen hinein. —
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11) -
Ganz wundervoll ist aber in der Flucht Quats die Sonnen-
wanderung dargestellt. Kr besteigt den Baum, der sich
immer mehr verlängert, bis er den Himmel erreicht (die
Tageshöhe), dann senkt sich die Spitze zur Knie, bis
Quat auf derselben angelangt ist.
Im folgenden Stück ist der Sonnenuntergang als Flut-
mythe beschrieben. Kr fährt im Kahne von dannen. —
In der letzten Mythe ist eine sehr gute Beschreibung der
Sonnenbahn enthalten, der Aufstieg an der Pfeilleiter und
der Untergang mit Quats Absturz und Tod.
Dass die Brüder Quats Tangaro heissen, kann nicht
in Krstaunen setzen, da die Verwechslung Tangaroas und
Mauis auch in Polynesien eine durchaus häufige, schon
mehrmals nachgewiesene Erscheinung ist. Die Hauptzüge
sind also enthalten. Ob die Nebenerscheinungen die gleichen
in der melanesischen und polynesisehen Mythologie sind,
wird sich im Kerneren zeigen müssen.
Der Unterschied der melanesischen und polynesisehen
Sonnenmythen ist vor allen Dingen ein formaler. Die
erstere sind vermenschlicht, mehr märchenhaft als gross
und majestätisch, mehr im Kleinen bezeichnend als im Ganzen
bedeutend, mehr malerisch als plastisch.
Demgegenüber ist die polynesische Mythologie mehr
mächtig als lieblich, mehr wuchtig als poetisch. Sie neigt
sogar zu philosophischen Grübeleien im grossen Stil. Vor
allem: sie ist klarer, weniger beeinflusst durch menschliche
Gefühle, bietet mehr und wahrhaftigere Götter als die
Mythologie Melanesiens.
Maui, der grosse, meergeborene Gott, der die Inseln
fischt, der Gott mit dem mächtigen Haupte, von dem wir
hören, dass er in der Sonne lebt, dass er die Sonne geschaffen,
Mond und Sterne an ihren Platz gesetzt hat, dass er sich
nach dem durch den Feuerdiebstahl erzeugten Brande ins
Meer stürzt, die Sonne zum ersten Male untergeht, dass
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111
ist ein wahrer Sonnengott 1 ). Das ist mehr ein Gott als
diese Tangaros, die überall den Kürzeren ziehen, als dieser
Quat, der sich betrügen lässt, der in menschlicher Rührung
den Brüdern, die er überwunden hat, verzeiht und das
Boot des Friedens willen zerstört. Es fehlen ausserdem in
Melanesien nach unseren allerdings geringen Kenntnissen
jene vielsagenden Erscheinungen, wie Götter und Riesen
mit einem Auge — Maui's rechtes Auge ist die Sonne,
ein einäugiger Stamm lebt in der Unterwelt — mit einem
Arm — Mafuike und Miru — etc. 2 ).
Feuerbringer ist in Polynesien fast stets Maui 3 ).
Auf den Carolinen bringt ein Geist, der aus dem
Himmel gestossen ist, den Menschen das Feuer, bei den
Motu auf Neu-Guinea der Hund 4 ), dessen Stellung zu den
Sonnenmythen Schirren erörtert hat. Ewige Feuer, ein
Zeichen des Sonnenkultus werden im Osten (auf Nukahiva)
und im Westen (Timor) unterhalten; auf den Gräbern
brennt das Feuer und die Seele erscheint Nachts im Feuer-
funken etc. 5 ).
Zu diesen Mythen Melanesiens mögen hier noch die
ebenfalls weniger beachteten Mikronesiens hinzugenommen
») Schirren S. .29. Forster 8. 444. Gill S. 74. Taylor S. 24.
Yate S. 143. Tyrmann und Beimet Bd. II S. 40.
*) Pollack Bd. I S. 16. Gill S. 74. In Nias liefen Sonne und
Mond früher gemeinsam, bis die erstere im Streite mit dem Monde ein
Auge verlor. Rosenberg 8. 175. Turner S. 254. Gill S. 94.
8 ) Bastian: „Oceanien" S. 232, S. 21. — „Hawai" S. 100 -104,
S. 98 100. Turner 8. 255. Tyrmann und Bennet Bd. I S. 526. Nach
einer hawaiischen Version ist auch hier Kanaloa an Mauis Stelle ge-
treten. Bastian: „Hawai* S. 231 und a. a. 0.
*) Hockin S. 34. Bastian: „Oceanien" S. 96, S. 87, S. 83 u.
a. a. O.
») Krusenstern Bd. I S. 240. Junghuhn Bd. II S. 316. Korbes
8. 446. Turner S. 232, S. 236 und a. a. O.
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112 —
werden. Ich beginne mit der Wiedergabe der von Chamisso
erzählten, von Ulea stammenden Mythe 6 ).
Der Ursprung aller Dinge ist wie folgt. Vor alten
Zeiten war ein Götterweib , Ligopup geheissen. Diese
wird für die Krsehafferin der AVeit gehalten. Sie gebar
Aluelap, den Herrn alles Wissens, den Herrn der Herrlich-
keit, den Vater des Lugeleng. W r er aber Lugelengs Mutter
und wie dessen Geburt gewesen, weiss man nicht. Lugeleng
hatte zwei Weiber, eine im Himmel und eine auf Erden.
Die himmlische hiess Hamnlub, die irdische Tarisso, die
an Schönheit und anderen naturlichen Gaben sonder-
gleichen war.
Tarisso gebar Olifat nach vier Tagen Schwangerschaft
aus ihrem Seheitel. Olifat entlief sogleich nach seiner
Geburt und man folgte ihm nach, um ihn von dem Blute
zu reinigen. Kr aber sagte, er wolle selber es thun und
litt nicht, dass man ihn berühre. Kr reinigte sich an dem
Stamm der Palmbäume, an denen er vorbeilief, daher sie
ihre rötliche Farbe behalten. Man rief ihm zu und ver-
folgte ihn, um ihm die Nabelschnur abzuschneiden. Er
aber biss sie sich selber ab; er sagte, er wolle selber für
sich sorgen und Hess sich von keinem Sterblichen berühren.
Kr gedachte, wie es Brauch sei, den Neugeborenen die
Milch der jungen Kokosnus trinken zu lassen und kam zu
seiner Mutter, die ihn die Kokos zu trinken reichte. Kr
trank und wandte die Augen gegen den Himmel, woriu
es seinem Vater Lugeleng gewahrte, welcher nach ihm
rief. Da folgte er dem Rufe seines Vaters und seine
Mutter mit ihm. Also schieden beide von der Welt. Wie
Olifat in den Himmel gelangt war, begegnete er daselbst
etlichen Kindern, die mit einem Haifische spielten, welchem
sie eine Schnur um den Hals gebunden hatten. Kr stellte
sich, um unerkannt zu bleiben, aussätzig au. Da hielten
■) ChamiftBo 8. 259, 265. Hockin S. 22/3. Rienzi Bd. II S. 239.
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— 113
sich die Kinder fem von ihm und berührten ihn nicht.
Er begehrte von ihnen den Fisch, um auch damit zu
spielen und sie verweigerten ihm denselben. Einer jedoch
erbarmte sich seiner und reichte ihm die Schnur, woran
der Fisch gebunden war. Er spielte eine Weile damit
und gab ihn sodann den Kindern wieder, sie ermahnend,
sich nicht zu fürchten, sondern fortszuspieleu, der Fisch
werde ihnen nichts thun.
Er biss aber alle bis auf den, der sich dem Olifat
gefallig erwiesen. Olifat hatte dem Haifisch, der vorher
keine Zähne gehabt und unschädlich gewesen, geflucht.
Also ging er fürder durch den Himmel, seinen Fluch bei
ähnlichen Gelegenheiten allen Kreaturen erteilend, weil
man ihn in der Herrlichkeit reize. Da keiner ihn erkannte
und er zu seinem Vater noch nicht gekommen, der allein
ihn erkennen konnte, stellte man seinem Leben nach.
Er kam an einen Ort, da ein grosses Haus gebaut
wurde, er begehrte von den Arbeitern ein Messer, um
Kokosblätter für das Dach schneiden zu helfen. Sie
schlugen es ihm aber ab, einer jedoch reichte es ihm und
er schnitt sich eine Last Blätter; aber er verfluchte alle
Arbeiter bis auf den, der ihm behilflich gewesen, dass sie
regungslos zu Bildsäulen erstarrten. Lugeleng aber, der
Herr des Baues, erkundigte sich nach seinen Arbeitern
und es wurde ihm berichtet, dass dieselben regungslos zu
Bildsäulen erstarrt seien. Daraus erkannten Lugeleng und
Aluelap, dass Olifat am Himmel wandelte. Sie fragten
den Mann, der noch bei der Arbeit beschäftigt Kokos-
blätter zu dem Baue trug, ob er nichts umhergesehen
und er antwortete: er habe nichts gesehen, denn einen
Canduru (eine Art Uferläufer), in welchem Vogel sich
Olifat verwandelt hatte. Sie schickten den Mann aus,
den Canduru zu rufen; als er es aber that, erschrak der
Vogel ob der Stimme und flog davon.
Frobeniui, Weltanschauung der Naturvölker. 8
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114
Der Mann berichtete das uud die Götter fragten ihn,
was er denn dem Vogel entboten. Kr antwortete: er habe
ihn kommen heissen. Sie schickten ihn abermals ans uud
unterwiesen ihn, den Vogel sich entfernen zu heissen,
weil er den Häuptern hinderlich sei. Er that es also und
der Vogel kam alsbald herbei. Er verbot ihm ferner,
hineinzugehen und sich in Gegenwart der Häupter zu
setzen, und der Vogel that alsbald, was ihm verboten ward.
Sobald der Vogel sich gesetzt hatte, befahl Lugeleng,
die Arbeiter, welche im Walde erstarrt geblieben, zusammen-
zurufen. Und diese kamen alsbald zur Verwunderung der
Umstehenden; denn Aluelap und Lugeleng wussten allein,
dass jener Olifat war.
Die Arbeiter fuhren nun mit dem Bau fort und gruben
tiefe Löcher in den Boden , um die Pfosten darin auf-
zurichten. Dieses schien ihnen, die damit umgingen, den
Olifat zu töten, wegen des vielen Unheils, das er gestiftet,
eine gute Gelegenheit zu sein. Olifat erkannte aber ihren
Vorsatz und führte bei sich versteckt: gefärbte Erde, Kohlen
und die Rippe eines Palmblättchens. So grub er nun in
der Grube und machte eine Seitenhöhle, sich darin zu
verbergen. Sie glaubten, es sei nun die Zeit gekommen,
warfen den Pfosten hinein und Erde um dessen Fuss und
wollten ihn zerquetschen. Er aber rettete sich in die
Seitenhöhle, warf die gefärbte Erde aus, und sie meinten,
es sei sein Blut. Er streute die Kohlen aus, und sie
meinten, es sei Galle.
Sie glaubten, er sei nun tot.
Mit der Kokosrippe machte Olifat sich durch die Mitte
des Pfostens einen Weg und entwich. Er legte sich als
ein Balken quer Ober den Pfosten, aus dem er heraus-
gekommen, und wurde nicht bemerkt. Als nun das Tage-
werk vollendet war, setzten sich die Arbeiter zum Mahl.
Olifat schickte eine Ameise hin, ihm ein Bischen Kokos
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115 —
zu holen. Sie brachte ihm ein Bröcklein nach ihren
Kräften. Er ergänzte selbiges nach seiner Macht zu einer
ganzen Nuss. Er rief sodann laut: Gebet acht da unten,
ich will meinen Kokos spalten! Sie wurden ihn bei dem
Ausruf gewahr und wunderten sich sehr, dass er am Leben
geblieben sei. Sie hielten ihn für Alus, den bösen Geist.
Sie beharrten bei ihrem Vorsatz, ihn umzubringen,
und sagten zu ihm, er solle nur seine Mahlzeit beendigen,
sie wurden nachher ihm einen Auftrag geben. Sie schickten
ihn nach dem Hause des Donners, demselben sein Essen
zu bringen. Olifat nahm ein Rohr zu sich und ging ge-
trost hin.
Er kam zu dem Donner ins Haus und sagte ihm roh
und herrisch: „Ich habe mich ermüdet, Dir die Nahrung
Deines missgestalteten Mundes zu bringen. 1 ' Er gab das
Essen ab und ging. Der Donner wollte über ihn herfalleu,
aber er versteckte sich in sein Rohr. Der Donner konnte
ihn nicht finden und Hess ab, ihn zu verfolgen. Olifat kam
wieder hervor und erregte, da er aus dieser Prüfung ohne
Unheil zurückgekehrt, desto grössere Bewunderung.
Die Werkleute schickten ihn abermals aus, dem Fische
Fela sein Essen zu briugen. Olifat trat in des Fischers
Haus, und da dieser selbst nicht zugegen war, so warf er
denen, die da waren, das Essen hin, indem er sagte:
„Nehmt hin für Euch", und ging. Als der Fisch nach
Hause kam. so fragte er nach dem, der das Essen ge-
bracht. Die Familie erzählte, einer hätte ihnen das Essen
hingeworfen, sie wüssten aber nicht wer er sei, noch wo-
hin er gegangen. Der Fisch fing nun an eine Angel an
einer langen Leine nach allen Winden auszuwerfen, und
wie er zuletzt die Angel nach Norden warf, so zog er den
Olifat heraus. Da gab er ihm den Tod. Nachdem 4 bis
5 Tage verstrichen, ohne dass Olifat wieder erschienen, so
8*
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trösteten sich die, welche ihm am Himmel nachstellten
und meinten, er sei mm tot,
Aber Lugeleng suchte seinen Sohn und fand ihn end-
lich entstellt und voller Würmer. Er hob ihn in seinen
Armen empor und weckte ihn wieder auf. Er fragte ihn,
wer ihn getötet? Olifat antwortete: er wäre nicht tot
gewesen, sondern habe nur geschlafen. Lugeleng rief den
Fisch Fela zu sich und schlug ihn mit seinem Stock über
den Kopf und zerbrach ihm die obere Kinnlade, Lugeleng
und Olifat gingen nun in die Herrlichkeit ein, wo sie die
Gerechtigkeit auszuüben sich beschäftigten.
Nach einer anderen Mvthe versuchte Olifat, der wohl
wusste, dass Lugeleng der Himmlische sein Vater sei,
emporzufliegen, aber er stürzte zurück. Trostlos weinte
er, sein unglückliches Schicksal bitter beklagend. Indessen
stand er von seinem Vorhaben nicht ab, zündete ein
grosses Feuer an, und mit Hülfe des Rauches stieg er zum
zweiten Male in die Lüfte empor, wo er endlich in die
Arme seines Vaters gelangte. — Der Sonuenheld wird nach
anderer Mythe von der Mutter, die in der Mitte der Luft
schwanger ward, und zur Erde herabstieg, geboren. Die
Erde, die damals unfruchtbar war, wurde in einem Augen-
blicke mit Gras, Blumen und Obstbäumen bedeckt. Auch
die Erde ward mit vernünftigen Menschen bevölkert.
Ein anderer Typus ist auf den Gilbets heimisch 7 ).
Der Gott Rigi oder auch Nareua war in Tamoa — welches
Parkinson sehr richtig mit Samoa, demnac h dem Ursprungs-
lande dieser Insulaner indentifiziert — • aus einem Stein
hervorgekommen. Zunächst erhob Nareua mit Hilfe des
Aales Rigi das Himmelsgewölbe empor und gestaltete es
rund. Danach ging der Gott spazieren und traf das wüste
T ) Parkinson: „Gilbert-Insulaner S. 104,5.
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117 —
Land Tarawa, welches angeblich die älteste Gilbertinsel
ist. Er beflanzte die Insel mit Palmen, ebenso eine andere,
auf die er das erste Menschenpaar setzte. Er verbot diesen,
Kinder zur Welt zu bringen. Als er fort war, vergassen
die zwei Menschen das Gebot und gaben drei Kindern das
Leben: der Sonne, dem Monde, dem Salzwasser. Nareua
erfuhr dies von Rigi dem Aal. Zornig kam er herbei, Hess
sich aber besänftigen.
Wie der Gott weiter wanderte, sah er auf einer Insel
zwei Geschöpfe: Tangatta (Jangata heisst auf Samoa der
Mann) und Emabine (fafine heisst auf Samoa die Frau).
Er verwandelte sich in ein schreiendes Kind, das Emabine
mitleidsvoll auf den Schooss nahm. Davon ward sie
schwanger. Der Mann darüber erzürnt, zerbrach das Kind
in kleine Stücke. Rigi erzählte das den Menschen Nareuas;
die holten die Bruchstücke und fügten sie wieder zusammen.
Nareua wanderte weiter nach Tamoa, das er bedeutend
verschönert und bewachsen wieder fand.
Emabine brachte ein sonderbares Kind zur Welt,
einen Kopf ohne Leib und Glieder. Tangatta zerschellte
es im Zorn. In der Nacht fanden sich jedoch die Teile
des Kopfes wieder zusammen. Das geschah mehrmals,
bis zwei Frauen vorbei kamen und den Kopf in einem
Körbchen mit nach Tamoa nahmen, wo Nareua mit Er-
staunen sein Kind wiedererkannte. Als die beiden Frauen
den Kopf auf die Erde legten, begann diese sofort zu
brennen. Das Feuer verbreitete sich über alle Inseln und
die Bewohner, Nareuas Verwandte, bestiegen ein Kanoe
und fuhren auf Nareuas Unterweisungen nach Tarrawa.
So besiedelten sie die Gilbertinseln. Nareua blieb mit seinem
Sohne, dem Kopf, auf Tamoa zurück.
Alle diese Mythen sind leicht verständlich. Der himm-
lische Vater schenkt der irdischen Mutter das Sonnenkind,
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1 ls —
das auch den Mauimythen zu eigen ist 8 ). Kaum der Erde
entsteigend, läuft es schon selbständig. Blutrot ist der
Himmel bei Sonnenaufgang beleuchtet, darum ist das Kind
noch nicht rein vom mütterlichen Blute. Während es
trinkt — die Sonne steigt im Meere empor — sieht es
den Vater und läuft zu ihm empor. Auch die aufsteigende
Sonne wendet das Antlitz nach oben, wie der trinkende
Olifat und Maui in einigen Anfangsmythen.
Der Schluss der Version Chamissos ist der Untergang .
der im Meer versinkenden Sonue.
Ein Fisch tötet ihn. Die Mittelteile stellen im asyme-
tischen Rhytmus die Sonnenlaufbahn dsr 9 ). Es ist kein
milder Gott, der Sonnengott, sondern ein grimmer.
Ausgezeichnet ist der Untergang in der Sonnenhöhle
geschildert. Als er in die Grube geworfen wird, wirft er
rote Erde herauf — die Glut der Abendsonne — dann
schwarze Kohlen — die Nacht. Wie die Sonne als ein
Streifen erst am Horizonte erscheint, so lagert sich Olifat
als ein Balken über dem Erdboden.
Sonst steigt Olifat fliegend empor, auch wohl mit
Hilfe des Feuerrauches. — Die Fruchtbarkeit ist ein W r erk
der Sonne. Gräser, Blumen und Obstbäume sprossen aus
der Erde empor, wenn sie aufgeht.
Auf den Gilbert ist zunächst Nareua, der im Morgen-
grauen als Sonne Himmel und Erde trennt, der Sonnen-
held. W ie Quat ist er aus einem Steine emporgesprossen.
Er verleiht die Palmen als Fruchtbarkeit spendender Gott.
Er ist der Wandernde. Er wird, in drastischer Darstellung
*) Lesson Bd. II S. 132.
9 ) Ueber den Rhythmus in den Sonnenmythen anderen Orte».
Einerseits verdankt diese Erscheinung dem Einschaltungsprozesse
ihre Entstehung. (Die Sonnenmythe absorbiert die niederen.) Anderer-
seits mögen mehrere Sonnen, jeden Tag eine neue, angenommen
worden sein, wie z. B. bei den Motu. Yergl. Chalmers S. 175.
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— 119 —
des Unterganges, zerschmettert. Andererseits ist sein
Kiml, der Kopf ohne Glieder, die Sonne. Derselbe wird
am Abend mehrmals zerschmettert, aber am Morgen ist
er stets wieder der vollendete Ball. Wie er auf die Erde
gelegt wird, brennt er; die Sonne bedeckte mit feuriger
Glut, die alle Inseln überzieht, im Sonnenaufgange den
Erdboden.
Die Wandersage ist hier mit der Sonnenmythe ver-
schmolzen 10 ). Die Sonne ist in Samoa, dem Stammsitze
der Polynesien zu Hause. Schirren hat auch in den Wander-
sagen der Maori den Rhytmus der Sonnenmythologie nach-
gewiesen. Aber auch sonst deutet der Charakter dieser
Mythologie mehr nach Polynesien als nach Melanesien.
Besonders der Anfang der Olifatmythen verrät in seiner
durchaus erhabenen Form polynesischen Stil. Wohl ist in
der Gilbertmythe die historische Thatsache sprechend be-
wahrt, aber die Züge sind doch keineswegs derart ver-
menschlicht, wie in der melanesischen Formsprache.
Es erübrigt nun noch, die indonesische Sonnenmythe
zu prüfen. Aber diese Aufgabe wird am besten mit der
des nächsten Kapitels verbunden, in deren Beginn typische
Beispiele gegeben werden sollen.
Jetzt soll aber der Frage nach dem bewussten Gehalte
der Sonnenmythen wenigstens insofern Rechnung getragen
werden, als eine Betrachtung des Sonnenkultus es ermög-
licht. Von kleinen Anfängen der Sonnenfeuer sprach ich schon.
Die Maori widmeten der Aufgehenden eine Verehrung.
Sonne, Mond und Sterne wurden bei Vermählungen ange-
rufen. Die Bewohner Tahitis verrichteten aber nicht allein
I0 ) So hat nicht nur hier ein Stammvater die Sonne erzeugt,
gondern aueh in Samoa verdankt sie dem Ahnherrn ihre Entstehung.
Auf östlichen Inseln Indonesien« spricht man vom „Grossvater
Sonne". Williams: „Narrative" S. 542. Riedel a. a. 0.
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1
— V2Q —
zur Zeit des Sounenauf- und -Unterganges Gebete, sondern
opferten auch Menschen bei bestimmten Sonnen -Erschei-
nungen ir ).
Die Motumotu beten die aufgehende Sonne an. In
Kerepunu beobachteten Chalmers und Gill einen Tanz zu
Ehren der aufgehenden Sonne. In Aneityum wurden Sonne
und Mond verehrt, auf den Banks, auf Florida, den Neu-
Hebriden Wetterzauber mit Sonnensteinen etc. geübt 12 ).
Wohl wohnen die Hauptgötter der Tidoren, Timoren
etc. in der Sonne, eine Verehrung wird ihnen aber nur in
geringem Maasse zuteil. Auf den Philippinen Aru, Leti,
Mota, Lakor etc. wird aber zur Sonne gebetet 13 ).
Grosse Schlüsse lassen sich auch hieraus nicht ziehen.
Vielleicht gelingt es später, wenn Vergleichspunkte ge-
wonnen sind.
") „The New Zealanders* 8. 232 3. Pollack Bd. I 8. 270. Bou-
gainville 8. 191, S. 183.
J1 ) Chalmers 8. 171 2. Chalmers und Gill S. 302 3. Meinicke
8. 334,35. Codrington S. 184. 8. 201 2.
,s ) Eysinga Bd. II 8. 70. Junghuhn Bd. II 8. 316. Auch Riedel;
Bo wring S. 120. Riedel S. 252 8. 372 375.
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VII. Kapitel.
Die Sonnenbahn in Oceanien.
Die Sonnen- und Schöpfungsmythen Indonesien». — Der Typus
derselben. Sonnenstrahlen. Die Tawhaki Mythen Neu-Seelands.
Form und Gestalten oceaniseher Göttergestalten. Die Spinne.
Der Regenbogen. Der Baum als Pfad der Götter und Menschen.
- Die Sonnenbahn.
Die Bantik im nördlichen Teile von Celebes erzählen
von ihrer göttlichen Abstammung Folgendes l ) :
Utahagi, die Tochter der Limumu-ut und des Toar
schwebte mit sechs anderen Nymphen, welche ihre Schwestern
und ebenfalls schöne Frauen waren, vom Himmel herab,
um sich in einem dortigen Brunnen, der sehr helles und
reines Wasser hatte, zu baden. In dieser Zeit wohnte in
Mandolang ein gewisser Kasimbaha, ein Sohn der Mainola
und des Linkanbene, welch letzterer ein Sohn der Limumu-ut
und des Toar war. Da nun Kasimbaha die Nymphen in
der Luft entdeckte, sah er sie zuerst für weisse Tauben
an, bemerkte aber, nachdem sie zum Brunnen gekommen
waren und sich entkleidet hatten, zu seiner grössten Ver-
wunderung, dass es Frauen waren. Während nun die
Nymphen im Bade waren, nahm Kasimbaha ein Blaserohr,
schlich sich durch das Gebüsch möglichst nahe zum Brunnen
und zog durch dasselbe einen der leichten Röcke zu sich
hin. Dieses besass die Kraft, dass derjenige, der es anhatte,
dadurch (liegen konnte. Jedes der Mädchen zog nach be-
') Schmidtmüller S. 536 538.
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122
endetem Bade ihr Kleid wieder an und sehwebteu heim-
wärts; eine derselben konnte aber das ihrige nicht finden
und musste daher zurückbleiben.
Diese war Utahagi, so nach einem weissen Härchen
genannt, welches auf dem Scheitel ihres Hauptes wuchs
und eine besondere Kraft hatte. Kasimbaha brachte sie
nach seiner Wohnung und machte sie zu seiner Frau.
Aus dieser Ehe entspross ein Sohn Namens Tambaga,
welcher sich später mit Matinimbang verheiratete. Einige
Zeit danach teilte Utahagi ihrem Manne das Geheimnis
des weissen Härchens insoweit mit, dass sie ihm empfahl,
ja vorsichtig damit zu sein, weil, wenn sie es durch einen
Zufall verlieren sollte, grosses Unglück daraus entstehen
würde. Ob er nun diesen Worten nicht geglaubt, ob aus
einer anderen Ursache, die man nicht gekannt — kurz
so viel ist gewiss, dass, da er dasselbe ausgezogen, ein
schwerer Sturm, begleitet von Blitz und Donner, entstand.
Nachdem dieses Gewitter ausgetobt hatte, war Utahagi
verschwunden und in den Himmel zurückgekehrt. Ihren
Sohn Tambaga hatte sie bei Kasimbaha zurückgelassen.
Dieses Kind, das nunmehr die mütterliche Brust entbehren
musste, hörte nicht auf zu weinen, was seinen Vater sehr
betrübte. Da derselbe voraussah, dass er seinen Sohn auf
die Dauer nicht würde versorgen können, sann er nach
einem Mittel, auch in den Himmel zu kommen.
Er wollte dies vermittelst einer Rottangrauke thun,
welche von der Erde bis in den Himmel reichte. Aber sie
war voll Dornen. Als er nun dastand und überlegte, was
zu thun sei, kam eine Feldratte, nagte alle Dornen ab und
machte ihm so das Klettern längs der Rottangranken möglich.
Kasimbaha klomm nunmehr, mit seinem Söhnlein auf
dem Rücken, empor. Als sie schon sehr weit gekommen
waren, entstand ein schwerer Sturm im Westen, der sie
nach der Sonne verschlug. Auf derselben war es aber
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— 1 23 —
sehr heiss. Deshalb erwarteten sie den Aufgang des
Mondes, mit dessen Hülfe sie glücklich den Himmel
erreichten.
Ein kleiner Vogel wies ihnen Utahagis Haus. Kasimbaha
ging hinein, konnte aber, da es Abend war, nichts unter-
scheiden.
Ein Johanniswürmchen kam zu ihm und sagte: „Ich
sehe schon, wenn ich Dir nicht weiter helfe, wirst Du
Utahagis Aufenthalt nicht finden, denn in diesem Hause
werden sieben Zimmer von sieben Schwestern bewohnt.
Merke also wohl auf die Thüre, auf welche ich mich
setzen werde, diese nämlich führt in das Zimmer Deiner
Frau." Diesem Rate folgend, trat er in das Zimmer
Utahagis und überreichte ihr ihren Sohn Tambaga.
Sie gab ihm jedoch einen strengen Verweis, da sie
all das ihn überkommende Unglück seiner eigenen Schuld
zuschrieb.
Utahagis Bruder, der auch hnpong (ein Halbgott)
war, sagte zu den anderen Himmlischen: „Was wird das
jetzt? Da meiner Schwester Mann kein Impong ist, kann
er nicht bei uns bleiben. Wir wollen ihn aber auf die
Probe stellen und neun zugedeckte Schüsseln auftragen,
acht mit Reis, eine mit etwas anderem gefüllt. Oeffnet er
die letzte zuerst, so ist er ein Menschenkind und kein
Impong." Diesmal kam eine Fliege Kasimbaha zur Hülfe
und riet ihm, wohl auf ihre Schritte zu achten. Sie sprach:
„Die Schüsseln, in welche ich ein- und aus welchen ich
wieder herausgehe, darfst Du ohne Scheu öffnen; berühre
aber nicht die, in die ich hineinkrieche, aus der ich aber
nicht wieder herauskomme."
Da er die Schüssel mit dem unreinen Inhalte nicht
berührte, war man überzeugt, dass er kein Menschenkind,
sondern ein Impong sei und blieb er daher bei seiner
Frau im Himmel. Später Hess er aber seinen Sohn Tambaga
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— 124 —
an einer hingen Kette auf die Erde herab, der auf diese
Weise in seinen Geburtsort Mandolang zurückkehrte.
Von Tambaga und Matinimbang stammten die Bantik ab.
Auf ßorneo trafen wir verwandte Züge. Von Singalong
Burong, dem Gotte der Kopfjagden, erzählen die Linggas
viele Geschichten. Die hauptsächlichste aber handelt davon,
wie er aus dem Himmel seine Frau, die in einer Schlinge
gefangen und durch seinen alten Feind Apei Sabit Borkait
dort hinaufgezogen war, zurückeroberte 2 ).
Das gleiche Motiv in anderer Form liegt in den
Schöpfungsmythen der ßattak 3 ). Der Gott des Anfangs
Umpang Guru Diatas und sein Weib Butara Diatas hatten
drei Söhne. Von diesen wählte der älteste den Himmel,
der zweite die Erde, der dritte die Unterwelt. An einem
Tau liess der Vater den zweiten hinab und, auf dass er
stehen könne, warf er Erde herab, aus der der Erdball
geformt ward. Der jüngste Sohn in der Unterwelt konnte
aber seinen Vater wegen der dazwischen ruhenden Erde
nicht sehen. Deshalb ward sie zertrümmert. Das ereignete
sich sieben Mal. Als nun der jüngste Sohn zum achten
Male die Erde zerstören wollte, ward der zweite böse; er
nahm ein Eisen und durchstach seinen Bruder mit soviel
Kraft, dass dasselbe durch die Erde in die Unterwelt ein-
drang. Darauf baute er ein Haus. Die Fortsetzung, wie
mittelst des Huhnes Manuk Kredjan Kridjan die Erde be-
lebt wurde, ist im ersten Kapitel besprochen. (S. 10/11.)
Nach einem anderen*) Berichte über die Schöpfungs-
geschichte der Battak war im Anfang ein Huhn, das auf
drei kochtopfgrossen Eiern sass. Es weinte Tag und Nacht,
weil es nicht im Stande war, dieselben auszubrüten. Das
•) John Bd. I S. 71.
s ) Pleyte: „Zur Kenntnis 8.290.
*) Brenner: 8. 217;8.
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125
sah eine Schwalbe und fragte mitleidsvoll: „Warum weinst
Du?" Da klagte das Huhn sein Leid. Alsbald tiog die
Schwalbe dem Himmel zu, wo sie dem Gotte Mula djadi
na bolon erzählte, was sie gesehen und ihn anging, wie
da zu helfen sei. Dieser antwortete: „Eile hin und sage
dem Huhn, dass die Eier mein seien und dass ich für sie
sorgen werde." Da öffneten sich dieselben und ein Knabe
und zwei Mädchen kamen zum Vorschein. Mula djadi na
bolon nahm sie zu sich in den Himmel auf und gab ihnen
Namen. Als sie heranwuchsen und er sah, dass sie nackt
waren, gab er ihnen Hanf, den das Mädchen Si Boro deak
paradjar spinnen sollte, um Kleider anfertigen zu können.
Mit Fleiss ging sie an die Arbeit und war Tag und
Nacht thätig, aber so sehr sie sich auch bemühte, sie
konnte auf ihre Spindel nicht mehr Garn wickeln, als ein
Hühnerei gross ist. Da entglitt ihr diese mit einem Male
und fiel in die weite Tiefe; nur das Ende des Fadens hielt
sie in den Händen. Trostlos wandte sie sich um Rat und
Hülfe an ihren Vater, der ihr den Befehl gab, sich an dem
Faden herabzulassen.
Unten angelangt, fand sie nichts als Wasser und keine
trockene Stelle, auf die sie ihren Fuss hätte setzen können,
bis sie endlich nach langem Suchen eine Blume entdeckte,
die aus den Gewässern emporragte und in deren Kelch
sie sich niederliess. Müde, verlassen und traurig fing sie
an bitterlich zu weinen. Das sah die Schwalbe wiederum
und erkundigte sich nach der Ursache ihrer Thränen.
„Freund", sagte sie, „fliege zu meinem Vater im
Himmel und bitte um ein Stückchen Erde." Die Schwalbe
that wie ihr befohlen und brachte eine Handvoll Erde,
die das Mädchen knetete und wie einen Teig flaeh in die
Breite zog, dass sie so gross wurde, wie ein Büffelfell,
dann legte sie dieselbe flach auf das Wasser — wo sie
immer grösser wurde — und wollte sich eben anschicken,
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126
den Blumenkelch zu verlassen, um das schwimmende Land
zu betreten, als der böse Geist, in Gestalt einer Schlange,
Naga Pahoda erwachte und sich wälzte, so dass das Meer
in heftige Bewegung geriet und die Erde verschwand.
Das Mädchen Hess durch die Schwalbe abermals Erde
holen und vollzog das Schöpfungswerk abermals. Sieben
Mal zerstörte die Schiauge die Erde. Da ward das Werk
mit Hülfe Mula djadi na bolons und einer grossen Trocken-
heit, die alles Meer vertrocknen Hess, so befestigt, dass
die Schlange reumütig sich von dem Mädchen in Ketten
legen Hess. Das Mädchen, zu dem die Geschwister herab-
stiegen, ward die Mutter der Menschheit. Da aber die
Erde alt und schmutzig geworden war, sandte Dibata eine
grosse Flut. Danach nahm er eine Handvoll Erde, druckte
und knetete dieselbe, befestigte sie an einem Faden und
legte sie auf die steigenden Fluten. Da rettete sich das
letzte Menschenpaar darauf. Diese Scholle wuchs in dem
Maasse, als sich die Menschen vermehrten und bildete die
heut bestehende Erde d. h. Sumatra.
Die Mythen unterscheiden sich durch ihren morgen-
ländischen Typus von denjenigen Mikro-Poly- Melanesiens.
Dort handeln Götter und Menschen mit eigenen Kräften
energisch und selbstbewusst. Hier wird viel geweint und
geklagt und müssen Vermittler helfen.
Die Mythen selbst werden als Sonnenraythen insofern
bezeichnet werden müssen, als die Erde Objekt der solaren
Schöpfungskraft ist. Die Erderschaffung als dem von deu
Indonesiern anscheinend am meisten verehrten Weltkörper
(siehe Riedel und Pleyte) tritt in den Vordergrund. Die
Anzeichen der älteren Sonnenmythe sind aber dennoch
unverkennbar. Die Erde wird geschaffen und zerstört, nicht
einmal, sondern oftmals. Sonnenauf- und -Untergang sind
darin versinnbildlicht. In interessanter Weise spielt in die
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1-J7 —
zu Schöpfungsmythen umgewandelten Berichte die Vogel-
mythe herein und trägt in bekanntes Fahrwasser, ebenso
wie die Flutmythe.
Was am meisten Interesse erregen muss, ist aber die
Analogie der Utahagi- Mythe zur letzten Quat- und zu der
Tawhaki- Mythe und der Leinen, der Stricke, der Spinnen-
fäden, der Pfeilleitem, die in diesen allen so klar in ihrer
Bedeutung ausgebildet sind.
Waren schon die Analogien der Vogel- und Flutmythe
in Indonesien und Polynesien sehr deutlich, so ist mit diesen
Fäden oder Stricken noch auffallendere Aehnlichkeit ge-
boten. Dort klettert das erdschaffende Wesen am Strick
vom Himmel herab. In Polynesien zieht Maui mit der
Angelschnur die Inseln aus dem Wasser 5 ). Diese Binde-
glieder werden leicht in dem Strick und Schlingen wieder-
erkannt, mit denen Maui die Sonne fängt 8 ), in den Stricken,
Ranken, Rottangs etc., die im Anbeginn Himmel und Erde
zusammenhalten, die vor der Treunung beider erst zerrissen
werden müssen 7 ).
Schirren meint, es seien in allen diesen Angelschnuren,
Ranken, Flachsbändchen, Ketten etc. Sonnenstrahlen zu
erkennen, Strahlen der Sonne im Aufgang und in der
5 ) iNeu Seeland. Pollack Bd. I 8.12. Earle 8.266. Hoch-
fetter S. 50. Tylor 8. 26. Dieffenbach Bd. II 8. 88/89. Yate 8. 142 3,
Thomson Bd. I S. 109. Nieholas S. 36. Tonga. Dieffenbach Bd. II
S. 89. Mariner 8.428 9. Bastian: „Oceanien* 8.28, 36. Prichard:
„Occanien 44 8.114. Tahiti. Schirren S. 111. Bastian: „Oceanien"
8. 1 etc. Meinicke 8. 334 etc. Andererseits ist auch eine Um-
kehrung zu beachten. Maui steht hier im Kahn und zieht an der
Leine die Inseln empor. Oft sind ausserdem die Kähne der sich aus
der Fluth rettenden an Tauen befestigt. Z. B. Kubary S. 53 55.
Das Seelenschiff ist nach der Dajakmythe mit einem Tau an die
Seelenstadt befestigt. — Grabowsky : „Tod, Begräbnis 44 8. 184. Nord-
westamerikanische Analogien sind häufig,
•1 Siehe Kapitel 6.
T ) Siehe Kapitel 18.
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Mittagshöhe 8 ). Wir wollen prüfen, ob hier Schirren tief
genug gegriffen hat. Als Bahnen der Götter gelten an
bestimmten Erscheinungen: der Spinnenfaden, der Regen-
bogen und der Baum einerseits, dann Strick, Rottang, Kette,
Ranken etc. anderseits.
Die Spinne gemahnt zunächst an den neuseeländischen
Tawhaki, von dem die Mythen folgendes erzählen:
Tawhaki ward auf dem Rückwege vom Fischfang von
zweien seiner vier Schwäger erschlagen, von seinem Weibe
Hinepiri-piri aber wieder belebt. Er nahm für den Tod
seines Vaters Rache. Mit einem Mädchen, das vom Himmel
zu ihm herabstieg und bei ihm blieb, erzeugte er eine
Tochter Arahuta. Dies Weib verliess ihn gekränkt und
flog auf zum Himmel. Da wanderte er aus, um sie zu
suchen, nahm seinen Weg bei der Festung Tongameha vor-
bei, in deren verbotenen Anschauen einer seiner Sklaven
den Tod fand, und erreichte den Ort, wo seine Ahnfrau
Matakerepo die Enden der Schlingpflanzen, welche vom
Himmel herabreichten, in der Hand hielt.
Nachdem er und sein Bruder Karihi der Alten einen
Streich gespielt hatten, wie Maui sie sonst gern ausführt,
wurden sie bewirtet und am Morgen ermahnt, nur an
solchen Ranken aufzuklettern, welche vom Himmel herab-
hängen und im Erdboden W T urzel geschlagen haben. Karihi,
welcher fehl griff und eine lose herabhänge Ranke erfasste,
ward vom Winde himmelauf und himmelab geschleudert,
sprang aber zur rechten Zeit noch auf die Erde.
Tawhaki aber erreichte den Himmel, wo er seinen
himmlischen Schwägern beim Kahnbau half und endlich
von seinem Weibe erkannt ward. Als er die kleine Tochter
taufte, ging Glanz von ihm aus und seine Ellbogen flammten
Blitze •).
8 ) Schirren S. 145.
») Schirren S. 41 und 126.
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— 1-29 -
Nach einem anderen Berichte ward Taki (Tawhaki),
Mauis Bruder, an einem Spinngewebe gen Himmel empor-
gehoben und sein rechtes Auge als Polarstern eingesetzt,
weil er Maui bei seinen Abenteuern unterstutzt hatte.
Andere Nachrichten lassen auch in der ersten Mythe Taw-
haki am Spinngewebe zum Himmel und vom Himmel
zurückgelangen 10 ).
Die Eigentümlichkeiten Tawhakis als Gewittererzeuger
sind klar ausgesprochen 11 ). Seine Kinder sind der Donner
und der Regenbogen; er erzeugt Donner und Blitz.
Zur niederen Mythologie tritt Tawhaki insofern in
Beziehung, als er die Seelen der Häuptlinge am Spinnfaden
ins Jenseits trägt 12 ) und zur Sonnenmythe insofern, als —
wie Olifat — sein Leib, ehe er wieder zusammengefügt
war, nach seinem irdischen Tode von Vögeln zerfressen
ward, als fernerhin sein Gefährte herabstürzt und mit
seinem Blute den Horizont rot färbte 13 ).
Die Beziehungen der Tawhaki-, zur Utahagi- und der
letzten Quat- Mythe sind so klar, dass ich mich mit Ver-
gleichen derselben nicht weiter aufzuhalten brauche. —
Schirren sagt, Tawhaki sei identisch mit Maui, Waitz be-
streitet das; Schirren fasst ihn als Donnergott, Waitz als
Wolkengott auf.
Inbezug auf erstere Ansichten kann man sagen, dass
beide Gelehrte Unrecht haben. Es ist falsch, einem ocea-
nischen Gotte einen ganz unabhängigen und selbständigen
Charakter unterzuschieben. Es giebt keinen Gott, der
,0 ) Tylor S. 37/8. Thomson: „New Zealand* Bd. I S. 112. Yate
8.144 5. Bastian: „Hawai w 8.98. Anmerkung „Oceanien* 8.145.
n ) Nicholas S. 36. Shortland bei Bastian : „Allerlei 44 Bd. I S. 318.
Bastian: „Oceanien u S. 219.
'*) Thomson: „New Zealand" Bd. I S. 112. Bastian: „Ooeanien"
8. 145.
1S ) Bastian: „Oceanien" 8.157. Waitz Bd. VI 8.273.
Frohenius, Weltanschauung der Naturvölker. 9
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— 130 —
nur Donnergott, Wolkengott, Sonnengott, Meeresgott etc.
ist. Wohl kann mit einer solchen Beziehung die Richtung
der Entwicklung angegeben werden, aber mit einer solchen
hat man nur eine Seite, eine Eigenschaft, einen Zug des
Gottes geschildert. Man mag auch wohl damit seine Haupt-
eigenschaft, eben sein Entwicklungsziel, entdecken.
Beurteilt man diese Gottheiten nicht von diesem Stand-
punkt aus, so begeht mau einen Gewaltakt. Man bricht
alle die feinen Beziehungen. Uebergänge, Verwandtschafts-
zuge ab, durch die sie seit ihrer Entstehung verbunden
sind. Man wird die grosse Menge der wichtigen Ent-
wicklungs- Erscheinungen überhaupt ubersehen.
Vor allen Dingen haben auch diese beiden Gelehrten,
und zwar eben aus besagtem Grunde, die Gesetze der
herrschenden Motive, des Rhytmus, der Einschaltungen
übersehen. Sie, und Achelis ebenfalls, haben die Spiegel-
bilder Mauis in allen möglichen Gottheiten wiedergefunden.
Indem sie aber die Ilaupterscheinungen der Maui- Mythologie
vom Standpunkt Mauis aus betrachteten, verwechselten
sie Ursache und Wirkuug; die Beziehungen, die wir mit
Leichtigkeit auffanden, sind jenen, wenigstens in ihrer
schwerwiegenden Bedeutung, entgangen. (Mauis Ursprung!)
Ganz abgesehen davon, ist die Betrachtung Tawhakis
als eines werdenden Gewitter- und Wolkengottes eine
berechtigte, die aber auf sein Verhältnis zur Spinne kein
Licht verbreitet. Demgemäss muss die Ansicht, dass es
sich um ein Verhältnis zur Sonne, das den Spinnen -Mythen
eigen ist, handele, als die berechtigtere zunächst er-
scheinen. Auch ist die inmitten des Faden -Strahlen-
kranzes hockende Spinne kein unebenes Symbol der Sonne.
In den Quatmytheu tritt die Spinne zum zweiten Male
auf. Marawa baut das Boot — sonst eine Handlung des
Sonnengottes — , Marawa befreit Quat, der auf dem Baume
gebannt ist, indem er sein Haar zu ihm heraufwehen lässt.
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131 -
Marawa holt Quat unter dem Steine hervor aus der Höhle,
in die er geworfen ist. Marawa tritt also alle dreimal
mit dem Sonnen -Auf- und vor allem mit dem Untergänge
in Verbindung. Sonst ist nicht viel zu sagen. Die Palauer
wahrsagen aus Spinnweben, die Maori erklären die Spinne
für einen ihrer Götter 14 ).
Den Regenbogen bewohnt Uenuku. ein Sohn Tawhakis 1 5 ).
Der Regenbogen ist das Symbol der Schönheit. Auf Tahiti
lieisst des Königs Kanoe also, die Mutter Mauis wird die
Regenbogen gleich genannt. Der Regenbogen ist der Gürtel
Tangaroas.
Vor allen Dingen ist der Regenbogen aber die Brücke
der Götter. Als ein Uebergang zum Folgenden mag es be-
zeichnet werden, wenn er auch der Pfad Oros, des Stamm-
vaters der Areoi, ist 16 ).
Auf Neu -Seeland, den Philippinen und Serang gelangt
die Seele entweder auf ihm wandernd oder von ihm gehoben
in das Jenseits. In Hawai verrät der Regenbogen den
Aufenthaltsort der verborgenen Häuptlinge 17 ).
Ein gleiches Resultat zeitigt die Betrachtung der Baum-
pfade. Zunächst klimmen die Götter auf ihm himmelauf und
himmelab 18 ). Dann ist wieder der Baum als Kommunikations-
mittel der irdischen mit der Naturwelt wohl bekannt als
Sprungbrett, als Brücke etc. 19 ). Vergessen werden dürfen
u ) White bei Bastian: „Hawai" 8. 80. Kubary 8. 41.
,5 ) Thomson: „New-Zealand u Bd. 1 S. 111. Bastian: „Oceanien"
S. 145.
") Bastian: „Oceanien" 8. 46 und 22. Bastian: „Hawai" 8. 13,
S. 66. Schirren S. «6. Die beiden letzten nach Mörenhut.
") Pollack Bd. I 8.273. Bastian: „Oteanien" 8.219. Marsden
8.203. Riedel 8. 145. Bastian: „Hawai" 8. S.
") Turner 8. 246, 8. 247. Bastian : „Oceanien" 8. 36, 8. 45, 8. 30
und a. a. O. Vergl. auch den Baum in Mondinythen.
'») Auf Ysabel : Codrington 8. 257, 8. 180. Auf Yap: Kubary S. 7.
AufJSamoa: Turner 8. 235/6. Auf Neuseeland : Hochstetter 8. 55 etc.
0*
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- 132 —
hier allerdings die Mythen vom Ursprung der Mensehen
aus Bäumen nicht 20 ).
So mag mehreres zusammeufliessen. Ausschlaggebend
ist hier aber das Auftreten der Bäume in den klaren
Sonnenmythen. Olifat färbt die Bäume mit seinem Blute
rot. Das ist noch nichtssagend, denn es ist damit nur
angedeutet, wie der Abglanz der aufgehenden Sonne die
Baumstämme bemalt. Weiterhin steht am Eingang der
Sonne nach Palau- Mythe der dichte Wälder bildende Denges-
baum. Quat wird auf den Baum gebannt 21 ).
In eine direkte Beziehung zum Lichte und zur Sonne
treten aber die Blätter. Die Tangaro - Brüder der Banks-
Inseln sind nach Baumblättern benannt. Blätter dienen
auf Florida beim Zaubern zwecks Sonnenscheines. Blätter,
die auf die letzte Stelle des Schattens in der Abendsonne
geworfen sind, dienen in Fidji der Baumverehrung. Auf
Maewo werden auf einen Stein unter einem Baume Blätter
gelegt für Fruchtbarkeit der Schweine. Ueberschattete
Blätter sind auf Vate gut zum Krankmachen und des-
gleichen mehr 22 ).
Als Quat dem Quasawara entflieht, steigt er auf einen
Casuarinabaum. Derselbe wächst bis zum Himmel, biegt
sich dann wieder, und so kommt Quat wieder auf dem
Erdboden an.
So ist der Baum nicht nur ein Weg der Seelen ins
Jenseits, sondern auch der Sonne am Firmament. Denn
es ist kaum anzunehmen, dass er eine mythologische Form
der Sonnenstrahlen ist.
2a ) Vcrgl. L. F.: „Ursprung der Kultur«, S. 296/208.
51 ) ChamisBo Bd. II S. 260. Kubary S. 57. Codrington 8. 160.
") Codrington S. 201/2. Hawkesworth Bd. II 8. 235. Bastian:
„Oceanien* 8. 74 8. 89, S. 92, 8. 141, 8. 12/3. Ueber Pisangblfttter:
Turnbull 8. 94. Wilson : „Missionareise* S. 375, 8. 399 460 u. a. a. O.
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133 -
Ich halte auch die Stricke, an denen die Götter von
oben die Erde herniederlassen, die Leine, an der Maui die
Erde hinter sich herschleppt, die Pfeilkette, an der Quat
zum Himmel emporklimmt, nicht allein für Sonnenstrahlen,
dazu sind sie zu markant und kompakt ausgebildet. Das
ist die Bahn der Sonne.
Wenn das so ist, so fragt es sich, wieso die Menschen
stets auf denselben Wegen wandern, wie die Götter?,
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VIII. Kapitel.
Die Seelen-Sonnenbahn und Abteilung in Oceanien.
Die Seele folgt der Sonne. Die Seele auf der Sonnenbahn.
— Maui als Schiingenfänger und Strickverfertiger. - Die Seelen
im Netz der Sonne. — Die Seelen in Schlingen gefangen. — Der
Strick im Tempel. Die Strick-Seelen der Götterbilder. - Der
Strick beim Gebet. — Der Strick als Trauerzeichen. Seine Be-
ziehung zur Hüttenmaske. Der Strick als Zaubermittel (Amulett).
— Der Strick als Hohheitszeichen.
Es ist jetzt Zeit, an das zu erinnern, was die Vogel-
mythe schon lehrte: die Art der engen Beziehung zwischen
hoher und niederer Mythologie. Ich habe es mir nicht
zur Aufgabe gestellt, nochmals die Sonnenmythen Oceaniens
darzustellen, sondern ihr Wesen und ihre Entstehung
kennen zu lernen. Und dafür ist jetzt schon mancherlei
gewonnen.
Der Vogelgott trügt die Seele der Sonne nach ins
Jenseits, das war ein P>gebnis des ersten Kapitels. Die
Seele wandelt auf den Sonnenpfaden der Götter, konnte
ich zuletzt feststellen. Das Bindeglied dieser Variationen
macht deu Eindruck einer primären, somit hochwichtigen
Anschauung. Schon die Mauimythen weisen darauf hin.
Wenn Maui nicht gestorben wäre, so stürben auch
die Menschen nicht. An der Stelle, die schon Maui auf
dem Wege zu Mauike passierte, geht der Weg der Seelen
ins Jenseits. Die Häuptlinge höheren Ranges folgen Maui
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135
in die Sonne l ). Wie Mauis rechtes Auge die Sonne. Tawhakis
Auge der Polarstern ist, so glänzen die linken Augen der
Häuptlinge als Sterne am Himmel 2 ).
Die Seele folgt der Sonne!
Die grösste Freude der Seelen auf Mangaja ist es, der
Sonne folgen zu können. Auch auf Puka-Puka eilt alles,
was dem Zorne der Vaeru entrinnt, hinter der Sonne her.
Auf Hawai führt ein Gott mit Namen „der Augenball der
Sonne" die Seelen gen Himmel. Durch die gleiche Oeffnung
wie die Sonne steigen die Seelen in die Unterwelt. Der
Sonnengott Ra sucht in der Tiefe seine Frau auf, die mit
an das Kinn gezogenen Knien in einer Höhle ruht 3 ).
Diese Stellung is einerseits die des Kindes im Mutterleibe,
andererseits die des Leichnams im Grabe.
Daher wird die Leiche der Samoaner mit dem Kopfe
dem Aufgang der Sonne zu gebettet, deshalb erscheinen
Anzeichen kämpfenden Kriegs auf der Sonne, deshalb lebt
unter der Erde ein einäugiger Stamm. Wenn eine Frau
von der Sonne schwanger wird, so liegt darin eine Um-
kehrung *).
Auf den Salomonen folgen die Seelen der Abgeschiedenen
der Sonne und steigen mit ihr in den Ocean. Auch auf
den Neu-Hebriden liegt die Unterwelt im Westen. Die
Mythe der Carolinen versetzt eine grosse Anzahl Menschen
auf die Sonne*).
l ) Thomson: „New Zealand" Bd. I 8. 110. Schirren S. 34 (nur Ii
8hortland). Gill 8. 73/4. Förster 8. 463, 8. 454, 8. 441.
*) Pollnek Bd. I 8. 16, 8. 61. „The New Zealanders" S. 233.
Dumont DTTrville 8. 81. Nichola» 8. 31/2. Dieffenharh Bd. II S. 67.
Yate 8. 142.
*) Gill 8.75, 8.912, S. 77. Elli*: „Hawai 14 8.129. Bastian:
„Hawai 1 * 8. 43. Stolpe 8. 28. Gill 8. 74.
*) Turner 8. 230. Pollack Bd. 1 8. 245. Dieffenharh Bd. II,
8. 118. Gill 8. 74. Turner S. 148/9.
R ) Bastian: „Ozeanien* 8. S2. Meinirke 8. 338. Hockin 8. 25.
I
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— 13«
Du siehst zum letzten Mal das Auge des Tages („die
Sonne u ) wird dem Toten gesagt, denn jetzt sinkt er mit
dem Sonnenball in die Unterwelt. „Die Sonne eines Königs
ist untergegangen", klagte ein Priester beim Tode des
Häuptlings 6 ).
Die Seelen der verschiedenen Dajak gleiten im Toten-
schiff ins Jenseits. Dasselbe hat ein Feuerfeld zu über-
winden, dessen Herr Sempon Telon ist. An der Spitze
des Vogeltotenschiffes steht deshalb dessen Lootse. Seine
Haare sind feurig und seine Schienbeine scharf wie Messer,
mit denen räumt er alle Hindernisse aus dem Wege 7 ).
Das ist die Sonne und das mächtige, himmlische Vogel-
Totenschiff der Dajak. Von Santa Crux, Sumatra, Neu
Guinea wird berichtet, dass die Seelen zunächst geröstet
werden und dass die Sonne so nahe an ihrem Aufenthalts-
ort vorbeikomme, dass sie arg litten 8 )
Also in welche Richtung wir schauen, welches Kapitel
wir auch aufschlagen, überall klingt die Melodie von den
der Sonne folgenden Seelen. Daher ist auch in all jenen
Mythen von den Ranken, Stricken, Ketten kaum ein anderes
Motiv zu vermuten, oft sind es Umkehrungen der ein-
fachsten Art. Wie die Seelen der Toten hinabsteigen auf
der Sonnenbahn, so klommen einst die Ahnen empor an
den Bindegliedern zwischen Himmel, Erde und Unterwelt,
die von den Sonnenstrahlen herstammen mögen, aber als
selbstständige Sonnenbahnen ausgebildet sind.
Die Maori-Toten steigen an Ranken nach Hawaiki ein.
Die Rarotonga-Ahnen kletterten von Awaiki empor. Im
Anfange Hessen die Menschen im Himmel ein Rohr herab,
«) Junghuhn Bd. 11 8. 141. Williams: „Fidji" Bd. I S. 196.
7 ) Grabowsky: „Tod, Begräbnis 14 , 8. 184 mit Tafel. Siehe auch:
Bastian: „Zur Lehre" Bd. II Taf. 1.
8 ) Codrington: 8. 264. Pleyte: „Zur Kenntnis" 8. 291. Marsden
8. 386. Chalmers S. 169.
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— 137 —
damit die Motu (Neu Guinea) emporsteigen könnte. Die
Tanembar Insulaner stellen eine grünende Bambusstange
auf, daran die Seele ins Jenseits gelange 9 ). Wir haben
oben gesehen, wie die Ahnen der Battak und Bantik am
Tau zur Erde gelassen wurden.
Für den Weg nach Reinga (Totenland der Maori)
# nimmt der an der Küste Wohnende ein Bündel Seegras,
der im Inlande Wohnende ein Blatt des Palmbaumes mit
sich. Diese Blätter und Bündelchen werden an den Rast-
punkten auf der Reise liegen gelassen. Es sind die Bruch-
teile des Sonnenpfad-Strickes. Dieselben Bündel kehren
nämlich als Kreise geflochtenen Grases an den Schädeln
der Toten wieder. Dies Gras war an heiligen Plätzen ge-
pflückt und wieder von den schattenhaften Geistern der
verstorbenen Häuptlinge auf dem Wege ins Jenseits nieder-
gelegt 10 ). Auf Tahiti haben die für die Götter bestimmten
Opfergaben tragenden Menschen, Stricke um den Hals.
Ehe die Leichen auf Mangaja versenkt werden, wird ihnen
ein Tuch um den Leib gebunden 11 ). Das möge als Bei-
spiele der sich auflösenden Sonnenbahn-Himmelsleiter ge-
nügen.
*) Bastian: „Oceanien" S. 212. Schirren S. 108. Chalmers S. 174.
Riedel S. 307. Auf Rajatea wird Po in eine Höhle am Meeresstande
verlegt. Da unten herrscht als Totenfürst ein alter Häuptling, der
sich zu Lebzeiten durch grosse Grausamkeit ausgezeichnet hatte.
Als er daher, so erzählt die Mythe, durch Neugier getrieben, sich
von seinen Leuten an einem Seile dahinablassen Hess, schnitten die
das Seil haltenden Männer dieses ab und Hessen ihn hinabstürzen.
— Tyrmann und Bennet Bd. 1 S. 539. Schirren S. 92. Bastian:
„Oceanien* S. 21.
lü ) Taylor S. 104. Pollack Bd. I S. 78.
n ) Ellis: „Pol. Res." Bd. II S. 215. Rienzi Bd. III S. 24. —
Bei der Aufbahrung wird die Leiche auf den Nikobaren an Ellbogen,
Hüften und Füssen mit Stricken gebunden, die erst im Grabe wieder
gelöst werden. Svoboda Bd. VI S. 26.
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— 138 —
Eine andere Gruppe von Beziehungen gipfelt in der
Mythe von Maui als Schiingenfänger. Er fängt mit der
Schlinge die Sonne, um ihren Lauf aufzuhalten. Oder er
stellt dem Gestirne Netze. Oder er bindet den Feuerball
an den Strahlen fest 12 ). Einige Züge sind besonders
charakteristisch. Hikuleo, in diesem Falle die Sonne, — denn
er raubt die Erstgeborene der Häuptlinge auf Tonga d. h. ,
die Seelen der Vornehmen folgen der Sonne — wird von
Maui mit einem Strick unter der Erde festgehalten oder
gebändigt. Auf Neu Seeland sind die Taue Mauis zu
den Sonnenstrahlen geworden, eine hübsche Umkehrung.
Auf Tonga ist die Kanke, an der der Kaituhu emporklimmt
von Maui gepflanzt. Ueberhaupt: Maui ist der Strick-
*
verfertiger l3 ).
Nach Melanessien zu ist wenig Klares, fundamental
AYichtiges in diesem Falle zu finden. Wichtig ist eine
Mittheilung Walpoles. Einst lebte ein Mann, der mit allem,
so auch mit seinem Hause unzufrieden war. Er wollte
sieh eines aus grossen Steinen aufbauen, aber konnte nicht
fertig werden, da die Sonne zu rasch ging. So fuhr in
seinem Kahne aus und stellte der Sonne Schlingen und
Netze in den Weg. Aber vergebens! Sie durchriss alle
und zog weiter. Da er aber ein grosser Krieger war, Hess
Itu für ihn eine Ranke wachsen. Daraus machte der Mann
eine Schlinge und fuhr abermals im Kahn heraus. Es
war die Zeit im Jahre, da die Sonne schwerfällig, müde
und schläfrig ist.
,J ) Tyrinann und Bennet Bd. II 8. 40; 1. Bastinn: „Oceanien"
8. 9 und 158. Yate 8. 143 (siehe auch Rosenberg S. 175, wonach der
Lauf des Mondes an den der Sonne gebunden ist). Wilson:
„Missionsreise* 8.208 9. Schirren 8.38. Bastian: r Hawai* 8.17.
,a ) Schirren S. 72. Thomson: „New Zealand" Bd. I 8. 110.
Schirren 8. 81, 8. Hl. 8. 09. Bastian: „Hawjti- 8. 35. „Oceunien 8. 45.
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139
So vermochte sie sich von der übergeworfenen Schlinge
nicht zu befreien. Vergebens schrie sie: der Mann baute
sein Haus weiter. — Auch hier ist nur die Schlinge von
Itu zum Sonnenfange geeignet. Auch sonst vermag sie nur
der Sohn, den die von der Sonne geschwängerte Frau ge-
boren hat, dem glühenden Ball vom Baume aus die Schlinge
werfend, zu fangen. Auf Fidji aber sinkt die Mythe ganz
in den Kreis der niederen Anschauungen. Reisende binden
auf den Hügeln Bäume aneinander, um vor dem Unter-
gang der Sonne die Stadt zu erreichen 14 ).
Wie viel grösser ist das Bild aber im eigentlichen
Polynesien gemalt Maui mit dem wallenden langen Haar
stellt das Netz. Mit Stricken war die Sonne nicht zu
fangen, wohl aber mit Haaren 15 ). Aber trotzdem sind
auch in Polynesien die Farben aus der niederen Mythologie
genommen.
Die Seelen derjenigen, die des natürlichen Todes
sterben, lassen sich auf Mangaja auf dem Bua-Baume nieder.
Sogleich taucht dieser mit seiner Bürde in die Tiefe, die
Unterwelt herab. In den Wurzeln erblickt der Menscheu-
geist nun ein grosses Netz, das dort unten ausgespannt
ist, um ihn aufzufangen. Sowie er hineinstürtzt, wird er
wie durch Zufall in die Höhe gezogen und die halbertrunkene
Seele tritt nunmehr zitternd vor die schreckliche Miru, all-
gemein die „Rötliche" genannt, weil ihr Gesicht die Hitze
des stets glühenden Ofens zurückstrahlt 16 ).
Den glühenden Ofen konnte ich oben auf die Sonne
zurückführen. Die Bedeutung Miru's ward im ersen Ka-
pitel besprochen. Der Baum, das Netz kurz alles ist
'*) Waitz Bd. VI 8. 252,3. Sehirren 8. 37. Bastian: ..Oeeanien*
S. 45 46. Turner 8. 248/9. Williams: .Fidji- 4 8. 250.
15 ) Bastian: „Zur Lehre" Bd. 1 8.145. r Oee»nien u S. 17 und
146. Former 8. 444. Sehirren 8. 8 ).
,8 ) Gill 8.81. Dasselbe auf Karotongn ebenda 8. 81» HO.
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140 —
deutlich. So ist denn die Sonne als ein grimmiges, heim-
tückisches Wesen gleichsam mit der Spinne identifizierbar,
die auf Beute lauernd im Innern des Netzes hockt, stets
bereit, sich der armen Seelen, die sich in ihrem Strahlen-
glanze fangen, zu bemächtigen. Tawhaki, der im Spinnen-
faden sich zur Erde herablässt und die Seelen tapferer
Häuptlinge zum Himmel emporträgt, ist nur eine veredelte
Form desselben Motives.
/i Dieses Motiv tritt im Dienst der niederen
Mythologie im Kultus auf. In drastisti-
scher Weise ward auf Aitutaki die Gottheit
mit Schlingen eingefangen, um entweder das
Kind im Mutterleibe zu beleben oder ihn zu
Jt zwingen der Partei im Kriege den Sieg zu
verleihen. Auf Rarotonga ward der Gott
Oro so eingefangen, auf Hawai die Seelen
die den Körper des Lebenden verlassen
hatte 17 ). (Vergl. nebenstehende Figur.)
Wie auf Rarotonga, Aitutaki etc. die
lwsietenTnÄ'ki Sonnengottheit *Ke Seelen der Toten im Netze
(nach j. wiiHams). auffängt, so auf Puka-Puka die Priester.
Die heiligen Männer gebrauchten im Jahre 1802 auf
dieser Insel zwei Ere vaerua, d. h. Schlingen, um die Seelen
zu fangen, aus starken Fasern geflochten, die eine Schlinge
von 28 Fuss Länge, die andere von der halben. Die
Schleifen, welche an jedem Ende angebracht waren, hatten
eine verschiedene Grösse, angemessen den Grössenverhält-
nissen des Geistes: denn einige sind dünn, andere dick.
Wenn nun jemand recht krank wird oder die heiligen
Männer gekränkt hat, dann hängen die Priester einige von
den Geisterschlingen in den höchsten Zweigen der Bäume
auf und erwarten nun das Entschlafen des Geistes. Wenn
') Williams: ,.Narrative k ' S. 10S 9, S. 342. Bastian S. 46 und 66.
!
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die Seele des Kranken nicht in die Sehlinge in Gestalt
eines Insektes oder eines Vogels fährt, so erholt sich der
Kranke wieder, aber wenn, wie die weisen Männer ver-
sichern, der unglückliche Geist sich in den Schlingen ver-
strickt, so ist keine Hoffnung mehr vorhanden. Der
Dämon Vaerua, d. h. „Geist", der in dem Geisterlande
herrscht, trägt den unglücklichen Geist jetzt eiligst davon
in die Unterwelt, um ihn zu verschmausen 18 ).
In Indonesien fehlen Anklänge nicht. Nach der Dajak-
Mythe ward das Weib des Kriegsgottes von dessen Feind
in einer Schlinge gefangen und gen Himmel gezogen. Die
Niasser halten den Regenbogen für ein Netz, das Nadaaja
ausgeworfen hat, um Menschen zu fangen 19 ).
Aber auch die ureigentliche, unverfälschte Sonnenbahn-
Himmelsleiter ist im Kulte wiederzuerkennen. Im Bure-
Tempel hängt auf Fidji ein langer Streifen aus weissem
Rindenstoff herab. Der Priester, der die Gottheit befragen
will, setzt sich hinter diesen Stoff*. An demselben lässt
sie sich herab, um den Priester zu begeistern. In Tobi
steigt der Gott an einem Brette herab, das ebenfalls im
Tempel aufgehängt ist 20 ). Deshalb hängen auch wohl in
den Tempeln die heiligen Gegenstände in Körben oder ein-
fach angebunden vom Dache herab 21 ).
Im Falle schwerer Krankheit wird auf Nias vor dem
Hause eine mit Palmblättern verzierte Stange aufgerichtet,
von deren Spitze eine Kette mit gleichem Schmuck nach
18 ) Gill S. 81, S. 91, S. 912. Williams: „Narrative" 8. 10S.
Bastian: „Oceanien" 8. 22, 8. 26, S. 211.
l ') John Bd. I 8. 71. Rosenberg 8. 175.
so ) Williams: „Fidji- Bd. I 8.222/3, 8.224 5. Bastian: „Oee-
anien« 8. 68, S. 110.
") Turner 8. 240 1. Williams: „Narrati ve u S. 819. Williams:
„Fidji" Bd. 1 8. 221.
i
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U'2 -
einem von dem Ere auf der Firste des Daches befestigten
Troge läuft. Der Ere nimmt nun ein Schwein, bringt
dasselbe auf das Dach und bietet es dem Geiste als Sühn-
opfer an. Er tötet es und lässt es von dem Dache herunter-
fallen. Der nach dem Schweine begierige Teufel lässt sich
an der Kette herunter und der betreffende gute Geist sorgt
dafür, dass der schlimme nicht wieder heraufkommt. —
Bei den Bliksu in Macassar werden Schnüre aufgehängt
zum Herabsteigen des Geistes 22 ).
Die Bedeutung, die der Strick derart gewonnen hat,
lässt sich noch nach zwei anderen Richtungen feststellen.
Die Götterbilder der Hervey-Inseln waren mit einer Hülle von
Tapa und Stricken umgeben. Die Art der Umwickelung
war durchaus nicht gleichgültig und die Mangaja
behaupteten, die Art und Weise der Umschnür-
ung von den Göttern gelernt zu haben. Be-
sonders interessant aber ist es, was Williams
feststellte. Unter der Umhüllung einer solchen
Götterstatue fand er nämlich eine einzelne
Schnur, die als Manava „the soul of the god"
bezeichnet wurde 23 ). (Vergl. nebenstehende
Figur.)
Auch die Götterbilder Neu -Seelands waren
mit Flaxbändern umgeben. Die heiligen Namen
derjenigen, die sie anfertigten, sind interessant.
Se biidnu$es SS 1 " ^ er erste ist üm-manu. Uru ist nicht nur der
(nacH'MfLs). Schädel, sondern „Oro", der Gott des Krieges, der
in manchem Zuge seine Bedeutung als Seelen-
führer der tapfereu Häuptlinge erkennen lässt; manu weist
auf den Vogel hin. Der zweite Name ist Taki-taki. Das
Wort ist wahrscheinlich eine Kontraktion von Tawhaki und
") Rosenberg 8. 174/75. Bastian: „Fetisch" 8.42.
") Stolpe 8. 46 und 53. Williams: ,.^arrativc^ S. 115/6 8. 117.
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143
ist auch mit diesem Nameu ein Hinweis auf den gleichen
Sinn verbanden. Im übrigen werde den Götterbildern
auch eine Schnur umgebunden, wenn ihre Belebung durch
den Gott selbst zwecks Konsultation erwünscht war 24 ).
Die oben erwähnten Flaxbündel oder Blätter, die deu
Toten mitgegeben werden, führen zu der zweiten Gruppe
der Erscheinungen. Wir sahen schon, wie den Toten ein
Tuch umgebunden ward. Auf Tonga und Neu-Seeland wird
ihnen ein Blumenkranz geweiht, der wahrscheinlich auch
eine Form der degenerierten Himmelshahn ist. Der Priester,
der beim Tiwah die Rolle des Seelenführers auf Borneo
übernimmt, trägt eine Achatperlenkette 25 ).
Ks ist naheliegend, dass sich die Menschen auch mit
dem Strick umgürten, wenn sie beten oder den in der
Krankheit dem Körper entwichenen Geist zurückrufen
wollen 26 ). Ich brauche wohl nicht auf die im Osten be-
sonders häufige Sitte, den Schädel des verstorbenen Gattea
umzubinden , hinzuweisen. Der Mensch will mit seinem
lieben Toten in Verbindung bleiben. Auf Neu-Hebriden,
Tahiti und Markesas sind Arm- und Halsbänder aus dem
Haare der verstorbenen Freunde beliebt 27 ).
") Taylor 8. 67, S. 72 3. Siehe auch Kap. 1.
") Rienzi Bd. III 8.174. Mariner 8.308. Grabowsky „Tod"
S. 197 und 196.
2B ) Xicholais 8. 76. Mariner S. 215, 8. 292, S. 293. Wilson:
r Missionsreise" S. 300. Finsch: Ethnol. Erf." 8. 457. Svoboda Bd. VI
8.13. Parkinson: ^Gilbert" 8. 44. Die beim 8aki (Blutbestreichen)
ausgesprochenen Wünsche werden durch Umbinden einer Palmschnur
festgehalten. Bastian : „Zur Lehre-' Bd. II S. 83. Aha ist ein vom
Gefaser der Kokosnuss gedrehter Strick und bedeutet ein mit dem
Kapu verbundenes Gebet: Bastian: „Manuskript" 8. 145. Ich will
schon hier darauf hinweisen, dass die Lappen an den Tabupfählen
wahrscheinlich auf nichts anderes zurückzuführen sind, als die
Himmelsleiter, an der die Geister sich in den Stab herablassen sollen.
2T ) Melville S. 85. Turner S. 80. Wilson: ..Missionsreise*
S. 387.
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1
144 —
Damit bin ich denn bei der Deutung eines der sonder-
barsten und verbreitetsten Trauergebräuche Oceaniens an-
gelangt, bei dem Trauerstrick. Ks ist das Band, das den
Toten noch an die zurückgebliebenen Trauernden fesseln soll.
Trauernde Maori-Frauen weben einen Rosenkranz von
grünen Blattern oder einen schönen aus Leukopodium.
Die Haupttrauernde, eine ältere Frau, trägt um die Schläfen
einen Rosenkranz von Hundehaaren, sowie einen sehr ge-
schmackvollen von schwarzem Meergras. Die Alten be-
decken sich bei der Totenklage die Häupter mit Kränzen
von grünen Blättern 28 ). Auf Tahiti wird sowohl ein Schleier
als auch eine Schnur mit Perlmutterschalen und Daumen-
nägeln als Trauertracht erwähnt. Die Trauernden Man-
gajas umhüllen sich mit geisterhaftem Netzgeflecht von
Kräutern und niederen Schlingpflanzen, gefärbtem Garne
vergleichbar. Als die Häuptlinge Tongas den Ort, wo die
Leichen der Fürsten liegen besuchten, hatten sich alle
statt in die gewöhnliche Kleidung in Matten gehüllt und
trugen aus dem Laube des Iii- Baumes gemachte Stricke
um den Hals. Mariner war Zeuge eines interessanten
Sittenwechsels. Der selbständige Fürst Finow Hess näm-
lich eines Tages statt des Laubes des Ifi-Baumes Kränze
aus bunten Blumen als Trauerzeichen tragen 29 ).
Die Bewohner Auroras tragen in den hundert Trauer-
tagen einen Strick um den Nacken, die Frauen ausserdem
eine bis auf den Boden reichende Matte um die Lenden 30 ).
Es deutet das auf eine nicht uninteressante Umwandlung.
In einem weiteren Kapitel (19) will ich die entsprechenden
afrikanischen Vorkommnisse begründeu. Es handelt sich
hier um eine Einwirkung der Hüttenmaske. Dieselbe löst
") Taylor 8. 102. Diefenbach Bd. II S. 62.
") Bougainville S. 194. Wilson: „Misaionsreiae" S. 357. Gill
S. 75. Mariner S. 98, S. 351, 8. 308.
so ) Codrington S. 281, 282.
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— 145 —
sich auch in Oceanien iu gewisse Bestandteile auf. Es
sind unter diesem Einflüsse die Netze, die Röcke, die
Schleier, die Trauerbehänge entstanden.
Man kann diesen Zusammenhang auf Neu-Guinea be-
sonders schön beobachten. Vom Trauerschmuck Ost-Neu-
Guineas sagt Finsch: am häufigsten wurde eine Art Brust-
latz aus kunstvoll aneinander geknüpftem Bindfaden ge-
tragen, und zwar von beiden Geschlechtern. In Bentley-Bai
sind breite, aus Gras geflochtene Bänder, die kreuzweise
über Brust und Rücken laufen, Zeichen der Trauer.
Häuptlingsfrauen, und zwar diese allein, dürfen sich hier
noch eines besonderen Trauerschmucks, Diadiro genannt,
bedienen. Derselbe besteht in einem Reifen so gross als
von einem kleinen Fass, an dem weisse Eierschalen be-
festigt sind und der über die Schultern getragen wird. In
Port Moresby wird ein die Brust bedeckendes Netz als
Trauerzeichen getragen und zwar anscheinend nur von
Frauen. Bei den Motu-Motu- Witwen fällt dasselbe bis auf
die Knie. Ausserdem siud Ringe um die Arme, krinoliuen-
artige Röcke etc. zu erwähnen. Die Frauen von Moatta
tragen als Trauergewandung eine eigenartige Schärpe, die
aus einer grossen Anzahl Schnüren besteht, welche vom
Nacken vorn und hinten herabfallen, den Körper bis zu
den Füssen bedecken und über die Hüfte mit einem Gürtel
aus Strick befestigt ist. Die Arme und Beine über den
Knien sind mit ähnlichen aus Schnüren zusammengesetzten
Arm- und Beinringen bedeckt 3l ).
Auf Yule werden in Trauerfällen Ringe aus Schnüren
um Arme und Knöchel getragen, auf Darnly Fransen von
Gras an Nacken, Armen und Beinen, auf Jervis der ge-
rötete Sogere, ein langes Blättergehänge, gewöhnlich aus
M ) Finsch: „Ethnol. Erf ." S. 158. Chalmera und Gill S. 35, S. 271.
Chnlmers 8. 240, Abbildung 8. 15R. D'Alberti, IM. II 8. 9.
Frobcnius, Weltanschauung der Naturvölker. 10
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I
— 146 —
dem Laub der Sagopalme, welches rund um den Nacken
gebunden war und zur Hälfte von hinten herabfiel. Dazu
traten hier wie auch auf Tud Arm-, Hein- und Knöchel-
bänder aus dem gleichen Material 32 ).
Sowie wir das Maskengebiet verlassen, wird die Trauer-
tracht auch einfacher und die Schnur tritt wieder selbst-
ständig auf. Das Trauerzeichen in Dore besteht im ein-
fachen Faden, den die dem Toten Näherstehendeu um den
Hals. Fernerstehenden am Oberarm tragen. Auf den Kei
erkennt man beim Leichenfest die Blutsverwandten an
Ringen um Arme und Beine und einen Gürtel um den
Leib; auf den Luang Sermata- Inseln kennzeichnen den
Trauernden ein Leinwandfetzen auf dem Kopf, auf Timor
hat Witwe oder Witwer ein Stück der Leichenkleidung,
gewöhnlich des Schamgürtels des oder der Verstorbenen,
im Haar. Letzterer Fall ist besonders charakteristisch und
deutlich. Auf den Uliasse-Inseln treffen wir weisse Scham-
gürtel und ein weisses Band im Haar 33 ).
Ein Dajak muss beim Tode seiner Frau als Witwer
ein Kopftuch aus Stroh anlegen und so lange trageu, als
die Leiche der Frau über der Erde ist. Daran, an die
weissen Tücher und die Strohlappen schliessen sich dann
die spitzen Trauerhüte an (siehe z. B. bei Rosenberg) als
Bindeglieder zwischen Trauerschnur und Hüttenmaske (vergl.
m. Masken werk), — Mütter tragen auf den Marianen in Er-
innerung an den Tod eines Kindes Schnuren um den Hals 3 *).
Schon in der Vogelmythe konnte gezeigt werden, wie
ein derartiges Mittel des Verkehrs mit den übermensch-
3J ) IVAlbertlft Bd. I 8. 354, 8.388. Haddon: „Secular" S. 27»
S. 23. Für die Umbildungen 8. 24, 8. 25/26, S. 27 8. 30 1 und Taf.
Nr. XVI
35 ) Rosenberg 8. 457. Eysinga Bd. I 8. 220. Riedel 8. 328.
8. 307, 8. 81.
3i ) Grabowsky: „Tod" 8. 173, 8. 183. Kienzi Bd. II 8. 78 nach
Le Gobien.
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— 147 —
liehen Mächten zum Amulett aktiver und passiver Natur
in letzter Linie wird.
Die Nukahiva haben einen Zauber, der dem Feinde
Sehaden bereitet. In einem geflochtenen Beutel wird ein
wenig von den Exkrementen des Feindes vergraben. Er
wird eines sicheren Todes sterben. Das wichtigste des
Geheimnisses besteht in der Kunst, den Beutel richtig zu
flechten. Das ist eine direkte Beziehung zu den Um-
hüllungen der Götterbilder, deren Anfertigung schwierig
und von den Gottern selbst gelernt war 35 ).
Wichtiger und verbreiteter sind die Abwehrmittel
dieser Gruppe. Dass die Leinwandlappen an den Tabu-
stangen von der Sonnenbahn -Himmelsleiter abstammen,
ist annehmbar. — An Stelle der früher den Leichen ge-
opferten Sklaven fertigten die Dajak Menschenbildnisse aus
Holz an. Doch ist dies Unternehmen nicht ganz unge-
fährlich und der Verfertiger bindet sich daher einen Schmuck
von Achatperlen um.
Die Nikobaren tragen beim Totenfeste einen aus der
Rippe eines Bananenblattes verfertigten Kranz zum Schutze
gegen die bösen Geister. Bei Ankunft eines Schiffes
pflegte man früher einen Streifen Pandanus oder Kokos-
blatt um den Hals der Kinder zu binden, um diese vor
etwaigen schädlichen Einflüssen zu schützen. Die Häupt-
linge auf Rotuma trugen, wenn sie in die Schlacht zogen,
ein Schutzamulett in Gestalt einer aus vier Perlmutter-
muscheln gebildeten Kopfbinde 36 ).
Zum Schlüsse soll noch auf eine letzte Gruppe der
von der Sonnenbahn abgeleiteten Gegenstände Erwähnung
finden: die Hochzeitszeichen :
35 ) Krusenstera Bd. I 8. 250.
M ) Grabowaky: „Tod" 8. 191. Svuboda Bd. VI 8. 27. Fingen:
„Ethnol. Krf." 8. 457. Rienzi Bd. III 8. 287, vergl. Parkinson:
„BiHinarckarchipel" Tat'. 8. 136.
10*
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- 148 -
Die goldenen Ketten, an denen die Ahnen malaischer
Fürsten zur Erde herabstiegen, befinden sich jetzt noch
als Reichskleinodien in den Schatzkammern der grossen
Häuptlinge aufgehoben. Auf Tahiti war ein wichtiges
Attribut der Königswürde: jene heilige Binde, die gewöhn-
lich auf den Gräbern der Ahnen ruhte — sicher ein
charakteristisches Merkmal! — und dem Fürsten am Krö-
nungstage angelegt wurde 37 ).
Im nordwestlichen Neu -Guinea bezeichnet ein finger-
dicker Halsstrick den Häuptling; auf Viti Halsbänder aus
gespaltenen Walfischzähuen. Dann kommen die Häupt-
lingsringe aus Perimutterschale, die nach anderen Rich-
tungen wieder Beziehungen andeuten, in Betracht 38 ).
Vielleicht erscheinen die letzten Ausführungen bedeu-
tungsloser; ich glaube aber, dass gerade in diesen unschein-
baren Zweigen der Weltanschauung, in diesen Aeusserungen
im Kultus und alltäglichen Leben die besten Reste der
älteren Anschauungen liegen, und daher auch sie den
fruchtbarsten Boden der Studien bieten.
37 ) Schmidtmüller 8. 538. Schirren S. 132. Aumerk. Wilson:
„Missionsreise 41 S. 337—339. Yankouver Bd. I 8. 104.
") Flinsch: „Samoafahrten", S. 108. Rienzi Bd. III S. 308.
Hawkesworth Bd. III 8. 294. Hockin 8. 12 s. a. Chamisso, vergl.
„Ausland" 1888 8. 48. Keate S. 230—233 und a. a. 0.
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IX. Kapitel.
Sonnenmythen, Sonnenbahn und Ableitung in Nord-
westanierika und Australien.
Nordwestamerika. — Da« Formale der Mythen. — 1. Sonnen-
bahn-Pfeilleiter. - 2. Sonnenfahrtsmythus-Strickleiter. Oceanische
Parallelen. — 3. "Wasserfahrtsmythen. — Die Sonnenbahn der Ober-
und Unterwelt. — 4. Wasserfahrtsmythen-Strick. — Analogie zum
Feuerdiebstahl Mauis. ■— Die Zahl 4. — Die Menschen auf der
Sonnenbahn. — Die Seele folgt der Sonne. — Bastringe. — Trauer-
schurtz. — Australien: Sonnenmythen. — Die Seele folgt der
Sonne. -- Der Strick als Leiter, die Schlinge, der Trauerstrick.
Die nordwestamerikanisxhe Mythologie enthält einen
verhältnismassig sehr grossen Prozentsatz solarer Figuren.
Während in der ozeanischen noch alle Eigentümlichkeiten
einer Gottheit des Himmels oder der Sonne oder des
Meeres etc. in eiuer Person sich finden, die ReHexlichte
derselben auf mehrere andere noch fallen, während dort
eine grosse Lebendigkeit und Bewegungsfähigkeit überall
zu finden ist, fehlt der nordwestamerikanischen diese Freiheit
und Selbstständigkeit, die das Zeichen eines grossen und
hohen Geistes genannt werden kann. Die nordwestameri-
kanischen Mythen sind versteinert. Es fehlt ihnen das
tropische Leben und die südliche Wärme. Die Motive sind
hüben und drüben die gleichen, aber hier sind sie fort-
pflanzungskräftig und gelenkig, dort zwar nicht kraftlos,
aber gebannt, gefesselt, ohne Elastizität. Hier herrscht der
schöpferische Gehalt, dort die strenge Form.
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150
Der Unterschied uoil der Variationenreichtum der nord-
westamerikanischen Mythologie beruht lediglich in einem
verschiedenen Zusammensetzen immer derselben Mosaik-
steine. Entweder es ist einmal grün, weiss, schwarz oder
weiss, grün, schwarz oder weiss, schwarz, grün gesetzt.
Oder auch, es wird eine Figur einmal aus schwarzen, dann
aus grünen und endlich dieselbe aus weissen Steinchen
gebildet. Aber fast nie kommen Nuancen in den Farben
vor. Es sind immer die gleichen. Welcher Unterschied
gegen in Oceanien, wo nie dasselbe zwei Mal ganz gleich
ohne Nüance gefunden wird.
Also der Unterschied ist zunächst ein formaler.
Dem anders gearteten Material entsprechend muss
auch eine andere Behandluugs weise zur Untersuchung ge-
wählt werden. Es wird das Richtigste sein, einige Typen
von Mythen — Dank dem eifrigen Boas fehlt es ja an
Material nicht — zu erörtern und zu zergliedern.
1. Sounenfahrtsmythus — Pfeilleiter.
a) Die zwei Söhne Aielens steigen auf der Pfeilbrücke
zum Himmel, um die zwei Töchter Tlaiks zu erwerben.
b) Sie treffen auf dem Wege im Himmel einige alte
blinde Frauen, die sie sehend machen und die als Eulen
von dannen fliegen. Eine, die am Bein festgehalten wird,
rät den Brüdern, ehe sie. zu Tlaik gehen, sich von ihrem
Grossvater Bescheid zu holen.
c) Ihr Grossvater, der Kranich, belehrt sie: Erstens:
Tlaiks würde sie auffordern, auf einem Stachelschwein
Platz zu nehmen. Deshalb verwandelt er ihr Gesäss in
Stein. Zweitens: er lässt sie einen feurigen Stein ver-
schlucken, der durch sie hindurchfällt, ohne ihnen zn
schaden. Drittens: er lehrt ihnen die Zähne in der Scheide
der Mädchen zu entfernen, indem sie mit einem Keil, den
sie statt des Penis benutzen, dieselben abdrehen.
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151
d) Io Tlaiks Hause bestehen sie die drei Abenteuer
gut. Daher wird Tlaik zornig und beschliesst, sie zu
töten. Als sie in die Spalte eines Baumes, den Tlaik auf-
gesperrt hat, hineinkriechen, um ihm den hineingefallenen
Hammer zu holen, zieht derselbe den Keil heraus, so dass
die beiden Teile zusammenschlagen. Die Bruder ent-
kommen aber glücklich, in diesem wie in mehreren anderen
Abenteuern, der List Tlaiks.
e) Sie rächen sich an Tlaik. Der Specht, ihr Gross-
vater, muss ihm die Augen aushacken 1 ).
Die Catloltq haben ausser dieser Version noch eine
zweite, deren von der ersten abweichende Stellen im folgenden
wiedergegeben werden mögen.
a) Nur ein Sohn steigt an der Kette empor. Oben
trifft er den Tintenfisch. Von diesem lässt er sich Mantel
und Harz geben.
b) u. c) Entsprechen der ersten Version. Nur wird
ihm gesagt, die drei älteren Schwestern besassen die
Scheidenzähne, die jüngste nicht.
d) Als Tintenfisch lässt er sich von Tlaiks Tochter
nach Hause tragen. Von ihr nur lässt er sich Nahrung
geben. Nachts wirft er den Mantel ab; „da sah sie, dass
es die leuchtende Sonne war." Am nächsten Tage lässt
er durch den Specht die Hirsche warnen. Daher sind die
Leute Tlaiks auf der Jagd erfolglos. In dem zur Jagd
ausfahrenden Boote ist der Tintenfisch an diesem und dem
nächsten Tage der Steuermann. Als Tlaik auch am zweiten
Tage ohne Beute zum Boote zurückkehrt, da hat der
Sonnenheld den Mantel abgeworfen und sass aufrecht im
Hinterteile des Bootes. „Er strahlte hell wie die Sonne
und als Tlaik die Sonne im Hinterteile des Bootes sitzen
sah, fürchtete er sich." Als sie nun am nächsten Tage
l ) Boas: „Verh." 1892 S. 34—38.
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— 152 —
auf die Jagd gehen, hat das Boot grosses Glück und viel
Beute. So nimmt der Sonnenheld die Jüngste zur Frau.
Der Versuch Tlaiks, den Schwiegersohn zu töten wie in
Version 1.
e) Siehe Version 1 2 ).
Um die wichtigen Züge noch mehr hervorzuheben,
füge ich noch entsprechende Teile aus den entsprechenden
Mythen bei anderen Stämmen hinzu.
Nimkisch d). Giyi — der statt auf der Pfeilleiter
emporgestiegene, im Vogelboote hinaufgelangte Sonnenheld
— bindet sich am Himmel den Tintenfisch vor das Gesicht,
so dass er aussieht wie ein alter Mann. Erst wie er mit
der Erwählten allein ist, nimmt er die Tintenfischmaske
vom Gesicht und erscheint nun in seiner wahren Gestalt.
„Das Mädchen fiel in Ohnmacht, so hell strahlte sein Ge-
sicht." Ihres Vaters Hausthüre hat die Eigentümlichkeit,
jeden zu erschlagen, der hereintritt. Da fingiert er erst
einen Eintritt und sie schlägt zu. Erst als sie sich wieder
öffnet, springt er hinein 3 ).
Nutka d). Der Häuptling begrüsst den Sonnenhelden
und fragt: „Willst Du meine Tochter heiraten?" r Ja u ,
sagt Anthtine, „deshalb bin ich gekommen." Da lässt
der Häuptling ihn neben sich niedersetzen und macht ein
grosses Feuer, um ihn zu verbrennen. Anthtine wirft
heimlich Muscheln hinein, welche das Feuer mit ihrem
Wasser dämpfen. Viermal versuchte es der Häuptling,
ihn zu verbrennen, aber es gelingt ihm nicht. Da sagt
er: „Du sollst raeine Tochter haben, setze Dich zu ihr."
Sie sitzt aber auf einer Matte von Stacheln und die Rücken-
lehne des Sessels ist gleichermassen mit Stacheln besetzt.
Da legt Anthtine Steine unter seine Füsse, sein Gesäss
*) Boas: „Verh." 1892 S. 38—40.
*) Boas: „Verh." 1892 S. 390.
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- 153 —
und seinen Rücken und druckt die Stacheln nieder, so
dass er sich ungestraft setzen kann. Er nimmt sie zur Frau.
e) Entspricht der Catloltq-Schreibweise 4 ).
Dass in diesen Mythen die Zuge der Sonnenhelden
vorherrschen, ist klar. Aielen ist einmal der Name für
die Sonne als Mensch, dann die Bezeichung für gutes
Wetter und endlich ist sein Geschick mit den Wanderungen
der Sonne verbunden 5 ).
Am wichtigsten erscheint mir, dass die Haupterlebnisse
sich nach Aussage der Mythe am Himmel anscheinend
abspielen. Das ist aber nicht ganz richtig. Der Baum-
stamm, in dem der Sonnenheld zerquetscht werden soll,
die Scheide, die mit Zähnen versehen Glieder abbeist, die
Thüre, die im Zuschlagen zerdrückt, sind Darstellungen
des Sonnenuntergangs.
Wenn der Held seine Tintenfischmaske abnimmt —
welche, wie wir später sehen werden, eine sekundäre Be-
deutung hat — , strahlt er so, dass das Mädchen ihn nicht .
ansehen kann, dass Tlaik erschrickt.
Die verwandtschaftlichen Beziehungen Zu den Sonnen-
diebstahlmythen sind innige. Der Rabe lässt sich ver-
schlingen und wiedergebären. Das ist in gleicher Weise
Sonnenunter- und -Aufgang. Die Pfeilkette ist die in
Nordwestamerikas Mythen typische Form der Sonnenbahn,
der im nächsten Kapitel eingehende Behandlung gewidmet
werden soll.
2. Sonnenfahrtsmythus — Strickleiter.
Ein junger, der Geschwisterehe entspringender Mann
beschliesst, in den Himmel zu steigen. Er schiesst einen
*) Boas: „Verh." 1892 S. 334/5.
*) Ich brauche wohl kaum darauf hinzuweisen, dass der Stachel-
pelz, auf den sich der Held setzen soll, die strahlende Sonne ist,
dass, indem er die Muscheln in das Feuer wirft und es dämpft, die
Sonne im Meere untergeht etc.
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— 154 —
Adler und in dessen Balg gehüllt, fährt er empor. Er
will die Tochter der Sonne heirateu.
Oben auf dem Wege am Himmel kommt er an zwei
blinden Schwestern vorbei. Er macht sie sehend und sie
machen seine Haut hart. Sie geben ihm zwei Knochen
mit Fleisch umwickelt und warnen ihn vor dem Monde.
Am Eingang zum Sonnenhaus wirft er den beiden
Wache haltenden Wölfen die Knochen vor. Kr springt dann
schnell vorbei. Drinnen sitzen drei Töchter der Sonne
und drei Töchter des Mondes. Erstere sind sehr schön,
letztere hässlich. Er setzt sich zu den Töchern der Sonne,
die Stacheln niederdrückend und bekommt von der Sonne
eine Tochter zur Frau.
Er wird vom Monde aufgefordert, mit ihm am nächsten
Tage eine Ceder zu spalten. Erst holt er sich bei jenen
beiden Frauen Rat. Infolgedessen stemmt er zwei Knochen
in den Spalt, als der Mond ihn zerquetschen will, lässt
aber weisse und rote Farbe als Hirn und Blut umher-
spritzen. Wie der Mond nun den Baum wieder aufspaltet,
kommt er wohlbehalten empor.
Nun sehnt er sich zur Erde hinab. Die Sonne lässt
zwei alten Frauen, die spinnen, die unter der Sonne wohnen,
ein Seil anfertigen, setzt den Mann, seine Tochter und
deren Kinder in einen Korbe und lässt denselben an einem
Seile hinab. Auf der Erde angekommen, zogen sie am
Seil und der Korb ward wieder emporgezogen.
Während sie herunterkamen, ward der Himmel ganz
rot. Da sprach der junge Vetter im Heimatlande des
Sonnenhelden: „Mein Vetter wird jetzt zurückkehren. Er
sagte mir, ehe er verschwand, dass der Himmel rot werden
würde, wenn er zurückkehre."
Niemand konnte auf Erden die Frau des jungen
Mannes ansehen, da sie zu hell leuchtete. Sie hielt sich
deshalb immer im Hause auf und Hess sich von niemand
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155
sehen. Aus diesem Grunde glaubten die Leute gar nicht,
dass sie die Tochter der Sonne sei. Ein Mann, der darum,
von Neugierde getrieben, durch einen Spalt in ihr Zimmer
blickt, ward im ganzen Gesicht verbraunt, so hell leuchtete
sie auf. Ihr Mann machte ihn aber wieder gesund. Von
nun an waren die Leute gläubiger.
Diese Mythe vom unteren Fräser River 6 ) bietet ge-
nügende Anklänge an die erste Gruppe von Mythen, um
sogleich verständlich zu sein. Es ist in einen grossen
Rahmen der rhythmische Bau mehrerer kleiner Erzählungen
eingefugt. Im Vogelbalg steigt der Held empor und am
Seil wird er wieder herabgelassen. Eine derartige Fassung
ist für all diese Mythen charakteristisch. Von der Erde geht
die Dichtung aus. Sie endet entweder am Himmel oder
wieder auf der Erde. Ich deutete schon oben darauf hin,
dass der in Oceanien mächtig ausgebildete Begriff der
Unterwelt in Nordwest- Amerika verloren gegangen ist, nur
in nebensächlichen Ereignissen lässt er sich erkennen.
In diesem Rahmen findet sich nun der Sonnenrhythmus
mehrmals. Der Held wirft den Wölfen den Knochen hin
und springt an ihnen, die ihn verschlingen wollen, vorüber
(Sonnenuntergang). Er setzt sich auf den Strahlenteppich
zur Sonnentochter (Sonnenaufgang). Mom Monde wird er
in den Baum gestossen, wobei er Weiss und Rot ausspeit
(Sonnenuntergang) und er kommt glücklich wieder empor
(Sonnenaufgang).
Der Mond, das Gestirn der Nacht, der Feind des
Tages, ist hier wie in Polynesien etc. (siehe Kapitel 21)
der Feind der Sonne. Wahrscheinlich lässt sich auch in
anderen Gestalten der Nutka-Mythologie, in anderen Feinden
der Sonnenhelden die Mond-Todesgottheit nachweisen. Im
•) Boas: „Verh." 1894 S. 569-571.
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150 —
Anschluss hieran will ich noch eine weitere Himmelsfahrt-
mythe aus Kolumbia verwandter Art heranziehen 7 ).
Der Coyote hatte einen Sohn. Der hatte zwei Frauen.
Coyote wünscht sehr eine derselben für sich zu haben.
Daher suchte er seinen Sohn aus dem Wege zu räumen.
Eines Tages schickte er ihn aus, einen Vogel zu fangen,
der auf einem Baume sass. Als der junge Mann nun auf
den Baum kletterte, machte Coyote, dass derselbe wuchs,
bis er den Himmel berührte.
Da sprang der junge Mann von dem Baumwipfel in
das Himmelsland und der Baum schrumpfte wieder zu seiner
früheren Grösse zusammen. Er fand sich auf einem Pfade,
dem er folgte. Zwei alte, blinde Frauen, die er auf dem
Wege beim Holzfällen traf, spotteten seiner, weshalb er
sie in Vögel verwandelte.
Weiterhin traf er eineu alten Mann und eine alte
Frau, die Spinne, die nahmen ihn freundlich auf. Da blieb
er bei ihnen. Mittlerweile machte ihm die Spinne ein Seil.
Und als er nun Heimweh bekam, sich ins Bett legte und
nicht zu bewegen war, Nahrung zu sich zu nehmen, sprach
sie zu ihm: „Wir wollen Dich zur Erde zurücksenden."
Sie brachten den jungen Mann mit einem reichlichen Vor-
räte von getrocknetem Fleisch in eineu kleinen Korb und
banden den an das Seil. Ehe sie ihn nun herabliesseu,
sagten sie: „Oeffne Deine Augen nicht, so lange Du im
Himmel bist und wenn Du an den Wolken, den Bergen,
den Bäumen vorbeifährst, sondern warte, bis Du am Bodeu
anlangst. Dann öffne den Korb, knüpfe ihn los und zieh
am Seil, damit wir es wieder einziehen können." Und also
geschah es.
Es ist das eine jener nordwestamerikanischen My theo,
die den Stempel der oceanischen Abkunft tragen. Man
7 ) Boas: „Verh." 1891 S. 548,9.
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- 157 —
erinnere sich nur der Quat-Mythen. Wie Quasavara den
Sonnenhelden verfolgt, besteigt er den Kasuarina, der ihn
gen Himmel trägt. — Als er vom Baume nicht wieder
herabkam, weht Marawa, der Spinnengeist, ihm ein langes
Haar hinauf, an dem er herabsteigt.
Auch gemahnt manches an die schreckliche Miru.
Jedoch ist der solare Typus der Helden so ausgeprägt, dass
das Gefühl des Leidens (der Seelen in der Unterwelt) bei
ihnen nicht zum Durchbruch gelangt.
Ehe ich den letzten unter den richtigen Sonnenbahn-
mythen zur Betrachtung heranziehe, will ich die gleich be-
deutungsvollen folgenden Mythen zergliedern.
3. Wasserfahrtmythen.
1. Version der A wikyenoq 8 ). a) Vier Bruder gehen
aus, um zu baden. Auf einem am Strande gefundenen
Stamme legen sie sich nieder, um zu schlafen. Sie treiben
auf dem Stamme ab und als sie um sich schauen, sehen
sie nichts als Wasser und Himmel.
c) Sie sehen eine schwarze Küste, der Jüngste springt
ans Land und sinkt unter. Ebenso versinken der zweite
und der dritte in dem vermeintlichen Lande.
d) Der älteste und letzte Bruder kommt endlich im
Lande des Menis au. Die Tochter desselben erblickt ihn
und bringt ihn nach Hause. Sie reicht ihm aus einer
Kiste Essen. Siehe, es sind Menschenaugen. Das ist ihm
eklig und er lässt sich Seehundfleisch reichen. Menis giebt
seine Tochter dem Manne zur Frau.
e) Des Morgens findet die Tochter des Menis die
Leichen der drei ertrunkenen Bruder am Fischwehr. Einem
derselben war vom Haben ein Auge ausgehackt. Menis
nimmt aus der Kiste ein Auge und setzt es an die Stelle
des fehlenden. Er schüttelt sie und sie werden wieder
lebendig.
H ) Boas: „Verh." 1893 S. 453 455.
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158 —
f) Menis schickt die Brüder nach Hause, damit sie
ihm Cedernholz bringen. Er giebt ihnen allerhand Tiere
mit, unter denselben ein Stachelschwein und lässt sie ab-
fahren. Die Tochter des Menis fährt mit ihnen und sagt:
„Steuert immer der aufgehenden Sonne entgegen und haltet
die sinkende Sonne hinter Euch, dann werdet Ihr Eure
Heimat erreichen." So kommen sie wieder nach Hause.
g) Später kehren sie zurück und bringen dem Menis
alles, was er gewünscht hatte.
2. Version der Tlalasikoala 9 ). a) Apotl will
einen Seehund fangen und fährt mit seinen zwei Vettern
hinaus. Der Seehund zieht den Kahn an der Leine fort.
b) Sie können die Leine nicht durchschneiden.
c) Wie in Version 1. Der Steuermann versinkt.
d) Sie kommen in das Land des Amiaequet. Sonst
Version 1.
e) Amiaequet macht den untergegangenen Vetter
wieder lebendig. Er nimmt nämlich ein Auge aus einer
Kiste, bindet sich ein Seil um den Leib, das er von einem
Sklaven halten lässt, und taucht in das Meer hinab. Dort
holt er die Gebeine des Vetters, die er dann zusammen-
setzt. Er setzt ihm das neue Auge ein und besprengt ihn
mit dem Wasser des Lebens. Da steht jener auf. Ami-
aequet spricht zu Apotl und seinem Vetter: „Mein Haus
steht im äussersten Westen. Wenn Ihr in die Heimat
zurückkehren wollt, so reist immer der aufgehenden
Sonne zu."
f) Der Sonne entgegenfahrend gelangen sie in die
Heimat.
3. Version der Nakomgyilisala 10 ). a) Nemokot-
salis will einen Taucher, ein schönes weisses Tier erlegen.
») Boas: „Verh." 1893 S. 262-261.
10 ) Boas: „Verh." 1893 8. 439—441.
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159
Drei ihn begleitende Brüder schiessen auf den Vogel, ohne
ihn jedoch töten zu können. Nun binden sie eine Leine
an den Pfeil, um ihn ans Boot ziehen zu können. Sie
treffen wohl, aber der Vogel zieht das Boot hinweg.
b) Sie wollen die Leine durchschneiden, aber es ge-
lingt nicht. Sie sind fest an den Vogel gekettet.
c) Längst haben sie das Land aus den Augen ver-
loren. Da seilen sie eine dichte Masse schwarzen Gesteines
auf dem Wasser liegen. Der Vogel zieht sie hindurch.
Wieder kommen sie an ein scheinbares Land. Der Steuer-
mann springt darauf und sinkt unter.
d) Endlich gelangen sie an eine Küste. Der weisse
Taucher verwandelt sich in einen Mann, der sie zum Hause
Kunkunqulikyas fährt. Der giebt dem einen, Keqtlala, seine
Tochter zur Frau.
f) (Dieser Teil ist hier besonders reich ausgebildet.)
Keqtlala will mit seiner Frau heimziehen. Da giebt
Kunkunqulikya dem Winde den Auftrag, die Frau und die
Brüder heimzuführen. Auf dein Wege kommen sie erst
zum Hause des grauen Bären. Die Frau legt zu dem
Stück Walfisch fleisch hier ein Stück Lachs in ihren Korb»
denn der Bär hat sie reich bewirtet, Sie kommen, „dem
Laufe der Sonne folgend", an das Haus des Hirsches.
Hier fügt die Frau Muscheln den Nahrungsmitteln im
Korbe zu. Sie kommen zum Hause des Otters, „dem
oben auf dem Hause sitzenden". Der Häuptimg zeigt
ihnen eine Falle und fordert Keqtlala auf hineinzukriechen.
Infolge der Zauberkünste seiner Frau entgeht er der List.
Den Spiess umdrehend erschlagen sie die Otter in der Falle.
Sie reisen weiter und kommen endlich an einen See,
in welchen das Ungeheuer Tsekis haust. Die Brüder
wissen nicht wie sie vorüberkommen sollten, denn das
Ungeheuer sitzt am Wege und sein Mund klappt beständig
auf und zu. Die Frau gelangt glücklich vorüber, denn
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!
— 160 —
ihr kann das Ungeheuer nichts anhaben. Dann ruft sie
den Brüdern zu: „Sobald ich schreie, lauft rasch vorwärts,
denn dann kann Euch Tsekis nichts anhaben u . Als dieser
seinen Rachen weit geöffnet hat, ruft sie und er kann
ihn nicht wieder schliessen. So gelangten die Brüder
glücklich durch sein geöffnetes Maul.
Derart kommen sie glücklich wieder keim.
Die Frage nach der ursprünglichen Zusammensetzung
der letzten Mythen ist leicht zu lösen. Die Bootsfahrer
folgen im ersten Teil (bis f.) offenbar dem Sonnenlaufe,
denn sie fahren auf das offene Meer hinaus, also nach
Westen. Dann aber fahren sie auch im zweiten Teil, dem
Laufe der Sonne folgend. Es sind hier also zwei Teile
aneinandergefügt, die nicht zusammen gehören.
Erledigen wir den zweiten Bestandteil. Der Besuch
bei den Tieren inuss auf einer Himmels- also Tagesfahrt
gemacht sein, denn der Otter, welcher der auf dem Hause
zu oberst Sitzende heisst, wird von der siegreichen Sonne
erschlagen. In der Mittagshitze ist die Sonne noch ge-
waltig. Das Ungeheuer Tsekis ist die Nacht, durch deren
Rachen die Reisenden hindurch, d. h. hinabfahren (Sonnen-
untergang).
Der erste, bei weitem wichtigere Teil stellt ein ab-
gerundetes Ganze vor. Was für eine Gestalt ist jener
Menis, wie wir mit den Awikyenoq den Häuptling des
fernen Landes nennen wollen?
Vor allen Dingen ist dies auch der Name jenes Alten,
dem, als alles noch in Dunkelheit gehüllt war, der Rabe,
die Sonne, aus der Kiste steigt, worauf er im Kahn von
dannen fährt. Ausserdem sind die Fischwehre in seinem
Lande aus Kupfer 11 ), ein sicheres Anzeichen, dass er mit
der Sonne in Beziehung steht.
u ) Boas: „Verh." 1893 S. 444, 1892 S. 33ü.
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— 161 —
Nun bieten die Sagen ein sicheres Anzeichen ihrer
Bedeutung. Ich meine das schwarze schwimmende Laud.
Dort versinkt einer der Reisenden. Dort geht die Sonne
(im Westen) unter. Menis, der die Sonne in der Kiste
bewahrt, aber nicht nur die Kiste, sondern auch die Menschen-
augen, ist der Herr der Sonne in der Unterwelt.
In diesem Falle ist auch der Anfang angedeutet. Menis
fugt nämlich das Auge, das der Rabe ausgehackt hat, wieder
ein. Jung belebt mag so die Sonne wieder emporsteigen.
Die Fahrt zur Erde ist in f. geschildert. Menis Land liegt
im äussersten Westen. Jetzt fahren sie — als Uuterwelts-
sonne — dem Sonnenaufgang entgegen. Sie bringen aller-
hand Gaben mit nach Hause, denn die Sonne ist die Gottheit
der Fruchtbarkeit.
4. Wasserfahrtsmythus — Strick.
Ein grosser Tsimshiamjäger erlegte eine weisse See-
otter, deren Fell er durch seiue Frau zubereiten Hess. Als
diese am Strande es abwaschen wollte, rissen die Wellen
das Fell fort, und ihnen nachgebend, ward die Frau mit
hinfortgezogen, immer tiefer hinab, bis ein Walfisch kam,
der sie auf seinem Rücken hinwegtrug. Die Leute setzten
dem Fische nach, bis er untertauchte. Da band der Jäger
ein Tau um den Leib und Hess sie Ii hinabsenken. Er kam
an eine Höhle, die nicht von Wasser erfüllt war. Er sah
blinde Gänse das Kraut abweiden — nach anderer Version
blinde Frauen — , bestrich deren Augen mit einer Wurzel
und machte sie auf diese Weise sehend.
Er bestand nun Abenteuer mit der Muschel, die ihn
im Spalte fangen wollte, dem Einhornfisch, der Heibutte,
die er bewegte, die rauhe Seite nach oben zu kehren,
da er über ihre glatte nicht hinweg konnte u. s. w. Dann
kam er zu dem arbeitenden Sklaven des Walfisches, dem
er erst den Keil zerbrach und den er dann durch Wieder-
Frobcnius, Weltanschauung der Naturvölker. 11
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— 162 —
Herstellung desselben für sich gewann. Darauf goss der
Sklave drinnen Wasser auf das Feuer. Der Jager ergriff
seine Frau und begann mit derselben die Flucht. Der Sklave
verfolgte anscheinend mit, erhielt aber von Zeit zu Zeit
Stücke Tabak und hemmte so die anderen. Am Tau an-
gelangt, lässt sich der Jäger nach oben ziehen 12 ).
Wie in den anderen analogen Mythenbildungen, ist die
zuklappende Muschel mit dem Sonnenuntergang in Beziehung
zu bringen, der Strick mit der Sonnenbahn, das Auslöschen
des Feuers mit dem Verscheiden des Uchtes etc. Aber,
fragt es sich, handelt es sich um eine Sonnenwanderung
in der Unterwelt?
Ich glaube dies deshalb, weil der Walfisch der Ent-
fuhrende ist. Er ist (s. Kap. 11) das Symbol des die Sonne
verschlingenden Meeres. Ist das so, so liegt dem Zerbrechen
des Keiles dasselbe Motiv zu Grunde, wie der polynesischen
Mythe, der zu Folge Maui dem Besitzer des Feuers den
Arm abdreht. Die Sonne kämpft mit der Nacht und siegt.
Auch die Verfolgungssonne entspricht dem; Maui entflieht
mit dem geraubten Feuer zur Oberwelt, hinter ihm her
tost das Feuermeer.
Eine hier wieder eingeschobene Stelle erinnert an die
Sonnenbahn-, Himmelsmythen. Der Held macht blinde
Frauen sehend 13 ). An Stelle der Frauen treten oftmals
Vögel; oder auch der Held verwandelt blinde Frauen in
Vögel. Ich halte das für eine, in den Rahmen des Bildes
vollkommen passende Variation des Lichtvogelmotives.
1S ) Krause: „THnkit" S. 275 278. Boas: „Tsimahiam" 8.240/1.
In Hr. Kolumbien: Boas: „Verh." 1892 8.61, 1891 S. 638. Bei den
Bilquala: Boas: „Verh." 1894 8.299 300.
ta ) Br. Kolumbien: Boas: „Verb." 1891 S..368, 1892 8. 35, 8. 38.
Nutka: Boas: „Verb." 1892 8.334. Nimkiseb: Boas: „Verh." 1892
8. 383.
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— . 163 —
Ausser diesen Sonnenmythen kommen noch die
wandernden in Betracht, Kunsnootl der Catlotlq, Qa'is und
Qäls bei andern Stämmen. Diese erschaffen, senden Krank-
heiten, vernichten durch Feuer, verwandeln vor allen Dingen
Steine 14 ). Das erinnert uns wieder an Quat.
Aus Oceanien kennen wir seit Sehirrens 15 ) Unter-
suchungen aber noch eine Eigenschaft der Mythen, die in
Nordwest -Amerika fast noch typischer ausgebildet ist.
Maui hat vier Brüder und 2x4 Köpfe. Der Windgott
sendet vier Söhne in die Welt, Westen, Osten, Norden,
Süden. Die Zahl vier ist die herrschende in Oceanien.
Der wandernde Sonnengott in Nordwest-Amerika ist
aus vier Brüdern zusammengesetzt. Vier Jünglinge reisen
über das Meer. Von vier roten Vöglein wird die Frau von
Jelchs Onkel (die Sonne) bewacht 10 ).
Der Rabe ladet die vier Winde bei sich zu Gast. Schleift
man den Igel — man denke an seine Verwendung in den
Sonnenmythen — auf der Erde, so entsteht starker Wind.
Daher spielt diese Zahl die mächtige Rolle in den Mythen.
Die vier Winde sind der Sonne tributär. Daher dauert es
bis zur Vergeistigung vier Tage, und vier Tage dauern die
Trauerfeierlichkeiten 17 ). Und wie oft hören wir in den
Mythen, dass vier Tage oder vier Jahre eine Reise, ein
") Boas: „Verh." 1892 8. 32 ff., 1891 8. «89 etc. Der Habe tritt
ah Begleiter im Süden, als Wandernder und Verwandler im Norden
auf, z. B. Boas: „Verh." 1895 8. 219/20, S. 228.
5 ) Schirren S. 195 ff.
u ) Boas: „Entwicklung" S. 499, S. 522. „Verh." 1891 8. 550 ff.
und 628 ff., 1892 S. 214, 1893 8. 430. „Chinook" 8. 20. Erman Bd. II
S. 372. Es mögen auch 2 und nicht 4 sein. Dann ist statt aller nur
die östliche und westliche Richtung in Frage gekommeu.
,7 ) Krause: „Tlinkit" 8. 300, 8. 223, 8. 236. Erman Bd. II
8.370 1. — Die Erde ist darum auch viereckig. Eine Ecke liegt
nach Norden, eine nach Söden, eine nach Osten, eine nach Westen.
Boas: „Verh." 1895 8. 231.
11*
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— KU. —
Seheintod, eine Verzauberung gedauert habe, dass jemand
meint, vier Tage habe seine Abwesenheit gedauert, sie
währte aber vier Jahre l8 ).
Ausser diesen wichtigen Eigentümlichkeiten drängt
noch mancher weitere Mythenteil zum Vergleich mit ocea-
nischen Parallelen. Vor allem muss jetzt den Stricken
ihr Recht werden. Sie verknüpfen nicht selten Himmel
und Erde. Zwei Frauen wünschten sich Jupiter und Mars
als Gatten. Im Schlafe werden sie an den Himmel ver-
setzt und ihr Wunsch ist erfüllt. Gegen das Verbot graben
sie eines Tages Zwiebeln. Es entsteht ein Loch im Himmel,
dadurch können sie auf die Erde blicken. Sie flechten
ein Tau und klimmen zurück in ihre Heimat. Auf dem
Berge Ngakun langen sie glücklich an. „Ein Jüngling u ,
so schliesst die Mythe, „der alle Vorschriften genau be-
obachtet, oft badet, und noch nie ein Weib berührt hat,
kann das Seil auf dem Herge Ngakun sehen. Für andere
Menschen ist es unsichtbar 19 ).
Also nicht nur Sonnenhelden und höhere Mythologie
kennen diese Himmelspfade. Ein Jüngling der die Ver-
geistigung durch Euthaltungsgebote auf eben beschriebene
Weise durchgemacht hat, sieht es auch. Es mag das einer
jener jetzt so seltenen, einst sicher häufigen Beziehungen
zwischen den Formen der höheren und niederen Mytho-
logien in Nord-West-Amerika bilden.
Diese Beziehungen sind — es ward schon oben darüber
gesprochen — verkümmert. Zum Individuum, als Toten-
mythe tritt die Mythologie nicht mehr in Beziehung, sie
,
<
") In Peru spielen die gleichen 4 Brüder, auf Madagaskar die
4 Winde, in Yoruba die 4 Himmelsrichtungen eine hervorragende
Kolle. Die Damara mit solaren Totem» meinen vom Winde abzu-
stammen. Müller: „Amer. Urreligionen" 8.409. Burton: „Dahome"
Bd. II S. 135. Andersou Bd. I S. 237. Copland 8. 64.
"*) Boas: „Verh." 1891 8. 645, vcrgl. auch ebenda 8. 170.
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1(>5 —
ist rein historischer Art und weiss nur von der Vergangen-
heit zu erzählen. Dass noch Seelenschicksalsmythen exi-
stieren scheint mir nicht, wir hätten von Boas darüber
hören müssen.
So können wir auch nicht erwarten, zu hören, dass
die Menschen an den Striken ins Jenseits eilen. — Dass
die Seelen der Sonne folgen geht aus vielem hervor
(S. Kap. 1). Der Gott der Unterwelt hat eine Kiste mit
der Sonne, aber auch eine mit Menschenaugen. Es heisst,
dass nur die Seelen derer, deren Leichen verbrannt sind,
sich im Jenseits erwärmen können. Wie die Leichname
oder deren Reste in Kisten bewahrt werden, so steigt die
Sonne aus der Kiste empor. Die Sterne sind Seelen von
Indianern.
Aus der ümkehrung, dass die Ahnen vom Himmel
herabsteigen, oder von der Sonne abstammen, lässt sich
schliessen, dass die Seelen der Sonne nach über das
Himmelszelt, dem Sonnenuntergänge zu eilen 20 ).
Also dürfen wir das Schicksal aller Toten in den
Geschichtsbüchern jener Völker, in den Mythen wieder
aufsuchen.
Es lässt sich auch aus der Bedeutung und Verwen-
dung der bekannten Gedern bastringe ein Schluss auf die
Abstammung derselben aus der Himmelsleiter ziehen, wenn
auch keine direkte Aussage ihn unterstützt. In ihnen
beruht die ganze Kraft, der Hametzen. Sie verleihen das
Flugvermögen, die Kraft zu verzaubern, sie sind Schutz-
und Angriff-Amulette 21 ).
50 ) Krause: „Timkit" 8. 181. Boas: „Entwicklung" 8. 513.
„Verh." 1893 S. 237 8, 1891 8.399 400, 1891 8. ti29. Dixon 8.174.
8wan 8. 56 und 90.
21 ) Boas: „Verh." 1892 8.407, 8.401, 8.327 8, 1891 8.643.
Swan S. 74. JJiblaek Taf. 18. Jakobsen i. d. „Verh. der Berl. Gea,
f. Anthrop." 1894 8. 105. Boas: „Chinook" 8. 258.
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]()() —
Vergrossert wird die Wahrscheinlichkeit der Annahme
durch eine hochwichtige Thatsache. Die bekannten bunten
Tanzdecken werden als Trauertracht getragen 22 ). Und
endlich mag völlig den Anschlag geben, dass man auch
die Asche und die Knochen reste der Leichname mit frommer
Gesinnung in solche Decken einhüllt 23 ). Die Thatsachen
sind Merksteine auf einem Entwickelungswege, dessen
Richtung, Herkunft und Ziel vollständig dem respectiveu
ozeanischen entsprechen.
Ueber australische Vogelmythen wolle man sich in
den oben Mitgeteilten unterrichten. Die Betrachtung des
kleinen Materiales der Vogelmythe lehrte wenigstens soviel,
dass die Mythen den ozeanischen entsprechen.
Auch in Australien folgt die Seele der Sonne. Der
Umkehrung entsprechend deuteten die Australier nach der
Richtung ihrer Herkunft befragt, nach Westen; oftmals
hören wir, dass die Toten mit dem Sonnenaufgänge zu-
gewendetem Antlitz bestattet werden. Wenn die Seele
eine Zeit lang am Grabe verweilt hat, wendet sie sich
andererseits dem Sonnenuntergänge zu.
Wenn die Sonne untergeht, kommt sie in das Land
der Toten. Bei ihnen verweilt sie eine kurze Zeit.
Diejenigen, denen sie dort ihre Gunst gewährt, schenken
ihr das rote Fell eines Kangerus. Dann steigt sie mit
diesem Gewände am Morgenrot empor 24 ).
Wie die Ahnen zum Himmelszelt emporklommen,
2i ) Die Augen auf denselben entsprechen totemistisehen Ideen.
Berühmte Hametzen hängen Menschenschädel an ihre Bastringe.
Derartiges mag zu den Augenornamenten geführt haben. Jakobsen
in „Verh. d. Berl. Ges. f. Anthrop." 1891 8. 389.
") Krause: „Tlinkit" S. 200 1 S. 225, S. 22«.
**) Prichard: „Oceanien" S. 28. Angas a. a. O. ßrouglt Smyth
Bd. 1 S. 432, 8. 111.
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167
wird im nächsten Kapitel besprochen. Auch hier ist die
Mythe vom Himmelstau nachzuweisen.
Und denselben Strick treffen wir in gleicher Bedeutung
verschiedentlich. Neben den Sterbenden wird eine Schnur
aus Gras oder Fiber gelegt. Wenn der letzte Athemzug
ausgehaucht ist, wird sie ihm zwei oder dreimal um den
Hals gelegt. Das ist die Leine, die ihn zur Sonne führt 25 ).
Wie zwischen Jenseits und diesseits, so stellt auch
unter den noch diesseits wohnenden Menschen die Schnur
ein Bindeglied dar. Der Zauberer saugt an einer Schnur,
die dem Kranken um die Stirn gebunden ist, den Krank-
heitsstoff aus 26 ).
Wenn ein Leichnam in der geöffneten Gruft ruht,
wirft der Haupttrauernde das Halsgehänge aus Schilfrohr
und das Stirnband hinab. Darnach scheint der Geist jenes
in ihm fibergegangen zu sein 27 ).
Der Zauberer, der einen anderen in seine Gewalt
bringen will, bedient sich eines Gerätes aus zugespitzten
Schenkelknochen des Kängerus, an diesem ist ein langer
Strang zusammengeflochtener Schnur befestigt, der in einer
Oese endigt. Der Zauberer wartet ab, bis sein Opfer
schläft und kriecht zu ihm hin, wobei er das Instrument
aus Knochen unter seinen Knien hindurch rund um dessen
Nacken wink Durch die Schlinge zieht er den Strang
und versichert sich seines Opfers, welches derartig den
Ansprüchen der Zauberkunst gemäss hingerichtet, geeignet
ist, das zu Zauberzwecken notwendige Nierenfett zu liefern.
So wird auch der zu Yergeistigungszereinonien bestimmte
Knabe mit der Schlinge eingefangen 28 ).
") Brough Smyth Bd. 1 S. 100.
*•) Dumont D'Urville 8. 80,1. Angas Bd. II S. 227.
17 ) Brough Smyth Bd. I S. 104.
28 ) Howitt S. 230 ff. S. 262. Dason »>. Bastian: „Allerlei" Bd. 1
S. 173 4.
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- 1(58 -
Die Knochen des Verstorbenen, die um den Nacken
gebunden werden, die Haare der Toten, welche in die
Krieger ermutigenden Kopfschnüre geflochten werden,
leiten auch hier zu den Trauersträngen über, die als
Schnuren aus kurzen, gelben (Jriisern, an die 10 bis 20
mal in Queensland um den Hals geschlungen werden 29 ).
J ") Brough 8m\th Bd. I S. III, S. 112. Lumholtz S. 256.
)
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X. Kapitel.
Pfeil in ythen in östlichen und westlichen Provinzen.
Nordwestamerika: Pfeilketten. — Pfeil und Vogel. — Die
Mink-Mythen. Sonnenaufgang. Tiere in der hohen Mythologie.
Strahlen der Mittagssonne. — Oeeanien. Mythe von Delingavouv.
Tangaro. Pfeilmythen in Polynesien. — Pfeilwerfen im Cultus
Australien. Pfeilmythen. — Die Entwicklung der Pfeilkette.
Afrika. Pfeil und Sonne. — Pfeile im Cultus. — Pfeile in Mythen.
— Einheitliche Verbreitung der Fundamente der Pfeilmythen.
1. Nordwestamerika.
Eine Pfeilmythe der Nordwestamerikaner ist schon im
vorigen Kapitel besprochen worden. Aielen, der Sonnen-
held, steigt auf ihr in das Reich Tlaiks. Tlaik ward als
das sonnenfeindliche Princip erkannt. Wenn er als die
Nacht angesehen wird, als gleichbedeutend mit Menis,
dem Herrscher der unterirdischen Sonne, dann entspricht
die Pfeilleiter dem Wege der Sonne am Himmel von Osten
nach Westen. Dann ist die Erwerbung der Himmelstochter
als der Aufgang der neuen Sonne am Morgen zu bezeichnen.
Das liisst sich um so mehr annehmen, als damit der
schwierige Eintritt in das Haus Tlaiks verständlich wird.
Anfangs ist auch stets der Held dem Herrscher der Unter-
welt ergeben. Am Schluss aber tötet er ihn. Die Sonne
über windet die Nacht.
Ausser diesen Merkmalen deuten aber noch mehrere
andere auf eine Beziehung der Pfeilleiter zum Pfade der
Sonne am Tage. Gamdigyethneeq, „das einzig sehende
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17.) —
Feuer", ein Somienheld der Tsimshiam, steigt au der Pfeil-
kette zum Himmel empor und besucht den Mond 1 ). Der
Mond ist das Gestirn der Nacht und ist auch, gleich wie
bei den Oceaniern, mit dieser in Zusammenhang zu bringen.
In der Anschauung konnte sich aber die den ganzen
Himmel überspannende Pfeilkette nicht erhalten, weil sie,
wie ich nachher zeigeu werde, der Morgensonne entspross.
Es ist auch eine Ausmalung des Bildes nur parciell unter-
nommen. So in einer Mythe vom unteren Fräser River.
Ein Enkel des Spechtes weiss den Weg zum Himmel
zu schaffen. Er bemalt sich rot und schliesst die Kette.
Als die Kette fertig ist, wischt er die rote Farbe vom
Gesicht und bemalt seinen ganzen Körper mit gebranntem
Kuochenweiss. Dann verwandelt er die Pfeile in einen
breiten Weg, der zum Himmel hinauffuhrt 2 ).
Rot steigt die Sonne empor. Nur ein Teil, der Kopf,
ist sichtbar. Der ganze Hall strahlt in weisser Farbe vom
Himmel herab. Auf breiter Bahn zieht er danach hinüber.
Dass es sich um eine Sonnenaufgangsmythe handelt, geht
auch schon aus dem Aufange einer Nutka-Pfeilmythe her-
vor. Darin heisst es nämlich: Damals war der Himmel
noch nahe bei der Erde 3 ). Charakteristisch ist es auch,
wenn ein Mann aus einem Baum einen Pfeil holen soll
und derselbe ihn zum Himmel herauf trägt 4 ).
Eine dem Wesen der Mythe entsprechende Variation
ist es, wenn an Stelle des Pfeiles ein Vogel abgeschossen
wird, oder an den Stellen in den Mythen, in denen wir
gewohnt sind, die Pfeilleiter anzutreffen, der Held im
Yogelpelz emporsteigt. Die Vögel schiessen anderseits die
') Boas: „Verh." 1805 8. 201 2.
*) Boa»: „Verh." 1S91 8. 562.
») Boa«: „Verh." 1892 8. 333.
4 ) Ueber die weite Verbreitung dieser Mythe: Boas: „Ent-
wicklung" 8. 503.
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— 171 —
Kette, ein Pfeil trifft den Himmel und bleibt sitzen, der
zweite den ernten und so weiter. Nachdem sie oben ange-
langt (Sonnenaufgang), bricht die Pfeilleiter zusammen
(Sonnenuntergang). Bei den Kootenay schiessen zwei
Habichte, „welche schon früher einmal den Himmel be-
sucht hatten", die Kette. Sie reicht aber nicht bis zum
Boden.
Um die Kette zu vervollständigen, steckt der Rabe
seinen Schnabel in die Kerbe des letzten Pfeiles und
stemmt seine Füsse gegen die Knie 3 ). Im 2. Kapitel. sahen
wir, dass auch sonst der Habe die erste aufgehende Sonne
ist. Auf den Sonnenaufgang wird auch sonst hingewiesen,
als zwei Männer dahin gehen, „wo die Sonne aufgeht", um
die Kette zu schliessen. Der eine wird die Sonne, das
Tagesgestirn, der andere der Mond, der die Nacht be-
herrschende 6 ).
Am häufigsten ist aber der Mink oder Nerz, der auf
der Pfeilkette emporklimmende.
Der Mink ist der Sohn der Sonne. Von den Menschen
arg verspottet, steigt er an der Pfeilkette empor (Sonnen-
aufgang). Sein Vater ist die Sonne. Von ihm empfängt er
das Gestirn als einen Nasenpflock. Als aber Mittags die
Wolken ihm den Weg versperren, wird er uugeduldig und
beginnt zu rennen. Da wird es so heiss. dass die Felsen
bersten und die Wasser kochen (Mittagshitze). Der Vater
rennt hinter ihm her, reisst ihn den Nasenpflock ab und
schleudert ihn in s Meer (Sonnenuntergang), wo er von
einer Frau (Nacht) aufgefangen wird 7 ).
*) Boan: „Verh." 1893 S. 241. „Entwicklung*' S. 522. „Verh."
1S91 S. 548, S. 165.
8 ) Boas: „Verh." 1892 S. 34.
') Z. B. Boas: „Verb." 1892 S. 470, 1893 S. 228 9, S. 244, S. 251 2,
1894 S. 28« etc.
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172 —
Dass gerade der Mink die Pfeilleiter so häufiig schliesst,
ist nicht auffallend. Indem er aus dem Geisterlande das
Feuer für die Mensehen stiehlt 8 ), ist seine Beziehung zu
dem Mythenkreise, dessen typische Form Maitis Feuerdieb-
stahl ist also den Sonnenaufgangsmythen, festgelegt.
Dass im Allgemeinen mehr Tiere als Menschen in der
nordwestamerikanischen Mythologie auftreten, ist nahe-
liegend. Die Menschen leiten in totemistischer Grundan-
schauung ihre Herkunft von den Tieren her. Anderseits
treffen wir, wie schon besprochen, auch in allen Wander-
und Ahnensagen der Sudsee den Rythmus der herrschen-
den Sonnenmythologie an.
Damit ist das Rätsel einfach und verstandlich gelöst.
Die Strahlen der aufgehenden Sonne sind anderseits
auch in den Pfeilen wieder zu erkennen, die von übel-
wollenden Zauberern als Krankheiten auf die Menschen
abgeschossen sind. Aber auch diejenigen Pfeile, die in
zauberhafter Weise auf einen Menschen nur gerichtet, den
Tod herbeiführen, die Todbringer sind in diese Kategorie
zu stellen. Jedoch ist hier auch die Bedeutung der sengen-
den, verzehrenden Strahlen der Mittagssonne nicht zu über-
sehen.
2. Oceanien.
Melanesien ist das zweite Heimatland der typischen
Pfeilmythen. Auf der Pfeilleiter klimmt Quat empor, um
die entflohene Himmelsfrau zurückzuholen (Sonnenaufgang).
Auf der Rückkehr stürzt er herab (Sonnenuntergang).
Aber die Mythe tritt noch häufig auf. Die folgende stammt
von den Torres-Inseln 9 ).
*) Z. B. Boas: „Verh." 1891 S. 637, S. 574/5. Auch tritt die
Pfeilmythe direkt mit dem Feuer in Beziehung. Z. B, Boas: „Verh."
1801 S. 164/5.
») Codrington S. 273—275.
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173 —
Sie lebten an ihrem Platze und seine Genossen machten
einen Garten, in dem sie die Bauanen pflanzten. Als diese
Fruchte trugen und diese reif wurden, ging Delingavouv
jeden Tag hin und ass Bananen, nicht auf dem Boden,
sondern er stieg auf die Bäume und ass. Nach einiger
Zeit wurde er entdeckt; einer von den Genossen ging in
den Garten und sah ihn auf einem Bananenbaume sitzen.
80 lief er denn hin und erzählte es den andern. Er
sagte: „Ihr Burschen, ich habe einen gesehen, der stiehlt
und isst unsere Bananen." „Daun", sagte Maraw-hihi,
„mache Bogen für uns, damit wir hingehen und ihn töten".
Aber sie sagten: „Maraw-hihi, niemand wird im Staude
sein ihn zu schiessen und zu töten." „Ich will ihn schiessen
und töten", sagte Maraw-hihi. „Es ist vollständig unmög-
lich", sagten sie.
Immerhin machten sie Bogen, jeder für sich selbst
und brachen Spitzen für ihre Pfeile. Und als das ge-
schehen war, sagte Maraw-hihi: „Lasst uns gehen, einer
nach dem andern." So ging der Erste in den Garten und
sah ihn auf dem Bananenbaurae sitzen, uud schlich sich auf
den Zehen hin, um ihn zu schiessen. Aber Delingavouv
streckte seinen Arm aus, wie eine Fledermaus, und der
Mann erschrak und rannte zurück und erzählte es den
andern. „Es ist unmöglich, es zu tun", sagten sie. Maraw-
hihi sagte, es müsse wieder einer gehen, und ein weiterer
ging und dieselbe Geschichte geschah nochmals.
So gingen sie alle hin nach einander, und kamen
zurück und stritten mit Maraw-hihi, sagend, es könne
unmöglich vollbracht werden. „Dann", sagte Maraw-hihi,
„werde ich es selbst thun. Ich werde ihn schiessen und
töten". Und dieser Maraw-hihi, sagen sie, war geschickter
als sie alle; und er ging als Letzter und sah Delingavouv
auf dem Bananenbaume sitzen und er schlich auf seinen
Zehen unter den Bananenbaum. Als Delingavouv seinen
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— 174
Arm ausstreckte, erschrak er nicht: aber er schoss ihn
mit einem Vogelpfeil von Casuarinaholz und traf ihn an
das Ohr und schoss das rechte Ohr ab. Delingavouv fiel
daher auf den Boden. So läuft Maraw-hihi hin und erziihlt
es seinen Freunden.
Aber Delingavouv erhob sich unter der Banane und
ging heim zu seiner Mutter. Als er deren Haus erreichte,
suchte er sie auf und sie sagte: „Was gibt es mein Sohn? u
Und er sagte: „Gib mir eine Axt. tf Und seine Mutter
sagte: „Was willst Du damit?" Aber er hinterging sie
und sagte ihr nicht, dass Maraw-hihi ihm das Ohr abge-
schossen habe. Sondern er ging hin und schnitt sich
ein anderes Ohr aus der Wurzel eines Baumes namens
„Raw u . Und als er die Rawwurzel hackte, sagte er:
„Schlage in Stücke, schlag auseinander}" Aber Maraw-
hihi hatte einen von seinen Leuten hingesandt, der ging
und lauschte und hörte ihn sagen: „Schlage in Stücke,
schlage auseinander!" Und er ging zurück und sagte
Maraw-hihi, dass Delingavouv sich ein Ohr schlage an
Stelle des abgeschossenen.
Danach machten Maraw-hihi und seine Leute ein Fest
und tanzten jeden Tag. Und als Delingavouv davon hörte,
sagte er: „Ich will gehen und Rache nehmen." Er sammelte
eine grosse Menge Kastanien und nahm Feuer. Er sammelte
Steine und nahm einen Tanzmantel von Blättern. So
ging er zu ihnen. Aber er ging nicht offen und
aufrecht zu ihnen, sondern blieb hinter dem Dorfe. Dann
machte er ein Feuer und röstete seine Kastanien und
erhitzte die Steine und grub eine sehr tiefe Grube und
bedeckte deren Oeffnung mit dem Tanzgewand von Blättern.
So sass er und bewachte die Tanzenden.
Als sie lange getanzt hatten, hörte einer auf, um
Athem zu schöpfen; und als er Delingavouv da sitzen und
Kastanien essen sah, bat er ihn, ihm einige zu geben.
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— 175 —
„Laufe hier herüber", sagte Delingavouv; so rennt jener
zu ihm herüber und setzt sich auf das Tanzkleid nieder.
Doch wie er sich niederwirft, um hinzusetzen, da geht es
straks hinab in die Höhle. Delingavouv benutzte den
gleichen Kniff für alle Genossen des Tanzes und Hess sie
alle hinab in die Grube, Maraw-hihi zuletzt. Dann nahm
er die Steine, die er über dem Feuer erhitzt hatte, und
warf sie hinab in die Höhle, um die Männer durch die
Hitze zu töten. Daun ging Delingavouv mit der Ueber-
zeugung, sie getötet zu haben, nach Hause.
Als Delingavouv sie hinabgeworfen hatte, hatte Maraw-
hihi zu seinen Genossen gesagt: „Kommt rund um mich
auf diese Seite der Höhlung." Also hatten sie gethan
und kein einziger ward getötet. Dann sagte Maraw-hihi
zu seinen Leuten: „Wisst Ihr, wie wir unser Leben retten
werden?" Und sie antworteten: „Wir sind alle schon tot."
„Nicht auf einmal," sagte er. „Ich weiss sehr wohl, dass
wir nicht sterben werden."
Maraw-hihi erhob seine Augen auf zu der Oeffnung
der Grube und sah den über die Grube hängenden Zweig
eines Feigenbaumes. Kr sprach: „Lasst uns ker galgalaput
an diesen Feigenzweig" (d. h. schoot one arrow after
another, making each one stricke and fix itself into the
one before it). Und sie tbaten also; und die Rohrschäfte
der Pfeile, die sie hinaufgesandt hatten, reichten zu ihnen
hinab in die Höhle. Da sagte Maraw-hihi: „Klimmt hinauf
au den Schäften. a Sie sagten zu ihm: „Du zuerst und
wir nach Dir." Dann kletterte er an der Reihe der Pfeile
empor und gelangte aus der Grube und so retteten sie
alle ihr Leben. —
Die ganze Anlage der Mythe spricht schon dafür,
dass hier eine Schilderung des Kampfes von Tages- und
Nachtgestirn die ursprüngliche Form darstellte. Delingavouv
wäre danach der Mond. Das abgeschossene und wieder
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angefügte Ohr spricht dafür (Vollmond). Aber es hiesse mit
allzu rauhen Händen eine so zarte Materie, wie diese Dich-
tungen, anfassen, wenn man hier kategorisch eine Person als
bewusste Personifikation eines Gestirnes bezeichnen wollte.
Vielmehr glaubte ich, dass diese Mythen schon durch
den Hauptcharakterzug der afrikanischen Mythologie aus-
gezeichnet sind. Der bewusste Gehalt dürfte verloren
gegangen sein und nur noch einzelne Teile in alter Weise
in neue Mythen eingefügt werden. Oder, und das scheint
noch ansprechender, der Stoff ist alt, aber in moderne
d. h. melanesischer Fassung gebracht. Doch ich will hier
noch nichts Entscheidendes gesagt, sondern vielmehr ledig-
lich auf ein Problem hingewiesen und dem vorgebeugt
haben, den bewussten Gehalt zu überschätzen und nicht
Vorhandeues in der Auslegung unterzuschieben.
Giebt der erste Teil in dieser Weise zu denken, so
ist der zweite verhältnismässig klar. Maraw-hihi, der
Sonnenheld, stürzt in die Grube. Das wäre der Sonnen-
untergang. Er hebt seine Augen empor und steigt an
der Pfeilleiter auf (Sonnenaufgang).
Durchaus an samoanische und vor allem tonganische
Mythen vom Schiingenfänger erinnert die folgende von den
Neu-Hebriden.— Tangaro (der demQuatder Banksinseln ent-
spricht) hat weder Weib noch Kiud von seiner Art. Jedoch
wurde er der Vater eines Knaben auf Erden. Als dieser die
Mutter nach seinem Vater frug und hörte, er sei im
Himmel, verlangte er in den Himmel zu kommen und
seinen Vater zu sehen. Seine Mutter machte ihm einen
Bogen und einen Pfeil von Ere, dem blühenden Schilfe.
Er schoss und traf den Himmel. Und der Ere verwandelte
sich gleichsam in eine ätherische Wurzel einer indischen Feige.
Daran klommen die Beiden gen Himmel. Sie fanden
Tangaro, der sich bereit erklärte, mit ihnen zur Erde
zurückzukehren.
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— 177
Doch als er herabstieg, schnitt er die Leine «her
ihnen und unter sich ab und kehrte zum Himmel zurück,
während sie nach Atam bulu, dem ersten Wohnplatze der
Menschen auf Erden, herabkamen 10 ).
Hier ist das Verhältnis klar: Pleilleiter, Strick, Ab-
sturz. Danach repräsentieren die Pfeile auch hier die
Strahlen der Sonne und sind identisch mit den Nägeln,
die Mauis Ahnfrau auszieht, als er das Feuer holt 11 ).
In Polynesien fehlt die Pfeilmythe, die wir mittlerweile
als eine neue Form bekannter und recht wohl in Polynesien
heimischer Mythen erkannt haben durften. Es ist aber
wenigstens auf die Speere, die die Götter und Helden
schleudern, hinzuweisen, zumal den Speer Mauis, mit dem
er die Seelen, die in das in der anderen Hand getragene
Netz geraten, tötet 12 ). Vielleicht ist auf den Kreis solcher
Anschauungen auch ein Orakel zurückzuführen, das die
Priester Neu-Seelands aus geschleuderten Pfeilen lesen.
Musste ich oben an die sengenden Strahlen der nord-
westamerikanischen Mittagssonne erinnern, so darf ich im
tropischen Oceanien diese Beziehung nicht übersehen.
Diese Pfeilmythen müssen sich überhaupt aus einem
Gemenge verschiedener Regungen, Kenntnisse, Gebräuche,
Beobachtungen herauskrystalisiert haben. Eine Zusammen-
stellung wie die folgende ist schon bestimmend in dieser
Richtung.
Von den Dajak meinen manche, Krankheiten wären
verursacht durch Verwundung von Geistern mittelst unsicht-
barer Speere. Im westlichen Melanesien sind die Ghost-
shooter bekannt 13 ). Andererseits schiesst der glückliche
10 ) Codrington S. 169.
n ) Bastian: „Hawai" 8. 99. AcheliH, Sehirren etc.
1J ) Williams: „Narrative" 8. 108. Schirren S. 145. Bastian:
„Oceanien" 8. 1(>8.
,J ) John Bd. I S. 187. Codrington 8. 197 u. a. a. O.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 12
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Vater einer Alfurenfamilie im Glück über einen Neu-
geborenen drei Rohrpfeile über das Dach seines Hauses 14 ).
Und endlieh wird der Pfeil gegen die Geister geschleudert,
die in nächtlicher Stunde Unruhe den Menschen bereiten,
die in der Sonnenfinsternis dem Tagesgestirne zu .Leibe
rücken 15 ).
3. Australien.
Es ist noch eine Lücke auszufüllen. Auch die Australier
besitzen eine typische Sonnenbahn -Mythologie. Der Gott
Nurrundere sandte die Flut, um seine Frauen zu vernichten.
Er zog sich nach Westen als alter Mann zurück. Da, ein
zurückgelassenes Kind sehend, warf er demselben den am
Ende eines Stabes befestigten Strick zu und zog es an
dejnselben empor. So oft seitdem ein Mensch stirbt,
reicht Nurrunderes Sohn dieses Seil ihm zu und hilft ihm
auf den Weg, den er zuerst gekommen 16 ).
Der Gott, der, die Fluten erzeugend, im Westen als
alter Mann versinkt, muss einem Sonnengotte sein Dasein
verdanken. Und dies wird um so wahrscheinlicher, da in
Australien die Anschauung: „die Seele folgt der Sonne
ins Jenseits" noch sehr klar ausgebildet ist, und wir hier
hören, dass auf dem Pfade dieses im Westen versinkenden
Mannes die Seelen folgen.
Haben wir so den Strick mit einer Untergangsmythe
verbunden gesehen, so treffen wir in weiteren Mythen die
Pfeil- oder vielmehr Speerleiter als Teil einer Sonnen-
aufgangsmythe. Nach Mythen vom Lake Condah warf
ein Mann seinen Speer, an dem ein Tau gebunden war.
in die Wolken. Er kletterte an dem Stricke empor und
u ) Juughuhn: Bd. II S. 323.
,5 ) Komillv S. 81. D'Albertis Bd. I S. 131 und 147. Riedel
8. 142. (Rosenberg S. 200.)
'*) Bastian: „Oeeanien" S. 115.
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179 —
brachte das Feuer von der Sonne auf die Erde. Alle
Menschen kletterten so in den Himmel bis auf einen
Mann, der Stammvater der Menschen ward 17 ).
Diese Mythe muss zerlegt werden. In der Mink-
Mythe der Nordwestamerikaner und in der Mauimythe
der Oceanier sahen wir schon, dass der Feuerdiebstahl
eine seeundäre Mythe ist. Es ist das Sonnenaufgangs-
motiv das primäre. Nach dem Tode klettern die Menschen
am Strick ins Jenseits. Der Umkehrung entspringt auch
in diesem Falle das Stammvatertum, demnach gehört der
Speer in den ersten Teil der Himmelsbahn, das Tau in
den zweiten.
Andere Mythen bieten das Bild klarer. Waijungngari,
den Zorn seines Bruders fürchtend — Maui vom Gott der
Unterwelt verfolgt — warf seinen Speer an den Himmel
und klettert mit seinen zwei Frauen daran empor, sie
glänzen als Sterne im Himmel. Vollendet tritt die Mythe
unter den Adelaidestämmen auf. Monana steigt an „hinter-
einander zum Himmel geworfenen Speeren empor" 18 ).
4. Afrika.
Afrika, dessen Mythen wir so wenig kennen, entweder,
weil sie wirklich schwach ausgebildet sind, oder weil dies
Kapitel noch mehr weisse als beschriebene Blatter enthält,
hat noch nichts von einer Pfeilleiter verlauten lassen.
Immerhin fliessen Mitteilungen über die Verwendung von
Pfeilen in Gebräuchen reichlicher als in den östlichen
Provinzen, so dass wir wohl auf das Bestehen einer ent-
sprechenden Mythe schliessen dürfen.
Zunächst ist an der Loangoküste das Bildnis der
Sonne zu erwähnen, deren Gesicht mit einem Pfeilenkranze
") Brough Smyth Bd. I S. 462.
18 ) Brough Smyth Bd. 1 S. 425. Ratzel: ,. Völkerkunde" 2. Aufl.
Bd. I 8. :*52.
12*
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umgeben ist. Der Jäger, der morgens auszieht, steckt
eiuen seiner Pfeile dazu und zieht ihn erst nach Tötung
eines Tieres heraus. Agoye, der Weidagott, dessen Be-
ziehungen zu den Sonnengöttern noch besprochen werden
sollen, ist ebenfalls mit einem Pfeile gekrönt 19 ).
Die Beziehung zur Sonne, die hierdurch schon ange-
deutet ist, wird durch die Verwendung der Pfeile im Regen-
zauber noch weiterhin bestätigt. Der Jaga-Ganga Ya
Burilla-Invula schoss in die Wolken, um Regen zu erreichen.
Die Namaqua haben eine grosse Furcht vor dem Blitz
und schiessen bei Gewittern in die Wolken vergiftete Pfeile 20 ).
Noch näher kommt aber der östlichen Mythologie die
Anschauung, die aus dem Brauche der Ho-Neger spricht,
welche zur Besiegelung unwiderruflicher EntSchliessungen
in die Sonne schössen 21 ). Den Anschluss an westliche
Motive erreichen wir bei den Namaqua. Der Doktor eines
Patienten erklärt nämlich gewöhnlich, dass eine grosse
Schlange einen Pfeil in den Magen des Kranken geschossen
habe 22 ).
Und damit sind wir schon auf den Pfaden der Götter.
Hubeane, der Sonnenheld schiesst einen Pfeil auf das
Heubundel, in dem der ihn verfolgende Feind verborgen
ist. Der Mann springt empor. Ein zweiter Pfeil erlegt
ihn 23 ). Das ist der Anfang der Pfeilleiter. Denn Hubeane
ist hier der verfolgte siegreiche Held, die aufgehende
Sonne (siehe Teil III, Kapitel 14).
19 ) Bastian: „Loangoküste" Bd. I S. 326. Des Marchais Bd. II
8. 129.
ao ) Cavazzi Bd. II S. 182 184. Bastian: „San Salvador" S. 203/4.
Brough Smyth Bd. I 8. 457 8.
21 ) Herold Bd. V S. 159.
**) Anderson Bd. II S. 66.
") Wangemann : „Lebensbilder S. 84.
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— 181 —
Zum Schluss erinnere ich noch an den Fischspeer in
einer Stammesmythe der Tschi 24 ). Der Mann, der bei den
Verwandten seiner Frau, unter den Fischen im Meere
wohnt, hat die Eigenschaft, im Wasser zu leuchten, ange-
nommen; ein Fischspeer wird nach ihm geschleudert. Er
wird getroffen und soll an der Leine emporgezogen werden.
Diese Scene und die Bedeutung, die der gefundene Speer
nachher gewinnt, erinnert an australische Speermythen.
Eine direkte Beziehung braucht aber allerdings nicht vor-
zuliegen. V
Immerhin genügen diese fragmentarischen Mitteilungen
um zu zeigen und zu erkennen,dass auch in der afrikanischen
Anschauung die Motive der Pfeilleiter nicht radieal fehlen.
Damit ist nicht ungewöhnlich viel, aber doch schon genug
gewonnen, um besonders dann, wenn viel derartige Fragmente
sich finden, als ein wichtiger Bestandteil für Reconstruktions-
arbeiten dienen zu können.
*') „Kamerun. Schiffsschnabel" S. 79/80.
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XI. Kapitel.
Untergangs m yt heu in östlichen und westlichen
i ■ '
Provinzen.
Oceanien: Maui's Tod. Die Nacht verschlingt die Sonne.
Die (lötter verschlingen die Seelen. Götterkot. — Anschluss an
die Vogelmythe. — Anschluss an die Mondinythen. — Dan Ver-
schlingen der Augen. — Jonaamythen. — Mythe von Kamakajakau.
- M. v. Mutuk. Haarausfall. — Weitere Jonasmythen. Mauis
Geburt. Der Hai in der niederen Mythologie. — Australien:
Mond und Nacht verschlingen die Seelen. Anschluss an die
Vogelmythen. Nord westaraerika: Sonnenuntergang. — Jonas-
mythen. — Haarausfall. Die Mythe von Tsekis. Afrika: Die
Mythe von Kammapa. Jonasmythen. Die Gestirne werden
verschlungen. — Ocean. Austr. Nordwest am. Atr.: Kampf am
Eingang zur Unterwelt. — Verschlungen werden in der Vergeistigung.
— Das „Beissen" in der plastischen Darstellung. - Unterkiefer.
Gleichheit der Motive in allen Provinzen.
„Untergangsmythen" ist insofern ungenau ausgedrückt,
als nur eine bestimmte Gruppe derselben, allerdings die
wichtigste, besprochen werden soll, nämlich der Kreis von
Mythen, die den Untergang als ein „Verschlungen werden"
auffasst.
Bis jetzt haben wir mehr die Aufgangsmythen berück-
sichtigt. Dennoch trat das Bild des Unterganges so häufig
hervor, dass schon jetzt die Beobachtung gemacht sein wird,
dass für die in Frage kommenden Völker die Untergangs-
viel wichtiger als die Aufgangsmythen sind. Uns nimmt das
nicht Wunder. Ist doch das Schicksal der Menschenseele
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innig an das Geschick der Gestirne gebundeu. Die Seele
folgt der Sonne. Der Untergang des Menschenlebens ist
wichtiger wie sein Beginn. Deshalb die grosse Menge von
Beziehungen, die gerade in dem vorliegenden Kapitel zur
Besprechung gelangen soll.
•
1. Oceanien.
-
Die Geschicke der Ahnen, die der Sonne und die der
Toten, sind in den Mauimythen in den Abenteuern dieses
einen Wesens, das bald mehr Vogel, bald mehr Sonne, bald
mehr Ahnherr und bald mehr Totenfürst ist, vereinigt. So
ist auch Mauis Tod hier besonders interessant.
Man sieht, dass er seiner Streiche wegen nicht länger
in Irawarus Dorf bleiben darf. Der Vater meint, ihn werde
bald sein Verderben treffen durch die Ahnfrau Hine-
nui-te-po, welche aufblitzt und gähnt, wo Himmel und Erde
sich begegnen. Maui beschliesst, sie zu zwingen, da er
doch Tama-nui-te-Ra überwunden habe. Er nimmt sich
Vögel zu Gefährten, warnt, wenn er in den Mund der
Schrecklichen krieche, dass jene nicht lachen; lachen sollen
sie, wenn er heraus komme. Im ersteren Falle müsse er
selbst umkommen, im andern werde Hine-nui-te-po sterben.
Er entkleidet sich. Die Haut seiner Hüften ist schön und
bunt von den Tatumarken. Als er in den Rachen tritt,
lacht der kleine Vogel Tiwakawaka laut auf. Hine-nui-
te-po erwacht daraufhin und tötet Maui. Wenn Mauis
Vorhaben gelungen wäre, brauchten die Menschen
nicht zu sterben. Eine andere Version ist noch inte-
ressanter. Maui-potiki hat das Feuer im Hause der Hine-
nui-te-po gestohlen, entkommt aber der Rache der Diener,
da die Göttin befohlen hat, nur denjenigen zu fangen, der
aufrecht herankomme, während der schlaue Dieb kriechend
auf allen Vieren sich dem Hause genähert hatte, das Antlitz
nach oben gekehrt (man denke an den Aufgang der Sonne
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184
in der Olifatmythe!), wogegen ein anderer Bruder Mauis,
Maui-mo, der diese Vorsichtsmassregel nicht beachtet hatte,
angehalten und von der Alten zwischen den Lenden zer-
drückt wird 1 ). Ist hier die Ahnfrau Mauis die Todbringende,
so ist sie in Melanesien Quats Mutter. Sicher ist das eine
wichtige Parallele 2 ).
So verschlingt die Nacht die untergehende Sonne.
Aber auch alle der Sonne folgenden Seelen erleiden das
gleiche Schicksal. Nach dein Tode wird nach neuseeländischer,
hawaischer, tahitischer etc. Tradition die Seele von den
Göttern verschlungen oder „in Gestalt eines inneren Feuers
verzehrt", welch letzteres noch besser die Analogie zum
Sonnengeschick klar macht 3 ). Durch diesen Prozess des
Verschlungenwerdens wird die Seele nicht nur gereinigt,
sondern es wird ihr die Unsterblichkeit gesichert. Sie geht
darauf in das Po ein.
In drastischer Ausmalung der Mythe ist daraus ein
für uns wenig poetischer Anschauungszyklus entstanden.
Die Seele wird dadurch Götterkot. Es wird wohl genügen,
darauf hinzuweisen, dass aus dieser Fundamentalbildung
eine Reihe der wunderlichsten Umgestaltungen hervor-
gegangen ist. Die Menschenseele muss sich von Kot nähren,
aus dem Kot werden Menschen gebildet, es wird damit
gezaubert und so weiter. Andere Seiten dieser Anschauungen
sind aber e ntschieden anziehender 4 ).
») Thomson: „New Zealand" Bd. I S. 110. Schirren S. 33 4.
Achelis (nach Shortland) S. 6/7,
a ) Codrington S. 260, 8. 265. Ahnfrau insofern, als die Nacht
die Sonne ja auch hervorgebracht hat.
*) Dumont DHJrville S. 83. Ellis: „Hawai" S. 368. Kotzebue
Bd. I S. 77. Bastian: „Hawai" S. 55, S. 46. Tyerraann und Bennet
Bd. I & 273. Cook 3. R. Bd. II S. 303. Ellis: „Pol. Res." Bd. I
S. 51 6 7. Gill 82/3.
*) Codrington S. 275, S. 288. Taylor S. 104. Bastian: „Hawai"
S. 55. Brough Smyth Bd. I S. 425, vergl. das Beleben der Exkre-
mente in Nordwestamerika, vergl. auch Steller S. 361.
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— 185 -
Den Anschluss au die Vogelmythe bildet einerseits das
Eingreifen des lachenden Vogels und andererseits die
Meinung der Tahitier und Tonganer, der zufolge am Grabe
ein Vogel die entfliehende Seele erwartet und verschlingt,
eine Ansicht, deren australische Analogie wir noch kennen
lernen werden 5 ).
Die ursprüngliche Mythe vom Untergang durch Ver-
schlungenwerden ist aber durchaus nicht auf Polynesien
beschränkt. Die Babar- Insulaner meinen, dass Menschen,
die eines ungewöhnlichen Todes sterben, als z. B. ertrinken,
vom Baume stürzen, von Tieren zerrissen, von Feinden
erschossen werden, vom Geiste Rarawoliai, dem im Monde
weilenden, den Tod verursachenden Wesen, verschlungen
werden 6 ). Diese indonesische Form der Mythe erinnert
an die bekanntesten Mythen von der Entstehung des Todes
(s. Kap. 21), welche mit dem Monde in Beziehung gebracht
werden.
Auch die polynesische Todesmythe trägt noch Spuren
der Mondsagen. Hine oder Hina ist der Mond, der hier
allerdings als Repräsentant der Göttin der Nacht erscheinen
mag. Anders verhält es sich mit der Babarmythe. Den
Träger derselben muss die Mondmythe — die ja älter ist —
noch vertrauter gewesen sein. In der Hine-nui-te-po
ist der Horizont gegeben. Das ist das Charakteristik on
der Sonnenmythe. In Rarawoliai aber ist das form-
wechselnde Gestirn hervorgehoben. Das ist das Bezeichnende
der Mondmythen, zu der in diesem Falle nur das Motiv
des Verschlungenwerdens aus einem fremden Strome den
Trägern der Sonnenmythologie hier zugeflossen ist.
Es wäre übrigens eine Unterlassungssünde, wenn hier
nicht auf ein auch den Mondmythen eigenes Motiv des
Verschluugenwerdens hingewiesen würde. Bei Finsternissen
*) Wilson: „Miasionsreise" S. 367. Cook 3. U. Bd. II 8. 95.
•) Riedel S. 361.
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18«
soll sich ein grosses Krokodil der Sonne oder dem Monde
nähern, auch wohl ein Drache, um das Gestirn zu ver-
schlingen 7 ). Dies ist aber ein ganz anderes Bild, das mit
dem Seelenschicksal nichts zu thun hat, wenigstens habe
ich nichts hierfür Sprechendes finden können.
Im Anschluss an die Mythe, der zufolge die Menschen-
seele zur Nahrung der Götter wird, darf ich wohl daran
erinnern, dass die Augen der Opfer im Krieg und Frieden
vom Sieger oder Priester verschlungen werden, manchmal
thatsächlirh, manchmal nur andeutungsweise 8 ). Je mehr
Menschenaugen der Krieger verschlungen hatte, desto heller
erglänzte sein eigenes Auge als Stern am Himmelszelt.
Einen engen Kreis in mitten dieses grossen Zyklus
möchte sich als den der „Jonasmythen" bezeichnen. Eine
sehr schöne Form derselben hat Codrington auf Ysabel
entdeckt 9 ). Es ist folgende Mythe:
Er wohnte auf den Hügeln von Gaji. Er besserte
seine Netze aus und sah hinab auf den Ocean. Er sah
ihn sehr dunkel. Seine Enkel gingen hinab zur See, um
zu fischen zwischen Ritten, und Kamakajakau sagte zu ihnen:
„Gehet und bringt Salzwasser für mich auf diesen Platz,
damit ich sehe, ob seine Farbe gleich der des Oceans ist. u
Also sprach er zu ihnen. Seine Enkel gingen fort, hinab
zum Ufer und fischten am Ufer, sie fischten mit Netzen.
Danach schöpften sie Salzwasser und kamen wieder hin-
auf und gaben es ihm. Und er sprach zu ihnen: Gebt
das Gefäss hierher und ich will es herabgiessen und sehen
ob die Schwärze dieses die gleiche ist, „wie die des Meer-
wassers, die ich von oben aus sah". Also sprach er. Und
7 ) Scharfenberg i. d. „Zeitschrift f. Ethnol.« Bd. 17 1885, S. 32.
Busch mann S. 41 2.
8 ) Cook 3. R. Bd. II S. 156. Bastian: „Hawai* S. 43 etc.
!l ) (Vulrn-ton S. 265 «6.
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— 1S7 —
er goss es herab und sah. dass es Dicht die gleiche Schwärze
war, wie die, die er von obenherab gesehen hatte.
Als es Morgen war. nahm er das Salzwassergefäss
und ging von dannen. Er steckte in das Ohr ein Stuck-
chen Obsidian und wanderte dahin und kam zur See und
legte am Ufer seinen Beutel und Schild und Keule nieder.
Er nahm das Gefäss in die Hand und watete in das
Wasser hinaus. Er schaute auf den Hügel, auf dem er
wohnte und von dem er kam, und er konnte ihn noch
erblicken. So schwamm er denn noch weiter fort vom Ufer,
bis er den Hügel von Gaji erblickte. Da tauchte er hinab.
Die Oberfläche des Meeres wogte und Blasen stiegen
empor. Und er hörte, wie ein Kombili (Königstisch) von
mächtiger Grösse auf ihn zukam. Der Fisch kam und
verschluckte Kamakajakau und wandte sich mit ihm ost-
wärts zum Sonnenaufgang, und bewegte sich mit ihm fort,
bis er an eine seichte Stelle kam, wo er sich hinwarf, so
dass Kamakajakau merkte, dass hier offenbar Ufer sei.
„Hier bin ich", sagte er zu sich und dachte an den
Obsidian in seinem Ohr uud fühlte nach ihm. Er fand
ihm und schnitt den Bauch des Kombili auf und schlüpfte
heraus.
Da sah er einen Glanz. Er setzte sich nieder und über-
legte: „Ich wundere mich wo ich bin?" dachte er. Da
stieg die Sonne mit einem Kuck empor uud warf sich
von einer Seite zur andern. Und die Sonne sagte: „Stelle
Dich nicht auf meinen Weg, Du musst sonst plötzlich
sterben, stelle dich auf meine rechte Seite." Und er ging
auf die S^ite, bis die Sonne emporgestiegen war. Dann
folgte er. Die beiden stiegen himmelan und kamen so
endlich an das Dorf der Kinder der Sonne. Die Sonne
sprach: „Hier stehe." So stand Kamakajakau bei den
Kindern und Grosskindern der Sonne: sie aber ging von
dannen.
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— 1*8 —
Kamakajakan blieb stehen und sie fragten ihn: „Von
wo bist Du hierher gekommen ? u Er sprach: „Von der
Erde. Ich wohnte an meinem Orte und ich tauchte in
das Salzwasser und ein grosser Fisch verschlang mich.
Und so bin ich hierher in Eure gute Stadt gekommen."
So blieben sie bei einander. Sie assen nur rohe Nahrung.
Da zeigte er dem Volke da oben das Feuer, sodass sie
gekochte Speisen verzehren konnten.
Sie warnten ihn davor, einen gewissen Ort zu be-
treten; er sei tabu. Sie gingen ihrer Wege. Während er
allein zu Hause ist, geht er an dem verbotenen Platz.
Er hebt einen Stein empor und blickt durch ein so im
Himmel entstandenes Loch auf die Erde l0 ) und er sieht
die Hügel von Gaji. Da weint er. Und auch als sie
ihm Nahrung bringen, kann ihn das nicht trösten. Und sie
fragen ihn, ob er auf die Erde will. Da bejahte er.
Darauf setzten sie Kamakajakau in ein Haus und
geben ihm Nahrung und Samen von Pau (to deye with).
Sie binden an die Spitze des Hauses ein Rohr und lassen
ihn hinab. Und sie sagen ihm, wenn Vögel und solche
Wesen, die die Luft beleben, schreien, dann solle er nicht
herausschauen. AVenn aber Geschöpfe der Erde zu ver-
nehmen seien, dann solle er heraussehen.
Sie lassen ihn am Rohre hinab. Wenn aber eines
zu kurz wird, dann binden sie noch eines daran, so
lange bis Kamajakau auf den Hügeln der Heimat an-
langt. —
Die Hauptzüge dieser Sage sind unverkennbare Symp-
tome der Sonnenmythen. Da, wo das Meer schwarz ist
(Nacht), wird Kamajakau verschlungen. Der Fisch schwimmt
nach Osten. (Der Weg der Sonne bei Nacht.) Und da, wo
die Sonne aufgeht, schlüpft Kamakajakau aus seinem Leibe.
10 ) Dieses und das folgende vergl. mit Kap. 9 8. 1314.
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189 —
(Sonnenaufgang.) Eine Beziehung zu der polynesischen
Aufgangsmythe in Form von Mauis Feuerdiebstahl, besteht
auch darin, dass Kamakajakau den Kindern im Sonnen-
dorfe das Kochen der Speisen lehrt. Der Abstieg der
Sonne ist in bekannter Weise dargestellt.
Diese Sonnenmythen in der „Jonas-Form" sind in
Oceanien verhältnismässig häufig. — Auf Badu, einer
Insel der Torres-Strasse u ) lebte vor langer Zeit einmal
ein Mann mit Namen Mutuk. Er fischte einstmals auf
einem Riff, als seine Angelschnur sich verfing. Daher
tauchte er in das Wasser, um sie zu befreien. Ein vor-
überschwimmender Hai schnappte ihn aber auf und ver-
schluckte ihn, ohne ihn zu verletzen.
Der Hai schwamm nordwärts über das Riff von Man-
grove Insel. Mutuk fühlte die Wärme und er sagte zu
sich: „Jetzt sind wir im warmen Wasser." Als der Hai
in tieferes Wasser tauchte, empfand Mutuk die Kälte und
wusste nun, dass sie wieder untergetaucht waren, zuletzt
schwamm der Hai nach Boigu und strandete, als die Ebbe
eintrat. Mutuk fühlte die pralle Sonne den Körper des
Fisches bescheinen und erkannte, dass er hoch und trocken
lag. So nahm er denn eine scharfe Muschelschale, die
er hinter dem Ohr trug und hackte den Leib des Haies
auf, bis er eine genügende Oeffnung gemacht hatte.
Aus seinem sonderbaren Gefängnis entschlüpfend, merkte
er, dass seine Haare ausgefallen waren. —
Der Schlusssatz wird dann seine Würdigung finden,
wenn die nordwestamerikanischen Jonasmythen uns gezeigt
haben, dass die Hitze im Magen der Fische — die Hitze
der Sonne — der Grund des Haarausfalles ist.
Melanesier (Erromango) und Indonesier (Tanembar)
erzählen ähnliche Mythen, deren Beziehung zum Kreise
n ) Haddon: „Logende* 8. 56.
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190
der Jonasmythen selbstverständlich ist 12 ). Sagen von
Männern die verschlungen und wieder ausgespieen sind,
von durch Fischen verwüsteten Landern etc. sind hierher
zu rechnen. Wichtiger sind für uns die Abweichungen und
die Reihe der Mythen und Anschauungen, welche die De-
generation der Mythe zeigen.
In vollendester Klarheit berichtet die Mvthe von Mauis
Geburt: Die Mutter warf ihn in eine Locke ihres Haupt-
haares gewickelt in das Meer. Seegras umschlang den
Kleinen; ein Fisch verschluckte ihn; die Vögel spülten
den Fisch auf den Strand, wo Vögel an ihm. saugten und
pickten bis Tama-nui-ki-te-Raugi ihn aus dem Fische her-
ausschnitt, nach Hause nahm, in das Dach hängte und
durch die Wärme des Feuers belebte 13 ).
Sowie nun die Mythe an Klarheit und Vollendung ver-
liert, beschränkt sie sich auf die Untergangssonne. Ich er-
innere an die Olifat-Mythe. — Olifat wird vom Fische tot
gebissen. — Ferner an eine Sonnenuntergangsmythe von dem
Palaus. Nach dieser befindet sich das Haus der Sonne
im Westen unter der See. An der Stelle wächst ein Denges-
Baum. Wenn die Sonne Abends zu dem Baume kommt,
reisst sie die schon auf dem Baume keimenden Früchte
ab und wirft sie in die See. Die Haitische, die den Ein-
gang zu dem Sonnenlande bewachen, sind begierig hinter
diesen Früchten her und bemerken nicht wie die Sonne
untertaucht und glücklich zu ihrem Hause gelangt 14 ).
Und diese Betonung der Untergangssonne niuss zur
niederen Mythologie führen. So beschreibt Williams von
Aitutaki das Idol Te-rongo, den Menschenesser, dessen Priester
vom Hai inspiriert wird. Von anderer Seite wissen wir,
1S ) Meinieke S. 338. Turner S. 497. Riedel S. 309. Siehe auch
Melville S. 197.
ls ) Schirren S. 29.
,+ ) Chamisso Bd. II S. 2(U. Kubary 8. 57.
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191
dass Rougo die Seelen der im Kriege gefallenen verschlingt
sie aher noch lebendig sind in dessen Unterleib. Ehe nach
der Anschauung der Pentecost Insulaner die Se'elen das
Jenseits erreichen, müssen sie die See berühren. Da wartet
ein Hai seiner Beute und beisst allen denen, die nicht mit
gehörigen Ceremonien die Schweine schlachteten, die
Nasen ab 13 ).
Und daran schliesst sich dann die Bestattung in
Trögen von der Gestalt eines Haifisches an 16 ) und wohl
ein bestimmtes Motiv neuirländischer Schnitzerei, welches
aus einem Hai-Kopf mit halbverschlungenem Menschen-
körper oder aus einem Haitischkopf mit aus dem Rachen
herauswachsenden Vogel (siehe Taf. 2) besteht 17 ).
Sowie die Sonnenhelden im Moment des Unterganges
so wird die Menschenseele im Tode vom Hai verschlungen.
2. Australien,
Auch in Australien finden sich verwandte Mythen. Sie
treten aber mehr in der niederen, als der hohen Mytho-
logie auf.
So werden die abgeschiedenen Seelen manchmal durch
den Mond verhindert, das Land der Seeligen zu erreichen.
Dieser nämlich verschlingt sie, wenn er sie trifft. Er nährt
sich von den verirrten Seelen der Männer und Frauen.
Weun er rot ist, sehen sie, dass er genugsam von dieser
seiner. Lieblingsspeise verschmausst hat. Andererseits er-
zählen die Australier von Wandong, einem bösen Geiste,
15 ) Williams: „Xarrative* S. 108. Gill 8. 83,4. Codrington
8. 287.
") Codringtou S. 262. Ouppy: „Salomon Islands 44 8. 5H. Finsdr.
„Ethnol. EH. 14 8. 405.
. l7 ) Schürt/: „Augenornament u 8. 56 59. A. B. Meyer Taf. XVI11
Nr. 4. 8churtz und Krause S. 63 und Taf. IX Nr. 1. Bastian: „Oee-
anien u 8. 89.
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— 192 —
den sie als einen schwarzen Mann beschreiben, der Nachts
umherwandelt und bereit ist, einen unglücklichen Wanderer
zu ergreifen und zu verschlingen 19 ).
In direkte Beziehung zur Vogelmythe aber tritt die
Mitteilung, dass die auf einem Baume mit Vogelstimnie
klagende Seele unter der Reihe Leidtragender in den
Mund des Ersten hineinfährt, am anderen Ende wieder
hinaus, in den nächsten u. s. w. bis im letzten verbleibend.
Die ozeanischen Parallelen erklären die Entstehung der
Anschauung zur Genüge 20 ). (Siehe oben.)
Endlich besitzen wir in folgender Erzählung ein hübsches
Glied, das nach verschiedenen Seiten die Verbindung her-
stellt 21 ).
Der Mond wandelte anfangs auf der Erde. Eiues
Tages besuchte er den Adler und verschlang ihn. Der
Mond traf dann auf der Wanderung die Frauen des Adlers,
die ihn auf seinen Wunsch an frisches Wasser führten.
Während er trank, erschlugen sie ihn, öffneten seinen Leib
und brachten ihn wieder zum Leben.
Da darf ich wohl zunächst an jene Mythe von der
Fluterzeugung durch die Krähe erinnern. Das war eine
Sonnenuntergangsmythe, oder wenigstens eine dieser Gruppe
von Mythen sehr nahe stehende. Ausserdem ist die vor-
liegende eine „ Jonas-Mythe". Der Mond repräsentiert
also in Australien vollständig die Nacht, spielt in gewisser
Hinsicht die Rolle der Hine-nui-te-po. Die Motive auch
dieses Kreises entsprechen den polynesisch-melanesischen
Analogien vollständig.
3. Nord-West- Amerika.
Die Mythen, die bis jetzt betrachtet worden sind,
haben schon oftmals das Motiv des Unterganges erkennen
19 ) Prichard: „Oceanieu* 8. 278 ; 9. Brough Smyth Bd. I 8. 274.
20 ) Bastian: „Oceanien" 8. 135.
ai ) Brough Smyth Bd. I S/432.
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1
— 193 —
lassen. Die zuklappende Muschel, die zuschlagende Thür,
der zusammenschnellende, gespaltene Baumstamm und die
zuschnappenden Wölfe, die mit Zähnen besetzte Scheide
etc. sind mehr oder weniger figurlich und persönlich,
lebendig und drastisch aufgefasste Untergangszenen.
Die charakteristische Sonnenmythe von Jelchs Sonnen-
befreiung beginnt fast immer damit, wie der Rabe sich
verschlucken (Sonnen-Untergang) und wieder gebären
(Sonnenaufgang) lässt 22 ).
Dann ist noch au die Figur des Baqbuabakualano-
sinae zu erinnern, jenes Unholdes, der „zuerst Menschen-
fleisch an der Flussmündung (also im Westen) ver-
schlang" 23 ).
Bei weitem am schönsten unter allen diesen Formen
ist jedoch der „Jonas" Typus ausgebildet, der bis in das
kleinste Detail den oceanischen Mythen dieser Gruppe ent-
spricht.
Maui wird bei seiner Geburt vom Fische verschlungen.
Jelch s Mutter ist die Walfischtochter. Anderer Version
zufolge, giebt ein Wal den Rath, den Stein zu verschlucken,
der Jelchs Geburt bewirkt 24 ).
Sodann lässt sich Jelch vom Walfisch verschlucken.
Er zündet ein Feuer im Magen des Tieres an und zer-
hackt darauf dessen Herz. Infolgedessen stirbt der Fisch
und wird ans Land geschwemmt. Die Leute, die ihn finden
und zerteilen, schaffen Luft, sodass Jelch ans Tageslicht
schlüpfen kann. Weiter im Süden überträgt man die
Mythe auf zwei kahnfahrende Knaben. Es ist das Toten-
schiff auf dem sie gleich der Sonne in die Unterwelt ge-
langen. Wie Jelch werden auch sie aus dem Leibe des
**) Krause: „Tlinkät" S. 261,263, 8.315. Erman Bd. 11 S. 374,
375. Boas: „Verli." 1S93 S. 44 45 u. a. a. O.
"J Boas: „Verh.* 1S93 8. 459 60, S. 476/7 u. a. a. O.
") Erman Bd. II S. 372. Krause: „Tlinkit* 8. 254 ff.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 13
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— 194 —
Riesenfisches befreit. Und nun kommt der prächtige Schluss:
„Es war aber so heiss im Walfisch magen ge wesen,
dass sie alle Haare verloren hatten" 25 ).
Die Bagu-Version der Mythe endet ganz gleich 2 *).
Die Toten mfisssen nach indonesischer und melanesischer
Mythe ganz dicht an der Sonne vorüber. An sonstigen
frappierenden Analogien ist neben der Anschauung: „in
der Finsternis sucht ein Fisch die Gestirne zu verschlingen",
auf gewisse Schnitzereien hinzuweisen, die den von dem
Haifischraehen halbverschlungenen Menschen darstellen 27 ).
Ich schliesse den nordwestamerikanischen Kreis mit
einer Mythe ab, die ihrer westlichen Parallelen wegen von
bleibendem Werte ist 28 ).
Als Kanigyilak einige Zeit gewandert war, kam er zu
einem Dorfe, und mit Erstaunen sah er, dass aus keinem
einzigen der Häuser Rauch aufstieg. Er ging in jedes
einzelne Haus, aber er sah niemand.
Endlich im letzten Hause fand er einen Mann, Namens
Nauetsa, und dessen Enkelin ein kleines Mädchen, die
einzigen Bewohner des Dorfes. Er fragte: „Wo sind denn
alle eure Landsleute?" „Das Ungeheuer Tsekis, das in
jenem See haust, hat. alle getötet" 29 ). Sobald jemand
herabging, um Wasser zu holen, kam es und verschlang
ihn. Wir sind die einzigen U eberlebenden. Er blieb im
Hause mit Nauetsa und dessen Enkelin.
Eines Tages sprach er zu dem Kinde: „Gehe hinab
zum See und hole mir Wasser". Dem aber widersetzte
") Swun bei Niblack S. 323. S. a. Taf. 51 und 52, Fig. 280
und 283. Boa«: „Tlingit* 8 164. „Verh." 1893 8. 242 3, 1895 8. 220/7,
1892 8. 44, 317,8, 1891 S. 634. 8. a. Entwickelung 8. 498.
") Vergl. S. 00.
* T ) Swan 8. 90. Abbildung bei Sehurtz: „Einleitung" 8. 43.
s ") Boas: „Verh." 1893 8.432.
") Vergl. Kap. 9 8. 159 160.
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195 —
sich der Alte aufs heftigste und wollte es nicht dulden.
Er rief: „Nein sie soll und darf nicht gehen. Tsekis soll
mir nicht das letzte meiner Kinder auch noch entreissen,
und gewiss wird er sie fressen, wenn sie geht". Kanigyilak
aber suchte ihn zu beruhigen. Er gab dem Kinde den
Eimer, band ihr den Gürtel aus der Haut des Sisiutle um,
und hiess sie gehen.
Er folgte ihr, sah, wie der Tsekis auftauchte und das
arme Kind verschlang. Da ergriff Kanigyilak einen Stock
und indem er auf einen Steine Takt schlug, sang er:
„Sisiutle! werde lebendig und töte ihm; erwache und töte
ihn! u Kaum hatte er ausgesungen, so kam das Ungeheuer
aus den Tiefen empor und wand sich in Todesqualen. Die
Knochen aller Menschen, die es verschlungen hatte, spie
es aus. Dann erschoss Kanigyilak es mit seinen Pfeilen.
Er setzte die Knochen wieder zusammen und besprengte
sie mit dem Wasser des Lebens. Da standen sie auf,
rieben sich die Augen, als wenn sie geschlafen hätten.
(Olifat!)
4. Afrika.
Hubeana 30 ) ward vom Weibe geboren, als alle Menschen
von dem Ungeheuer Kammapa verschlungen waren. Er
wuchs wunderbar schnell empor. Seinen Hals schmückte
ein köstliches Geschmeide von Anbeginn. Er ward gleich
den anderen von Kammapa verschlungen. Aber er begann
den Leib des Tieres zu durchbohren, tötete es und gelangte
mit allen Menschen wieder an das Tageslicht.
Diese Mythe ist eine so vollständig der uordwest-
amerikanischen analoge Bildung, beide entsprechen in allen
Details — ich erinnere an das Halsband — sich so merk-
würdig, dass von vornherein dasselbe Motiv als beiden
zu Grunde liegend angenommen werden darf.
30 ) Der Sonnenheld der Basuto-Mythologie. Vergl. Kap. 14.
13*
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196 —
Ausser dieser muss noch eine entsprechende Mythe
der Akpoto Neger am Niger berücksichtigt werden.
Unusa-ben-Mata war ein Prophet des wahren Gottes.
Aber er überhob sich im Stolz auf seine Mission und eines
Tages warf er sich in das Wasser, in dem Glauben, ein
Wunder wurde ihn über demselben halten. Um ihn für
seinen Dünkel zu strafen, erlaubte der Herr einem grossen
Fisch, ihn zu verschlingen. Der Fisch aber wurde die
Beute eines Alligators, der Alligator wurde von einem
Flusspferd verschlungen und so lebte einer im anderen
tausend Jahre. Nach Ablauf dieser Zeit befahl Gott, dem
Hippopotamus, den Alligator auszuspeien, dem Alligator,
den Fisch auszuspeien, dem Fische, Unusa an das Ufer
zu speien 3l ).
Zweifellos ist dieser Unusa, der „Jonas" der israe-
litischen Mythologie und die ganze Erzählung verdankt
mohamedanischen Priestern in diesen Landern ihr Leben.
Immerhin ist sie doch interessant insofern, als ein so
weites Einsickern nach Süden damit bewiesen ist. Bei
dieser Gelegenheit wiederhole ich meine Ueberzeuguug,
dass Naturvölker derartige Motive in ihre Mythologie und
Dichtung nur dann aufnehmen, wenn schon verwandte Züge
ihrem eigenen Schöpfungsborn entflossen und ihnen somit
vertraut sind 32 ). Also ist, auch von diesem Gesichtspunkte
aus betrachtet, die Mythe wertvoll.
Dass die Madegassen, in Finsternissen von verschlingen-
den Drachen die Gestirne bedroht glauben, geht aus
linguistischer Eigentümlichkeit hervor 33 ). Mehr auf eine
Jonasartige Mythe deutet die Efikbenennung für den auf-
8l ) Burdo 8. 163. (Vowthcr und Taylor 8. 233.
") K.-Sebiffsschiiabcl 8. 89.
M ) Goldic 8. 73 und 8. 330.
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gehenden iSonnenball: Utin Ekpök d. h. Die Sonne der
Eidexe
Weiteres über „Verschlungen werden" in der afri-
kanischen Mythologie wird sich im nächsten Teile ergeben.
Diese Mythen, die zunächst als Sonnenmythen be-
zeichnet werden müssen, geben uns den Schlüssel zu einer
Reihe schwer verständlicher Anschauungst'ormen. Derjenige
Punkt auf dem Reiseweg, der der Sonne folgende Seele,
der die meisten Schwierigkeiten und Gefahren bringt, liegt
am Horizonte, da, wo die Sonne versinkt, oder um mit
der Mythe zu reden, wo der Sonnenball verschlungen
wird. Aus der grossen Menge der in Frage kommenden
Mythen greife ich nur wenige heraus, doch wird es jedem
ein Leichtes sein aus der Zahl der sonst erwähnten die
kleine Beispielsammlung zu vermehren.
Nach Ansicht der Fate Insulaner (Neu-Hebriden) sitzt
am Eingang zur Unterwelt ein Mann, Namens r Salatau",
der jeder eintretenden Seele auf den Kopf schlägt. „Samu"
heist der Mann nach Fidjianerglauben. Er kämpft mit
der vorüberwandernden Seele und verschlingt diejenigen,
die er überwindet. Am Styx der Maori muss die Seele
schnell in ein Boot steigen, denn in der Nähe harrt ein
grosser Vogel um die zögernde als Beute hinweg zu
schleppen 34 ).
Die Ysabel-lnsulaner glauben, dass der Tote ein
Gewässer auf einen Baumstamm überschreiten muss. Der
Totenwächter lässt sich darauf die Hände der Ankömmlinge
zeigen und stürzt diejenigen, auf deren Händen sich nicht
das Bild des Fregattvogels als Tätowierungsmarke findet
in die Flut. Damit ist die Beziehung zur Vogelmythe und
anderen verwandten Anschauungen in so verlockender
a *) Meinicke S. 338. Williams: „Fidji" Bd. I S. 246. 8. a. S. 247
u. a. a. 0. Taylor S. 104 5.
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108 —
Weise geboten, dass ich auf einige weitere hierhergehörige
Analogien hinzuweisen, mich nicht enthalten kann. Auch
auf Fidji geht es den Seelen der Niclittätowirten übel.
Einige afrikanische Stämme glauben ebenfalls, dass die,
so keine Zeichen auf dem Leibe haben in der Unterwelt
dem bösen Geiste auheimfallen. — Bei den Battak wird
der Tote von Priestern zu Grabe geleitet, deren Gliedmassen
mit Vogelgestalten tätowiert sind 35 ).
Nach dem Glauben der Aschanti werden die Seelen
derer, die nicht die Enthaltungsgebote einhielten, vom
Fährmann in den Totenstrom geworfen. Dann lauert
ein böser Geist auf die Seelen der Anina und Moko.
Die Ibo-Toten müssen eine gefährliche Wand passieren 36 )etc.
Beachtenswert ist fernerhin der Eiufluss dieses Motives
auf Anschauung und Brauch im Sinne der Vergeistiguug 37 ).
Auf Seram (also Oceanien) wird der Profane, der in
den Kakeanbund aufgenommen wird, durch eine Oeffnung
in Gestalt eines aufgesperrten Krokodilrachens oder Kasuar-
Schnabels zur Nachtzeit in das Kakeanhaus gehoben. Es
heisst von ihm, der grosse Teufel habe ihn verschlungen 38 ).
Bei dem Tlinkit (also Nordwestamerika) Hess sich
ein Schamane, der einen neuen Geist gewinnen wollte,
vom Meere verschlingen, er hing am vierten Tage umge-
kehrt an einem Baume am Gestade 39 ).
In einigen Gegenden von Queensland (also Australien)
soll das Gebrüll des Schwirrholzes von den Zauberern
herrühren, die es ausstossen, wenn sie die Knaben ver-
ss ) Codrington S. 257. Oldendorp S. 340. Marsden S. 388. Williams:
„Fidji 44 Bd. I S. 247.
M ) Bowdich: „Essay" S. 43. Oldendorp S. 340.
37 ) „K. Schiffsschnabel 44 8. 20 ff.
38 ) Rosenberg S. 318. Ribbe: „Seran 44 S. 191.
") Krause: „Tlinkit 44 S. 287.
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— 199 —
»schlingen und diese wieder als Jünglinge von sich geben.
Die Nalarois des oberen Darling sagen, dass der Knabe
einem Geiste begegne, der ihn töte und ihn dann als
Mann wieder ins Leben rufe *°).
In Senegambien (also Afrika) werden die Jünglinge
vom Horrey verschluckt, eine Weile im Wanste behalten
und dann wieder ans Licht der Welt gebracht* 1 ).
Endlich habe ich das schon mehrmals besprochene
r Beissen u in plastischen Darstellungen zu besprechen. In
den Schnitzereien der Nordwestamerikaner, Oceanier und
Afrikaner sind Figuren-Zusammenstellungen der Art, dass
mehrere Menschen und Tiere einander beisseu oder lecken,
nicht selten. Ich verweise auf die Tafel mit den Toten-
schiffschnitzereien, dann die Abbildungen in der Abhand-
lung über den Kameruner Schiffsschnabel. Auf Neu-See-
land fiel Karle ein ungemein häufiges Motiv der Maori-
Schnitzereien auf, eine Eidechse, die einen Mann in den
Haarschopf beisst. Essoll das die Darstellung der Mythe:
Maui zog den ersten Menschen bei den Haaren aus dem
W T asserseiu. Wenigstens glaube ich diesen Sinn aus zwei Mit-
teilungen des Reisenden entnehmen zu müssen 42 ). Das
ist dann unbedingt eine Umkehrmig; nämlich die Ursprungs-
mythe kann kaum eine andere sein als: das betreffende
Tier verschlingt die Seele des Toten. Jedenfalls treffen
wir das gleiche Motiv, die den Menschen verschlingende
Eidechse, in Nordwestamerika auf den Rabenrasseln * 3 ) und
iu Neu - Mecklenburg in gewissen Ahnenbildern, die den
Menschen verschlingenden Haifisch versinnbildlichen, Dar-
*°) Howitt S. 256.
41 ) „Allg. Hist. d. R." Bd. II S. TU) 1.
42 ) Earle 8. 2G6 und 142.
4S ) Seier S. 244 Nr. 41 und 42. Schurtz: „Augenornament*
Taf. III Fig. 3.
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'200 —
Stellungen, die dem zu nahe stehen, um nicht in Parallele
gezogen werden zu müssen. Noch deutlicher und noch
leichter mit der Mythe indentificierbar ist es, wenn der
Vogel, wie wir gesehen haben, die Seele nicht nur trägt,
sondern verschlingt.
Damit möchte ich das von Seier erkannte aber offen
gelassene Problem der „Zungenzauber" auch lösen* 4 ).
Das dürfte eine Rückbildung sein. Die Nordwestamerikaner
haben eine Deutung für die von den Oeeaniern über-
nommenen Motive der Totenschiftssehnitzereien in dieser
Weise selbständig aufgefunden.
Zum Schlüsse soll auch noch der Kinnbacken in der
Sonnenmythe gedacht werden. Als Maui die Inseln fischt,
gebrauchte er als Angelhaken die Kinnlade seiner Ahn-
herrn 45 ). Achelis weisst darauf hin, dass auch in anderen
Sonnenmvthen-Herkules und Simson-Kinnladen vorkommen.
Schirren denkt daran, dass die eben aufgehende Sonne
gleichsam in die Erde beisst 46 ).
Ohne direkt etwas hiergegen sagen zu wollen, will
ich nur in sofern meinem Bedenken Ausdruck geben, als
icli darauf hinweise, dass diese Mythe doch wohl einer
Umkehrung ihre Entstehung verdankt. Die Leine, an der
Maui die Erde heraufzieht, ist doch wohl die Bahn, an der
Sonne und Tote hinabklimmen. Wenn das so ist, dann
ist der Angelhaken Mauis eher der Unterkiefer der ihn
zu verschlingen drohenden Nacht.
**) Seier S. 234. Schurtz: „Augenornament* S. 50 1 und 86.
Erman Bd. IT S. 370. Boa»: „Tlinkit" S. 172. Auf Inseln der Torres-
strasse wird die Zunge des Toten von den Hinterbliebenen Weibern
aufbewahrt. Haddon: „Secular* S. 30.
**) TaylorS. 24. Thomson: „New-Zcaland" Bd. II S. 109. Yate:
S. 143 u. a. a. 0.
* a ) Achelis S. 6. Schirren S. 144.
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— 201
Diese Ueberlegung hat mich auch zur Prüfung der
sonst um Unterkiefer gebildeten Glauben und Anschauungen
geführt. Ich habe keine weitere Beziehung auffinden
können, als dass dem menschlichen Unterkiefer im Osten
und Westen ein gleich grosser Wert beigemessen wird.
Vielleicht entdeckt ein anderer noch wichtigere Binde-
glieder.
Es ist das übrigens verhältnismässig natürlich. Denn
wenn einmal durch den Schädeldienst die Beobachtung
auf den Totenschädel gelenkt ist so fällt es auf, dass er,
der im Leben fest am Schädel sitzende Unterkiefer, abfällt.
Das ist zumal in Afrika der Fall, wo man entweder an
den unterkieferlosen Schädel eine Tierkinnlade anfügt,
damit der Tote kauen könne, oder überzeugt ist, dieser
Mangel zöge ihm die Uugunst des Herrn der Unterwelt
zu 47 ); auch meint man, es sei der einzige Körperteil, den
der Mensch von seiner Mutter erhalte — von seinem
Vater empfängt man nichts — oder aus dem Unterkiefer
der Toten würden neue Menschen gemacht 48 ).
Der Unterkiefer mag so auch als ein den ganzen
Schädel vorstellendes Glied angesehen werden. Ausser aus
Afrika 49 ) wissen wir das von Tahiti, von Neu -Guinea
— wo sie als Amulette häufig sind — von den Philippinen —
wo sie an den Trommeln hängen 50 ).
47 ) Herold 1893 S. 65. Baumann: „Usambara" 8.238 9.
48 ) Ellis: „Yoube u 8. 131. Herold 1893 S. 05.
*") Speke S. 253. Vogel S. 483. Stuhlmann 8. 186. „Allg. Hist.
d. R. u Bd. III S. 483.
50 ) Hawkesworth Bd. II S. 167. D'Albertis Bd. 1 8. 187. Finsch :
„Ethnol. Erf. 44 8. 132, 8. 156, 7. Chalmers and Gill 8. 48. Schurtz
und Krause S. 19, 8. 80/1. Sehadenberg i. d.: „Verh. d. Berl. Anthrop.
Ges. u 1888 S. 39. In der Mythologie Br. Kolumbiens ist der Unter-
kiefer der zweiköpfigen Sehlange ein so grosser Zauber, dass wenn
die Leute ihn sehen, sie tot zu Boden sinken. Boas: „Verh.' 4 1891
8. 642.
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— 202 —
Nur der Vollständigkeit halber habe ich diesen Bericht
hinzugefügt, dessen Resultat insofern sich für das Kapitel
als nicht ergebnislos erwiesen hat, als es abermals die
grosse, bis in die Einzelheiten in den östlichen und west-
lichen Provinzen sich erstreckende Einheitlichkeit und
Gleichheit der Sitten und Anschauungen beweisst.
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XII. Kapitel.
Rohrursprungsmythen in den östlichen und westlichen
Provinzen.
Mikronesien.: Umkehrung der Untergangsmytho. — Indo-
nesien: Menschenerschaffung. — Das Totenkahnrohr. — Polyne-
sien: Die Kiji-Kiji-Mythe. — Die indonesisch-polynesische Parallele.
— Mauis Ursprung. — Melanesien: Die Mythe von Upi. — Lösung
derselben. Fragmente im östlichen Melanesien. — Australien. —
Nordwestamerika: Jelchmythen. — "Wandermythen. — Afrika:
Baumursprung. — Rohrursprung. — Vorläufer der Mythe im Norden.
Die Rohrursprungsmythe ist so eigenartig, dass wohl
wenig andere zu finden sind, deren Verbreitung derartig
Aufsehen erregt, wie ihr Studium es mit sieh bringen muss.
Glücklicherweise fehlt in keiner Provinz eine Variation.
Ich beginne den Kundgang in den vier Provinzen Oceaniens.
1. Mikronesien.
Vier Männer aus Ngargeukl, einem Dorfe auf der Insel
Pililu (Palau- Gruppe), entschlossen sich einstmals, der Sonne
einen Besuch abzustatten. Das Haus der Sonne befindet
sich im Westen unter der See. da, wo ein Dengesbaum am
Gestade dichte Wälder bildet. Die vier Männer ruderten
also hinter der Sonne her und erreichten besagten Baum
gerade, als sie untergehen wollte. Als die Sonne von ihrem
Vorhaben hörte, hiess sie die Leute, ihre Kanoe treiben
zu lassen und ihr rasch zu folgen. Das thaten sie und
befanden sich bald in einem neuen Lande in einem guten
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— 204 —
Hause, wo sie von der Sonne trefflich bewirtet' wurden.
Die dargebrachten Speisen waren winzig klein bemessen,
wurden aber trotz des kräftigen Zulangens nicht weniger.
Als die Männer nun heimkehren wollten, waren ihre
Fahrzeuge fortgetrieben. Da schloss sie die Sonne in ein
dickes Bambusrohr, welches in Palau noch unbekannt war.
In demselben trieben sie an das Ufer ihrer Heimat. Sie
wurden darauf die vier ersten Häuptlinge.
Auch andere J ) Mythen der Karoliner wissen von einer
Wanderung in solchen Behältern zu erzählen. Aller unnutzen
Spekulationen über die Entstellung des Motives uberheben
uns die Analogien in der Olifatmythe. Als Olifat in die
Grube geworfen ist (Sonnenuntergang), steigt er in der
Mitte eines Pfostens wieder empor. Später versteckt er
sieh in einem Rohr 2 ).
Wenn sonst die Stellung der Mythe in der höheren
Mythologie ihre enge Beziehung zum Kreise der Sonnen-
sagen leicht erkennbar ist. wird es auch nicht schwer fallen,
ihre Quellen in der niederen Mythologie aufzufinden. Die
Mythe von den vier der Sonne folgenden Männern, die im
Kohr von ihr zurückkommen, lasst schon durchblicken,
dass es sich um eine zur Entstehungsmythe umgekehrte
Untergangsmythe handelt. Und wenn wir unter den bisher
besprochenen Motiven uns nach einem in Frage kommenden
Motive umsehen, so meine ich, muss in erster Linie die
Mythe von der der Sonne im Kahn folgenden Seele in
Betracht gezogen werden.
2. Indonesien.
Nach der Anschauung der Tagalen auf den Philippinen
entstand die Menschheit aus einem grossen Kohr mit zwei
') Kubary S. 57 8, S. 59/60.
*) Chamisso Bd. II S. 263 und 264.
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— 205
Gelenken, welches auf dem Wasser umhertrieh, his es end-
lich von den Wellen ans Ufer gerade vor die Küsse des
Hühnergeiers geworfen wurde, der ehen am Strande stand
und das Rohr mit dein Schnabel aufpickte. Da kam aus
dem einen Gelenk der erste Mann, aus dem anderen die
erste Frau 3 ).
Auf Celebes wird Bata Guru — dessen solare Bedeutung
Schirren eingehend besprochen hat — von seinem Vater
Pitutu in ein hohles. Bambusrohr geschlossen und zur Erde
hinabgelassen. Auf derselben angelangt, bricht er die Hülle
und geht als erster Mensch hervor 4 ).
Mit der Mitteilung, dass die Tanem bar- Insulaner eine
frische und grünende, mehrere Meter lange Bambusrute
als Leiter der Seele, die ins Jenseits führt, aufstellen 5 ),
ist der Anschluss nach allen Seiten geboten.
Die schon gewonnene Vermutung findet durch diese
ergänzenden Berichte ihre Bestätigung. Wie der seelen-
führende Vogel den Totenkahn mit der Seele der Ab-
geschiedenen in das Jenseits lenkt, so hackt er aus dem
vom Meere ans Land geschwemmten, vom Kahn zum Bambus
umgestalteten, hohlen Behälter den ersten Menschen heraus.
Das Motiv des die Seele bergenden Bambusrohres ist
selbständig und in andere, verwandte Kreise eingeschaltet
worden 6 ). In Sonnen- und Sonnenbahnmythen tritt es, den
primär-verwandtschaftlichen Beziehungen entsprechend, nicht
selten sowohl in Ursprungs- als in Untergaugsmythen auf.
3 ) Marsden S. BOB. Die gleiche Anschauung bei den Tagalen.
Ebenda 8. 302. Schirren S. 122.
*) Schirren S. 117.
B ) Riedel S. 307.
') Dann wird im Rotang nach dem Urheber eine» Diebstählen
befragt. Es ist eine den Ahnen vorgelegte Frage. Riedel S. 341,
S. 377.
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— 206 —
3. Polynesien.
Als nach samoanisrher und tonganischer Sage die Erde
geschaffen war, sprosste die heilige Schlingpflanze auf und
brachte die Würmer hervor, aus denen Kiji-Kiji (Maui-
Kiji-Kiji) die ersten Menschen herauspickte. Auch sendet
wohl Tangaloa, der Schöpfer, Tangaloa den Boten oder
auch Turi, den Vogelgott, herab, um die Fue- Schlingpflanze,
die Stammmutter der Menschheit, herabzubringen "').
Die Fue -Pflanze ist an Stelle (tes Bambus getreten.
Die Form der Mythe entspricht vollständig derjenigen der
Tagalen auf den Philippinen. Die Zahl der auffallenden
Analogien ist mit diesen aber noch nicht erschöpft.
Das Madchen, das nach battakischer Mythe (s. Kap. 7
S. 12.)) am selbstgesponuenen Faden vom Himmel herab-
klomm, fand unten nichts als Wasser und kein trockenes
Land, auf das es den Fuss hätte setzen können, „bis es
endlich nach langem Suchen eine Blume entdeckte, die
aus den Gewässern emporragte und in deren Kelch sie
sich niederliess u . Als Wakea und Papa auf den Köpf-
chen des Seegrases zeugten, entstand das Land 8 ).
Pflanzenstengel, Seegras, Schlammwasser sind die Ver-
treter des Rohres. Der Sohn Wakeas und Papas, der
diesen folgte, hiess Halva, d. h. Pflanzenstengel. Der erste
Mensch entsteht aus dem Schlammwasser genannten Alii-
Baumes, oder, wie auf Rapa-nui, aus anderen Pflanzen 9 ).
Auch im Mauimythus Neu -Seelands fehlt das Motiv
nicht. Seine Mutter warf ihn nach seiner Geburt ins Meer.
„Seegras umschlang den Kleinen" l0 ).
7 ) Bastian: „Oceanien" S. 36. „Samoanisehe" S. 11, S. 13, S. 37.
.Schirren S. 25.
•) Brenner S. 217. Bastian: „Oceanien* 8.227.
») Bastian : „Oceanien* S. 233, S. 268, S. 95.
10 ) Sehirren S. 29.
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— 207 —
4. Melanesien.
Eine Frau 11 ) ging in den Wald, um im Garten zu
arbeiten. Sie hing ihr Kind, ein Baby Namens Upi. in
einem Korbe in dem Thürrahmen auf. Der Korb ward vom
Südostwinde ergiffen und herabgeworfen. Die heimkehrende
Frau fand ihr Kind nicht wieder und begann zu weinen.
Inzwischen war ein Mann mit seinem Weibe vorbei-
gekommen. Die hatten den Korb mitgenommen. Sie waren
kinderlos und beschlossen das Kind an Stelle eines eigenen
anzunehmen. Sie legten Upi im Busche nieder und er-
zahlten den Männern des Dorfes, dass sie ein Kind ge-
funden hätten und der Mann holte es, um es zu zeigen.
„Gut, wir sehen, Ihr nehmt es w .
Später sagten sie: „Wir gehen spielen." Sie steckten
zwei Pfähle etwa zwei Fuss von einander in den Boden.
Darauf sprachen sie zum Adoptivvater, sie wollten den
Knaben jetzt Speeren. Der Vater verweigerte ihnen das;
er wollte den Knaben zurück mit nach Hause nehmen.
Darauf erwiederten aber die zwei Männer, wenn sie den
Knaben nicht erhielten, würden sie mit dem Pflegevater
fechten.
So ward der Mann gezwungen, den Knaben aufzu-
geben. Er aber und seine Frau baten, ja nur Arme und
Beine, nicht aber Rumpf und Augen zu treffen. Die
Männer befestigten je ein Bein und einen Arm Upi 8 an
einen Pfahl und nachdem sie ihn mit Speeren beworfen
hatten, begaben sie sich zum Mahle in den Busch. Am
Abend übten sie sich im Speerwerfen auf den unglücklichen
Upi. Der Knabe blieb den ganzen Tag und während der
Nacht an dem Pfahl festgebunden. Er gedieh jedoch
trotz der Behandlung, die er erfahren hatte, trefflich und
wuchs wu nderbar schnell.
n ) Mythe von Budu (Torres StrasKe). Haddon: „Legends*
8. 65 ff.
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— 208 —
Am nächsten Tage gingen sie in den Busch und er-
griffen bei ihrer Rückkehr am Nachmittage ihre Wurfspeere
und Wurfbretter und unterhielten sich abermals, indem
sie Upi als Zielscheibe benutzten. Die Pflegeeltern baten
die Männer nicht lange, sondern kurze Speere zu benutzen.
Der Knabe schrie. In der Nacht nahmen der Mann und
die Frau Upi fort, um ihn zu waschen und zu futtern.
Darauf banden sie ihn wieder fest.
Am nächsten Morgen spielten die Männer abermals
und warfen ihre Speere auf Upi. Zur Mittagszeit gingen
sie iu den Busch aber am Abend warfen sie wieder ihre
Speere auf den Knaben. Nachher kam der Pflegevater,
um einen Blick auf den Knaben zu werfen, der zu dieser
Zeit zu einem starken Knaben aufgewachsen
war und ihn bat, wenn er schlafen ginge, die Stricke zu
entfernen. Der Mann that also und als alle Leute schliefen
lief der Knabe von dannen.
Als Upi so durch die Büsche lief, kam er an einem
kleinen Hause vorbei und entdeckte beim Eintreten in
demselben zwei Leichname. Er ergiff deren Schädel,
wusch sie und steckte Büsche daran. Er legte sie zu-
sammen und sprach zu ihnen: „Alle Männer Speeren mich
gebt ihr zwei mir guten Weg". Sie rieten ihm in einer
bestimmten Richtung zu wandern, wo er eine grosse Art
Bambus den „Upi u finden würde. Er ging dahin un trat
mit den Füssen die Unterenden des Bambus nieder, so
dass es splitterte und er ging in den Bambus „and by —
— and bye upi sorry for you w Upi replied, „all right, you
two tinish telling ine?, 1 go no\v u — him, he go!" Alles
geschah, wie es die Schädel vorher gesagt hatten, und
nachdem Upi in den Bambus gekrochen war, kam er
wieder heraus und machte dicht dabei ein Feuer.
Die Männer des Dorfes blickten am nächsten Morgen
umher, fanden aber Upi nicht. Sie warfen den Pflege-
i
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— 209
«ltern vor, dass sie den Knaben wahrscheinlich entfernt
hätten, sie aber beteuerten, er sei selbständig entwichen.
Die Männer ergriffen darauf ihre Bogen und Pfeile und
machten sich auf, im Busche nach Upi zu suchen. Sie
fanden seine Spuren, denn er hatte auf dem Wege zu dem
kleinen Häuschen viel Blut verloren. Sie sahen in das
Hüttlein hinein und sahen, dass Upi die Schädel zur Divi-
nation benutzt hatte. Sie nahmen die Spuren wieder auf
und fanden endlich Upi's Aufenthaltsort.
Manalboa und Sasalkadzi sagten zu Upi: „Du siehst
uns, wir wollen dich jetzt töten." „Gut" erwiderte er. „Ihr
zwei tötet mich". Alle Männer kamen herbei. „Upi Struck
the bamboo, went inside, and is closed up. The cane
then iumped about, and its leaves ,fought' all the men and
killed them; no man went home. Der Knabe Upi ver-
hielt sich drinnen vollständig passiv. Der Bambus upi
vollbrachte alles.
Als das geschehen war, ordnete der Bambus den
Platz, das Blut ward gesammelt, die Köpfe abgeschnitten
etc. Als der Rest der Männer von dem Dorfe kam, geschah
<las Gleiche; abermals blieb Upi im Rohre, die Männer,
-dazu die Dorgai (kleine mißgestaltete Kobolde) wurden
erschlagen. Der Bambus focht etc.
Upi holte sich darauf bei den Schädeln weiteren Rat.
Sie meinten, er solle allen Bambus abschneiden. Die
Weiber der Erschlagenen würden kommen, sie würden
sein Eigentum werden. Darauf machte er sich mit den
Schädeln zu seiner Mutter auf. Er nahm dieselbe mit in
das andere Dorf, in dem er ein Haus bezog. Dort gab
er alle Frauen der getöteten Männer seinem Pflegevater,
•die Mädchen und jungen Weiber behielt er für sich.
Man muss mehrere dieser sonderbaren Mythen aus
Süd-Neu-Guinea und von der Torresstrasse gelesen haben,
Frohen ius, Weltanschauung der Naturvölker. 14
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— 210 —
um ihre Sprache zu verstehen. Sie scheint zunächst der
oeeanischen fremd. Man muss lange gesucht und sich an
die Töne dieser rauhen Kehlen gewöhnt haben, ehe man
entdeckt, das die Motive meist echt oeeanisch, allerdings
auch ebenso oft missverstanden und umgedeutet sind.
Das gilt auch für diese Mythe. Wenn Haddon meint,
sie sei eine der Entdeckung des Bambusmessers, das auch
Upi heisst, gewidmete Dichtung, so hat er wohl den
sekundären Sinn, kaum aber die leitenden Schöpfungs-
motive aufgedeckt.
Das schnelle Aufwachsen des blutüberströmten Knaben
ist offenbar das einer Sonnenmythe entlehnte Motive des
Aufganges. Und ebenso deutlich scheint mir die Beziehung
des zweiten Teiles der Upi-Mythe zur Rohrursprungsmythe
erkennbar zu sein. Dass hier eine Einschaltung in diesen
Wilden näherliegende und verständlichere Ideen vor sich
gegangen ist, soll nicht bestritten werden.
Auch sonst finden sich nur Reste und Kümmerformen
der Rohrursprungsmythe in Melanesien.
Kamakajakau wird an einandergebundenen Rohren vom
Himmel gelassen. Quat steigt in Quasavarras Hause zum
nächtlichen Aufenthalte in einen Pfosten — eine schöne
Parallele zur Olifat- Mythe. Durch ein Schilfrohr bläst
Quat den in der Kiste ruhenden Gebeinen der Brüder wieder
Leben ein etc.
Endlich erwähne ich noch die „ghost-shooter", Bambus-
stücke, die mit Zauberingredienzien gefüllt, auf den Feind
gerichtet, Krankheit oder Tod bringen, — vielleicht eine
Umkehrung des Entstehungsmotives l2 ).
5. Australien.
Die Australier meinen, der erste Mensch sei aus dem
Knoten eines Baumzweiges hervorgegangen 13 ).
,2 ) Codrington S. 205.
,s ) Brough Smyth B<1. I 8. 425.
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— 211
(>. Nord-West- Amerika.
Hier ist zunächst an die Sonnenbefreiungsmythen zu
erinnern. Nicht nur, dass die Sonne in einer Kiste ge-
fangen gehalten wird, — das kann auch auf andere Motive
zurückgeführt werden — sondern dass Jelch der Rabe sich
als Tannennadel verschlucken oder im Treibholz sich ins
Land des Sonnenbesitzers schwemmen lässt, ist beachtens-
wert 1 *).
Ich erinnere daran, dass wir das Material zur Auf-
findung dieses Motives ja in zwei Formen finden können,
einmal in der Entstehungsmythe — die auf Grund einer
Umkehrung des Totenschiftmotives entstanden ist — und
dann der daraus entstehenden Untergangsmythe. Die oben
angeführten Beispiele gehören dem Kreise der ersteren an.
Ebenso die Legende, dass Jelch den Menschen aus Gras
gemacht habe. Dem zweiten Kreise zuzurechnen ist die
Sage, dass der Sonnenbesitzer seine Neffen in trogartig
ausgehöhlte Stämme, die er später verspundet habe, ge-
steckt hätte 15 ). (Yergl. den Anschluss an die Fanany-
Mythe Kap. 4.)
Die Sonneumythen lassen einen sehr regen Einfluss
des Motives erkennen. Als ein Mann die Kupferplatte, die
die Sonne ist, in einem hohlem Baum verbirgt wird es
dunkel; nimmt er sie heraus wird es hell 16 ).
Am nächsten kommt den westoceanischen Formen die
Mythe, deren folgende Version vom Fräser River stammt.
Einige Frauen machten einen grossen Korb, setzten
sich mit ihren Männern und Kindern hinein, banden ihn
zu und Hessen sich ins Wasser werfen. Der Wind und die
Wellen führten den Korb weiter und derselbe landete
u ) Erman Bd. II S. 874/5. Boas: „Verh." 1893 8. 444; 5, S. 244.
Krause: „Tlinkit" S. 261/2.
") Erman Bd. II S. 373. Boan: „Verh." 1895 S. 230.
'«) Boas: „Verh." 1892 S. 394.
14*
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— 212
endlich in Pnkpakotl. Da machten sie den Korh auf und
stiegen heraus. Sie wurden die Ahnen der Potemeer 17 ).
An Stelle des Bambus sind in Amerika also hohle
Bäume, Tannennadeln, Körbe etc. getreten.
7. Afrika.
In den südafrikanischen Gegenden treffen wir zwei
verschiedene Mythen, deren verwandtschaftliches Verhältnis
zu unserem Motive klar ist.
Die Ovaherero erzählen über den Ursprung der Menschen:
„Mukuru haute die Menschen aus dem Omumborombonga-
Baume u l8 ). Auch bei den Muschikongo sind die Menschen
aus dem Baume hervorgegangen 19 ). Aber zwischen den-
selben ist der Unterschied, dass wir vom Omumborombonga
wissen, dass er hohl ist. Also ist der Prozess morpho-
logisch zu fassen.
Die Ama-Sulu erzählen, Umkulunkulu habe den
Menschen aus dem „hohlen" Stamme, dem U-hlanga ge-
schält. U-hlanga ist das Bambusrohr oder das Schilfrohr.
Die Basuto erzählen, die Menschen seien dem Mohlaka ent-
stiegen. Mohlaka kann sowohl „Sumpf" als „Röhricht"
heissen, sodass mir Merenskys Uebersetzung mit „Niederung"
nicht ganz richtig erscheint 20 ).
Es ist nun aber in der zweiten Mythe nicht nur eine
treffliche Form des Motives gefunden, sondern nach dem
Norden zu Iässt sich auch noch das Verlaufen derselben
nachweisen. Bei Sulu und Betschuanen beginnt ein Ver-
lust der Idee. Bei ersteren ist Uhlunga der Gott des
Donners und Blitzes, bei letzteren Uhlanga oder Thlanga
im ') Boas: „Verh." 1891 S. 372.
,Ä ) Brinker 8. 1. Galton S. 108. Anderson Bd. I S. 236 7. Halm
>S. 498.
") Bastian: ,.San Salvador" S. 81.
l0 ) Brinker S. 1. Merensky: „Beitrage" S. 123.
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1
— 213 —
der Name eines alten Königs, vor dem die Betschuanen
einen grossen Respekt haben und bei dem sie schwören 21 ).
Der Styx in der Unterwelt der Basuto heisst Tlatlana.
Maji Kalunga ist das Geisterwasser der Baschilange. —
Eine sekundäre Mythe über ein Gewässer in der Nähe
Ambasses ist ebenfalls sehr wichtig: Nach den Sagen des
Volkes entstanden diese Sümpfe nämlich aus den Thränen
des Gottes Ungha über die Verwüstungen der Jaga.
Andere erzählen allerdings, dass bei deren Annäherung
die Götter des Landes erschreckt in die Wasser flohen 23 ).
Also tritt in der Verwendung des Wortes der Begriff
des Rohres im Verhältnis zu dem des Totenstromes be-
deutend zurück, eine Erscheinung, die mich nur in der
Annahme bestärken kann, dass es sich in der Mythe um
eine Umkehrung der Mythe von dem Eilen der Seelen im
Totenschiff ins Jenseits handelt.
21 ) Prichard: „Afrika" 8. 309.
") Moffat 8. 258.
") Casalis 8. 261. Wissmann Pogge 8. 87. BaHtian: „San Sal-
vador" S. 188. Vergl. auch Brinker 8. 3.
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III. Teil.
♦
Die Kosmogonien, Götter- und
Sonnenmythen
in den westlichen Provinzen
nebst östlichen Analogien.
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>
XIII. Kapitel.
Die Götter Afrikas.
Oceanische und afrikanische Parallelen. — Fetischismus. —
Bastian. — W. Schneider. — Reisewerke. — Ratzel. — Mythologie und
geographische Provinz. — Die Fragmente der afrikanischen Welt-
anschauung. — Die Abstammung der afrikanischen Götter. — Dreierlei
Ursprung derselben. — Die Oötter der hohen Mythologie. — Die
Weltanschauungsprovinzen. — Deren Merkmale. Die Geschichte der
Afrikaner. — Bezirke der Weltanschauung. — Verbreitung der
Götternamen. — Veränderung der Götternamen und Götterbegriffe.
- - Ableitungstabelle I Tschuku. — Ableitungstabelle II Tsui Goab.
- Ableitungstabelle III Rupe. — Gleichheit der Motive bei formaler
Verschiedenheit. — Unsere Kenntnis der Götter.
Mit dem endgültigen Betreten des afrikanischen Bodens
stehe ich anderen und andersartigen Aufgaben gegenüber.
Wenn ich bisher ein Motiv, eine Mythe in den Östlichen
Provinzen geprüft hatte, dann habe ich auch wohl schüchtern
den Blick nach Afrika gewandt mit der Frage, ob es auch
verwandtschaftliche Züge biete. Die Frage konnte in ge-
wisser Weise stets bejaht werden. Deshalb muss ich selbst
warnen, überschnell weiterzuschiessen, denn bis jetzt sind
wohl einige Bausteine zu einer Weltanschauung der Afrikaner
herbeigeschafft, noch ist aber nicht das Fundament gelegt.
Die armen, oft wohl überschätzten, noch weit häufiger
aber unterschätzten Neger sind bis jetzt schlecht fort-
gekommen. Ihr Denken, Dichten und Glauben ward selbst
von den trefflichsten Gönnern in den Mantel des „Fetischismus"
gehüllt. Sie waren durch ihn wohl gegen den Ansturm
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— '2 18
der Gelehrten und Reisenden gesichert, wurden durch ihn
aber im Zustand der Unfreiheit, niederdrückender Fesselung
gehalten. Diese Banden, den trügerischen Fetischismus,
galt es zu zerreisen. Ich glaube, das ist mir in den Studien
zum Kameruner Schiffsschnabel gelungen.
Denjenigen, der am tiefsten in die Geheimnisse der
afrikanischen Weltanschauung eingedrungen war, Bastian
nämlich, interessierte stets das einzelne Volk und die einzelne
Rasse weniger als die ganze Menschheit. Wenn er daher
auch bei weitem am meisten unter allen Ethnologen und
Reisenden über die r Religion der Neger* gesonnen und
gesammelt hat, so dienten ihm doch die Ergebnisse der
Studien und Forschungen weniger zu dem Bemühen, die
Weltanschauung in ihrer Einheitlichkeit gegenüber denen
anderer Rassen und Völker darzustellen, als die Ideen
und Ideenentwickelung r des Menschen" auch in den afri-
kanischen Erscheinungsformen, in deren Charakterzügen
und Nuancen aufzufangen und zu verstehen. Für die Lehre
vom Menschen war das sicherlich sehr förderlich und es
wird auch berechtigt gewesen sein, dem grossen Ziele die
kleineren zu opfern, aber der afrikanischen Völkerkunde
hat es mehr Verwirrung als Nutzen eingetragen.
Wenn ich neben Bastians Arbeiten das Werk Schneiders
stelle, so will ich damit Bastian in keiner Weise zu nahe
treten. Ich will nur neben des grossen Gelehrten Leistungen
auch die des Laien erwähnen. Wilhelm Schneider hat grosse
Materialien gesammelt, zusammengefügt, die afrikanische
Weltanschauung aber nicht im geringsten verstanden.
Neben diesen die gesamten Afrikaner in den Rahmen
der Besprechung beziehenden Werke kommen noch die
Ethnographien und Reisewerke in Betracht. Die grossen
„klassischen" Reisewerke sind nicht von Völkerkundigen,
sondern von Botanikern, Zoologen, Offizieren, Geschichts-
forschern und im besten Falle von Medizinern geschrieben.
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219 —
Es ist eine charakterische Thatsaehe, dass in dem geradezu
idealen Werke Junkers über die Weltanschauung, über
Mythologie oder Kultus absolut nichts von Belang zu
finden ist. Im Üebrigeu haben sich die Verhältnisse im
Laufe der letzten Jahre bedeutend gebessert und Männer,
wie Stuhlmann und Baumann, haben in Anbetracht der
kurzen Reisen sehr gute Berichte geliefert. Die hervor-
ragendsten ethnographischen Monographien über die west-
afrikanische Weltanschauung verdanken wir fraglos dem
Engländer Ellis. Die Werke Calaways waren mir nicht
zugänglich. — Wenn die Ethnographien nichts Selb-
ständiges, Grosses geschaffen haben, so ist das natürlich,
denn sie können erst dann die Ergebnisse der Ethnologie
verwenden, wenn diese Wissenschaft ihnen ihre reifen
Früchte überreicht hat. Dennoch darf nicht vergessen
werden, dass auch die Ethnologie aus einem so mächtigen
Werke, wie der Völkerkunde Ratzels, den ich den ersten,
grossen Ethnographen nennen möchte, Anregung schöpfen
muss.
Das deutet schon den Unterschied meines neuen Arbeits-
feldes an. So bedeutende Arbeiten, wie die von Schurtz,
Schirren, Seier etc., fehlen. Hier reicht mir niemand
die Hand.
Es hiesse aber Ursache und Wirkung verwechseln,
wollte man die Schuld den Gelehrten in die Schuhe schieben.
Der Grund des grossen Mangels an Mitarbeitern und Vor-
arbeitern liegt, wie in einer Beziehung schon oben ange-
deutet ist, im Stoffe selbst.
Die reichen Mythologien der Oceanier und Amerikaner,
die in vieler Hinsicht unseren eigenen Dichtungen gar so
fern nicht stehen, mussten Aufsehen erregen. Die frische
Seeluft, die grossen Thaten der Wanderungen, die Gefahren
und die Bannung an die Scholle haben einen freien Sinn,
hohe Dichtkunst und edle Schöpfungen erzeugt. Das
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— -2-20 —
traurige Schicksal der zur Fried- und Ruhelosigkeit ver-
dammten Afrikaner hat ein Gemisch von verkümmertem,
grossem und gewuebertera, kleinem Anschauen und Denken
hervorgebracht, das wenig sympatisch berührt, und dessen
üppiges Füllhorn bei jeder Berührung eine Flut von
Ordalien. Zaubereien, Hexenkünste und „Aberglauben" vor
uns niederregnen lässt, die wenig angenehme Erinnerungen
an unsere nicht allzu lange im Schoosse der Vergangenheit
begrabenen Anschauungen und Handlungen hervorruft.
Wenn ich alle Eigentümlichkeiten der afrikanischen
Weltanschauung in einem Satze zusammenfassen soll, so
kann ich mich kaum anders fassen als: Die afrikanische
Weltanschauung ist ein unklares, flüssiges Ge-
menge der niederen Mythologie, von welchem
einerseits jede höhere Mythe nach längerer oder
kürzerer Zeit absorbiert wird, das aber anderseits
hie und da diese Stoffe als trübe und unreine
Krvstalle wieder ausscheidet.
Welchem Kreise von Sitten und Anschauungen wir
auch naher treten, stets fällt die Uebermacht der abgeleiteten
Motive auf, stets drängt sieh das Gefühl auf, dass die
Anzahl der kleinen Gebräuche, Anschauungen, Motive oder
um mit einem viel missbrauchten Ausdrucke zu reden,
der Aberglaube nicht anders verstanden werden könne,
als dass sie selbstständig gewordene, selbstständig sieb
entwickelnde Teile einst grösserer Auschauungsgebilde seien.
Deshalb spreche ich von den Fragmenten einer Welt-
anschauung.
Die Grundzüge der afrikanischen niederen Mythologie
habe ich im Kameruner Schiffsschnabel versucht festzu-
stellen. Heute nun sollen die „Götter" besprochen werden.
Es soll sich zeigen, ob die verzerrten, lebensschwachen,
halbverbannten, nur halb anerkannten afrikanisehen Gott-
Digitized by Googl
— 221
lieiten verkümmerte Reste aus besseren Zeiten oder ver-
heissungsvolle Vorläufer einer grösseren Zukunft sind.
Ich will hier die Frage, ob wir berechtigt sind, die
afrikanischen Gottheiten überhaupt „Götter" zu nennen,
nur insofern berücksichtigen, als ich betone, dass diese Be-
zeichnung mit allem Vorbehalt verwendet ist. Dies musa
um so mehr erwähnt werden, als diese Göttergestalten
durchaus verschiedenen Charakters und verschiedener Ab-
stammung sind und mir deshalb gleichartig und gleich-
wertig erscheinen, weil sie eben der überwiegenden niederen
Mythologie zufolge als meistens verblasste und zurück-
gedrängte Gestalten im lichtlosen Hintergrunde stehen und
schwer erkennbar sind.
In ihrer Wesenheit scheinen mir die afrikanischen
Götter dreierlei Ursprungs zu sein.
Die erste Gruppe entsprosst der niederen Mythologie.
Es sind Halbgötter, vergötterte Ahnen und Herrscher.
Einerseits sind sie an bestimmte Namen gebunden, ander-
seits an den Kollektivbegriff der Geister. Da der Tod
die Brücke zu diesen Wesen bildet und der Mensch nach
.afrikanischer Anschauung in der Vergeistigung schon ein-
mal den Tod erlebt hat, so steht der Neger diesen Göttern
sehr oft so nahe, dass .sie ihm befreundet sind. Zu diesen
Göttern gehören die Fürsten oftmals schon zu Lebzeiten.
Es ist aber wohl zu bemerken, dass eine lange Stufenleiter
der Göttlichkeit in der Reihe dieser Gottheiten sich nach-
weisen lässt.
Im Gegeusatz zu den Gottheiten dieser ersten Gruppe
sind die Götter der zweiten, die mystischen Götter, dem
Neger sehr fremd. Er betet nicht zu ihnen, er schreibt
ihnen keine Werke und Schöpfungen zu, sondern nur Gleich-
gültigkeit und ein fernes Existieren. Sie entsprossen dem
Gefühl, dass neben den von den Afrikanern so sorgsam
beobachteten Ausnahmeerscheinungen eine noch unerkannte
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I
I
— 2'2'2 —
Regelmässigkeit in der Natur herrscht l ) ; sie sind gleich-
sam die Personifikation des Rhythmus in der Natur.
Die Gottheiten der dritten Gruppe sind es, die in den
nächsten Kapiteln behandelt werden sollen; es sind die
Götter der hohen Mythologie. Eine Kenntnis dieser ist über
Afrika nur sporadisch verbreitet. Auf grosse Streckcu,
in denen sie vollständig zu fehlen scheinen, folgen nur
kleine inselartige Gebiete, in denen sie bekannt sind. Und
selbst da. wo sie sich nachweisen lassen, sind sie oft arg
verzerrt; oft existieren nur einzelne Bruchstucke und die
sind noch mit den Farben der Gotter der anderen Gruppen
übertüncht.
Denn das beachte man vor allem: Schranken zwischen
den Gottheiten der verschiedenen Gruppen giebt es nicht.
Oft sind sie einander so ähnlich, dass man sie nicht unter-
scheiden kann, und oft sind sie verwechselt.
Ehe ich nun die Frage beantworten kann, ob es einen
über ganz Afrika verbreiteten Gottesnamen giebt — sicher
eine wichtige Frage! — muss die Thatsache und die Be-
deutung der mythologischen Provinzen erörtert werden.
Das Gebiet derjenigen Afrikaner, deren Weltanschaung
uns, zwar nicht vollständig, wohl aber leidlich bekannt ist,
ist verhältnismässig klein. Ausserdem müssen uoch die
unter mohamedanischem Einflüsse stehenden sogenannten
Berber und Berberverwandten in Abzug gebracht werden.
Es sind also die Völker etwa südlich des 10. Grades nörd-
licher Breite in Betracht zu ziehen. Unter diesen kommen
noch die Buschmänner in Fortfall, deren Mythologie in
Verbindung mit derjenigen der alten Aegypter als die Pole
der afrikanischen Weltanschauung zu betrachten sind.
Das derart stark zusammengeschrumpfte Gebiet ist
um so leichter zu zergliedern, als in den erwähnten Vor-
') ^Schiffsschnabel" 8. 54.
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— 223 —
Studien auf das Bestehen des „westafrikanischeu Kultur-
kreises" hingewiesen ist. Diese westafrikanisohe Pro-
vinz ist die wichtigste. Sie umfasst die Küstengelände
von Senegambien bis nach Benguella. Die zweite südlich
hieran, wenn auch nicht direkt sich anschliessende Provinz
ist die der Hottentotten. Die Südafrikaner mit Ausschluss
der Koikoin und Buschmänner stellen den Völkerkreis der
dritten Provinz dar. Als vierte ist Madagaskar zu nennen.
Ob die Massai und ihre Nachbarn eine weitere Provinz
repräsentieren, ist wegen mangelnder Kenntnisse noch nicht
feststellbar. Im Süden, und zwar seinen wichtigen süd-
licheu und südwestlichen Teilen, in den Gebieten des oberen
Schari, Uelle, Bahr el Ghasal-Arab, des oberen Sangha
wohnen Völkerschaften, über deren Weltanschauung wir
nichts wissen, die aber zu den wichtigsten des Kontinents
gehören.
Diese Provinzen tragen einen verschiedenen Charakter.
Die westafrikanische Weltanschauung ist das Bild eines in
vielen Farben schimmernden Mosaiks, die hottentottische
dagegen ist einheitlich und einfarbig. Die madagassische
Weltanschauung ist die Schwester der westafrikanischen,
der sie im Charakter näher steht als der südafrikanischen.
Die Weltanschauung ist in den Fundamenten iu allen
vier Provinzen gleich. Der Unterschied in ihrer Erscheinung
beruht in den durch die geographische Beschaffenheit be-
dingten verschieden sozialen Verhältnissen. Westafrika ist
das Land des Priestertums und der politischen Zersplitte-
rung. In Westafrika beherrschen die Motive der Welt-
anschauung, die mythologischen Ideen und der Kultur das
ganze Leben. Südafrika ist das Land der grossen Staaten,
grossen Kriege uud grossen Wanderungen. AVenn ein Volk
zum Wandern und Staatengründen aufbricht, wird alles
Priestertum iu den Hintergrund gedrängt. Mit dem aber-
maligen Sesshaftwerden rücken die Ganga (afrikanische
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— '224 —
Priester) wieder in den Vordergrund, uod wenn die Staats-
idee erschlafft ist, dann ergreifen sie das Zepter und halten
es fest, bis die nächste Volkswelle das Land überwogt und
mit dem alten Staate auch das Gangatum hinfortschwemmt.
Denn diesem Schicksal fielen alle afrikanischen Reiche
bis jetzt noch anheim; Melli im Norden, Congo im Westen.
Monomotapa im Süden sind Beispiele aus der Vergangen-
heit. In unseren Zeiten stürmten die Zuluregimenter über
die Länder, ward das Muata-Jamwo-Reich zerrissen, wurden
die Staaten des Tsadsees vernichtet, brechen die Haussa-
staaten zusammen.
Die Trümmer dieser Gebilde wurden oftmals an die
Westküste getrieben, um so mehr als die Völkerströme
meistens gen Westen sickern. Deshalb kann die west-
afrikanische Provinz in Bezirke eingeteilt werden. Die
wichtigsten derselben sind Loango, Ogovebezirk, Kamerun,
Kalabar, Benin. Yoruba, Ewe (mit Dahome), Tschi (mit
Aschauti), Liberia, Temne (mit Bullom), Bagos. Dazu
können aber auch weit in das Land hinein sich erstreckende
Ausläufer erkannt werden, die bis in das Nilbecken reichen,
.sich am Congo und Benue-Niger weit hinaufziehen. Eine
scharfe Grenze umrahmt die westafrikanische Provinz über-
haupt nicht. Die Eigenart ihrer Weltanschauung flacht
«ich nach Osten und Norden dem Innern zu ab. Ausserdem
lassen sich insulare Kolonien, gleichsam Oasen im Innern,
nachweisen. (Vergl. „Urspr. d. Afrik. Kulturen".)
Wenn dieses Bild klar genug gezeichnet ist, dazu be-
tlacht wird, dass Südafrika durch eine Linie, die von
Kamerun zum Congobogeu und über den Nordrand des
Viktoria nach Mombassa in Ostafrika läuft, in linguistischer
Beziehung von Nordafrika getrennt wird, — dann wird
wohl für jeden die Hoffnung, die oben angeregte Frage,
ob sich über das ganze „nigritische" Afrika ein einheitlicher
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— 225 —
Göttername verbreitet findet, — bejahend beantworten zu
können, sehwinden.
Thatsächlich ist auch bis jetzt diese Thatsache, wenn
auch nicht immer ganz sicher, stets bestritten worden,
vielleicht deswegen, weil ihr, wie so mancher anderen der
afrikanischen Völkerkunde, nicht die rechte Würdigung zu
teil geworden ist. Vor allem ist aber bis jetzt ein Ver-
fahren, das als falsch bezeichnet werden muss, eingeschlagen.
Die stillschweigend allseitig acceptierte Prämisse, dass
die Götternamen auf einem einzigen Gottesbegriff, einer
feststehenden einheitlichen Basis sich erhoben hätten, ist,
wie oben schon gezeigt, unberechtigt und die Wurzel der
falschen Beurteilungs- und Behandlungsweise der afri-
kanischen Götterlehre. Es giebt nicht nur drei Wurzeln,
sondern auch dreierlei Zweig- und Blätterwerk, das oft im
Dickicht so verwirrt ist, dass es nicht immer möglich ist,
die Angehörigkeit eines Blattes zu einem Aste, einem
Stamme und einer Wurzel festzustellen. Das ist so mit
dem Sinn und ebenso mit dem Worte.
Nun müssen wir die linguistische Eigenart der afri-
kanischen Stämme kennen, die, wenn .sie unter der Wucht
eines anstürmenden Volkes zu Grunde gehen, verschwinden,
oftmals als Erbteil ihre Sprache demselben vermachen.
Ich erinnere an die nördlichen Gebiete der Haussasprache,
in denen schon seit langen Zeiten keine Haussaneger mehr
wohnen (Asbiri), und an das kleine, jetzt fast vernichtete Völk-
lein der Makololo, die ihre Sprache, das Sesuto, dem mächtigen
Volke der Besieger überlassen hat, so dass es weiterlebt,
wenn auch seine einstigen Träger verschwunden sind.
Wenn nun unter dem übernommenen Wortschatze eines
siegreichen Volkes sich Bezeichnungen für ihnen nicht
eigene Begriffe finden, so wird das Wort so umgeformt,
dass es einem ihnen bekannten Begriffe entspricht. Diese
leichten Wandlungen von Wörtern in Form und Gestalt
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 1 5
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— 226 —
sind so häufig — man denke an Sambi, Zumbi, Sampi,
Zunbi etc., Modimo, Modsimo, msimu etc. — dass ich
darauf kaum weiter einzugehen brauche. Es ist das
Gesetz von der Anpassung in Form und Gestalt
(Gesetz der Einschaltung), als eine Variante des Gesetzes
vom Wandel der Beweggründe, dasjenige, dessen Kenntnis
dringend notwendig ist, wenn man ein Verständnis für die
Art sowohl der Verbreitung von Götter namen als auch
diese selbst gewinnen will.
Ich will an dieser Stelle nur ein Beispiel geben, auf
welche Weise die Beziehungen der Götternamen erkannt
werden, nämlich durch Vergleichung der Formen. Ich
nehme einen der bekanntesten Götternamen Westafrikas;
ich gehe von Tschuku aus.
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— 227 —
1. Ableitungstabelle.
Name
Bedeutung
Nebenbe-
Volk
Autor
deutung
iBurdo S. 97
Tschuku
Gott
Bei den Ibo und in
Kalabar
[Baikie S. 311
t Oldendorp S.346
Dsuku
Himmel
Bei Isoama und
Koelle P. A.
Mbofia
Tuku-Tuku
Bezeichnung
Aioino u.
Europäer
ff CI ULJl
ihrer
weissen
Hautfarbe
wfiffm mit
Ehrfurcht
u. als Gei-
ster be-
Am oberen Kongo
•
Jameson S. 200
•
Toka-Toka
Bezeichnung
trachtet.
Vergl.
Bakuba
Wissmann Wolf
der Albino
Kap. 17.
S. 248
Tsoka
Devil u. Idol
Moravi am Niassa
Koelle P. A.
8oko
Gott
Nupe und Basa
Soko
Unti-Fürstentum
Bastian : Loango-
Tt
Der als Ahne
Bondu
küste, Bd. 1,8.113
Livingstone:
Soko
verehrte
Gorilla
Manjema
-Letzte Reise",
Bd. II, 8. 64
Suku
Gott
Angola, Lunda
Brinker 8. 1 u. 3
Bokoa
n
Esitako
Koelle PA.,
Seakoa
Goali
Tab. 78
Pringel,
Hahn,
Touquo
Vvgl. Kap. 15
Schmidt,
Tikoa
Hottentotten
Bleek,
Taui-Goab
•
Moffat,
Anderson etc.
15*
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— 228 —
2. Ableitungstabelle.
Name
Tsui Goab
andere Les-
arten dessel-
ben Namens
Touquo
Thuikwe
Tikoa
Tsuikwap
Tschukoap
Tuiko
Utixo
Tschikob
Nikob
Niekob
Nyikoab
Niekob
Niekuob
Niekob
Nikob
Nyekomm
Niekam
Ndsakumba
Gumba
Neiterkob
Niankupong
Nebenbe-
deutung
>
Gott
Hottentotten
Himmel
(Keput-
Himmel
beiBalu)
n
Ahnherr
Blitz
Ahnherr
Autor
Verschiedene
Autoren
Buschmänner
Kaffern
Südl. Kongogebiet
Bayon
Pati
Balu
Kum
Momenya
Papiah
Param
Schilluk
Bajansi
Sande
Massai u. Wakuafi
Tschi
Ratzel: „Völkerk.»,
1. Aufl., Bd. I, S. 107
Brinker, S. 3.
Moffat und andere
Kropf, 8. 186
^ Koelle P. A.,
Tab. 74/75
Pettermann und
Hassenstein, S. 28
Schneider, S. 81
fSchweinfurt, S.247,
\v.d. Decken II,S.22
Krapf, Bd. II, S. 269
Ellis, Steiner u. a.
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— 229 —
3. Ableitungstabelle.
Name
1 Be-
deutung
Nebenbe-
deutung
Volk
Autor
Lobe
Rupe
Loba
Loba
Lebe
Rubi
Lubari
Njuba
Kruwa
Eruwa
Suwa
Cruwa und\
Thuwa /
Erua \
Eruwa /
Thuwa
Ntuwa
Djua
^ Gott
f "
Götter
Gott
w
T>
1>
n
n
W
Himmel
Sonne
und
Himmel
Sonne
Sonne
y>
v
Bube
Bakwiri
Kamerun
Uganda
Wadjagga
Wateita und
Nachbarn
Wadsehagga
Wapare
Kongo
Ostafrika
Bastian, San Salvador,
S. 317; Baumann. Fer-
nando-Po, S. 108
Zoller, Kamerun, Bd. II,
S. 57; Steiner im „Glo-
bus", Bd. 63, S. 53
Schwarz, S. 245, Schnei-
der, 8. 254, Steiner ebda.
S. 53, Ratzel, Völkerk.,
Bd. II, Kap. 4, S. 40
Stuhlmann, S. 188
j Schneider 8. 87
Krapf, Bd. II, S. 38 u.22
New S. 458
| Schneider, 8. 87
Burton, Lake Region,
Bd. II, S. 34«
Dso
Zo
So
Zo
\Gott des
j Feuers
■n
y>
n
Ewe
Yoruba
Ellia: „Ewe«, S. 46/47,
Skerchley, 8.471, Bur-
ton: Dahom., II, 8. 142
Ellia, Yoruba, Bd. II,
S. 148.
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— 230 —
Diese Reihen könnten noch um ein Beträchtliches
verlängert und erweitert werden, doch würde das kaum
eine grössere Klarheit erzeugen 2 ). Diese Reihen kann
man auch anderweitig auffinden, sogar in Oceanien, einem
Gebiete, in welchem die Götter und ihre Namen im All-
gemeinen scharf begrenzt genannt werden können. Der
Gott, der einstmals sicher, einst höher verehrt wurde,
Tangaroa kehrt anscheinend in entfernten Gegenden unter
sonderbarem Namen wieder. In Polynesien treffen wir noch
Tangaloa und Kanaloa, in Melanesien Tangaro (Banks) und
Tagaro (Neu-Hebriden) 3 ), auf den Marianen die Bezeichnung
für Unterwelt Zazarragua 4 ), auf Madagaskar Zanhare oder
Zanaharv 5 ) den höchsten Gott.
Die Tabellen lehren das Gleiche, was schon frühere
Studien ergaben. Es sind diese Götternamen nicht be-
ziehungslos entstanden. Dasselbe Ergebniss lieferte die
Betrachtung der niederen Mythologie. Deren Motive waren
auch überall die gleichen. Wenn ich daher jetzt an die
höhere Mythologie herantrete, so darf ich voraussetzen,
dass, in welcher Gestalt die Motive sich auch in den einzelnen
Provinzen zeigen, sie doch sicher ursprünglich verwandt
oder gleich sein müssen.
Welches nun aber werden die Götter der höheren
Mythologie sein? Die mystischen der zweiten Gruppe sind
überall leicht zu erkennen. Es sind die von den Reisenden
oft genannten. Die meistgenannten müssen in dem Erd-
teile der niederen Mythologie die Ahnengötter, die wahren
Halbgötter sein. Es bleiben die wenig Genannten leider
übrig.
2 ) Auch könnten noch einige sehr klare Reihen aufgeführt
werden. Z. B. die Ableitung von Oro.
3 ) Codrington S. 156 und 168.
*) Rienzi Bd. II S. 67.
») Ellis: „Hist. of Mad.« Bd. I S. 3901. Copland 8. 63/4.
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— 231 —
Ich greife noch einmal zum Schlüsse auf die Be-
trachtung der einzelnen Provinzen und Bezirke zurück.
Es giebt überhaupt nur wenige Bezirke, aus denen
wir Erzählungen von Mythen kenneu. Die hauptsächlichsten
sind: Yoruba, Uganda, Nama, Usuto (mit den angrenzenden
Zululänder). Ich will zwei Götter, einen der westlichen
Provinz aus dem Bezirke Yoruba und einen aus der süd-
lichen Provinz, dem Bezirke Usuto, vergleichen: Schango
und Hubeane.
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XIV. Kapitel.
Schango und Hubeane.
Schangos Beziehungen und Verwandtschaft als Gott. — Schango
als König. — Schango als Oott. — Schangos Erde. — Schango der
„Flammende*. — Schanges Verfolgung der Oja. — Schango als
Sonnengott. — Hubeane und Modimo. — Hubeanes Tod und Auf-
erstehung. — Hubeane oder Litaolane und Kammapa. - Litaolane
wird verfolgt. — Hubeane ein Sonnengott. — Oceanische Parallelen
zu Hubeane und Schango. — Die letzten unverfälschten Sonnengöttter.
Schango (Yoruba).
1. Schango ist der zweitgeborene Sohn der Yemaja
(des Meeres); Oschumare, der Regenbogen ist sein Diener,
der in den Wolken Wasser von der Erde in seinen Palast
tragen muss. Ära, das Donnergrollen, ist sein Bote, den
er mit lautem Geräusche aussendet. Der kleine Vogel
Papagori ist ihm heilig und die Verehrer des Gottes ver-
stehen den Ruf desselben, Oya (der Niger), Oschun und
Oba (zwei Flusse gleichen Namens) sind unter seinen
Schwestern seine Frauen. Alle drei begleiten ihren Ge-
mahl beständig und zwar tragen ihm Oya mit ihrem Boten
den Afefe (den frischen Wind), Oschun und Oba Bogen
und Schwert. Schangos Sklave, Bin (die Finsternis) geht
in seinem Gefolge. Die Farben Schangos sind rot und
weiss. Er wird im Allgemeinen als Gott des Blitzes und
Gewitters angesehen 1 ).
») Ellis: „Yoruba" S. 46-49.
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- 233 —
2. Diese Halbgottheit ward zu lfe geboren und regierte
in der kürzlich zerstörten Stadt Ikoso; andere sagen, er
sei ein aus Nupe stammender Gott. Er hatte einen Palast
von Messing und hielt einen Stall von 10000 Pferden.
Das zeigt, dass er anfangs nur ein Sterblicher war. Er
ging von dannen, um im Himmel zu leben, wo er im
Staate herrscht, jagt, fischt, Märkte abhält und Kriege führt.
Der abstrakte Schango ist der Enkel von Aganju („Die
Wüste oder das Firmament"), ein Nachkomme von Okikische.
Sein Vater ist Orungan (der Mittag), seine Mutter ist
Yemaya oder Jjemaja („die Mutter der Fische"), einem
unbedeutenden Flusse in Yoruba. Sein älterer Bruder ist
Dada oder die Natur — von „da" erschaffen — , sein
jüngerer ist der Fluss Ogim; sein Freund und Bundes-
genosse ist Orischako (Gott der Farmen); sein Sklave ist
Biri (die Dunkelheit); seine Frauen sind die Ströme Oya
(der Niger), Oschun und Obba; sein Priester ist Magba (der
Empfänger).
Schangos Verehrer tragen seine Tasche, weil er ein
Freund von räuberischen Kriegen ist. Sachlich ist er der
Gott des Donners, Blitzes und Feuers. Er wird auch
Jacuta oder Steinwerfer genannt und beschützt die Guten.
Er ist aber vor allem der Protektor der Krieger, Jäger
und Fischer 2 ).
3. Sangö = the god of thunder and lightning;
Sankü = to die in the prime of life or prematuraly 3 ).
4. Schango war früher ein König, der späterhin zum
Gotte ward.
Er war Herrscher zu Ovo, der Hauptstadt Yorubas.
Er war so grausam, dass Häuptlinge und Volk ihm eine
Calebasse voll Papageieneiern schickten mit der Botschaft,
3 ) Burtm: „Abeokuta* S. 187 8. EMa|: „ Yoruba" S. 46/7.
3 ) Crowther: „Dictionary" S. 261.
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— 234 —
dass er durch die Regierungsgeschäfte müde sei und schlafen
gehen solle. Der König rief seine Anhänger zusammen,
doch sie fielen und er musste sein Heil in der Flucht
suchen. Er verliess die Stadt bei Nacht, nur von einem
Sklaven und einer Frau begleitet. Er trachtete danach
nach Tapa am Niger, dem Wohnorte seiner Mutter, zu
kommen. Wahrend der Nacht bereute seine Frau ihre
Handlung ebenfalls und verliess ihn. Er wandelte nun
mit seinem Sklaven im Walde umher, nach einem Aus-
gang fahndend. Zuletzt Hess er den Sklaven zurück mit
den Worten; „Wart hier bis ich zurückkomme, wir wollen
dann den Ausgang weiter suchen. u Der Sklave wartete
umsonst auf Schango. Da machte er sich auf die Suche
und fand, dass er sich erhängt hatte. Er fand den Aus-
gang aus dem Walde und gelangte nach Oyo, wo er die
Märe kundthat.
Da * befiel die Häuptlinge und Edleu ein grosser
Schrecken. Sie gingen hin und suchten den Leichnam,
Sie fanden ihn aber nicht mehr, wohl aber eine tiefe
Grube, aus der das Ende einer eisernen Kette hervorragte.
Sie konnten lauschend Schangos Stimme in der Tiefe ver-
nehmen. Da bauten sie an der Stelle einen kleinen Tempel
und Hessen zum Dienste des neuen Gottes einen Priester zurück.
In der Stadt sagten sie: „Schango ist nicht tot;
Schango ist ein Orischa geworden. Er ist unter die Erde
gegangen und lebt bei den Toten, mit denen wir ihn
sprechen hörten." Als aber Zweifler und Spötter sagten:
„Schango ist tot, Schango hat sich selbst erhängt 1 ', da kam
der Gott in einem Gewittersturm selbst und erschlug viele
der Ungläubigen, um seine Macht zu zeigen.
Der Platz, wo Schango in die Erde gestiegen war,
ward Kuso genannt; bald entstand an demselben eine
grosse Stadt. Viel Volk zog hin. um dort zu wohnen 4 ).
4 ) Klli»: „Yuruba" S. 50 f>2.
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235 -
5. Eine andere Mythe macht Schango zum Sohn von
Obatalla 5 ). Er war verheiratet mit Oya, Oschun und Oba,
den drei Wassergöttinnen. Als irdischer König regierte
er zu Oyo.
Die Mythe erzählt, dass Schango eines Tages von seinem
Vater ein mächtiges Zaubermitte] erhielt. Der davon Ge-
niessende ward in den Stand gesetzt, jedes Hindernis zu
überwinden. Schango verzehrte den grössten Teil und
gab den Rest Oya mit dem Auftrage, ihn zu verwahren.
Als er sich aber angewandt hatte, ass diese den Rest selbst.
Wie gewöhnlich versammelten sich am nächsten Morgen
die Edlen und Häuptlinge zum Ratsprechen uud Ratschlagen.
Alle sprachen nacheinander. Als aber Schango zu sprechen
begann, schlugen Flammeu aus seinem Munde und es befiel
alle ein gewaltiger Schrecken. Ebenso lohten aus dem
Munde der Oya. die die Mädchen und Frauen des Palastes
schelten wollte. Flammen, so dass alles entsetzt von dannen
lief und der Palast bald ganz verlassen war.
Da sah Schango, dass er als (iott niemand unter-
geordnet sei und berief seine drei Frauen. Er nahm eine
lange Eisenkette in den Mund, stampfte mit den Füssen
auf die Erde, die sich sogleich unter ihm öffnete und stieg
mit seiuen Frauen hinab. Die Er.de schloss sich wieder,
aber das Ende der Kette blieb am Tageslicht 0 ).
6. Seit Schango mit seinen drei Frauen in die Erde
hinabgestiegen war, kam er oftmals zur Welt zurück.
Eines Tages, als er unten in der Tiefe Oya gescholten
hatte, weil sie von seiner Medizin gestohlen hatte und
sie, erschreckt durch seine Gewaltsamkeit, von dannen
geflohen war, suchte sie Zuflucht bei ihrem Bruder, dem
Seegotte Olokun.
6 ) Der Gott des Himmels im Gegensatz zu dein dev Krde.
•) Ellis: „Yoruba" S. .Vi 3.
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— 236 —
Als Schango von ihrem Aufenthalt gehört hatte, that
er einen heiligen Schwur, sie so zu schlagen, dass sie
seine Streiche nie vergessen solle. Am nächsten Morgen
stieg er mit der Sonne empor, verfolgte sie den
ganzen Tag auf ihrem Laufe und erreichte mit ihr am
Abend den Platz, wo Himmel und Erde sich be-
rühren. Er stieg hinab in das Land seines Bruders
Olokun. Die Sonne hatte absichtslos Schango den Weg
über den Himmel zu Olokuns Palast gezeigt. Schango
war es schwer gefallen, ihr zu folgen, ohne gesehen zu
werden und sich zu verbergen, wenn sich die Sonne umwand.
Als Schango Olokuns Palast erreichte und daselbst
Oya sah, machte er ein grosses Geschrei und viel Bewegung.
Er stürzte vorwärts, um sie zu ergreifen, doch Olokun
hielt ihn fest. Wie nun die zwei miteinander kämpften,
lief Oya mit ihrer Schwester Olosa (der Lagune) von
dannen. Als Olokun sah, dass Oya entschlüpft sei, Hess
er Schango frei, der nun, ergrimmter denn vorher, drohend
und fluchend hinter seiner Frau herlief. In seiner Wut
riss er Bäume rechts und links vom Wege mit den Wurzeln
aus. Oya sah vom Hause ihrer Schwester aus, wie Schango
über die Bänke der Lagune daherkam. Wohl wissend,
dass Olosa sie nicht zu schützen vermöge, begann sie die
Flucht von neuem und eilte an den Ufern entlang zu
dem Platze, wo die Sonne untergeht.
Als sie so rannte und Schango heulend und brüllend
hinter ihr herhetzte, stürzte sie sich in ein Haus, das am
Wege stand und flehte den Mann, der darin war, um seinen
Schutz an. Sie bat diesen, den Huisi, sie zu verteidigen.
Huisi fragte, was er, der Mensch, gegen Schango ausrichten
könne. Da gab ihm Oya von der Medizin, die sie ihrem
Manne gestohlen hatte, zu essen. Darauf ward Huisi ein
Orischa und versprach, sie zu schützen.
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— 237 —
Als Schango näher kam, rannte Huisi zu den Bänken
der Lagune und zog einen mächtigen Baum mit den
Wurzeln heraus, ihn gegen Schango in der Luft schwingend.
Da kein weiterer Baum in der Nähe stand, ergriff Schango
das Boot des Huisi und schwang es in die Luft gleich
einer Keule. Als die beiden Waffen gegen einander sausten,
zerbrachen sie in Splitter. Dann rangen die beiden Orischa
mit einander; Flammen schlugen aus ihrem Munde und
die Füsse traten klaffende Spalten in den Boden, als sie
sich so hin und herschleuderten. Der Kampf währte eine
Zeit, ohne dass der eine des anderen Herr zu werden
wusste, bis zuletzt Schango, wuterfüllt, einsehend, dass er
hintergangen sei und fühlend, dass seine Kräfte nachliessen,
auf den Boden stampfte, dass die Erde sich aufthat und
hinabfuhr, Huisi mit hinabziehend. Am Ende des Kampfes
war Oya nach Lokoso (bei Porto Novo) geflohen. Dort
blieb sie und das Volk baute einen Tempel, sie darin zu
verehren. Für Huisi, der infolge der genossenen Medizin
ein Gott geworden war, wurde auch ein Tempel gebaut
und er so auf dem Platze, wo er mit Schango gefochten
hatte, verehrt 7 ).
Ein Gott, der in einem strahlenden Messingpalaste
wohnt, in dessen Gefolge die Finsternis wandelt, ist ein
Lichtgott. Die letzte Mythe beweist aber auch, dass Schango
ein ausgesprochener Sonnengott ist.
Schango steigt mit der Sonne empor und verfolgt ihren
Lauf bis zum Meere. An dem Platze, wo die Sonne unter-
geht, geraten Huisi und Schango in Streit. Flammen
schlagen aus ihrem Munde (das Firmament ist in der Abend-
sonne rot Übergossen). Doch Schango fühlt seine Kräfte
ermattet, er stampft auf den Boden, und der Sonnen ball
sinkt unter.
T ) Elli» : „Yoruba" 8. 54—56.
I
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L>38 —
Damit ist auch leicht die Bedeutung der Medizin"
zu finden. Es ist das gleiche Zaubermittel, das Schango
von seinem Vater erhalten hat und von dem die Oya auch
geniesst. Als der nächste Morgen graut, lohen Flammen
aus ihrem Munde (Sonnenaufgang). Da erkennt Schango,
dass er als Gott nicht in diese Welt gehört. Er stampft
auf den Boden und sinkt in die Tiefe (Sonnenuntergang).
So ist mit Leichtigkeit der grösste Teil der Einzel-
heiten zu entziffern, wie das noch gezeigt werden soll.
Schango ist ein typischer Sonnengott, dem auch die be-
deutungsvolle Eigenschaft der ewigen Jugend und des
täglichen Todes in jugendlichem Alter nicht fehlt. Denn
Sanku heisst: to die prematurely.
Hubeane 8 ) (Basuto).
1. Im Anfange war Modimo, der alles gut erschaffen,
nur nicht den Menschen, welcher bald dem Verderben und
dem Tode anheimfiel. Derselbe Modimo hatte viele Frauen
und Knechte, auch grosse Herden, die aber noch nicht Junge
warfen. Sein Sohn Hubeane musste sie weiden und machte,
dass die Kiihe Kälber und die Schafe und Ziegen Lämmer
bekamen. Er zeigte sie seinem Vater Modimo und fragte:
„Woher kommen die?" Der Vater sagte: „Ich weiss es
nicht!" Da schlug ihn Hubeane mit seinem Stabe und
sagte: „Du weisst das nicht? Sie kommen von mir!" Dann
schlug er seinen Vater abermals, so dass er floh. Hubeane
aber machte unter einem Ameisenhaufen eine grosse Höhle
und versteckte darunter seine Lämmer. Nach einiger Zeit
machte Modimo ein grosses Mahl und sagte dann zu Hubeane,
8 ) Merensky schreibt: „Hubeane." Endemann: „Xuveane u . Wange-
mann: „Chobeane." Haarhoff: „Litaolane. tt Da es mir nunmehr so
scheint, als ob der grösste Teil der Mitteilungen von Merensky,
sicher also von einem der besten Kenner der Basuto stamme, so
habe ich dieser Schreibweise der anderen vorgezogen.
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sie wollten gehen und ihre Herden besichtigen. Draussen
liefen die Schafniütter alle blökend auf den Ameisenhaufen
zu, in welchem die Lämmer waren. Hubeane musste ihn
öffnen, und die Lämmer sprangen alle heraus. Modiino
fragte wieder: „Woher kommen diese?" Hubeane aber
brachte jedes Lamm zu seiner Mutter und schlug dabei
jedes Mal wieder seinen Vater mit dem Hirtenstab auf
den Rücken.
Dieser schwieg auch jetzt noch dazu ganz still und
stieg dann mittels einer Leiter auf einen hohen Fels, um
dort frisches Wasser aus dem Brunnen zu trinken.
Sobald er oben war, nahm Hubeane die Leiter weg,
eilte nach Hause, verkleidete sich in seines Vaters Kleider,
deckte die Fleischtöpfe auf und verzehrte mit Modimos
Frauen und Knechten die ganze Mahlzeit. Dann füllte er
die Töpfe wieder mit Dünger vom Rinde und deckte sie
wieder zu. Darauf ging er zu seines Vaters Weibern und
verkehrte mit ihnen, als wäre er selbst Modimo, und nie-
mand wurde den Betrug gewahr.
Darauf legte er Modimos Kleider wieder ab, eilte zu
dem Vater zurück, setzte die Leiter an den Fels, und als
er am Abend mit ihm wieder heimgekommen war, sprach
er zum Vater: „Bringe nun Deine Fleischtöpfe vor, sonst
wird sich der Inhalt in Unrat verwandeln." Der Vater
antwortete: „Du Narr, fasele doch nicht von unmöglichen
Dingen!" Als er aber endlich die Töpfe aufdeckte, fuhr
er entsetzt zurück, forschte den Dingen nach und erfuhr
die Schalkheit seines Sohnes.
Nun beschliesst Modimo, seinen Sohn zu töten und
setzt ihm eine Schüssel mit vergiftetem Brei vor. Der
aber verwechselt schnell seine Schüssel mit der seines
Bruders und merkt aus der Warnung des Vaters, dass der
Bruder nicht von dem Brei essen solle, die „vereitelte Ab-
sicht des Modimo". Derselbe lässt nun unterhalb des
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— 240 —
Sitzes von Hubeane eiiie Fauggrube anlegen, in welche er
bei der nächsten Mahlzeit stürzen soll. Hubeane aber
wechselt den Platz und drängt seinen Bruder auf den Platz
der Fallgrube, so dass der hineinstürzen muss.
Hierauf ersinnt Modiino eine neue List. Er bindet
in ein grosses Bündel Gras einen Mann mit einem Assagaie
und befiehlt ihm, denjenigen, der das Bündel tragen würde,
zu erstechen. Dann befiehlt er Hubeane, dieses Bündel
hereinzuholen. Hubeane aber nimmt Pfeil und Bogen mit
und sagt: „Zuerst muss ich doch sehen, ob ich noch schiessen
kann." Er schiesst in das Grasbündel, so dass der in
demselben verborgene Mann erschrocken aufspringt und
das Weite sucht. „0!" sagt Hubeane, „fängt das Gras an
zu laufen?" und sendet einen zweiten Pfeil, der den Manu
erlegt.
Dann stellt sich Hubeane dumm. Er tötet beim Hüten
ein Zebra und giebt den Leuten, die ihn fragen, wo er
gehütet habe, die Antwort: „Beim farbigen gestreiften
Berge!" und führt, als die Leute von einem solchen Berge
nichts wissen, sie zu dem Zebra. Sie sagen: „Wenn Du
wieder etwas schiessest, musst Du Zweige darüber decken
und rufen: „Ich habe getötet!" Er schiesst darauf ein
Vöglein, kleiner als der Zaunkönig, häuft einen grossen
Berg von Zweigen darüber und schreit: „Ich habe getötet!"
Die Leute laufen nun herbei, um das Fleisch zu holen und
fragen: „Wo ist das Wild?" Er antwortet: „Dort unter
den Zweigen." Sie decken dieselben ab und finden nichts.
Sie fragen wieder: „Wo ist das Wild?" Da zeigt er ihnen
das Vöglein. Etliche der Männer lachen, andere ärgern
sich; sie sagen aber zu ihm: „Das ist kein Zebra, das Tier
nennen wir ein Vöglein."
Das Ende ist, dass der Vater vor den Nachstellungen
des Sohnes entfliehen muss und dass Hubeane nun Allein-
herrscher ist. Wo Modimo geblieben ist. weiss niemand;
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— 241
von Hubeane aber sagen die Basuto, seien die Menschen
erschaffen 9 ).
2. Hubeane ist der Sohn eines Weibes, das nach Ver-
schlingung der übrigen Menschen durch ein Ungeheuer allein
noch am Leben geblieben war. Plötzlich zu einem kraft-
vollen Jünglinge erstarkt, will er dem Menschenmörder
seine Beute entreissen, geht aber denselben Weg wie die
anderen. Jedoch schneidet er behutsam ein Loch in den
Bauch des Ungeheuers, schlüpft heraus und alle, die ver-
schlungen waren, folgen nach. Die Geretteten haben ihm
aber schlecht gelohnt, da sie ihn wegen seiner Klugheit
und Macht beneideten und verfolgten, ohne ihm jedoch
schaden zu können 10 ).
3. Uns wird erzählt, dass früher einmal alle Menschen
zu Grunde gingen. Ein ungeheures Tier, Kammapa mit •
Namen, verschlang sie alle, gross und klein. Es war ein
schreckenerregendes Geschöpf. Die Entfernung von einem
Ende des Körpers zum anderen war so bedeutend, dass
kaum das schärfte Auge sie auf einmal übersehen konnte.
Nur ein Weib blieb auf Erden zurück, das entging
der Wildheit Kammapas, da es sich sorgfältig vor ihm ver-
barg. Diese Frau empfing einen Sohn und brachte ihn in
einem alten Stalle zur Welt. Sie war überaus überrascht,
als sie bei näherer Besichtigung des Kindes fand, dass sein
Hals mit einem Halsband von bezauberndem Schmucke
geziert war. „Weil das so ist," sagte sie. „soll sein Name
Litaolane oder der Bezauberer sein. Armes Kind! In was
für einer Zeit ist es geboren! Wie wird es möglich sein,
dem Kammapa zu entgehen! AVas kann ihm sein Schmuck
nützen? 44
") Wangemnim: „Lebensbilder 14 S. H2 -4. Merensky: „Beitrüge"
8. 124. Endemann S. 43 4.
,0 ) Merensky: „Beiträge" S. 124.
Frobcnius, Weltanschauung der Naturvölker. 16
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— 242 —
Wahrend sie so sprach, las sie ein wenig Stroh auf,
um für ihr Kind ein Lager herzurichten. Als sie den Stall
wieder betrat, war sie starr vor Ueberraschung und Schrecken;
das Kind hatte bereits die (J rosse eines erwachsenen Mannes
erreicht und sprach Worte voll Weisheit. Litaolane trat
ins Freie und war erstaunt über die Einsamkeit, die um
ihn herrschte. „Mutter, u sagte er, „wo sind die Menschen?
Sind keine ausser Dir und mir auf der Erde?" „Mein
Kind, u sagte die Frau zitternd, „noch vor kurzer Zeit waren
die Thäler und Berge mit Menschen bedeckt; aber ein
Untier, dessen Stimme die Felsen erzittern lasst, hat sie
alle verschlungen." „Wo halt sich dieses Untier auf?"
„Dort ist es, nahe bei uns."
Litaolane nahm ein Messer und ging, taub gegen die
Hellenden Bitten seiner Mutter, um den Y T erschlinger der
Welt anzugreifen. Kammapa öffnete seinen schrecklichen
Rachen und verschlang ihn. Aber das Kind des Weibes
war nicht tot. Es betrat, mit seinen Messer bewaffnet,
den Magen des Ungeheuers und zerschnitt seine Einge-
weide. Kammapa brüllte fürchterlich und brach zusammen.
Sofort begann Litaolane sich einen Ausweg zu bahnen,
aber die Spitze seines Messers liess tausende aufschreien,
die mit ihm lebendig begraben waren. Zahllose Stimmen
Hessen sich von allen Seiten vernehmen, die ihm zuriefen:
„Nimm Dich in Acht. Du durchbohrst uns." Es gelang
ihm eine Oeffnung zu machen, durch welche die Völker
der Erde mit ihm aus dem Bauche Kammapas heraus-
kamen.
Die vom Tode erretteten Menschen sprachen unter-
einander: „Wer ist der Mann, der vom Weibe geboren,
nie die Spiele der Jugend erfahren hat ? Woher kommt
er? Er ist ein Ungeheuer, kein Mensch. Er kann mit
uns nichts gemein haben. Lasst uns ihn zwingen
von der Erde zu verschwinden." Mit diesen Worten
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— 2^8 —
machten sie eine tiefe Grube, deckten ein wenig Gras
darüber und richteten darauf einen Sitz her. Dann lief
ein Bote zu Litaolane und meldete ihm: „Die Aeltesten
Deines Volkes sind versammelt und wünschen dass Du
kommest und in ihrer Mitte Platz nehmest/ 4 Das Kind
des Weibes kam, aber als er dem Sitze nahe war, stiess
er schlauerweise* einen seiner Gegner darauf, der äugen-,
blicklich für immer verschwand.
Darauf sprachen die Menschen untereinander : „Litaolane
ist gewohnt, im Sonnenschein bei einen Binsenhaufen zu
ruhen. Wir wollen einen bewaffneten Krieger in den
Binsen verstecken." Dieser Anschlag gelang nicht besser
als der frühere. Litaolane wusste alles; und seine
Weisheit machte stets die Bosheit seiner Verfolger zu
Schande.
Mehrere von ihnen fielen, als sie sich einst bemühten,
ihn in ein grosses Feuer zu werfen, selbst hinein.
Als er eines Tages heiss verfolgt wurde, kam er an
das Ufer eines tiefen Flusses und verwandelte sich in einen
Stein. Seine Feinde überrascht, ihn nicht zu finden, er-
griffen den Stein und warfen ihn auf die andere Seite hin-
über, wobei sie sagten: „Damit möchten wir ihm das Haupt
zerschmettern, wenn wir ihn auf der anderen Seite sehen
würden." Der Stein wurde wieder zum Manne und Lita-
olane lächelte furchtlos, wie sie ihrer Wut in Geschrei und
drohenden Bewegungen Luft machten.
Die heutigen Eingeborenen sagen, dass sie keine Aus-
legung dieser seltsamen Sage geben können" u ).
Natürlich ist Litaolane mit Hubeane zu identifizieren.
Dieser Gott, der plötzlich empor wächst, dessen prächtiges
Geschmeide Ursache des Namens und der Zauberkraft ist. der
Gott der Fruchtbarkeit, dem niemand etwas anhaben kann,,
") Haarhoff S. 17 20. Endemann S. 64.
16*
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— 244 —
der muss entweder als ein Sonnengott entstanden sein, oder
unter dem Kinflusse eines solchen dessen Eigenschaften über-
nommen haben.
Die grosse Mythe von Litaolane ist natürlich eine
Sonnenmythe. Er wächst im Dunkeln (Stalle) geboren
plötzlich empor. Er wird verschlungen (Sonnenuntergang)
aber er zerschneidet die Eingeweide der Ungeheuers und
steigt wieder empor (Sonnenaufgang). Alle Menschen
folgen ihm d. h. erwachen im Schimmer der Morgen-
sonne l2 ).
Hubeane hat in seinem Wesen eine grosse Aehnlich-
keit mit Maui. Er ist der Schalk, der, wo er kann, Streiche
spielt, Maui stiehlt das Feuer und soll deshalb von Hineu-
ni-te-po's Sklaven getötet werden. Aber der Schlaue ent-
geht und sein Bruder verfallt dem Untergange. So auch
hier, Hubeane, der lieber den Bruder untergehen lässt. als
selbst stirbt.
Die grösste Aehulichkeit herrscht aber zwischen Olifat 13 )
und Hubeane. der in ähnlicher Weise zwar verfolgt, stets
an Schlauheit und Macht aber alle übertrumpft.
Die Schango-Mythen haben in gleicher Weise ihre
Analogien. Die „Medizin 1 ', die als Feuer gedeutet
werden kann, weist nicht allein auf die Mauifeuerdiebstahl-
mythe hin, sondern auch das Kämpfen und Wüten bei
der Verfolgung.
Die Vergleich ung Schaugos mit Hubeane ergiebt, dass
ersterer mehr einheitlich als grausamer, gestrenger und in
grösseren Verhältnissen ausgebildet ist, wogegen Hubeane
einen doppelten Charakter nicht verleugnen kann. Ein-
mal ist er ernst und mächtig. — in der Litaolane-
Version — dann wieder der Schalk. Er ist einmal mehr
,2 ) Siehe Kap. XI, S. 194, die Mythe von Taekia.
") Siehe Kap. VI 8. 112 ff.
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245 —
der Götterfeindliche, in welcher Eigenschaft er den Menschen
naher steht, dann mehr der Menschenfreundliche, der
Menschenbefreier, als der er wieder den Göttern verwandt
ist, aus ihrem Kreise als ein Abtrünniger hervorgeht.
Es sind dies mehr oder weniger auch die allen anderen
Sonnengöttern charakteristischen Züge.
Mit Schango und Hubeane haben wir den ganzen
Vorrat der unverfälschten Sonnengötter des „ nigritischen"
Afrika erschöpft. Wie hier stets mehr die Kümmergestalten
als vollendete Formen und unbeirrte Klarheit aufzufinden
sind, so auch in diesem Falle. Und wenn ich nun ein
Bild der alten Sonnengötter Afrikas in s Leben zurück-
rufen will, so muss ich wohl oder übel den altbekannten
Weg einschlagen, nämlich aus allen Zweigen der Welt-
anschauung und Sitten die Fragmente einst vollkommenerer
Gebilde zusammenlesen.
Zunächst wende ich mich den Hottentotten zu, deren
Mythologie verhältnismässig bekannt ist. Ich will aber
voraussenden, dass die Hottentotten als ein Völkerrest zu
betrachten sind. Ausser anderem geht das aus ihrer
Mythologie, überhaupt der ganzen Weltanschauung hervor.
Dieselbe hat einen verknöcherten Charakter. Sie ist gleich-
sam ein fossiler Typus. Ich nehme an. dass sie nicht nur
zusammengeschrumpft und welk, sondern dass ihr auch
mancher bedeutsame Zug abhanden gekommen ist.
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-
XV. Kapitel.
Die Mythologie der Hottentotten.
Urteile über dieselbe. — Heitsi-Kibibs Durchgang durch das Meer.
Heitsi-Kibib als Stier und Topf. Heitsi-Eibib als Schutzgeist.
Heitsi-Kibibs Gräber. Tsui-Goab als Mensch. — Tsui Ouab als
Gott. — Kauna oder Gunja. — Ursprungsmythen. — Entwicklung
der Hottentotten-Mythologie. — Die Untergangs- und Ursprungs-
grube. — Wanderung der Hottentotteu. Die Sonnengötter der
Hottentotten. Entwicklungsprozesse.
„Aber noch niemandem ist es gelungen, ein System,
das eben nicht darin liegt, in dieses Wirrsal zu bringen u ,
meint Ratzel r ). Theophilus Hahn sieht in allen Göttern,
Gottheiten, Halbgöttern oder wie man sie nennen will,
den Mond. Andere deuten auf Ahnen, wieder andere auf
„Zauberer" hin.
Ks handelt sieh um drei Götter: Gounia, Tsui-Goab
(mit einem Sehmalzlaut vor Goab) und Heitsi-Eibib, welcher
auch den Namen Kabib fuhrt.
Dazu kommt noch die ausgesprochene Verehrung des
Mondes und eines kleinen Insektes. Eigentliche Sagen
haben sich aber nur um Heitsi-Eibib und Tsui-Goab ge-
bildet oder erhalten. Deshalb gilt es, diese zunächst kennen
zu lernen.
1. Heitsi-Eibib.
1. Mythe 2 ): Heitsi-Eibib oder Kabib war ein grosser
und berühmter Zauberer unter den Nama. Er konnte ge-
y ) Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I S. 107.
2 ) Mythe 1—3 nach lileek Nr. 36 -39.
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- *247
heime Dinge erzählen und prophezeien, was in Zukunft
geschehen würde.
Einst reiste er mit einer grossen Anzahl Volkes und
ein Feind verfolgte sie. Bei der Ankunft an einem Wasser
sagte er: „Meines Grossvaters Vater, öffne Dich seihst,
dass ich hindurchgehen kann und schliesse Dich hinterwärts."
So geschah es, wie er gesagt hatte und sie kamen glücklich
hindurch. Dann versuchten ihre Feinde auch durch diese
Oeffnung zu gehen, aber sobald sie in die Mitte gelangten,
schloss sich das Wasser über ihnen und sie kamen um.
Heitsi-Kabib stirbt zu wiederholten Malen und lebt
•wieder auf. Wenn die Hottentotten eines seiner Gräber
passieren, so werfen sie einen Stein für gutes Glück darauf.
— Heitsi-Eibib kann verschiedene Gestalten annehmen.
Zuweilen erscheint er schön, sehr schön, oder sein Haar
wächst lang bis zu den Schultern, zu anderen Zeiten war
es sehr kurz.
2. Mythe: Anfaugs waren zwei. Der eine Ga Gorib
hatte eine grosse Höhle und setzte sich dabei und befahl
den Vorübergehenden, Steine gegen seinen Kopf zu
schleudern. Der Stein sprang jedoch jedesmal zurück und
tötete die Person, welche ihn geschleudert, so dass sie in
die Grube fiel. Zuletzt ward Heitsi-Eibib benachrichtigt,
dass viel Volk auf diese Weise starb. Da machte er sich
denn auf und kam zu Ga Gorib, der Heitsi-Eibib auf-
forderte, ihn zu werfen. Das schlug er aber aus, denn
er war zu klug; aber er richtete Ga Goribs Aufmerksam-
keit auf etwas zur Seite Liegendes und während dieser sich
umwandte, darauf zu sehen, schlug Heitsi-Eibib ihn hinter
das Ohr, so dass er starb und in die eigene Grube fiel.
Darnach war Frieden und das Volk sehr glücklich.
3. Mythe: Man sagt, als Heitsi-Eibib mit seiner
Familie auf Reisen war, sei er in ein Thal gekommen, wo
der Rosinenbaum reife Früchte hatte und woselbst er von
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1
— 248 —
einer gefährlichen Krankheit befallen wurde. Dann sprach
sein junges Weib: „Dieser Brave ist durch diese Rosinen
(rötlichen, wohlschmeckenden Beeren) krank geworden. Der
Tod herrscht an diesem Platze. " Der alte Heitsi-Eibib
sprach zu seinem Sohne Urisib (dem Weisslichen) : „Diese
Lehre befehle ich Euch zu befolgen: Von den Rosinen-
bäumen dieses Thaies sollt Ihr nicht essen, denn wenn
Ihr davon esset, werde ich es Euch anthun und Ihr werdet
ganz sicher auf dieselbe Weise sterben."
Sein junges Weib sprach: „Er ist krank geworden
durch die Rosinen dieses Thaies. Lasst uns ihn beerdigen
und gehen!" — So starb er und wurde sofort mit leichten
Steinen bedeckt, wie er angeordnet hatte. Dann gingen
sie von ihm fort.
Als sie an einem anderen Ort gekommen waren und
dort abpackten, horten sie stets von der Seite, von wo
sie hergekommen waren, ein Geräusch, wie wenn jemand
Nüsse ässe. Der Essende und Singende sprach:
„Ich Vater von Urisib,
Vater dieses L'nreinen,
Ich, welcher gegessen diese Rosinen und starb
Und im Tode lebe."
Das junge Weib hörte, dass das Geräusch von der
Seite kam, wo des alten Mannes Grab war und sprach:
„Urisib, geh und schau!" Dann ging der Sohn zu des
alten Mannes Grab, wo er Spuren wahrnahm, die er als
die Fussspuren seines Vaters erkannte; darauf kehrte er
heim. Dann sprach das junge Weib: „Er ist es allein,
deshalb thue dies!"
„Thue so dem Manne, welcher Rosinen isst, auf der
Windseite (d. h. von wo der Wind kommt), beachte den
Wind, so dass Du ihn von der Landseite beschleichst."
„Dann fang ihn ab auf seinem Wege zum Grabe."
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— 249 —
„Und wenn Du ihn gefangen hast, lass ihn nicht
wieder los."
Er that so und sie kamen zwischen das Grab; und
Heitsi-Eibib, welcher den Vorgang bemerkte, vom Baume
sprang und schnell lief, ward am Grabe abgefangen.
Dann sprach er: „Lass mich, denn ich bin ein Mann, der .
tot gewesen ist, damit ich Euch nichts anthue!" Das junge
Weib aber entgegnete: „Haltet den Schelm fest!" So
brachten sie ihn nach Hause und seit jenem Tage war er
frisch und gesund.
4. Mythe 3 ): Gras wuchs und er (eigentliches) wurde
von einer Kuh abgeweidet und die Kuh wurde trächtig
und gebar ihn als einen Stier (als ein Stierkalb).
Und dieser Stier wurde ein grosser Stier. Da ver-
sammelten sich die Menschen eines Tages, dass sie ihn
schlachteten. Darauf lief der Stier einen Hügel hinab;
dann folgten sie ihm, dass sie ihn wieder zurückholten.
Da sass da ein Mann, Milchgefasse aushöhlend (d. h. welcher
Milchgefässe anfertigt). Und sie fragten ihn: „Wo ist
denn der Stier, welcher hier heruntergekommen ist ? u
„Ich weiss nicht, sollte er denn hier gerade vorbei-
gekommen sein?"
5. Mythe: Und die Menschen, sie schlachteten ein
Rind. Und er wurde ein Topf. Da haben sie in dem
Topfe gekocht. Da hat der Topf all das Fett eingezogen
und sie haben kein Fett erhalten.
6. Mythe*): Der Heizi oder Heize Eilib ist ein Schutz-
geist. Er thut viele gute Dinge. Er rät den Leuten, die
jungen Löwen zu töten und ihre Speise zu essen, denn
so sagt er: „Des Löwen Kinder lasst uns töten und seine
Speisen essen!" Dasselbe sagt er auch in Bezug auf die
Mäuse, nämlich sie zu töten und zu essen.
*) Mythe 4 — 5 nach Hahn: „Die Sprache* 8.60.
*) Missionar Eggert bei: B Hahn u : „Beitrage* 8.68.
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— 2Ö0 —
Doch Heitsi-Eibib ist zuweilen auch ein grosser Schelm.
Kr macht sich zum Topf und wahrend das Fleisch in ihm
kocht, isst er es.
Dass man Steine, Holz und Gras auf sein Grab wirft,
geschieht ihm zu Ehren. Er soll sich darüber freuen,
* wenn er vom Felde, wo er Zwiebeln gräbt, zurückkommt
und sieht, dass mau seiner nicht vergessen hat.
Giebt man ihm nur wenig Honigwasser, so wird er
böse und sagt: „Ihr seid nicht gut, volle Backen begehre
ich. u Giebt man ihm viel, so ist er froh und sagt: r lhr
seid gute Leute ! kt
Mit den Steinhaufen, die sich im ganzen Hottentotten-
lande und ihrer früheren Heimat im Osten, aber auch im
Norden finden 5 ), ist ein wichtiges Glied der Mythen des
Heitsi-Eibib-Kreises erreicht. Mit ihnen sind bedeutsame
Mitteilungen verbunden. Folgende als Beispiele.
Die Nama geben an, von Osten zu kommen. Man
findet in diesen (legenden gewöhnlich grosse Steinhaufen,
auf welche Strauchwerke geworfen werden. Die Namaqua.
nach der Bedeutung dieser Hügel befragt, sagen, dass
Heitsi-Eibib ihr Grossvater darunter ruhe. Sie wissen
nichts von seinem Aussehen und Handeln zu berichten:
berichten nur, dass er gleich ihnen aus dem Osten komme
und viele Schafe und Ziegen besitze. Wenn sie einen
Stein oder Zweig auf den Haufen werfen, murmeln sie:
„Schenk uns viel Vieh !"
Anderson lasst es unentschieden, ob r Heitjebib oder
Heitjekobib u ein Gott, ein Kobold oder ein vergötterter
5 ) Diese Gräber Heitsi Kibibs liegen meist in Engpässen. Sie
bestehen aus Hügeln von massigen Kieseln, die wohl 20 —30 Sehritt
im Umfang haben. Hahn: „Die Sprache- S. 60.
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— 251
Mensch ist. Er hat aber von den Namaqua gehört: „dass
er sich in den Gräbern der V erstorbenen finde att ).
Den Namen übersetzt Hahn mit „der baumartig Empor-
wachsende" 7 ).
•2. Tsui-Goab.
1. Mvthe"): Zwei Bruder, Söhne eines mächtigen
Fürsten, stritten sich einst um die Herrschaft. Der Jüngere
überwand den Aelteren, wurde aber am Knie verwundet
und erhielt deshalb den Namen Cükoab; so geht die Sage.
2. Mythe 9 ): Die Alten berichten, von ihren Vorfahren
gehört zu haben, Cükoab, Gott habe einen Mann (Kauima
d. h. Straussenfeder) und eine Frau (Hau Na Maos d. h.
gelbes Messing) geschaffen und habe ihnen Kühe, deren
Milch sie trinken, einen Schakalsschwanz, mit dem sie den
Schweis*? abtrocknen und Waffen, mit denen sie sich schützen
sollten, gegeben. Von diesem Cükoab erwarten sie
alles Gute. Er wohnt jenseits des blauen Himmels in
einem weissen Himmel, und wenn er den Menschen zürnet
und sie strafen will, so schiebt sich der blaue Himmel
dazwischen und wendet das Unheil ab.
Peter Kolb spricht von „Gounia Titjuoa tf , einem guten
Gotte und übersetzt diesen Namen mit „Gott aller Götter".
Nach Jong (resp. Schmidt) heisst der gute Gott „Tui qua" 10 ).
Ein anderer Bericht macht „Touquoa" zum Gotte, der alle
•) Anderson Bd. II S. 63. Alexander Bd. I S. 167. Anderson
aagt von diesen Cairns, dass man sie häufig an Stellen finde, wo es
von Natur keine Steine giebt, „woraus man sehliessen kann, dass
die Eingeborenen dieselben weit herbeigeschleppt haben".
7 ) Hahn: „Die Sprache* S. 69.
ft ) Kropf in den „Verh. d. Berl. Ges. f. Anthrop." 1888 S. 43-
Moffat S. 258. Letzterer nennt ihn Tsui kuap — wounded knee.
•) Burekhardt und Orundemann Bd. IV S. 218 9.
10 ) Kolb S. 95. Jong Bd. I S. 274 und 271.
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Krankheiten und alles Unheil verursacht und deswegen
verehrt wird 1 *).
3. Kau na.
Im Gegensatz zu Tsui-Goab wird öfters ein Gott
Gounja, Kauna (vielleicht ist auch Chamöuno der Teufel
derselbe), oder Kaunaam genannt. Ks ist ein übelwollen-
der Gott und die „Bosen" kommen zu ihm uarh dein
Tode. Er wohnt im Feuer.
4. Schöpfungsmythen.
1. Mythe 13 ): Die Eingeborenen haben eine eigentum-
liche Sage von einem Felsen, an dem man deutlich die
Spuren von allen Wilden sehen soll, die im Lande heimisch
sind. Ferner sagen sie, dass Menschen und Tiere früher
hier in grösster Freundschaft zusammenlebten; aber eines
Tages (sie wissen nicht warum) erschien ganz unerwartet
ihre Gottheit und zerstreute sie. „Ich habe nie das Glück
gehabt, diesen Stein zu sehen", sagt Anderson.
2. Mythe 14 ): „Im Anfange der Dinge gab es nur den
Dios genannten Menschen, der aus der Knaus genannten
Gottheit (in Gestalt eines Felsen), neben welchem sich
der Gott Thu-Khuap und der hinkende Gott Kauna
findet, der die Menschen quält, geschaffen war und sich
mit einem flachen Stein (als seine Frau) vermählt."
Ratzel hat Recht, in diesem Gemenge ist kein System.
Dagegen ist entschieden einmal ein solches darin gewesen.
Ein Degenerationsprozess ist mit Leichtigkeit nachzuweisen.
n ) „Nieuve Algemene* Bd. I S. 215,6.
'*) Burckhardt und Grundemann Bd. IV S. 212. Jong S. 274.
Kolb 8. 95 ff. und S. 102 ff. „Nieuve Algemene* Bd. I 8. 119. Nach
S. 204 scheint auch die Mondgottheit „Gounja** zu heissen.
,s ) Anderson Bd. U 8. 64.
") Bastian: „Loangoküate" Bd. II S. 208.
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- 253 —
Der bekannte Entwickeluugszng der afrikanischen Welt-
anschauung, das Herabzerren alles Höheren auf das Niveau
der niederen Mythologie lässt sich auch hier nicht ver-
kennen.
Tsui-Goab soll eine historische Persönlichkeit sein.
Ratzel stimmt mit Recht der Ansicht Büttners bei, dass
die Deutung „Wundkuie" der Volksethymologie entstamme.
Heidsi-Eibib soll der Ahnherr sein. Er soll die Vorfahren
durch das Meer geführt haben, er soll in deren Gräbern
sich befinden etc., kurz alles wird möglichst nahe in den
Bereich uicht nur der Menschen überhaupt, sondern auch
der speziellen Ahnen und sogar der Lebenden gezogen,
so dass zuletzt Schutzgeister, Kobolde, Seelsorger und
ähnliche Lieblings wesen des stumpfen, verdrängten, ge-
hetzten Volkes an Stelle der Helden und Götter der edlen,
wandernden und siegreichen Ahnen getreten sind.
In diesem Falle ist ein Volk von einer ungemeinen
Zähigkeit, ein Volk, dessen religiöse Instinkte Fritsch hoch-
stellt 13 ), der Träger der Mythologie. Es konnte derart
wohl die Mythologie verkümmern, an Lebenskraft ver-
gehen, aber ihre wichtigsten Züge blieben erhalten.
Die bedeutende Rolle spielt in der Hottentotten-Mytho-
logie Grube (Grab) und Stein. Aus dem Steine gebt das
Leben, und somit auch der Mensch hervor. In die Grube
sinkt der Widersacher des Lebens und aus« der Grube
kommt Heitsi-Eibib zurük, so oft er auch begraben wird.
Damit ist das Hauptmotiv gefunden. Wir brauchen
uns nur der bekannten Thatsacheu zu erinnern, und etwas
von der eingeengten Betrachtung der Form zu trennen. Die
Grube, in der Heitsi-Eibib begraben wird, treffen wir wieder
in dem Topfe, in dem alles Fett ausgesogen wird. Wie
Heitsi-Eibib in das Grab gelegt wird und wieder aufer-
lfi ) Frisch S. 3H«5.
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— 254 —
steht, so wird er von der Kuh als Grashalm verschlungen
und als Stierkall) zur Welt gebracht.
Der Gott ist des Weiteren ein Wanderer. Er kommt
von Osten. Auf der Wanderung (also im Westen) wird
er begraben. Er ist nicht immer gleich. Manchmal fällt
langes Haar auf die Schultern. Dann ist er sehr schön;
manchmal ist das Haar ganz kurz. Im Uebrigen lebt
Heitsi-Eibib wie Schango bei den Toten.
Bedenken wir nun, dass die Hottentotten einst im
Osten Afrikas wohnten. Damals ging für sie also die
Sonne im Meere auf. Die erste Mvthe erzählt von Heitsi-
Eibib, dass er glucklich durch das Meer gekommen. Der
nachfolgende Feind ward ertränkt. Das ist der Schlüssel,
die Mythe ist eine Sonnenaufgangs-Mythe 16 )! Die Heitsi-
Eibib-Tsui-Goab-Mythen sind in jener Zeit, da
für die Hottentotten noch die Sonne im Meere
emporstieg und in der Wüste unterging, Sonnen-
mythen gewesen: Denn Heitsi-Eibib führt die Hotten-
totten-Ahnen sicher durch das Meer. Er wird im Westen,
also im Lande bestattet. Sein Haarwechsel entspricht dem
wechselnden Bilde der aufgehenden und mittäglichen Sonne.
Er ist, wie viele Sonnengötter, ein hinkender Gott (Maui!),
denn darauf ist wohl die Bezeichnung Tsui-Goab zurück-
zuführen. In der Lesart von Bastian ist Kaiina der
„Hinkende". Der Gott, der über den blauen in einem
weissen Himmel als zürnender wohnt, ist die verzehrende
Mittagssonne.
Wie der Sonnengott der Basuto, Hubeane, lässt sich
Heitsi-Eibib verschlingen. Wie derselbe stösst er den
Widersacher in die Grube, die für ihn bestimmt ist.
16 ) AI» Maui mit dem gestohlenen Feuer von dannen floh und
die Glut des ihn verfolgenden Feuergottes ihn fast erreicht hatte*
da Hess er Wasser herniederprasseln. Diesen Fluten konnte die
Glut nicht widerstehen. — Das ist das gleiche Motiv! —
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— 255 —
Die dritte Mvthe von Heitsi-Eibib ist eine klare
Sonnen bahn -Darstellung. Er steigt auf den Baum, dazu
wird noch gesagt, dass die Familie auf der Wanderung
war, isst die rötlichen Beeren, wird davon, wie er herab-
steigt, krank, und als alter Heitsi-Eibib wird er bestattet.
Die Erschaffung des Menschen aus dem Felsen oder
den Steinen ist eine einfache Form der in solchen Fällen
häufigen Umkehrungen. An der Stelle, wo die Sonne
untergeht, wird der Mensch geschaffen. Dazu tritt, dass-
Tsui-Goab in den Gräbern der Ahnen wohnt. Drehen wir
das um. Die Seelen folgen der Sonne im Tode.
Damit ist auch der aus dem Osten bekannte
Ansatzpunkt an die niedere Mythologie schon geboten und
gleichzeitig die Ursache der Einschaltung dieser Mythen
in Ahnensagen. Im Osten, wenigstens auf den oceanischen
Inseln, wird die Weltanschauung durch die in gewaltigen
Bildern und Erscheinungen sich entrollende Natur ent-
wickelt, in Afrika wird sie durch die Geschichte erzogen..
Die Oceanier verschmolzen die Mythologie mit den Sagen
ihrer grossen Wanderung, die Afrikaner verquicken ihre
Legenden mit den Erlebnissen des Tages und der Generation.
Auf diese Weise wird die Hottentottische Mythologie
verständlich. Es ist unter den afrikanischen eine der
interessantesten, weil von einem der zähesten, wenn auch*
vielleicht dem Untergang geweihten, Völker getragen.
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XVI. Kapitel.
O-Dente und Akotia etc.
Die westlithen Bezirke der westafrikanischen Provinz. — Die
O-Dente-Mythe Der O-Dente-Cultua. - Seine Verbreitung. — Der
Erdhaufen. - Akotia. — Akotschang. — Bedeutung Akotias. —
Schankpanna. Sapatan. Aizan. Grausame Sonnengötter. —
Typus der Sonnengötter. — Der westafrikanische Gott.
Der Norden der Guineaküste bietet in Yoruba-Nupe
den Bezirk, in dem die grösste mythologische Klarheit,
nicht nur hinsichtlich der westlichen Provinzen sondern
auch des gesamten Afrika herrscht. Nach Westen zu
werden die Götter und Sagen kleiner und der Zusammen-
hang der Mythen schwindet. In Dahome ist noch der
grosse Zug der Yoruha - Mythologie erkennbar, aber bei
den Ga und Tsciii treffen wir nur noch zaubernde Menschen,
übelwollende Geister, verzerrte und verkrüppelte Gottheiten.
Für unser Wollen und unsere Ziele ist dieses Gebiet be-
sonders fesselnd, wenn es auch wenig anheimelnd und
einladend aussieht. Aus diesen Bezirken des Verfalles
stammen die Gottheiten O-Dente und Akotia, denen ich
mich nun zuwende.
1. O-Dcnte.
In grauer Vorzeit l ) lebte in einer Höhle in der Nahe
von Kubease. der zu der grossen Ortschaft Date (auf der
Goldküste) gehörigen Oberstadt eine Gottheit, Namens
') Kottniaiui S. 3 ff.
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— 257 —
Konkom. Es war dieser ein Mann mit nur einem Auge,
einem Arm, krebszerfressener Nase und voller Schwären.
Die Leute hatten ihm Ziegen und Schafe, das beste ihrer
Herden zu opfern. Es war daher nicht wunderlich, dass
den Opfernden bei der Menge ihrer Opfer der Gedanke
aufstieg, warum die Gottheit sich nie zeige. Wenn die
Opfergaben vor der Höhle niedergelegt wurden, sah man
immer eine weisse Hand aus der Höhle hervorkommen
und das Opfer hineinziehen. Die Leute hätten gerne ge-
wusst, wer denn ihre beste Habe verzehre. Sie beschlossen
durch List und Gewalt sich Klarheit darüber zu ver-
schaffen, nämlich sich am Eingänge der Höhle auf die
Lauer zu legen, und wenn der geheimnisvolle Arm zum
Vorschein komme, denselben zu fassen, den Fleischesser
aus seinem Dunkel hervorzuziehen und ihn bei hellen
Tageslicht zu besehen.
Sie t bäten also. Bei der nächsten Opfermahlzeit
stellten sich einige beherzte Männer an den Rand der
Höhle, und als der Arm wieder zum Vorschein kam, sich
nach den Fleischstücken ausstreckend, ergriffen sie den-
selben und begannen den Mann hervorzuziehen. Eine
klägliche Stimme aus der Höhe schrie : „ Ach meine Kinder,
was thut ihr? Lasset ab von mir, thut nicht solch ein
böses Ding! u Aber alles Flehen half nichts. Die Männer
Hessen nicht ab, bis sie den Höhlenbewohner draussen
hatten.
Aber welch ein Schrecken fiel über sie, als das Schauer-
bild im hellen Tageslichte vor ihnen stand. Entsetzt
schrien sie: „Es ist kein gemeiner Mann, in der That es
ist ein Gott! u Von kaltem Graus erfasst, flohen sie von
der Stätte. Weinend vor Scham und Zorn, schrie der
Gott ihnen nach: „Was eilt Ihr weg? Ihr habt mir ein
grosses Unrecht angethan ; doch lasst sehen, vielleicht kann
Euch vergeben werden!" Aber tötlich erschrocken flohen
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 17
I
■
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— 'JöS —
die Menschen weiter, ohne umzuschauen. Voll Grimm
schrie ihnen Konkom nach: r Bravo, bravo! Das werde
ich Euch vergelten! Bravo, bravo ! u
Unter dem Drucke des Schreckens und der Ahnung
furchtbaren Gerichtes zu leben, war unerträglich, daher
wurden mit dem beleidigten Gotte wieder Unterhandlungen
angeknüpft und gefragt, was gethan werden müsse, ihn
zu befriedigen. Er stellte sich sehr versöhnlich, war
freundlich und vergebend.
Nachdem ihn die Sühnopfer gebracht worden waren
versprach er sogar die Stadt zu segnen und sie zu hoher
Blüte zu bringen. Doch als unerlässliche Bedingung, dieses
übersehwänglichen Segens teilhaftig zu werden, befahl er
ihnen alles, was an Früchten des Feldes gewachsen, ab-
zuhauen und was davon schon eingeerntet war, zu ver-
brennen, es werde alles hundertfältig wieder erstattet
werden. Sie thaten wie er befohlen. Kaum war aber
dieses geschehen, da verschwand Konkom und ward nie
mehr gesehen. Seine Absicht hatte der Entflohene er-
reicht. Eine furchtbare Hungersnot brach aus, die viele
dahinraffte.
Konkom kam auf seiner Flucht den Rio Volta entlang
in eine Stadt Namens Krakye 2 ). Dort gefragt, woher er
komme, antwortete er: „vonDate". Aber durch die zerfressene
Nase klang es wie: „Dente", daher den Namen Odente er-
hielt, Er erzählte den Krakyern, was ihm begegnet und
wie man ihn behandelt habe, und sie waren froh, dass
er bei ihnen bleiben wollte. In einer grossen Höhle nicht
weit von der Stadt, Hess er sich nieder.
Nunmehr wuchs Krakye mächtig. Viele Leute zogen
vorbei, um dem Gotte zu opfern, um Rat bei ihm zu
*) Krakye liegt am oberen Volta im Deutsehen Togo-(iebiet.
Seine Bewohner sind von Date eingewandert.
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- 251) —
■
holen, vor allem um einen kleinen Klumpen Lehm, einen
kleinen Odente" oder „Odente Sohn" zu kaufen und ihn
mit in die Heimat zu nehmen, wo er den grossen Odente
vertreten sollte.
Da hatten nun die Dater gerne den grossen Gott zu-
rück erworben. Sie Hessen es weder an Mitteln noch an
Mühen fehlen. Aber wohl wurden sie mehrmals schmählich
betrogen, nicht aber wieder Besitzer Odentes. Ja es ge-
lang ihnen nicht einmal die Höhle, die Odentes alter Wohn-
sitz war, wieder aufzufinden.
Plötzlich (etwa Ende 1885, jetzt wird die Sache
historisch wichtig) hiess es, der Geist Odentes sei über
ein Mädchen Namens Koko (man denke an Odentes Namen
Konkom!) gekommen. Sie begann in der Sprache der
Krakyer zu weissagen, Odente werde in Krakye übel be-
handelt und sehne sich nach der alten Heimat zurück.
Feierlich verkündete sie vor allem Volke, dass Odentes
Ankunft nahe sei. dass wenn die Dater thäten, was der
Gott durch sie ihnen befehle, Date durch Odente emporkomme
und in ganz Akuapim einen grossen Namen bekommen
werde. Folgende Befehle des Gottes müssten strenge be-
folgt werden.
1. Odente hasst die Ziegen ; er isst kein Ziegenfleisch;
darf auch nicht (so wenig wie seine Söhne, die jetzt schon
zwischen Krakye und Date hin und her eilten) auf Ziegen-
kot treten. Darum hinweg mit den Ziegen. AVer seine
Tiere nicht aus dem Bereiche der Stadt brachte, musste
es geduldig mit ansehen, wie sie abgefangen und öffentlich
gegessen wurden.
2. Schafe genügen nicht zum Opfer. Der grosse Odente
will Stiere haben.
3. Auch Palm wein genügt nicht, der Gott ver-
langt Rum.
17*
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21)0 —
4. Niemand darf dunkelblaues Zeug tragen, der Gott
hasst es.
5. Niemand darf Nachts mit einem Licht über die
Strasse gehen; er könnte vielleicht eines der Kinder Orientes
sehen, die im Donner und AVindesrauschen gekommen, bei
Nacht die Stadt durchwandern, sie zu bewachen.
Derartige Vorbereitungen wurden also getroffen, und
so der „Odentekultus" wieder eingeführt, dessen vornehmster
Teil aber die Errichtung des Lehmkegels über einem
Menschen ist. Es wurde also ein 14 jähriger Knabe in
der Nachbarschaft gekauft. Derselbe verweilte zunächst
acht Tage im Hause des Priesters.
Eines Tages ward durch Koko verkündet: Odente wolle
am Eingange der Stadt einen Altar, einen Erdhaufen in
Gestalt eines stumpfen Kegels, wie er einen solchen in
Krakye besitze. Nachdem dieser aber halb fertig war,
brach er wieder zusammen. Wie Koko verkündigte, hatte
die Gottheit ihn nicht angenommen. Er musste wieder
aufgebaut werden, aber diesmal durften nur Eingeweihte
daran helfen, in dunkler Nacht sollte es geschehen. Es
ward auf Befehl der Wahrsagerin durch den Ausrufer in
allen Strassen ausgeschrien, dass in der kommenden Nacht
niemand das Haus verlassen dürfe Orientes Söhne gingen
um und wehe dem, der sie zu sehen bekomme.
Mit Beginn der zweiten Nachtwache, als alles im
tiefsten Schlummer lag, fing der Wahrsager an, mit seinen
Eingeweihten, den Staatsältesten, ein tiefes Loch zu graben,
tief genug, um den Knaben aufzunehmen, so dass nur der
Kopf herausragen konnte. Als nun Wankelmuth die Männer
ergriff und sie bei Koko anfragen Hessen, ob das Menschen-
opfer nicht irgend wie zu ersetzen sei, ergriff diese
s ) Die grosse Heimlichkeit ist auf den „englischen Regierungs-
einfluss" zurückzuführen, der in diesen Gegenden keine öffentlichen
Menschenopfer gestattet.
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— •-><; i —
entschlossen einen Topf Palmöl, der über dem Feuer stand,
eilte an die Statte und goss das Oel über das Haupt des
Knaben mit den Worten: „Dem Gotte geweiht, Odente
verlangt sein Opfer."
Da ergriff einer der Aeltesten den Knaben und warf
ihn rücklings auf den Boden; ein zweiter legte eine arm-
dicke Stange über den Hals des Opfers und trat auf das
eine Ende der Stange, ein dritter auf das andre Ende; ein
vierter ergriff die Füsse des Knaben und drehte den Leib
desselben rückwärts dem Kopfe zu, bis dass das Genick
knirschend zerbrach. Dann richteten sie den Leichnam in
der Grube auf, stehend, legten einen runden, schwarzen
Topf auf den Kopf, die rechte Hand umliegend den Topf
zu halten, in die linke gab man ihm eine Flinte und schüttete
die Grube zu, so dass nur der Kopf hervorragte: dieser
wurde dann in breiter Grundfläche sorgfältig ummauert.
An einem der folgenden Tage wurde die junge Mann-
schaft aufgeboten, die, nicht wissend, was da unten lag,
den Kegel etwa sechs Fuss in die Höhe führte. Auf des
Kegels Spitze kam ein Topf, mit einem Tuch umwunden.
Alles wurde mit weisser Erde beworfen, davor zwei niedere
Stufen angelegt, darüber ein auf vier Balken ruhendes
leichtes Strohdach errichtet und das Ganze Odentes Thron
oder Altar, Odente — Koffi genannt.
Auf diesem Thron sassen Odentes Söhne und bewachten
die Stadt bei Nacht. Jeder, der, vom Felde nach Hause
kehrend, beim Eingang in die Stadt den Kegel passierte,
hatte etwas zu den Füssen des Altars niederzulegen, sei
es Pisang oder ein Stück Yams oder ein Kornbüschel oder
Fisch oder Palmnüsse oder Wein. Eine Flasche Rum musste
immer dort liegen. Nichts, das mit Schnüren zusammen-
gebunden war, durfte vorüber getragen werden. Jede Last
Brennholz musste, wenn die Trägerin in die Nähe des Altars
gekommen war, niedergelegt, gelöst und umgebunden.
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— 2&> —
stückweise vorbeigetragen werden; kein Zinnbecken durfte
sich dem Altar nahen, niemand in einem dunkelblauen
Kleide vorübergehen. Wer eines dieser Gesetze übertrat,
wurde mit zwei Flaschen Rum gestraft.
Zu der einen Wahrsagerin Koko hatte sich noch eine
ganze Schar ebenfalls von Odente inspirierter Weiber gesellt.
Sie alle wohnten im Hause des Priesters; der hatte sie mit
langen, weissen, wallenden Gewändern zu kleiden und hatte
sie zu speisen. Das Chor der Priesterinnen war eine leckere
Bande. Geringere Seefische waren nicht gut genug, sie
verlangten nach Flussfischen. Statt Hühnerfleisch forderten
sie Schaffleisch. Ferner mussten auch Sandalen für sie
angeschafft werden; sie durften ja auf keinen Ziegenkot
treten, weil die Ziegen Odente verhasst waren, aber auch
Maisbrotkeime durften ihre geweihten Füsse nicht berühren.
Die Adae-Tage — der grosse Adae ist an einem Sonntag,
24 Tage später ist der kleine Adae — waren in Sonder-
heit Tage lärmender Festversammlungen. An solchen
Festtagen wurde auch viermal ein Stier geopfert und damit
eine Opfermahlzeit verbunden.
Ich habe diese Mitteilung nicht nur deswegen so aus-
führlich gegeben, weil sie sonst wohl für die Wissenschaft
verloren ginge, sondern auch, weil sie in ihrer Zusammen-
stellung wirklich sehr bedeutungsvoll ist.
Es zeigt sich hier ganz wunderschön, auf welche Weise
eine hohe Mythe in die Geschichte heruntergezogen wird.
Da nämlich bekannt ist, dass die Krakyer von den Datern
abstammen, so ist damit erklärt, wie dieser Gott so voll-
kommen lokaler Natur ist und eine festgegliederte Wauder-
geschichte besitzt. Ks finden sich nämlich nicht nur
°ft in den Wandersagen die Züge der hohen Mythen,
sondern auch in den Göttersagen Erinnerungen au
die Geschichte.
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— 2(>3 —
Wenn der erste Teil demnach auf eine einst allgemeiner
verbreitete Mythe zurückzuführen ist, so ist dies in Bezug
auf den zweiten Abschnitt der Rückerwerbung Odentes
durch die Dater. auch der Fall. Was hier nur einmal durch
Zufall der englischen Regierung zu Ohren gekommen und
deshalb bekannt geworden ist, ist auf einen weit verbreiteten
Brauch zurückzuführen.
Einmal nämlich sagt der Text des
Berichtes selbst, dass von Akuapim,
Akem und Aschanti die Leute herbei- ^rj .^^ pv^
gekommen seien, um solche Klumpen IflLjlT
Lehm, „kleine Odentes*, zu kaufen; _ U^O^iU
dann kennen wir auch aus Abetifi die "Al^^'V^l^
mit weissem Lehm bestrichenen, unter ---^-^^ •*
einem Strohdach sich befindende Krd- Der Lehmhügei o-Dentes
schölle mit der darauf gestellten, Eier (nach Photographie),
und Feldfrüchte als Opfergabe enthaltenden Schüssel, als
Wohnort des Gottes „Deute" *). Doch noch weiter verbreitet
sind die Odente-Hügel.
Steiner erwähnt, dass bei den Ga ein kleiner künst-
licher Erdhaufen, der über ein Opfer, einer Ziege, einem
Halm, einer Katze, errichtet sei, gewöhnlich in dem Gehöft
der Wohnungen oder an Strasseneingängen angetroffen
werde 5 ). Bonner erzählt, dass die Stadt Akropong im
.Jahre 1883 Odente von der Nachbarstadt Krakye für
2000 Mark gekauft habe. Für dieses Gold erhielten die
Akroponger eine Mischung von Erde und unbekannten
Wurzeln in einem irdenen Topf, der in einem Erdhügel
beigesetzt wurde 6 ).
Nachdem also die Annahme, dass es sich in Odente
um eine rein lokale Gottheit handele, zurückgewiesen ist,
*) „Album" 8. 45.
5 ) Steiner im: „tilobus u S. 134.
") Bonner S. 215.
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— 264 —
gilt es, seine Analogien in den afrikanischen Mythen auf-
zufinden. Der nächste Verwandte Odentes ist Akotia.
Akotia.
Unter allen Gottheiten 7 ) Berekusos, eines Dorfes des
durch seine vielen religiösen Ansichten und Handlungen
berühmten Volkes im Akuapim -Gebirge , ist Akotia der
gefürchtetste. Er wird durch einen Steinblock von etwa
zweieinhalb Quadratfuss repräsentiert. Seine Abzeichen
sind sieben Totschläger. Er ist aber nicht der Hauptgott
von ßerekuso.
Dieser heisst Akotsani oder Akotschang und wird un-
weit der Stadt durch einen grossen Seidenbaumwollen-
Banm dargestellt, d. h. in demselben gedacht und verehrt.
Seine Frau heisst Otudu und befindet sich am entgegen-
gesetzten Ende der Stadt. Aber weder Akotschang noch
sein Weib Otudu sind so gefürchtet wie ihr Sohn Akotia.
Dieser ist zugleich Gesandter seines Vaters und anderer
Gottheiten und durchstreift, bald sichtbar, bald unsichtbar
das Land, sodass niemand sicher vor ihm ist. Sichtbar
erscheint er als ein rötlich, kränklich aussehender Mann
von mittlerer Statur und hagerer Gestalt. Er ist wortkarg,
ja stottert sogar, und da der letztere Umstand bei den Negern
als ein Zeichen der Bosheit, die ihn unsicher in seiuen
Aussprüchen sein lässt, gilt, so ist das schon Grund
genug, ihn zu fürchten. Er ist nur mit einem Lappen
alten Zeuges um die Lenden bekleidet und geht, still vor
sich hinschauend seinen Weg ohne sich viel an diejenigen,
die ihm begegnen, zu kehren.
7 ) Steiner im Tagebuch. In La war Ahulu der Götterbote.
Bohner S. 238. Nach Bohner sind Lakpa und Kralo Vater und Mutter
Akotias. — Ob der in alten Schriften genannte „Agoye 44 Weidas
mit Akotia in Beziehung steht, lässt sieh schwer feststellen. Des
Marchais Bd. II S. 129-131. „Allg. Hist. d. R.« Bd. IV S. 329 30.
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— -J65
Seine Strafe ist entweder ein plötzlicher Tod oder ein
hier «ehr verbreitete Art Aussatz, von Ga-Negern „adschoto u
genannt. Es ist deshalb kein Wunder, dass, wenn ein
Neger einem ähnlich dreinschauenden fremden Individuum
begegnet, er am ganzen Körper zittert und eiligst die
Flucht ergreift. Das Aussehen und Auftreten von Akotia
soll so fürchterlich sein, dass als seinerzeit in einer
öffentlichen Versammlung der Gottheiten in Cumasse ge-
fangene Aschantier von den Gottheiten der Küste aus-
geliefert wurden, alle Aschanti Gottheiten kopflos die
Flucht ergriffen.
Man ist aber auch nirgends vor ihm sicher. Sogar
wenn man mit seinem Freunde unterwegs ein vertrautes
Wort redet, so kann man unverhofft von ihm darüber zur
Rechenschaft gezogen und mit schwerer Strafe belegt werden.
Auch leitet Akotia den Landbau und kein Bauer dürfte
es wagen, das Buschmesser zum Lichten des Busches zu
rühren oder das niedergehauene Gestrüpp zu verbrennen
und die Saat zu bestellen, ehe Akotias- Priester gegen
Opfergaben dieses für ihn selber gethan hat. Noch viel
weniger dürfte einer die neue Yamsfrueht kosten, ehe
Akotia oder sein Priester öffentlich dies vollzogen
hatte. Alle diese Vergehen und Unterlassungen werden
hart geahndet, indem der Uebertreter von Akotias Priester
zitirt und durch Opfer an Branntwein, einem Schaf, einer
Ziege, oder in leichten Fällen eines Huhnes, bestraft wird,
um den erzürnten Gott Akotia wieder zu versöhnen. Der
Priester richtet dabei von den erhobenen Tieren eine Opfer-
mahlzeit an, die er mit seinesgleichen verzehrt. Wäre
Akotia ein gewöhnlicher Gott, so müssten ihm die Ein-
geweide der Opfertiere zufallen, aber er ist ein Sonderling
und verlangt den Inhalt derselben.
Akotias Heiligtum ist ein Naturtempel. Er ist an
einer etwas abgelegenen Stelle des bergigen und zer-
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~ 2(56 —
klüfteten Weges von Sesemi nach Berekuso, wo eine Anzahl
schlanker Bäume mittlerer Höhe ihre Laubkronen zu einem
dichten grüner Gewölbe zusammenfugen. Unter dem Blätter-
dache ist der Boden von Gebüsch und Gras gereinigt, und
eine Anzahl gewisser Steine liegt herum, in deren Mitte
der den Akotia repräsentirende. Die nächste Umgebung
des Heiligtumes ist der Urwald oder dichter Busch, und
das verleiht dem ganzen etwas Feierliches und Hehres.
Da der daran vorbeiführende Weg von Berekuso nach
Sesemi zugleich auch der zum Markte ist, so verbergen
sich oft in Zeiten wichtiger Vorgänge die Priester in diesem
Waldesdunkel, um die Marktweiber in ihren die Tages-
neuigkeiten betreffenden Gesprächen, die nach Negerart
zumeist sehr laut geführt werden, zu belauschen, und dann
diese zu ihren Zwecken auszubeuten.
Akotschang besitzt in Berekuso zwei Tempel, deren
einer dem Akotias gleicht, nur dass er erhabener ist, da
die Bäume, die ihn bilden grösser sind und einen majestä-
tischen Eindruck auf den Beschauer machen. Der andere
ist ein durch einen Zaun abgesperrter Raum. Etliche
alternde Bäume, ein mit Sand gefüllter Topf und ein mit
weisser Erde bemalter Schemel repräsentieren die Gottheit 8 ),
von der wir sonst nichts von Bedeutung wissen.
Für die Bedeutung Akotias ist noch die Weise wichtig,
auf welche seine Priesterinnen erkoren werden. Wir werden
dieselbe weiter unten kennen lernen. — Bonner übersetzt
seinen Namen mit „Der Kurze"; Akotia heisst ausserdem
auch der Fährmann, der den Toten über den Volta führt 9 ).
Akotia hat viele Züge mit O-Dente gemeinsam. Die
Gestalt ist bei beiden mehr oder weniger einseitig ver-
krüppelt: beider Charakter ist wenig edel: mehr grausamer
*) Bohner S. 83.
•| Herold 1892 8. 1567. Bolmer S. 74.
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— 267 —
und boshafter Natur sind sie. Ist Ö-Dente in einen Lehm-
kegel, so ist Akotia in einem Stein verkörpert.
Beider Götter Eigenschaften deuten auf Entstehung
oder Beeinflussung durch Sonnengötter hin. Akotia, „der
Kurze u , hinkt, ist rötlich ; er ist der Fährmann, der die
Seelen über den Totenstrom setzt, er ist Gott des Land-
baues und einer Krankheit. O-Dente hat ein Auge etc.,
hasst die dunkle Farbe, bringt in grausamer Weise die
Hungersnot, verlangt Menschenblut, und seine Priester sind
weiss gekleidet.
Doch um die Parallelen vollständig übersehen zu
können, müssen wir die verwandten Götter der Ewe und
Yoruba erst kennen lernen.
Schankpanna, Sapatan, Aizan.
1. Schankpanna 10 ) ist einer der Yoruba -Götter, die
dem Körper der Yemaja entsprangen. Er ist der Gott
der Kinderpocken. Der Name scheint auf „schan u , be-
schmutzen, oder Blattern und „akpania", Menschenmörder,
zurückzuführen sein. Buku, der die Blatterkranken durch
Halsumdrehen tötet, begleitet ihn.
Schankpanna wird alt, am Stocke und hinkend, ab-
gebildet. Er hat ein abgestorbenes Bein. Eines Tages
wollten die Götter in Obatallas Palast tanzen und lustig
sein. Schankpanna war dabei. Infolge seines Beines stürzte
er hin. Da lachten die Götter und Göttinnen aus vollem
Halse. Schankpanna wollte sich rächen und sie mit den
Blattern anstecken, aber Obatalla kam dazu, schwang
seinen Speer und jagte Schankpanna hinweg.
Von da an musste der Gott die Gesellschaft meiden,
und lebte als ein Ausgewiesener in unbewohnten Land-
strichen. Seine Tempel sind im Busch, in einiger Ent-
10 j Ellis: „Yoruba« S. 73 4.
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— 268 —
ferniing von den Orten errichtet, um ihn so von den
Behausungen fern zu halten.
Fliegen und Moskitos sind Schankpannas Boten. Sein
Emblem ist ein mit weissen Flecken bedeckter Stab.
2. Sapatan 11 ) ist der Blattern- Gott der Ewe, der in
Einöden und dichten Wildnissen des Waldes haust. Seiu
Symbol ist ein langer Stab mit roten und weissen Flecken.
Er ist ungemein gefürchtet und während eines Ausbruches
der Krankheit können seine Priester jedes ihnen zusagende
Gebot dem erschreckten Volke auferlegen.
Der Altar des Gottes besteht aus einem länglichen
Lehmklumpen, der auf der rechten Seite rot, auf der
linken weiss bemalt ist.
3. Aizan 12 ) ist ein Gott der Ewe (Dahome). Er ist
der Gott der Wanderer, unter dessen Schutze die Märkte,
öffentlichen Plätze, Stadtthore und Hausthüren stehen.
Aizan ist durch einen manchmal grossen, manchmal
kleinen Thonkegel repräsentiert, auf dessen Spitze oder
an dessen Fuss sich ein Stein oder ein thönernes Näpfchen
befindet, in dem täglich Gaben an Palmöl, Palmwein und
Speise allerlei Art dargebracht werden.
Der Charakter und die Eigenarten dieser Götter
sprechen durchaus dafür, dass es Spielarten desselben
mythologischen Grundmotives sind, nämlich des grausamen,
Krankheiten tragenden, hinterlistigen Sonnengottes. Alles
in allem genommen sind das die echten Repräsentanten
der afrikanischen solaren Gottheiten. Sie tragen in jedem
Bezirke, in jedem Stamme, in jeder Stadt, in jedem Stadt-
") Burton: „Dahome" Bd. II S. 145. Ellis: „Ewe* S. 52/3.
Skerehlev S. 471.
>*) Burton: „Yoruba" Bd. 11 S 166. Skerchley S. 472. Ellis:
„Ewe" 8. 52.
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— 269 —
teile womöglich, einen anderen Namen. Sie sind nicht die
mächtigen schöpferischen Götter, deren Schicksale und
Handlungen himmelumspannend und gewaltig sind, die
gross sind im Zorn und allgewaltig an Kraft, es sind nicht
die Sonnengötter eines Inselvolkes. Continentale und
tropische Gottheiten sind es; mehr Menschen als Götter.
Und der Unterschied zwischen ihnen und den Menschen
ist der, dass sie noch boshafter, hässlicher, tückischer sind.
Es sind die Sonnengötter eines Volkes, dem das wahre
Freiheitsgefühl und der ideale Mannesmut fehlen.
Mehr will ich mit diesem Kapitel nicht, als den echten
westafrikanischen Gott geschildert haben, den Vater des
„ Fetisch es 4 '. Kin jeder wird den Unterschied dieser Götter
und solcher Gestalten wie Hubeane und Schango sofort
erkennen. Ausserdem ergiebt sich, dass, trotzdem sie ver-
blasst und altersschwach ist, die Hottentottische Mythologie
näher den letztgenannten Ausnahmen der afrikanischen
Mythologie als den typischen westafrikanischen Göttern
steht.
Somit ist in diesen letzten drei Kapiteln der Typus
festgestellt und gleichzeitig der grösste Teil des Materials
dargestellt, der den Untersuchungen zu Grunde gelegt
werden soll. Es ist daraus zu ersehen, dass die afri-
kanischen Götter ganz anders analysiert werden müssen,
als die Oceanischen.
In den östlichen Provinzen verglichen wir Zuge der
hohen Mythen untereinander und zogen dazu noch die
spärlichen Mitteilungen über die niedere Mythologie heran,
um das Verhältnis und die Beziehung, den Entstehungs-
und den Entwickelungsprozess zu erkennen.
In Afrika ist ein umgekehrtes Verfahren nötig. Es
gilt, in den wirren Massen der Sitten und Gebräuche, den
Fabeln, Märchen, Legenden, den Glauben oder Aber-
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— 270 -
glauben, kurz in dem Gestrüpp, das auf dem Boden der
niederen Mytbologie üppig sprosst. die Reste und Ein-
wirkungen einer älteren Mytbologie aufzufinden, aus der
Schango, Hubeane und die Götter der Hottentotten stammen,
und so aus den Fragmenten einer älteren Weltanschauung
eines wichtigen Teiles derselben, der hohen Mythologie
Grundriss zu rekonstruieren.
Digitized by LjOOQle
XVII. Kapitel.
*
Sonnenkultus und Sonnenmythen der Afrikaner.
Einäugige Götter. — Einäugige und hinkende Götter. Die
Sonnenhöhle. Die Ursprungshöhle. Die Mythe von Fugamu.
-- Termitenhaufen. — Die Erd- und Steinkegel. — Die Steine;
Motive des Steinkultus. — Sonnenhöhen, blutige Opferstätten.
Heilige Farben. Die Farbe der Geister, Die Mythe von der Ent-
stehung der schwarzen und weissen Menschen. Eine sekundäre
Mythe. — Ursprünglich das Motiv der Sonnenmythen. — Vorstellung
von der Sonne. - Lisa, der Sonnengott der Yoruba. — Feuerdienst.
— Der Feuergott Dso. Der Feuerdienst des Damara. — Der Feuer-
dienst in Monomatapa und Usundi (Congo). — Feuerbringer. —
Sonneninythen und -Kultus in Afrika.
Der erste Zug solarer Gottheiten, die Kinäugigkeit
findet sich ausser bei O-Dente bei Mapanja Mwasse Moto,
dein Gotte, der halb Stein, halb Mensch auf dem Pik von
Kamerun throut, and jenen Kiesen, die nach der Ansicht
der Ovaherero, den Himmel tragen l ). Diese letzteren
sind noch mit dem weiteren Charakteristicon der Sonnen-
Götter ausgestattet. Sie besitzen nur 1 Bein, 1 Arm, 1 Ohr,
kurz alles nur einmal, dessen Besitz uns doppelt zu eigen
ist. Auch die Neu -Seeländer nehmen an, dass Maui nur
einäugig und einarmig sei und dass in der Sonne ein ein- ,
armiges und einbeiniges Volk lebe. Kiuarmig ist auch
O-Dente. Akotia heisst „der Kurze*. Tsui Goab und
l ) Rottinann S. 3. Zoeller: „Kamerun*' Bd. 1 S. 186, Bd. II S. 56.
Hahn: „Hcrero" S. 506.
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•27>
Sehankpanna sind als Hiukeude aufzufassen. Bastian spricht
von dem hinkenden Korana-Gott Kauna, und endlich wohnt
ein Gott einiger Sudafrikaner unter der Erde, der nur ein
Bein hat 2 ).
Für die Afrikaner war das wichtigste Problem der
Sonnenlaufbahn ebenso wie allen anderen Völkern, die eine
Sonnenmythologie besitzen, der Untergang. Aber die Sonne
sinkt nicht wie im Osten in das Meer hinab, sondern in
die Erde. Gleiche Fälle kommen auch in den oceanischen
Mythen zur Behandlung. Olifat wird in die Grube durch
die Arbeiter geworfen, Quat durch die Brüder in die Grube
der Landkrabbe. Es ist die Sonnenhöhle, die wir jetzt
besprechen werden.
Statt der Grube wird auch oft von Felsen gesprochen.
Parallelen sind auch hierfür aus dem Osten bekannt. Quals
und der Rabe verwandeln in Steine, gleichermassen Quat,
z. B. den Quasavara und Olifat die Arbeiter. In Afrika
wird bei den Hottentotten der Mensch aus dem Steine ge-
boren. Tsui Goab wirft den Ga Gorib in die Grube und
wird in den Steinhaufen verehrt. O-Dente wohnt in einer
Höhle und wird ebenso wie Aizan und Sapatan im Lehm-
kegel verehrt. Diese beiden Varianten der Sonnenhöhle. —
resp. des Einganges in die Unterwelt — sind die wich-
tigsten afrikanischen Spielformen des für alle möglichen
Zweige der Weltanschauung so bedeutungsvoll gewordenen
Motives. Es erscheint zunächst in den heiligen Termiten-
haufen.
Au einem Nebenfluss des Ogowe 3 ) sind einige Strom-
sehnellen, von denen die eine von einem mächtigen Geiste,
der gleichzeitig ein vorzüglicher Eisenschmied ist, Namens
*) Schirren S. 135, 8. 101. Bonner 8. 74. Bastian: „Loango-
kiiste* Bd. II 8.208. Ellis: „Yoruba" S. 73. Meren»ky: „Beiträge*
S. 123. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I S. 173.
3 ) Lenz 8. 210,1.
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— 273 —
Fugamu, beherrscht wird; die weiter oberhalb befindlichen
Stromschnellen dagegen, stehen unter der Aufsicht von .
Nagaschi, der Frau des Geistes Samba. Unter dem dort
wohnenden Volke der Ivili existiert nun folgende Sage,
die zuerst von Duchaillu mitgeteilt wird: In früheren Zeiten
pflegten Leute zu den Flüssen zu gehen, Eisen und Kohlen
an dem Ufer nieder zu legen und zu sagen: „0 mächtiger
Fugamu, ich brauche von diesem Eisen ein Messer oder
eine Hacke," — was gerade von Nöten war, — und am
Morgen, wenn sie wieder an die Stelle kamen, fanden sie
den Gegenstand fertig vor.
Eines Tages jedoch begaben sich ein Manu und ein
Sohn mit Eisen und Kohlen dahin, und die beiden hatten
die freche Neugierde, zu warten und zu sehen, was ge-
schehe. Sie verbargen sich, der Vater in einem hohlen
Baum, der Sohn in den Zweigen eines anderen Baumes.
Fugamu kam mit seinem Sohn und begann die Arbeit, als
plötzlich sein Sohn ausrief: „ Vater, ich rieche Menschen!"
Der Vater erwiederte: „ Natürlich riechst Du Menschen,
denn kommt nicht das Eisen und die Kohlen aus den
Händen von Menschen?" So arbeiteten sie weiter.
Aber wiederum unterbrach der Sohn den Vater mit
denselben Worten und nun sah sich Fugamu um und er-
blickte die zwei Menschen. Er brüllte vor Wut und um
Vater und Sohn zu bestrafen, verwandelte er den Baum,
worin der erstere verborgen war, in einen Termitenhügel,
das Versteck des Sohnes aber in ein Nest schwarzer
Ameisen. Seitdem hat Fugamu kein Eisen mehr für die
Menschen bearbeitet.
In der vorliegenden Mythe ist ein kulturgeschicht-
liches Motiv verwandt. Die älteste Form des Handels —
beide Stämme legen an der Grenze ihre .Tauschartikel
nieder und entfernen sich, damit einer und dann der an-
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 1 S
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— 274 —
dere die Sachen abschätzen mag 4 ) — ist hier beschrieben.
Dadurch ist die ganze Mythe nach einer Seite so schwer
betont, dass die für uns wichtige, nicht recht zur Geltung
kommt. Immerhin ist die Verwandlung auf einen Unter-
gang zu deuten.
Termitenhaufen werden bei den Ga, Bulloin und Temne
verehrt, bei den Betschuanen liegt ein Stuck eines Ameisen-
haufens zu den Füssen des Gottes im Grabe, bei den
Marutse wird Regen herbeigeführt, indem über Termiten-
haufen mit Knochen-Pulver versehene Kalebassen gestülpt
werden 5 ).
Das mag darauf zurückzuführen sein, dass Käfer und
Insekten, sowie Fliegen — die im Sonnenschein Umher-
schwirrenden — als Boten der Sonnen-Götter beliebt sind.
Auch Maui steht in mancher Hinsicht mit Insekten in Be-
ziehung. Dass die Termiten einen Hügel bauen, macht
sie noch mehr als Sonnenkinder geeignet. Geht doch die
Sonne selbst in solchem Höhlenbau in ihre unterirdische
Behausung.
Otudu heisst, sahen wir oben, die Mutter Akotias.
Steinhauser sagt nun, heilig sei Otudu, ein kleiner Erd-
haufen, der über einem Opfer, eine Ziege, einem Huhne etc.
errichtet werde und gewöhnlich im Hofe des Hauses stehe 6 ).
Es ist also nicht nur Sonnenuntergang — an den der im
Lehmkegel O-Dentes geopferte Knabe gemahnt — sondern
auch Sonnenaufgang mit diesen Erdhaufen verbunden. Mit
*) Vergl. lt. F. „Der Handel im Kongo-Becken", Separatabzug
au» den „Deutschen geographischen Blättern" Bd. XVII S. 9. Cada
Moso bei Leo Afrikanus 8. 413. Winterbottom S. 230, S. 233. „Allg.
Hist. d. R. tt Bd. IT S. 76.
6 ) Monrad S. 30. Wrnterbottom S. 284—286. Steinhauser S. 133.
Anderson Bd. II S. 216. Steiner im „Globus" S. 134. Ratzel: „Völker-
kunde" 1. Aufl. Bd. I S. 375.
«) Steinhäuser S. 133.
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— 275 —
dieser direkten Andeutung, das* nämlich die Mutti r Akotias
eben dieser Lehmkegel sei, ist ein durchaus massgebendes
Bindeglied gewonnen.
In Dahome und Aschanti treffen wir diese Kegel. In
Loango errichtet der Ganga Amaloco Erdhäuflein für die
Götter, die gegen den Blitz schützen sollen. Alle West-
afrikaner werfen, um ihre Ehrerbietung an einen heiligen
Orte zu beweisen, eineu Stein oder Zweig hin. Ebenso
die Wakerewe, in deren Land sich so hohe Steinhaufen
auftürmen. Bei den Balonda fand Livingstone in Form
eines Grabes aufgehäufte Stäbe 7 ).
Zu diesen Hügeln sind nicht nur die Kegel in den
Tempeln der Götter 8 ), — Adamaua, Loango, Südafrika —
sondern auch die Steinhaufen, Lehmkatafalke, Steinpyra-
miden etc. auf und neben den Gräbern zu rechneu 9 ).
Damit sind wir am echt afrikanischen Pvramidenbau
angelangt. Derselbe ist ausser durch den Steinhügel durch
den Gang unter der Erde, in dem der Leichnam ruht,
charakterisiert. Die Bestattung in einem Seitengange des
Grabes ist in Afrika sehr gebräuchlich 10 ). Ich möchte
7 ) Ranisayer und Kühne 8.57. Barret Bd. I 8. 167. Bastian:
„Loangoküste* Bd. 11 8. 191. Oldendorp 8. 327. Baumann : „Massai-
land* 8. 214. Livingstone: „Missionsreise* Bd. 1 8. 344. Ratzel:
„Volkerkunde* 1. Aufl. Bd. I 8. 479. Lenz 8. 107.
") Bastian: „Loangoküste* Bd. I 8. HO. „San Salvador* 8.50.
Vogel 8. 483. Galton S. 116.
") Sansibar: v. d. Decken Bd. I 8. 98. Massai-Wakuaf i:
Hildebrandt 8. 405. Waniamvesis: Stuhlmann 8. 87. Angola:
„Das Ausland* 1884 8. 11. Damara: Ratzel: „Völkerkunde* 1. Aufl.
Bd. I 8.341. Bajansi: Baumann: „Beiträge* 8.8. Bongo: Fro-
benius: „Heidenneger* 8.361. Marggis: Barth: „Reisen* Bd.
10 ) Westafrika: „Allg. Hist. d. R.* Bd. IV 8.370 1, S. 679.
Reichenow i. d. „Verb. d. Berl. Ges. f. Anthrop.* 1873 8. 184. Bastian :
„Loangoköste* Bd. I 8. 47, S. 221. Baumann: „Fernando Po* 8. 97.
Bastian: „San Salvador" S. 320. Vergl. a. Wissmann Wolf. Ost-
af rika: Baumann: „Massailand" 8. 179. Stuhlmann 8. 90 1, S. 698 9,
8. 725. Hildebrandt 8. 405, Fritseh und andere.
18*
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— !>7(5
dieselbe ebenso wie die sämtlichen r cairns w nicht direkt
auf die Höhle der Sonne, die Nachts in die Erde in eine
Höhle hinabsteigt 11 ), zurückführen. Den Anschluss bietet
andererseits die Anschauung, dass die Menschen ursprüng-
lich aus einer Höhle hervorgekommen seien 12 ).
Da der Sonnengott im Felsen wohnt 13 ), mag auch der
Mensch aus dem Steine stammen. Doch darf hier nicht
eine andere Beziehung übersehen werden. Ein vom Grabe
genommener Stein ist die Wohnstätte des Geistes. Oder
Schädel werden durch Steine ersetzt, so mag der Ueber-
gang zu den Steinen, die Geister repräsentiren, verstanden
werden u ). Endlich will ich auf absonderliche Gestalten
der Felsen, absonderliche Ereignisse (Klippen am Meeres-
strande) und ihre landschaftliche Wirkung hinweisen, und
damit gewarnt haben, einen Steinkultus auf ein einziges
Motiv zurückzuführen. Erzählungen von Menschen, die in
Steine und Felsen verwandelt wurden, sind nicht nur in
Afrika 15 ), sondern auch anderseitig häufig zu finden.
Um aber zu den Lehmkegeln nochmals zurückzukehren,
möchte ich darauf aufmerksam machen, dass mit dem
Sonnendienste die Berge oftmals in Beziehung stehen. (Die
Sonne steigt über den Bergen empor oder versinkt hinter
ihnen.) Es sind meistens die blutigen Opferstätten (der
ll ) Baumann: „Massailand" S. 163.
14 ) Merensky: „Beiträge" 8. 123. Anderson Bd. I S. 236, Bd. II
8.205. Casalis 8. 254. Livingstone: „Missionsreise" Bd. II S. 186.
Moffat S. 262/3.
15 ) Zoeller: „Kamerun" Bd. I S. 186, Bd. II 8. 56. Im alten
Aegypten glaubte man, Ra wohne im Obelisk. Wiedemann S. 14.
") Winterbottom 8. 305, S. 306/7. Schlenker: „Tradition»" 8. X.
Czimmermann in „katholische Missionen" 1888 S. 174. Wangemann:
„Reisejahr" S. 500. Bastian: „Salvador" 8. 81.' „Loangoküste" Bd. II
S. 220. Josset 8. 50.
,8 ) Thomson: „Seen" Bd. II S. 171. Cameron Bd. I 8. 217.
Kuffuul S. 144. Krapf Bd. 1 S. 242.
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- 1>77 -
rote Himmel bei Souuenauf- und Untergang) des Sonnen-
dienstes. Nicht nur Abraham opferte seinen Sohn Isaak
auf den Bergen. Auch lebt nicht allein der Gott der
Kameruner auf dem Pik. In Südafrika sind die blutigen
Sonnenhöhen häufiger.
Hier und da finden sich nämlich in Südostafrika Berge,
welche Modimolle heissen. Sie sind stets heilige Berge.
Klar ist es nicht, ob der Name mit Modimo zusammen-
hängt oder nicht. Der in der Mitte des Transvallandes
liegende Berg Modimolle war nach der Ueberlieferung des
Volkes ein Opferberg, um den sich vor Jahrzehnten das
Volk von nah und fern scharte, um Opferfeste schauer-
lichen Charakters abzuhalten; Kriegsgefangene waren zu
den Opfern bestimmt. Die Zauberer schnitten ihnen Glieder
von den zuckeuden Leibern und endlich warf man sie vom
Berge in den Abgrund. — Ein Ort der die Hottentotten-
bezeichnung „Nqoukweep" trügt, soll seinen Namen, der
mit ,,Rote Männer" zu übersetzen ist, daher bekommen
haben, dass die Kaffern hier begonnen hätten, sich rot
zu bemalen. Das ist sicher eine sekundäre Deutung. —
Jeden September ging der König Monamotapas von
Simbaobe, seiner Residenzstadt auf einen hohen Berg, um
eine Totenfeier für die begrabenen Vorgänger abzuhalten la ).
Mit den roten, blutigen Opferbergen, sind wir vor
dem Problem der Farbe angelangt. Grosse und Schurtz
haben sieh schon damit beschäftigt 17 ). Ich will deren und
anderer Ansicht nicht im Geringsten entgegentreten.
Es kann die Bedeutung, die die weisse und roten
Farben heute im Cultus für den Neger haben, auf ver-
schiedenen Wegen erwachsen sein. Für mich ist derjenige
wichtig, dessen Anfang im Mittage (weiss) Morgen, Abend
'•) Merensky: „Erinnerungen" S. 41. Kropf 8. 34. Prichard:
„Afrika" S. 325.
17 ) Schurtz: „Philosophie" S. 86 ff. Grosse S. 58 ff.
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278 —
(rot) und in der Nacht (schwarz) beginnt. Die ästhetische
Wirkung des weiss bemalten Negerkörpers wird ver-
schieden beurteilt 18 ).
Die Farbe des Obatalla, des Himmelsgottes der Yoruba
ist weiss, schwarz die Oduduas; weiss und rot sind die
Farben Schangos. Heitsi-Kibib stirbt, als er die roten
Beeren gegessen hat; sein Sohn Urisib heisst der Weissliche
Akotschang ist durch einen weissen Schemel, Otutu, seine
Frau durch einen weissen Lehmkegel repräsentiert; ihr
Sohn Akotia ist rötlich. O-Dente verlangt Menschenblut.
Sein Lehmkegel ist weiss bemalt. Sapataus Stab ist mit
weissen und roten Flecken, Bo s (siehe unten) Altar mit
weissen und roten mit einander abwechselnden Streifen
bemalt 19 ).
Die Seelen, die nach primärer Mythe der Sonne folgen,
werden im Jenseits weiss, oder kehren als Europäer zu-
rück 20 ). Da weiss derart zur Geisterfarbe wird 21 ), be-
malen sich diejenigen, die die Cerenomien der Vergeistig-
ung durchmachen, mit dieser Farbe 22 ) und die Albino,
'») Schweinfurth S. 13.
u ) Kllis: „Yoruba" 8. 39, 8. 41, S. 49. Bleeek Nr. 39, Bohner
S. 83. Steinhauser 8. 133. Steiner im „Tagebuch". Kottraann S. 6.
S. 8. Album Blatt 45. KUis: „Kwe u S. 52-3. Skerchley S. 469.
™) Afrika: Schlenker: „Tradition»* 4 8. XI. Römer S. 85. „Allg.
Hiat. d. R. u Bd. II S. 428; Bd. III S. 152; Bd. VI 8. 176. Burton:
„Yoruba* Bd. II 8. 165. Boamann 8. 190. „Mitteil. a. d. Deutschen
Schutzgebieten* Bd. VII 8. 98. Livingstone: „Missionsreise* Bd. II
S. 328. Australien: Angas Bd. I S. 108. Ratzel: „ Völkerkunde*
2. Aufl. Bd. I S. 355. Lumholz 8. 328. Brough Sniyth Bd. I 8. 428.
Neu- Guinea: Chalmers 8. 180.
21 ) „Allg. Hiht. d. R.* Bd. IV 8. 408. Rohlfs Bd. II 8. 140 1.
Bohner S. 42 u. 44. Hübbe-Schleidcn 8. 130. Rarasayer und Kühne
8. 16. Hahn 8. 502.
") Lenz 8. 301. Thormählen i. d. „Mitt. d. Hamb, geogr. Ges.*
1884 8. 332. Baumann: „Uftambara" S. 132. Büttikofer Bd. II S. 308.
Krapf Bd. T 8. 247.
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— 279 —
krankhaft hellfarbige Menschen gelten als Geister 2 a ). Um
mit den Geistern communicieren zu können, bemalt man
sich weiss 24 ) und weiss ist die Farbe der Trauer. Weiss
ist daher auch die Schutzfarbe. Weisse Figuren werden
aufgestellt, um die Geister zu verjagen. Weisse Pflöcke
an den Häusern, weisse Bemalung, weiss und rot be-
malte Zaubertöpfe dienen zum Schutz. Die Frauen malen
sich weisse Kleckse auf die Stirn, um bösen Geistern, die
sie im Traume plagten, das Wiederkommen zu verhindern 25 ).
Weiss wird so zur heiligen Farbe, die in den Priester-
gewändern, in der Bemalung an heiligen Tagen und so
weiter stets wiederkehrt 20 ).
Weiss und rot treten auch gemeinsam auf: vor der
Schlacht bemalten sich die alten Ganga derart zweifarbig,
zum heiligen Tanz die Accraer 27 ).
Mit diesen beiden Erkenntnissen, der Sonnenhöhle und
Sonnenfarbe ausgerüstet, werden wir die folgende Mythe,
die zu einer der verbreitesten und eigentümlichsten in
Afrika gehört, ohne grosse Schwierigkeit verstehen.
1. Form Temne 28 ): Das erste Menschenpaar zeugte
ein weisses Paar und ein schwarzes Paar, und zwar gebar
die Frau zweimal gleichzeitig ein weisses und ein schwarzes
Kind. Und Gott befahl, die Paare zu trennen und das
2S ) „Allg. Hist. d. K. u Bd. IV 8. 667, S. 666. Dapper, Hol. Ausg.
Bd. II S. 167. Wilson: „Westafrika" S. 230. Bastian: „San Salva-
dor 14 8. 34.
") Wissmann Wolf. 8. 143. „Allg. Hist. d. R. tt Bd. IV S. 190.
J5 ) Lenz S. 192, 202, 246. Römer S. 43. Labarthe; „Guinea"
S. 145. Ellis: „Three visits." a. a. O.
M ) Bossmann S. 186. „Allg. Hist. d. R." Bd. V S. 105, Bd. III
8. 467. Ellis: „Tisehi" 8.89. Sibree 8.331.
") Bastian: .San Salvador- 4 S. 95. Büttikofor Bd. II 8. 333.
Monrad 8. 46.
") Schlenker: „Tradition** 8. 18.
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Image
not
available
— -281 —
diese beiden Körbe zu teilen. Das schwarze Paar griff
gleich nach dem grossen Korbe und überliess den kleinen
dem weissen Paar. Das schwarze Paar fand in seinem
Korbe eine Hacke zum Plantagenbau. Baumwolle zu Fisch-
netzen, einen Bogen und Pfeile zur Jagd und Goldstaub
zum Handel. Das weisse Paar fand in dem seinigen nur
ein Buch, aber es las fleissig darin und erlangte dadurch
so viel Weisheit, dass der Weisse den Schwarzen gar bald
übertroffen hat und viel reicher wurde als er. Dann aber
wurde der Weisse vom Schwarzen beneidet und verfolgt.
Gott aber kam dem Weissen zu Hilfe, lies ein langes Seil
vom Himmel herunter und leitete ihn über das grosse
Wasser hinüber.
4. Form Mussorongho 3l ): Zambi beschloss, Menschen
zu schaffen und rief zunächst zwei Paare ins Leben,
Nomandamba und Mandele oder Mundele, jedem mit einem
Weibe als Gattin und wies ihnen ihren Wohnsitz neben
einem Brunnen an. Dann gab er ihnen zum Haustier einen
Hahn (Susuamba-Kala) und als derselbe am Morgen früh
zu krähen begann, erwachte zuerst der jüngere Bruder,
der sich rasch vom Lager erhob und in den Brunnen sprang
und sich weiss wusch — denn Mundele ist der Name, der
dem Europäer gegeben wird. Als der Langschläfer später
aufstand, fand er nur noch schmutziges Wasser im Brunnen
und blieb deshalb schwarz (als Noman — damba).
5. Form Morawi (am Niassa) 32 ): Die Morawi halten
Sonne, Mond und Sterne in hohen Ehren. Ihre Sage über
den Ursprung des Menschengeschlechtes ist folgende. Die
ältesten Menschen sassen im Mittelpunkte der Erde. Sie
waren sämtlich schwarzhäutig. Als sie auseinander gingen,
mussten sie zunächst durch einen Fluss waten, um sich
31 ) Bastian: „Loangoküste* Bd. II 8. 218.
") Cximmermann 1887 8. 51.
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- -282 —
zu waschen. Zum Unglück waren die Voreltern der Neger
dem Schlafe sehr ergeben, eilten baher nicht sogleich zum
Fluss und zum Orte ihrer Bestimmung, sondern schliefen
weiter. Beim Erwachen sahen sie, dass alle übrigen sich
schon jenseits des Flusses befanden und von dem Wasser
rein und weiss geworden waren. Nun eilten auch sie zum
Strome, gewahrten jedoch zu ihrem Schrecken, dass sein
Bett bereits ausgetrocknet war und kaum noch einige
Pfützen enthielt. In ihrer Hast stolperten sie und fielen
in die Lachen, infolgedessen ihre Hände und Fusssohlen
benetzt und dadurch etwas gebleicht wurden.
Diese Menschen, die aus dem Inneren der Erde
stammen, müssen Bedenken erregen. Dass hier eine aus
der Luft gegriffene Erklärung für das Existieren schwarzer
und weisser Menschen ein primäres Produkt der mythen-
bildenden Schöpferkraft sei, ist nicht anzunehmen, uuiso-
mehr, als die Mythe durchgehend gleichartig verbreitet
ist, Die Unterschiede, in den einzelnen Versionen ge-
nügend gewürdigt, bringen noch am ersten zur Lösung
der Frage nach der Entwicklungsgeschichte dieser sonder-
baren Mythe.
Das moralische Element — die Folgen der Habgier
des Schwarzen — , welches sich in der Lesart der Tschi
und Ewe findet, muss ausgeschieden werden. An seine
Stelle tritt in der Version 4 und 5 die „Langschläfigkeit u .
Die beiden Mythen beginnen mit der Nacht. Als es Tag
wird, erhebt sich der Weisse. Es sind also Tag und Nacht
bedeutsame Umstände in der Mythe.
Nun kommt dazu, dass die Menschen in der Mitte der
Erde wohnen und über ein Wasser beim Auswandern
kommen. Das Wasser erkennen wir auch in dem Brunnen
der Mussorongho -Version wieder. Endlich ist das gleiche
Glied in dem Meere, über das der Weisse ins andere Land
geführt wird, nicht zu verkennen. Fing dieser Absatz
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— 283 -
mit der Beton ung der Ursprungs-Erdhöhle an, so endet er
entsprechend mit dem Hinweis auf die Bemerkung, dass
Gott mit dein Weissen Nachts zusammenkomme und ihm
lehre, ein Schiff zu bauen.
Schon früher besprach ich die Seelenfahrt der Afrikaner,
die Mythe, wonach die Seele in einem Canoe über den
Strom ins Land der Seeligen, die dort in weissen Kleidern
sitzen, gefuhrt wird. Weiter oben erwähnte ich die Mythe
ebenfalls. Ich neige zu der Ansicht, dass hier die Seelen
über das Meer ins Land der Sonne fahren. Der Kahn
ist das Totenschiff.
Mit Voraussendung dieser Erwägungen dürfte es nicht
schwer sein, das Ursprungsmotiv der Mythe von den
schwarzen und weissen Menschen herauszulösen. Es handelt
sich nicht um Europaer und Neger, sondern um Tag resp.
Sonne, resp. Seelen der Toten und Nacht resp. Mond.
„Die Menschen stammen aus der Mitte der Erde u ist
eine Umkehrung von: „Die Sonne und die Seeleu der
Toten siuken hinab in die Höhle, das Land der Unterwelt."
„Der Weisse springt auf und badet sich im Flusse" heisst
ursprünglich: „Die Sonne steigt im« Meere empor" resp.
„die Sonne geht im Meere unter" u. s. w.
Jedenfalls kann folgende Lesart als Schema des Ur-
sprungsmotives gelten.
„Die Sonne steigt empor aus dem Wasser. Sie ist
die Frühe. Die Nacht folgt ihr 33 ). Die Sonne sinkt nieder
38 ) Am Gabun gelten Sonne und Mond auch als Geschwister
und Kinder desselben Vaters. - Bowdich: „Mission" S. 569,70. In
Yoruba stehen Sonne und Mond in Ife wieder auf, uachdem sie in
der Erde begraben gewesen waren. Hoftmann S. 224. Burton:
„Yoruba 44 Bd. I S. 191. Sonne, Mond, Sterne und alle Götter ent-
sprangen in lfe. Crowther: „Granunar" S. III. Das sind verständ-
lichere Formen des gleichen Motivs, das in der Mythe von den
schwarzen und weissen Menschen eine merkwürdige Ausdrucksform
gefunden hat.
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— 284 —
ins Meer, mit ihr die Toten im Totenschiff. Nacht deckt
die Erde. u _____
Wenn auch nur eine Sonne nach der allgemeinen, ver-
breiteten Anschauung existieren mag, so fehlt es jedoch
nicht an Meinungen, dass täglich eine Sonne im Meere
auf immer versinkt. So bei Basuto und Damara 34 ). Es
mag das schliesslich zu Mythen gleich denen der Mussorongho
führen, die erzählen, dass einst viele Sonnen existiert
hatten, welche aber schliesslich bis auf eine von Sambiampungo
vernichtet wurden, als ihre Hitze die Menschen zu arg
plagte 35 ).
Im Allgemeinen glaubt man aber wie gesagt, dass
nur eine Sonne existiere, so die Wakonde. Bei denen
gilt der Himmel als ein festes Gewölbe, an welchem die
Sonne am Tage von Osten nach Westen ihren Lauf voll-
führe und in der Nacht auf der anderen Seite des Gewölbes,
weshalb sie den Menschen unsichtbar ist, nach Osten zurück-
kehrt. Nach Meinung der Ewe streiten im Osten und
Westen zwei Völker um den Besitz des Tagesgestirnes.
Die im Westen siegen bei Tage. Dann geht sie unter.
Dies Ostvolk zieht sie während der Nacht zu sich herüber 36 ).
Den Höhepunkt erreicht die realistische Anschauung
in der folgenden arg materialistischen der Namaqua. Die Sonne
besteht nach ihnen aus klarem Speck und die Leute, welche
auf den Schiffen fahren, ziehen sie des Abends durch
Zauberkraft zu sich herab, schneiden ein tüchtiges Stück
herunter, wie von einem Seehunde und geben ihr dann
mit dem Fusse einen Tritt, so dass sie davonfliegt und
des Morgens wieder hervorkommt 37 ). Idealer ist die Be-
Wangeinann: „Basutoland" S. 17. Anderson Bd. I 8.248.
* Ä ) Bastian: n Loangoküste u Bd. II 8. 223.
s «) Herold Bd. V 8. 148. Merensky.i. d. „Verh. der Berl. Ges.
für Anthrop. 1893 8. 296.
37 ) „Das Klein-Xamaqualand u 8. 380. Anderson Bd. II S. 69.
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— —
trachtungsweise der Accra, welche sagen, Nyongmo öffne
Morgens das grosse Thor für die Sonne 38 ).
Von der Verehrung der Sonne wird am häufigsten,
wenn auch nur mit einer allgemeinen Bemerkung gesprochen.
Die Sonne wird oder wurde verehrt im Sudan und bei den
Sande und Schilluck, von den Guanchen auf Teneriffa,
Dann an der ganzen Westküste 39 ). Die Negervölker ziehen
der Sonne nach, so wie sicher einst die Oceanier 40 ).
Die Ostafrikaner verehren die Sonne und wenn einer
wegen des täglichen Brodes befragt wird, wird er hinauf
zum Lichte des Tages weisen, und wenn man ihn nach
den Ursachen des Todes eines Bruders fragt, wird er ant-
worten: Jua oder Riuwe 41 ). Vergl. S. 221).
Von der Sonnenverehrung der Aschanti wissen wir
wenig: hinter dem Herrscher her werden güldene Sonnen
getragen 42 ). Mehr 43 ) ist aus Madagaskar und Dahome
bekannt.
Die Madagassen sehen die Sonne als einen strahlenden
Körper, als ein überirdisches aber erschaffenes und ab-
hängiges Wesen an. Sie blicken sie mit Bewunderung
und Verehrung an, widmen ihr aber keine Gebete. Sie
betrachten sie als die Quelle des irdischen Besitzes, Genusses
und aller Furchtbarkeit. Ein Spiegel, in dem Arzeneien
für Kranke erblickt werden, ist vielleicht das Medium eines
Sonnenorakels 44 ).
*
**) Steinhäuser 8. 130.
3 ") Leo Afrikanus 8. 321, 4SI. Petermann u. Hassenstein 8. 22.
Du Courct in Meyer's Volksbibliothek, Bd. 67 S. 210. „Allg. Hist.
d. R." Bd. II 8. 6, 71; Bd. III 8. «08; Bd. IV 8. 501. Römer 8. H4/5.
Ogboni 8. 309. Bastian: „San Salvador" 8. 305.
*°) Soyaux Bd. II S. 123.
4 ') Burton: „Lake Region* Bd. II 8. 346.
**) Ramsayer u. Kühne 8. 87.
*") Weiteres in Kap. 21. Beziehung zum Monde.
*♦) Ehrmann S. 134. Capland 8. 65. Sibree 8. 347, 350.
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- 286 —
Lissa oder Lisa ist der Sonnengott der Eweer, der
Geist der Sonne, der „ge u im Awuna-, „wo" im Affueh-,
„whi u im Dahome- Dialekte heisst. Kr wird in Dahome
und unter den östlichen Stämmen verehrt. Sein Emblem
ist ein Topf von rotem Thon mit einem Deckel, beide in
Streifen mit weisser Farbe bemalt und an der Oberseite
mit dem Bilde des Chamäleons versehen, welches der
Bote Lissas ist. Diesen Topf sieht man gewöhnlich in
einer kleinen Schanze mit Wasser gefüllt, aufgestellt. Ge-
schenke an Nahrung werden ihm oftmals gebracht. Dass
das Chamäleon auf dem Deckel männlichen Geschlechtes
ist, ist an dem gekrümmten Rücken zu erkennen. Lisa,
die Sonne, ist die Incarnation von Kheviosoh. Vergl. S. 48.
Lissa hat seine Frauen, die Lissa-si. Sie sind erkennt-
lich durch Stränge von schwarzen und weissen Perlen. Bei
feierlichen Gelegenheiten tragen sie eine eiserne Rolle, die
in sehlangenförmige Wellen gekrümmt ist. Dem Gotte
werden, wenn die Ernte heranreift, Opfer von Hühnern
und Tauben dargebracht.
Lissa heiratete Gleti, den Mond, oftmals Dsinu oder
Sunh genannt 45 ). Diese hat eine grosse Anzahl von
Kindern, aber da seine jungen Söhne, emporgewachsend,
darnach trachteten, ihrem Vater durch das Khekheme zu
folgen, ward er eifersüchtig auf sie, stürzte sich auf sie
und tötete einige derselben, während der Rest in das
Meer entfloh. Die Töchter trachten nicht darnach, mit
ihrem Vater zu wetteifern. Sie begleiten daher noch
immer ungestört ihre Mutter bei Nacht, während der Vater
des Tages allein reist. Das Wort für Stern ist r Gletis
45 ) Der Gott wird oft Desi oder Se genannt; doch da dieses
thatsäehlich nun „Geist" oder „Herz 4 bedeutet, ist das kein eigent-
licher Name. Ellis: f Ewe" S. 65. Burton nennt den Mond „Mau tt ;
vergl. Kap. 21.
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— 287 —
Kind tl. h. Mond-Kind". — Einigen Eingeborenen zufolge
schufen Gleti und Lissa den Menschen.
Gatte und Gattin sind nicht immer derselben Ansicht,
so kommt es, dass Lissa seinen Lauf unterbricht, Gleti
folgt und sie schlägt. Wenn dies geschieht, fällt ein
schwarzer Schatteu auf Gleti und verdeckt ihr Licht. Auf
diese Weise erklären sich die Eingeborenen die Mond-
finsternisse und in solchen Zeiten durcheilen die Eweer
die Strassen und suchen mit Rufen und Trommeln die
Sonne zu verscheuchen, was naturlich immer gelingt 46 ).
Die Erzählungen von den Kindern der Sonne, den
Söhnen, die der eifersüchtige Vater verjagt und die sich
in das Meer flüchten, erinnert nicht nur ungemein an öst-
liche Ansichten, sondern ist auch in anderer Hinsicht
interessant. Die Mitteilung stammt offenbar aus dem
Munde eines Volkes, das die Sonne im Meere untergehen
sieht. Es geht jeden Tag eine Sonne unter. Alle zu-
sammen sind die Söhne Lissas, jder sie verfolgt, — was
wieder an den vom Feuerbesitzer verfolgten Maui erinnert.
(Vergl. die Anschauung der Mussorongho.)
Mit dem Sonnendienste steht vielleicht der verhältnis-
mässig klar ausgebildeter Feuerdienst in Beziehung. Drei
oder auch zwei Gebiete lassen sich nachweisen. Einmal ist
ein Feuerkultus bei den Eve, dann ein solcher bei den
Damara und im Anschlags an diese in Monomotapa, Loango
und Congo nachgewiesen.
Der Feuergott der Ewe ist Dso od Zo, auch So ge-
nannt. Seine Beziehung zu Khevioso spricht schon aus
dem Namen dieses. Dies ist der „Feuerschleudernde
Gott".
*•) Ellis: „Ewe tt S. 65/6. Skerchley 8. 472. Burton: „Yoruba*
Bd. II 8. 147. Schneider 8. 35.
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!
— 288 —
Feuerverelirung findet nur insofern statt, als Feuer
und Flammen im allgemeinen als Manifestationen des
Gottes betrachtet werden, der als übernatürliches und
gewöhnlich unsichtbares Wesen im Zorne in Gestalt der
Flamme auftritt. Es wird auch anscheinend kein bestehen-
des Feuer unterhalten, dessen Erlöschen als unglückbringend
angesehen wird, noch irgend eine Ceremonie des Aus-
löschens und Wiederanzündens in bestimmten Jahreszeiten
vorgenommen. Feuer wird in gewisser Hinsicht als eine
Art Läuterungselement angesehen und so z. B. werden in
Weida diejenigen, die versehentlich heilige Schlangen
töteten, durch ein brennendes Haus gejagt.
Wenn ein Haus neu gebaut ist, wird gewöhnlich ein
Topf mit Feuer in einem Räume aufgestellt und ihm Opfer
dargebracht, und das Haus so uuter den Schutz des Dso
gestellt, dass er es vor Zerstörung durch Brand schütze.
In früheren Zeiten wurden die Männer, in deren Haus
Feuer ausbrach, zu Tode verurteilt als Warnung für andere.
Die Gefahr des Ueberspringens auf benachbarte Häuser ist
sehr nahe liegend.
Dso-vodu sind Amulette, die zu Ehren von Dso von
seinen Verehrern getragen oder an den Häusern aufgehängt
weiden. So soll ein um die Häuser hängender Strang von
Grashalmen, an dem Palm blättchen hängen, so wie ein
weisser Streifen an der Front vor seinem Element schützen.
Es ist ein gewöhnlicher Brauch desjenigen, dem etwas
gestohlen ist, einen brennenden Scheit um das Haupt zu
schwenken, bis er erlöscht; er betet, dass der Dieb so
sterben möge wie das Feuer, das er schwenke erlöscht.
Es ist klar, dass dieser Brauch Beziehung zur Feuer- und
Sonnenverehrung haben muss, zumal Dso angefleht wird,
den Tod he rbeizuführen 47 ).
* r ) Kllis: „Ewe u S. 46/7. Skerchley 8. 471. Burton: „Dahoine"
Bd. II 8. 142. „Yoruba» Bd. II 8. 148. Zoeller: .Kamerun" Bd. I
8. 57.
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— 289
Der alte Römer erzählt, die Fantische Gottheit komme
dreimal im Jahr mit einem Erdbeben und alle hohen
Bäume krummen sich, um ihn zu begrüssen. Gleichzeitig
entstehe ein Wirbelwind. Die Gottheit wohne in der
Mitte eines Hügelkreises. Alle Neumond wurden ihm
Opfer dargebracht, die ein Wirbelwind entführe. Das
Zeichen dieser Fantischen Gottheit sei ein Feuer, das an
«inem gewissen Orte Nacht und Tag, Jahraus, Jahrein
unterhalten werde. Vor demselben singen die Priester alle
Morgen und Abende einen altväterlichen Gesang und tanzen
dazu **).
Unter den Bawenda in Nord-Transvaal findet sich die
Sage, das ein göttlich verehrter alter König dem Volke
das Feuer gebracht habe. In den Hauptstädten werden
heilige Feuer unterhalten, die nicht verlöschen dürfen.
Unter diesen Herero hat jeder Stamm eine solche Stätte
„Okuruo" genannt. Sie ist mit einer Hecke umgeben.
Die Eingeborenen betreten sie mit heiliger Scheu, nachdem
sie sich vorher ihrer Sandalen entledigt haben, und küssen
die Asche. Das Feuer, welches nie verlöschen darf,
wird von einer Tochter des Häuptlings gepflegt, welche
Ondangere genannt wird. Sie führt das Amt, welches
ihr eine bevorzugte Stellung giebt, nur bis zu ihrer Ver-
heiratung.
Dieses heilige Feuer darf nie verlöschen; während
das Vieh gemolken wird muss es hell brennen. Jede ab-
ziehende Familie nimmt von diesem Feuer mit sich. Sollte
es verlöschen, so bleibt der Wauderzug liegen, bis von
einem anderen Orte heiliges Feuer herbeigebracht ist. Am
neuen Wohnorte angekommen, wird die neue Feuerstätte
errichtet, Opfer werden geschlachtet und jeder Anwesende
**) Horner S. (»5 ff.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 19
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— 290 —
speit von einem Gemisch aus Wasser, Fett und Milch in
Flamme * 9 ).
Der Herrscher Monomotapas sandte alle Jahre an seine
Vasallen einige Gesandte, die ihnen ein neues Feuer zu
übergeben hatten, mit dem Befehle, alle alten Feuer aus-
zulöschen. Sobald der Gesandte am Hofe vor den Fürsten
erscheint, muss ein jeder sein Feuer auslöschen und nicht
eher wieder anzünden als der Gesandte das neue Feuer
angelegt hat. Von diesem Feuer müssen dann alle Unter-
thanen desselben Fürsten ihr Feuer holen und in ihre
Häuser tragen. Wer solches zu thun sich weigert, wird
für einen Aufrührer gehalten und gestraft 50 ).
Bei den Betschuanen lassen sich noch heute die Spuren
dieses alten Feuerdienstes nachweisen. Wenn z. B. alle
Mittel Regen herbeizuführen fehlschlagen, dann werden
die Feuerstellen gereinigt. Während der Dauer dieser
Ceremonie müssen alle Herdfeuer ausgelöscht sein. Der
Unterpriester erscheint den folgenden Morgen oder Abend
mit geweihtem brennenden Stabe und entzündet das Feuer
aufs neue. Die Makalaka schwören beim Feuer 51 ).
Ein Ausläufer dieser alten Zentrale reicht bis an die
Kongomündung und noch weiter nach Norden. Schon in
anderen Studien ist gezeigt worden, wie diese Völker nach
Norden geströmt sind.
In älteren Berichten aus Congo ist viel vom Ganga
Chitome oder Chitombe die Rede. Dieser Priester ist schon
auf Erden ein Gott und am Himmel vermag er alles. Ihm
wurden die Erstlinge der Felder gebracht. Wenn Vater
") Merensky i. d. „Verh. d. Berl. Ges. f. Anthrop." 1891 S. 379.
Anderson Bd. I 8. 239 40. Hahn: n Herero u S. 499 — 501. Ratzel:
„Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. II S. 52. Fritseh S. 230 ff.
Ä0 ) Dappcr 8. 631. Bastian: „Loangoküste" Bd. II 8. 214.
5I ) Holub Bd. I 8. 422. Ratzel: „Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. II
S. 40.
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— -291 —
und Mutter einer Familie sie unter feierlichen Gesäugen
überreichten, versprach er Vervielfältigung der Gabe bei
der nächsten Ernte. Er und seine Angestellten führten
bei der Saat die ersten Spatenstiche aus.
Tag und Nacht unterhielt der Ganga Chitome in
seiner Hütte ein heiliges Feuer, von dem er gegen Bitten
oder Bezahlung einen Scheit abgab. Unter Ceremonien
und Darbringung von Geschenken musste sich jeder neue
Beamte oder Fürst von ihm weihen lassen. Alle Ver-
heirateten mussten sich während der Zeit der Abwesen-
heit des Ganga Chitome von seinem Wohnsitze der Frauen
enthalten.
AVenn der Ganga eines natürlichen Todes sterben
würde, wird die Welt untergehen und die Erde, die nur
durch seine Macht besteht, würde in das Nichts zurück-
fallen. Wenn der Ganga Chitome sein Ende kommen
sieht, wird er von seinem Nachfolger erhängt.
Der Ganga Chitome trägt stets lange Haare 5 ' 2 ).
Bei Jaga und Basundi treffen wir noch weitere wich-
tige Sitten des Feuerdienstes. Wenn dem Heerführer der
.Jaga vor der Schlacht vom Ganga-Ya-Jta der gegen Pfeile
schützende Gürtel umgelegt wurde, ward das alte Feuer
ausgelöscht und ein neues heiliges Feuer entzündet, um
den lohenden Holzstoss ein Tau, das niemand berühren
durfte, gezogen und der heilige Tanz aufgeführt. In die
lodernde, funkensprühende Flamme, die verehrt wird,
werfen die Bakongo Speiseopfer und das Blut, der am
Neumond geweihten Opfer, wird in die heilige Flamme ge-
spritzt 53 ).
") Cavazzi Bd. I S. 254, .261, 269. Bastian: „Loangoküate*
Bd. II 8. 214.
n3 ) Bastian: „San Salvador* 4 S. 95. Cavazzi Bd. I 8. 368/9; Bd. II
S. 192 3.
19*
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— 2?)2 —
In Loango hören wir noch von der Prophezeihung
ans dem Feuer und die dem Feuer bei Heileeremonien
dargebrachten Opfer. Am Gabun, bei den Fan, klingt
der Feuerdienst aus. In den Hauptlingsdörfern werden
Tag und Nacht heilige Feuer unterhalten, die den Einfluss
böser Geister abwehren sollen 54 ).
Das Bindeglied zwischen Feuerdienst und Sonnenmythe
liegt in der Sage vom Feuerbringer. Bei dem Damara
entzündet der aus der Höhle resp. dem Baume ent-
stiegene Mensch das erste Feuer. Einige sagen, es sei der
alte König Tschohdou; andere behaupten, es sei Mukuru
oder Odeinpo, der Feuerspender gewesen 55 ). Damit ist
die Feuererwerbung mit dem Menschenursprung verbunden.
Auch bei den Mussoronghi bringt Wetäkekela, der erste
Mensch, das Feuer vom Himmel herab 5Ö ).
Die Entstehung der Menschen ist aber in der umge-
kehrten Form des Sonnenunterganges resp. des Todes
— die Seele folgt der Sonne — zur Darstellung gebracht.
(Der Ursprung in der Höhle siehe „Schwarze und weisse
Menschen" !) Dem entsprechend lehnt sich die Feuer-
gewinnungsmythe auch hier, wie in Oceanien. (Feuer-
Schlange-Seele) an den Sonnenaufgang an. Wir sahen
schon wie Schango die mit der Medizin alias dem
Feuer entfliehende Oya verfolgt und wie die Mythe mit
dem Sonnenaufgange beginnt.
Im Westen der westlichen Provinz verschwimmt auch
diese Mythe. Bei den Temne und Tschi gab Gott den
Menschen das Feuer 57 ).
") Hiibbe-Sehleiden. Bastian: „Loangoküste" Bd. II S. 191, 239.
"1 Merensky i. d. „Vorn. d. Beel. Ges. f. Anthrop.* 1S91 8. 379.
Anderson Bd. I 8. 230 7. Ratzel: „Völkerkunde* 4 2. Aufl. Bd. II 8. 52.
*•) Bastian: „Loangoküste 44 Bd. II 8.222 3.
17 ) Sohlenker: „Tradition*« 8. 17. Schneider 8. 41.
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— 203 —
Leber die Ergebnisse dieses Kapitels lässt sich mancher-
lei Zusammenfassendes und Allgemeines sagen. Der Sonnen-
kultus Afrikas ist wenig ausgeprägt. Er ist mehr auf
einen selbständig gewordenen Feuerdienst beschränkt —
immer angenommen, dass dieser nicht selbständig ent-
standen ist. Der Feuerdienst ist am klarsten in der süd-
lichen Provinz bei den Damara, im alten Monomotapa und
bei den Basundi. Dagegen ist die Sonnenmythologie in-
mitten des westafrikanischen Völkerkreises am schönsten
erhalten. Aber die Sonnenmythen der südlichen und süd-
westlichen Provinzen enthalten, wenn auch in einem
anderen „Stile" zur Darstellung gebracht, die gleichen
Motive. Die Gleichheit der Fundamente dieser eigenartigen
afrikanischen Mythologie spricht aber in merkwürdiger
Klarheit aus der Verbreitung der Mythe von den schwarzen
und weissen Menschen.
Aber auch der Typus dieser Mythe ist bezeichnend.
Wie tief ist dies Niveau der Mythologie, das sicher einst
hoch stand, aus der Region der „hohen" Mythologie herab-
gesunken! Wie einzelne Klippen als Reste eines vom
Meere hinweggespülten Erdteiles ragen noch die Mythen
von Schaugo und Hubeane aus den Wassern der afrikanischen
niederen Mythologie empor.
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XVIII. Kapitel.
Die afrikanischen Spüinenmythen.
Verbreitung. — »Spinne als Mensehenschöpfer. — Spinne ver-
liert die Hände. — Die drei Geister der Unterwelt. Das viel-
flugige Tier. Knjebiribi, der Menschentöter. — Nyankupong»
Tochter. — Spinne» Topf. — Der Tod im Spinnennetz. — Spinne in
der Kuh. — Spinne als Schöpfer. - Der Spinne Tod. — Charak-
ter der 3hthen. ■- Der Spinne Charakter. — Solare Eigenarten. —
Kühe in afrikanischen Sonnenmythen. — Im malaiischen Archipel.
Der westliche Bezirk der westafrikanischen mytho-
logischen Provinz ist ausgezeichnet durch eine Legenden-
sprache, die in ihrer Naivität es unklar lässt, ob sie hohe
Mythen, Fabeln oder Märchen erzählt. Ihre Hauptfigur
ist die Spinne. Nanj oder Anansie. Das Verbreitungs-
gebiet der Spinnenmythen, in deren Kreis alle Erzählungen
gezogen werden, beginnt bei den Ga und erstreckt sich bis
zu Bagos, an deren Grenze es anscheinend endet. Mit
diesen Mythen wollen wir uns im vorliegenden Kapitel
beschäftigen *).
*) Das Material stammt aus: Ellis: „Yoruba" S. 339. „Yoruba*
S. 258 und 259. Bossmann S. 177, 383. Bastian: „Nigritier* S. 45.
Römer S. 43—47. Bonner S. 263 — 265. Zimmermann 8. 193 — 200.
Barth: „Volkssagen* S. 466. Schlencker: „Tradition^ S. 45—73. Eine
<ler schönsten Mythen verdanke ich der Güte des Herrn Missionar»
Steiner, der sie aus dem Munde eines Ga- Knaben erhalten hat
(Nr. 4). Bei den Yaunde giebt es ein Spinnen -Orakel. Zenker
S. 467.
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— 295 --
1. Mythe (Acera).
Die Neger haben Traditionen von einem gewissen
Nanj, nämlich von seineu Ranken und Schelmstüeken.
Man könnte Nanj mit Recht den Eulenspiegel der Schwarzen
nennen. Die Neger haben fast nichts zu verrichten, sondern
schlafen bei Tage und kommen beim Mondschein zusammen,
sitzen vor ihren Thüren, wohl so in einem Haufen. Da
erzählen dann die Alten den Jungen die Geschichten von
Nanj. Diese finden an den Ränken und Betrügereien
desselben einen sonderlichen Geschmack, und wünschen
nichts sehnlicher, als Gelegenheit zu finden, diesen Eulen-
Spiegel nachzuäffen. Von allen dem soll einiges hier nach-
erzählt werden.
Eine grosse schwarze Spinne mit Namen Nanj hat
auf Gottes Befehl (!) die ersten Menschen geschaffen, oder
richtiger nach der Neger-Meinung: Nanj musste die Stoffe
herstellen, aus denen der Mensch geschaffen ward. Nanj
war fieissig und spann Stoff zu einer Menge Menschen,
bis sie nicht mehr konnte. Nanj erwartete hierauf für
ihre Mühe einigen Dank von den Menschen. Sie liefen
aber davon und eine Gottheit unterrichtete sie, was sie
thun und lassen sollten.
Nanj schaffte noch einen von dem wenigen Stoff,
den sie noch übrig hatte. Dieser ward kleiner als die
vorigen, und Nanj erzog ihn selber, unterrichtete ihn und
legte ihm ihren Namen Nanj bei. Dieser ist der Held,
von dem die Traditionen handeln; wie er ohne Arbeit in
der Welt leben konnte, nämlich er betrog andere: wie er
fähig war die Gottheit zu narren, wenn er ihr ein Huhn
geben sollte. Seine Mutter zeigte ihm, wie er das Fleisch
essen, die Federn und die Beine aber wieder zusammen,
und die Gestalt des Huhnes wieder zu Wege bringen
sollte.
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— i>9(i -
Sollte er ein Ei liefern, so lehrte sie ihm, wie er ein
Loch darein sehlagen, es austrinken, es mit Erde oder
Sand ausfüllen und das Loch wieder zukleistern sollte,
mit der Versicherung, er würde noch Ehre damit einlegen,
weil er ein so grosses und schweres Ei bringe. Und ähn-
liches erzählen sie mehr.
2. Mythe (Acera).
AVenn die Neger die folgende Geschichte erzählen, so
äffen sie alle Dinge der Erzählung nach. Ist Nanj von
einem Orte zu einem anderen gegangen, so geht der Er-
zähler gleichermassen ein paar Schritte. Hat Nanj etwas
gespeisst, so ihm wohlschmeckt, hat er geweint, gelacht,
getrunken, getanzt u. s. w., so macht ihm der Erzähler alles
nach. Es sind bei der Vortragung und Vorstellung der
folgenden Geschichte mehrere Schwarze von Nöten, deren
jeder eine Rolle übernimmt.
Es war einstens im ganzen Lande ein Miss wachs und
eine grosse Hungersnot, sodass eine Bohne ein Ei kostete.
Nanj wusste nun, dass sein Nachbar noch einen ziem-
liehen Vorrat an Bohnen hatte. Dieser war ein Schütze
und wenn er morgens ausging, befahl er, dass seine Kinder
die Bohnen in die Sonne legen und sie fleissig umrühren
sollten, damit keine Würmer in sie kommen möchten, sie
sollten aber keine davon speisen, bis er zurückkomme.
Dann würde er die Portionen austeilen.
Nanj fand sich ein, wenn der Schütze nicht zu Hause
war, grüsste die Kinder und sie thaten ein Gleiches.
Nanj hatte seinen ganzen Körper mit Pech oder Gummi
überstrichen und bat um die Erlaubnis, vor ihnen tanzen
zu dürfen, dieweil er ein neues Stück erfunden habe. Die
Kinder willigten sehr gerne ein, Nanj fing an zu tanzen,
und wälzte sich in den Bohnen, so dass viele an seinem
Körper hängen blieben. Als der Tanz vollendet war, zeigte
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— 297 —
Nanj den Kindern seine Hände und sagte: Ihr sehet wohl,
dass ich nichts mit mir nehme." „Nein u , antworteten die
Kinder. Nachdem nahm er die Bohnen von seinem Körper
■nd gab sie seiner Frau.
Da nun der Schütze zurückkam, erzählten die Kinder,
dass Nanj bei ihnen gewesen und zeigten ihm den Tanz,
den sie gemerkt hätten. Endlich merkte der Schütze, das*
seine Bohnen abnahmen, und hatte Nanj in Verdacht.
Er ging an einein Morgen aus und verbarg sich nahe bei
seinem Hause im Gebüsch Da sah er denn wie Nanj
auf erwähnte Weise ihn seiner Bohnen bestahl. Hierauf
bemächtigte er sich Xanjs schlug ihm beide Hände ab
und Hess ihn laufen, wohin er wolle. Nanj kam nach
Hause und verbarg die Hände unter seine Leibbinde. Er
fing an auf seine Frauen zu schelten, dass sie nicht gleich-
falls Essen schafften und sagte, er wolle zukünftig seinen
Frauen gar nichts mehr liefern, sondern nur seine Kinder
ernähren, wie er denn auch befahl, die Kinder sollten in
sein Haus gebracht werden und mit ihm speisen.
Die Frauen waren damit einverstanden und jede trug
ihr Kind in Xanjs Hütte. Nanj verfügte sich zuletzt zu
den Kindern, schloss die Thür und stiess jedes von ihnen
mit dem Rest seiner Anne vor den Mund und drohte
ihnen gleichfalls die Hände abzuschlagen, wenn sie nicht
sagen würden, sie seien recht wohl ernährt worden. Die
Kinder versprachen es und schwiegen zwei Tage still.
Deu dritten Tag aber klagten sie den Vorfall ihren Müttern,
die den Nanj überraschten und sahen, dass er keine
Hände habe.
Sie entschlossen sich nun alle, Nanj zu verlassen und
andere Männer zu suchen. Sie liefen alle von danneu.
Der schlaue Nanj ging voraus, verbarg sich in einem Ge-
büsch und fing an Holz zu hacken. Die vorbeigehenden
Frauen grüssten ihn, ohne zu sehen wer es sei. Nanj
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— 298
-veränderte seine Stimme, dankte für ihren Gruss und frug,
-wohin sie zu gehen gedächten ? Die Frauen erzählten ihm in
der Kurze die Begebenheiten und ihren Vorsatz. Auch
frugen sie ihm, ob er keine Frauen nötig habe? Nanj
antwortete: „Freunde, wollet Ihr meinem Rathe folgen, so
kehret wieder zurück und gehet zu Kuren Manne. Ich
4iatte 20 Weiber; 19 von ihnen aber habe ich weggejagt,
«denn ich habe genug an einer in dieser teuren Zeit." Die
Frauen nahmen Abschied und gingen weiter. Nanj lief
Avieder voraus und gab vor, 50 Frauen gehabt und 49 weg-
gejagt zu haben. Ebenso geschah es zum dritten Male;
da sagte er, er habe 100 Frauen gehabt und 99 weg-
gejagt.
Die Frauen unterredeten sich hierauf und beschlossen
zuletzt die Gottheit um Rath zu fragen. Dieses hörte
Nanj ebenfalls und sprach in dem Gebüsche, in dem er
verborgen war, gleich wie die Gottheit. Das Ende von
alle dem war, dass die Frauen nach ihres Mannes Hause
zurückgingen.
Er war aber auch hier schon gegenwärtig und wollte
sie nicht nicht wieder in seine Hütte zurücklassen, bis sie
<lem Nanj vorteilhafte Bedingungen bewilligt hatten.
3. Mythe (Accra).
„Soll ich erzählen oder nicht ? u — Wir sind bereit zu
antworten 2 )." — War's nicht eine grosse Hungersnot, als
nichts zu essen und zu beissen war und die Henne und
-der Hahn mit knapper Not noch eine Nuss auf dem Dünger-
haufen entdeckten, dass unser Spinnenmann und Spiuuen-
sohn. von Not getrieben, auch nach Nüsse sich umschauten?
Hatte da der Spinnensohn nach langem Suchen eine Nuss
2 ) Dies ist der regelmässig wiederkehrende Anfang der Accra-
mythen. Diese werden von einem Einzelnen im Dialog mit der Masse
4er Zuhörer vorgetragen.
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entdeckt und sie aufgeklopft, als der Kern in eine Ratten-
höhle hineinfuhr. Spinnchen lief nach, den Kern zu suchen,
und ehe er sichs versah, fand er sich in der Unterwelt
von drei Zwerggeistern umringt, einem roten, einein
weissen und einem schwarzen.
Ihre Haare hingen über das Gesicht herab, ihre Einger-
nägel waren zu Kralleu geworden, gewaschen hatten sie
sich noch nie. Spinnchen erschrack. Sie aber erkundigten
sich, was er da zu schaffen habe? Spinnchen erzählte
seine Geschichte. Hierauf holten die Geister eine grosse,
schöne Yamswurzel herbei, befahlen aber Spinnchen, blos
die Schalen auf das Feuer zu setzen, den Yams selbst aber
auf den Düngerhaufen zu werfen. Spinnchen that es und
aus den Schalen wurde das beste Essen. Als Spinnchen
gegessen hatte, und satt geworden war, gaben ihm die
Geister eine ganze Last Yamswurzeln und lehrten ihn
<las Liedchen;
(Der Erzähler singt:) „Weisser Geist hoho!
Roter Geist hoho!
Schwarzer Geist hoho!"
(Die Zuhörer singen:) „Wird mein Kopf es übertreten,
Was wird geschehen?
Den Kopf, den wirft er weg:
Den Fuss, den wirft er weg;
Den Kopf, den wirft er weg;
Du, Du beleidigst die grossen Gott-
heiten 3 ). u
Dann begleiteten sie Spinnchen, befahlen ihm aber,
<las Lied niemals zu singen und es niemand zu lehren,
«sowie den Yams immer auf die angegebene Weise zu
behandeln. Spiunchen that es. Zu Hause war grosse
*) Im Original Bteht statt Gottheiten „Fetische**.
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— 300 —
Freude über de» Yams. Als er verzehrt war, holte Spinnchen
eine zweite Last und so fort.
Nun wollte aber der Spiunemann wissen, wo Spinnchen
den Yams hole; aber Spinnchen fürchtete das Wesen seines
Vaters und verweigerte beharrlich jede Auskunft. Als ersieh
nun aber wieder einmal zu einem fünften Gange anschickt* 4 ,
stand sein Vater in der Nacht auf, nahm Spinnchens Sack,
nahm die Kleider heraus und that Asche hinein, machte
ausserdem unten i:\ den Sack ein kleines Loch. So fand er
der Spur der Asche nachgehend den Weg und das nächste
Mal setzte er es durch, dass er ging.
Wie er nun die drei Geister sah, herrschte er sie an:
„Hei! was ist das für eine Art, wie ihr es treibt! Ihr
Sehmutzbengel, her mit Euch, dass ich Kure Haare schneide
und Euch wasche. u Und in der AVeise stritt er lange mit
ihnen, bis sie fragten, was er denn eigentlich wolle und
sie ihm Yams zum Kochen gaben. Aber er machte es
nicht, wie sie sagten, sondern that den Yams in den Topf
und warf die Schalen fort. Aber die Yamswurzeln wurden
nicht weich. Da schalten die Geister ihn einen Thoren
und befahlen ihm, es anders zu machen, worauf das Essen
geniessbar wurde. Zuletzt lehrten sie ihm dieses Lied:
„Weisser Geist hoho!
Koter Geist hoho!
Schwarzer Geist hoho!
„Wird der Kopf es übertreten,
Was wird geschehen?
Den Kopf, den wirft er weg.
Den Fuss, den wirft er weg,
Den Kopf, den wirft er weg.
Du, Du beleidigst die grossen Gottheiten!"
Als sie ihm aber befahlen, das Lied weder zu singen
noch es jemand zu lehren, und noch nicht recht ausgeredet
hatten, begann der Spinnenmann schon zu singen. Darüber
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zur Rede gestellt, sagte er, er habe ein Lied seiner Heimat
gesungen. Kaum war er aber ein Weilchen gegangen, so
sang er wieder. Aber plumps! von oben fällt etwas her-
unter, der Spinnenmann stürzt hin, dort liegt sein Kopf,
da die Hand, dort ein Fuss, der Spinnenmann ist gestorben !
Aber immer singt er noch. Da sagt der weisse Geist zu
den andern: „Er ist ein armer Schelm, lasst uns ihn wieder
lebendig machen." Da hatten die Geister Erbarmen mit
ihm, machten ihn wieder lebendig und bedrohten Ihn aufs
neue. Aber kaum zu sich gekommen, singt er auch wieder.
Nun prügelten sie ihn durch und Hessen ihn mit leerer
Hand gehen. Mit Schimpf und Schande kam er heim, und
dort ward das Betragen des Spinnenvaters verworfen, das
des Spinneliens aber ward Sitte, nämlich: „Wenn Du in
eine fremde Stadt kommst, dann sollst Du nicht über die
Sitten der Bewohner schimpfen, sondern Dich in dieselben
schicken. u
4. Mythe (Accra).
Es begab sich einmal, dass Spinne für den damaligen
Konig ein Grundstück kultivierte, wofür ihm eine Kuh als
Lohn werden sollte, da man schon damals wie heute von
dem Grundsatz ausging, dass für nichts nur der Tod sei.
Spinne war ein Schelm und dachte, Selberessen macht fett
und traf deshalb genaue Vorkehrung, dass kein ungebetener
Gast sich beim kommenden leckeren Mahl einstelle. Er
schleppte daher das Mastvieh an einen abgelegenen Platz,
wo die Zubereitung und das Mahl ungestört vor sich gehen
konnte. Doch siehe da. Als er eben daran war. das ge-
hörnte Tier auf den Boden zu legen und ihm den Todes-
stoss zu versetzen, erschien ein Ungeheuer mit vielen Augen.
Spinne erschrak ob der fremden Erscheinung. Hess das
Schlachtopfer fahren und machte sich aus dem Staube.
Doch, von dem vieläugigen Tier zurückgerufen und
ermutigt, kehrte Spinne auf die Mahlstatt zurück und ward
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:m -
von ihm gezwungen, die Kuh zu töten und das Mahl her-
zurichten. Spinne that pflichtgetreu, ob wollend oder nicht-
wollend, das Geheissene. Eben war er mit einem Teil der
Mahlzeit fertig und sog schon mit innerem Behagen den
heissen Duft der dampfenden Speise ein, als das vieläugige
Tier das Wort „Tamoku!" hervorstiess, worauf Spinne tot
zu Boden sank. Der Mörder machte sich nun ungesäumt
über die Speise her und verzehrte, was des andern Schweiss
erworben und seine Kochkunst zubereitet hatte. Nach
beendigter Mahlzeit jedoch rief das vieläugige Ungetüm
den leblos Daliegenden durch einen andern Zauberspruch
wieder zum Leben zurück.
So geschah es an die zwei und die drei Male. Spinne
kochte, hoffte und ward in Todesnacht versenkt, Da end-
lich klagte der also übel behandelte Spinne sein Leid einem
alten Weiblein. Dieses, erfahren in solchen Zauberkniffeu,
wusste Rat und Abhilfe. Es wusste dem für Spinne tot-
bringenden Tamoku ein entsprechendes Zaubersprüchlein
entgegenzusetzen. Sie hiess ihn, sobald das vieläugige
Tier das verhängnisvolle Tamoku bei der festlichen Tafel
aussprechen werde, das Wort „Tomodso" auszurufen.
Spinne that, wie ihm die Alte befohlen, und siehe
da! Tamoku hatte nicht seine gewöhnliche Wirkung. —
Das vieläugige Ungeheuer dagegen brach, wie vom Blitz-
strahl getroffen, beim Klange des Zauberwortes Tomodso
leblos zusammen. Nun that sich Spinne an der Mahlzeit
gütlich und suchte sich bestmöglichst für die seither ge-
habten Entbehrungen zu entschädigen. Als er seinem
Bedürfnisse reichlich Rechnung getragen hatte, nahm er
das leblose Tier und legte es auf das Feuer. Da sein
Fleisch eine gar so schöne weisse Farbe durch das Rösten
erhielt, kam Spinne die Lust an, davon zu kosten. Aber
o weh! Im selben Augenblick wurde seine Zunge so dick
und so lang, dass er dieselbe nicht einmal tragen konnte.
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— 303 —
„Was soll ich thun? u sprach der nunmehr grosszüngige
Spinne.
Lange ging er mit sich zu Rate, und siehe, seine
Schlauheit liess ihn auch diesmal nicht im Stich. Als
Dolmetscher oder Sprecher des Königs herief er das ganze
Volk und gab einen angeblichen Befehl des Königs kund,
der dahin lautete, dass ein jeglicher sich an die See zu
begeben habe. Dort solle sich ein jetler in den Fluten
baden. Bevor dies aber geschehe, habe jeder seine Zunge
am Ufer niederzulegen. Nach dem Bade möge sie ein jeder
wieder zu sich nehmen.
Sie gingen in Begleitung des königlichen Sprechers
an den bezeichneten Platz, die Lagune. Alle legten ihre
Zungen auf dem Damm nieder und begaben sich ius Wasser.
Während nun alle mit sich selbst und mit der Waschung
zu thun hatten, benutzte Spinne diesen güustigen Augen-
blick zu einem Geniestreich. Er liess seine Augen über
die Reihe der Zungen gleiten und suchte nach der schönsten,
zierlichsten und zartesten. Als solche erkannte er die des
Schweines, er nahm dieselbe und eignete sie sich ohne
Bedenken an. Er ward somit zum Lügner und Räuber.
An die Stelle derselben legte er seine grosse und unförmige
Zunge. Hierauf verliess er, als sei nichts weiter geschehen,
den Platz.
Nach alle dem kamen die Badenden aus dem Wasser
und griffen nach ihren Zungen. Alle fanden die ihrigen
ausser dem Schwein, welchem zuletzt nur die lange, un-
förmliche Zunge übrig blieb. Wohl oder übel musste es
dieselben nehmen, „denn", dachte es, „lieber eine wüste
als gar keine Zunge u , gelobte sich aber, von nun ab sich
nur noch von Dünger zu ernähren. Das Schwein ging hin
und that so bis auf den heutigen Tag.
Moral: „Was für den einen ein Verlust ist, ist für den
andern ein Gewinn."
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— 304 —
Oder: „Hast Du etwas und willst solches nicht mit
Deinesgleichen gemein haben, so musst Du es mit den
Tieren teilen."
5. Mythe (Akwapim).
Es wird erzählt, der „Anansie (die Spinne) habe einen
Sohn gezeugt", den er Eutikuma nannte.
Dieser zeugte wieder einen Sohn, den er Enjebiribi
(d. h. „es ist nichts") nannte.
Eutikuma kaufte Rindvieh und übergab es der Schlange
Nini zum Füttern. Nicht lange danach hörte Eutikuma,
dass Nini nicht gut auf das Rindvieh achte. Er brachte
es daher auf seine Plantagen. Enjebiribi ging eines Tages
hin und riss einem der Rinder ein Auge aus und bereitete
daraus eine wohlschmeckende Speise, die er mit seinem
Vater Entikuma verzehrte. Als sie gegessen hatten, sagte
«dieser: „Das Ding da, das Du gemacht hast, ist wohl-
schmeckend; geh und bereite es uns nochmals." Darauf-
hin bereitete Enjebiribi die Speise, bis die Augen aller Rinder
aufgezehrt waren.
Eines Tages sagte sein Vater, er wolle nach den
Rindern sehen; und siehe, aller Augen waren gebrochen.
Hierauf hob er einen Stock auf, um Enjebiribi zu schlagen.
Dieser aber sagte: „Wenn Du mich sehlägst, werde ich
schreien!" Der Vater entgegnete: „Ich werde Dich schlagen,
und wenn Du schreist, schreist Du ebeu. u Hierauf schlug
er ihn, und als dieser sagte: „Vater!" starb der Vater.
Nun hob Enjebiribi einen Stein auf und warf einen
Vogel herunter. Dem zog er die Haut ab, steckte seines
Vaters abgeschnittenen Kopf hineiu, hüpfte und stellte sich
auf den Weg, um weiter zu gehen. Indem er nun wanderte,
.begegnete er gewissen Mensehen, die ungeheure Massen
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von Speisen trugen, und er sprach zn ihnen: „Der Hunger
dningt mich, gebt mir deshalb zu essen."
Sie: „Wir geben Dir nichts."
Er: „Wenn Ihr mir nichts gebt, werde ich Unheil
über Euch herabkommen lassen."
Sie: „Lass es kommen."
Nun nahm er eine von den Speisen weg, und sie riefen
hierauf: „Schlagt ihn, dass er stirbt!"
Er: „Wenn Ihr mich schlagt, werde ich schreien."
Sie: „Wenn er schreit, was ist's denn? Schlagt ihn!"
Kaum hatten sie ihn geschlagen und er geschrien, so starben
sie alle, er aber hieb ihnen die Köpfe ab und steckte sie
in die Vogelhaut.
Inzwischen kam er an einen Ort, wo er die messingnen
Salbenbuchsen des Königs wusch. Diese nahm er, warf
sie in den Brunnen und sagte: „Was Thr mir thun wollt,
mögt Ihr mir thun." — Nun standen alle auf, um ihn zu
schlagen.
Er: „Wenn Ihr mich schlagt, werde ich schreien."
Sie: „Schrei nur, bis Blut herauskommt." Und dann
schlugen sie ihn und starben; er aber schnitt ihnen allen
die Köpfe ab und steckte sie in seinen Vogelhautsack.
Im Weitergehen begegnete er mehreren Personen, die
Palmwein trugen. Zu diesen sagte er: „Gebt mir etwas
Palm wein zu trinken!" —
Sie: „Wer bist Du, dass Du sagst, Du wollest von
dem Palmwein trinken, den wir dem König bringen?"
Er: „Wenn Euer Herr selbst Palm wein wäre, würde
ich ihn trinken, wie viel mehr den da."
Sie; „Du hast den König gelästert! Legt die Hand
an ihn!"
Er: „Wenn Ihr mich schlagt, werde ich sogleich
schreien!"
Frohenins, Weltanschauung der Naturvölker. 20
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Sie: „Wenn er auch schreit, so macht's ja nichts, schlagt
ihn!" Kaum hatten sie ihn geschlagen, so starben sie.
Er aber schnitt ihnen die Köpfe ab, steckte sie in den
Vogelhautsack und ging.
Als nun die Sache dem König berichtet wurde, sandte
dieser Boten aus, um den Enjebiribi zu sich einzuladen.
Enjebiribi aber sagte den Boten: „ Gehet und saget dem König,
am Montag werde ich kommen und er solle zubereiten,
mich zu bewirten. Hierauf Hess der König den Palmwein
von aller Welt zusammenkaufen und mehr als 1000 Schüsseln
voll Speise in den Häusern aufstellen, damit, wenn Enjebiribi
käme, er zu essen hätte. Nicht lange, so hörte man von
seiner Ankunft. Man versammelte sich, und während er
anlangte und grüsste, trank er den Palmwein in Gedanken.
Bis das Grüssen vorbei war, war auch der Palmwein ge-
trunken und die Speise verzehrt. Der König aber, der
nichts davon wusste, sandte aus, um den Palm wein zu
holen. Als er nun erfuhr, dass von dem Palmwein und
der Speise garnichts mehr übrig geblieben, sagte er zu
seinen Knechten: „Gehet, fanget und tötet ihn! u
Nun verfolgten sie ihn, bis er am Wege ermattet
niedersank. Als seine Verfolger ihn dort erreichten,
fragten sie: „Was ist hier auf den Boden gefallen?" —
Darauf sagten andere: „Enjebiribi", d. h. es ist nichts.
Daher kommt es, dass wenn etwas am Wege hinfällt und
man weiss nicht, was es ist, auf die Frage: „Was ist's?"
gewöhnlich die Antwort erfolgt: „Enjebiribi!" d. h. „es
ist nichts."
6. Mythe (Akwapim).
Nyankupong hatte eine schöne Tochter, die er allen
Bewerbern ausschlug. Spinne und Katze Hess er zur Be-
werbung zu. Die Katze gewann im Wettlauf. Spinne
darüber entrüstet, brachte durch Hinterlist die Katze in
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den Schein begangenen Frevels und so ward Nyanknpongs
Tochter der Katze wieder abgenommen.
7. Mythe (Akwapim).
Ananse erfand einen selbst sich füllenden Topf. Er
stellte ihn in sein Schlafzimmer und genoss von der immer
neu hervorquellenden Speise. Seine Kinder zerbrachen den
Topf. Da erfand er eine selbst prügelnde Peitsche u. s. w.
8. Myth e (Temne).
Die Spinne forderte die Buschziege auf, mit auf die
Jagd zu gehen. Sie war bereit. Spinne nahm einen Kall-
strick mit. Im Walde traf Spinne einen Stein, dem ein
Bart gewachsen war. („Das ist nämlich das Netz der
Ziege.") Spinne sagte: „0 Wunder! ein Stein mit einem
Bart u . Kaum hatte Spinne das gesagt, so fiel er nieder,
blieb liegen und erwachte erst am Abend. Dies war der
Grund des betrügerischen Benehmens gegen seine Genossen,
die er später verschlang *).
So forderte er denn die Buschziege auf, ihn zur Jagd
zu begleiten und hiess sie, in der Nahe der bewussten
Stelle angelangt, ein Stück vorausgehen, und auf ihn, der
sich erst erleichtern wolle, zu warten. Als sie wieder am
Steine ankamen, sagte Spinne: „Nun komm! u Doch da
entgegnete die Buschziege: „Schau, wie der Stein einen
Bart bekam. u Kaum war das Wort gefallen, so fiel die
Buschziege nieder und Spinne nahm sie auf und brachte
sie heim, wo er dieselbe mit seinen Kindern verzehrte.
Als die Buschziege verzehrt war, lud Spinne die
Trak-an zur Jagd ein. In der Nähe des Steines forderte
er diese wieder auf, bis zum Steine weiter zu gehen, da
*) In diesen Mythen wie in anderen ist die Spinne als Weib
betrachtet. In anderen ist sie männlichen Geschlechts. Der Mehr-
zahl folgend, habe ich stets das letztere angenommen.
20*
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er erst noch sein Wasser abschlagen wolle. Als er die
Trak-an (eine Antilopenart) am Bestimmungspunkte an-
traf, sagte diese: „Spinne, sieh doch, wie der Stein einen
Bart bekam!" Die Trak-an fiel nieder, Spinne nahm sie
auf und trug sie nach Hause, wo er mit seinen Kindern
das Fleisch verspeiste.
Ebenso machte es Spinne mit der Antilope. Doch als
er mit der Buschkuh ' in gleicher Weise verfuhr, fiel dies
dem Fillentamba auf, welches wohl bemerkt hatte, dass
die Tiere, die mit Spinne zur .lagd auszogen, niemals
heimkehrten. Also folgte Fillentamba unbemerkt und be-
obachtete die Szene am Stein, wie die Buschkuh sagte:
„Schau, was der Stein für einen Bart hat!" wie Spinne
und seine Kinder das Tier zerteilten und es nach Hause
brachten. Da lief Fillentamba auch nach Hause und er-
zählte es allen seinen Kameraden.
Da fordert denn Spinne auch Fillentamba zur .lagd
auf. Fillentamba war einverstanden. AVie gewöhnlich
schickte Spinne den Begleiter voraus. Als aber Spinne
zum Steine kam, sagte Fillentamba nicht das Zauberwort.
Spinne versuchte Fillentamba dazu zu bewegen, aber der
umging der bezaubernden Antwort. Da sagten endlich
beide das Wort und beide fielen betäubt nieder. Es war
am Morgen und sie erwachten am Abend wieder. Beim
Erwachen versuchte Spinne das Gespräch wieder auf das
Thema zu bringen. Fillentamba trug darauf: „Was soll
ich sagen? Spinne entgegnete: „Sag, der Stein bekam
einen Bart!"
Kaum hatte Spinne das Wort ausgesprochen, so fiel
er nieder. Fillentamba sprach es aber nicht nach. Er
lief nach Hause und warnte alle Leute das Wort an dem
Steine auszusprechen, denn dann fielen sie in die Hände
der Spinne, die sie verzehren würde.
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{). Mythe (Temne).
Ein König hatte Acht auf seine Kühe. Spinne er-
blickte sie; er sah eine besonders grosse und forderte
Taba 5 ) auf, sie mit ihm zu verspeisen. Taba wollte schon,
wusste aber nicht, wie es anzufangen sei. Spinne meinte,
er wisse schon Bescheid. Sie gingen zusammen dahin,
wo die Herde weidete. Da trafen sie den Ameisenbär,
der just eine Höhle in den Boden grub. Spinne sagte zum
Ameisenbär, das wurde, falls die Kühe des Königs in die
(Irube träten, für ihn böse ablaufen. Da erschrak der
Ameisenbär und begann, die Grube wieder aufzufüllen.
Da er aber müde war, ging er bald schlafen. Derweilen
fing Spinne die grosse Kuh und brachte sie in die Höhle.
Dann kehrte er zur Stadt zurück. Unterdessen sagte der
König zu seinen Leuten, es würde dunkel, sie sollten nach
den Kühen sehen. Diese zogen aus, um sie einzufangen.
Sie fanden aber die eine in der Höhle. Nur noch ihr
Kopf blickte heraus. Da liefen sie zum König und er-
zählten ihm, dass eine Kuh in einer Grube läge und stürbe.
Da rief der König sein Volk zusammen, um die Kuh herauf-
zuholen.
Eingehend schildert nun die Mythe das Palaver, welches
der König abhielt, als sie die Kuh antrafen. Der Ameisen-
bär ward herbeigerufen und vernommen. Spinne warf seine
Worte dazwischen und das Urteil lautete: „Da der Ameisen-
bär die Kuh des Königs getötet hat, mag er selbst getötet
werden." Denn das war ausschlaggebend : der Ameisenbär
hatte die Grube gegraben.
Der Ameisenbär ward in der Grube, in der die Kuh
verschieden war, bestattet. Als Lohn für seine Bemüh-
ungen bei Auffindung des Kuhmörders erhielt Spinne ein
Bein der Kuh. Als alle in die Stadt gegangen waren,
fi ) Tamba ist eine mystische Persönlichkeit.
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holte Spinne den Taba, der ihm den Ameisenbär auf-
suchen, ausgraben und in sein Haus schaffen helfen musste.
Er teilte mit Taba das Fleisch. Nach einem Monde war
das Fleisch verzehrt.
Als nun eines Abends, da die Leute des Königs schlafen
gegangen waren, die beiden dahingepilgert waren, wo sie
<lie Kühe des Königs angebunden antrafen, ergriff Spinne
seine Medizin, streichelte eine grosse Kuh und sagte: „Kuh,
Jass einen Wind streichen, Kuh, lass einen Wind streichen!"
Die Kuh that so und beide schlüpften iu den Bauch des
Tieres! Spinne zeigte Taba das Herz und warnte den Ge-
nossen davor, dort zu schneiden. Spinne schnitt alsdann
Fleischstücke heraus und Taba steckt sie in den mit-
gebrachten Korb. Danach forderte Spinne die Kuh wieder
auf, einen Wind streichen zu lassen und so gelangten sie
wieder aus deren Leib. Vier Tage lebten sie von dem
Fleische. Da zogen beide abermals zu gleichem Zwecke aus.
Wie damals gelangten sie in die Kuh. Diesmal aber
schnitt Taba und zerschnitt die Herzfibern, sodass die Kuh
tot zu Boden sank. Nun wussten sie nicht, was thun?
Taba setzte sich in den Mastdarm. Die Leute des Königs
meldeten diesem den Tod der Kuh.
Die Männer begannen das Tier zu zerschneiden. Da
schrie Spinne: Seid vorsichtig, dass Ihr mich nicht trefft!"
Die Leute erschraken und berichteten das dem König.
Da kam dieser selber und befahl an derselben Stelle weiter
zu schneiden. Aber Spinne kroch an einen anderen Ort.
Als die Leute beim Zerlegen so weit gekommen waren,
zogen sie Spinne und ihren Korb heraus. Spinne ward
gebunden und sollte geschlagen werden, weil er das beste
Stück der Herde des Königs getötet hatte.
Da schrie Spinne: „Ich und Taba, wir waren zusammen.
Ich und Taba waren zusammen!" „Wer ist Taba?" fragten
sie. „Ich weiss nicht, von wo er kam", sagte Spinne.
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Der König glaubte ihm nicht. Unterdessen sass Taba im
Mastdarm. Die Leute schnitten denselben heraus, um
ihn am Wasser zu reinigen. Wie sie nun seinen Inhalt
ausschütteten kam Taba mit heraus und sprang unbe-
merkt an das andere Ufer. Er beklagte sich nun, dass
die Leute beim Ausspritzen ihn mit Kuhdüuger überschüttet
hätten Der König schenkte, um ihn zu beruhigen, ihm
darauf ein neues Gewand.
Beim Palaver behauptete Spinne nun, dass Taba sich
au dem Diebstahl beteiligte hätte. Darauf rief man dessen
Frau, um sie zu verhören. Diese sagte nun allerding aus,
dass Taba seit gestern Mittag nicht zu Hause gewesen sei.
Taba wusste sich jedoch zu rechtfertigen, indem er darauf
hinwies, dass, wenn er dabei gewesen wäre, er auch hätte
in der Kuh gefunden werden müssen.
Da wurde das Urteil über Spinne gefällt; er wurde an
einem Palmbaum gebunden und mit Palmzweigen gestäupt.
Deshalb hat er so viele Beine bekommen. Als Spinne
genug gepeitscht war, Hess der König ihn laufen. Er
wurde darauf krank, erholte sich aber wieder und hatte
nun viele Beine. Da lief er davon in den Wald.
Es ist einleuchtend, dass es trotz des eifrigen Suchens
nur gelungen ist, einen Theil der Spinuensagen in der
Litteratur aufzufinden. Es ist ihnen wohl noch nie so
recht eifrig nachgeforscht. Eben aus dem Grunde der
maugelnden Kenntnis dürfen wir nicht erwarten, ein ab-
geschlossenen Ganzes in ihnen zu erblicken. Vielleicht
fehleu sogar die wichtigsten Teile, ich vermute dies sogar,
denn Paul Steiner sagte mir, dass die meisten dieser Sagen
der Niederschrift durch den Laien, infolge ihrer absoluten
Unanständigkeit sieh entzögen.
Immerhin lässt auch dieses spärliche Material mancher-
lei erkennen, das zu der Meinung berechtigt, es handele
i
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i
sieh hier um eine Mythologie, ähnlich der nordwestamerika-
nischen, das heisst einer solchen, die Motive der höheren
Mythologie behandelt und die diese im Gewände der Tier-
mythologie zur Darstellung bringt.
Das Bedeutsamste ist, dass Spinne weder ein Tier
noch ein hoher Gott ist. Auch Jelch, mit dem ich Anansie
sonst nicht vergleichen will, ist einem höheren Gotte unter-
geordnet, auch Maui gehört zu den niedereren Göttern.
Dass Anansie auf einem alten Herrscher zurückzuführen
sei, einen sogenannten Heros, scheint mir ausgeschlossen,
trotzdem Ellis zu dieser Ansicht zu neigen scheint.
Gegen eine solche Annahme spricht der kosmogonische
Charakter Anansies. Derselbe ist unleugbar. Anansie
schafft die Menschen, Anansie ist der Todbringende, der
in keiner Mythe den Tod findet, wenn er auch manchmal arg
mitgenommen wird.
Bedeutsam erscheint nur der zeitweilige Tod der
Gottheit, — denn als solche erscheint Anansie als die
Menschen schöpfende — der in der Mythe von dem viel-
äugigen Uugetüm, das vielleicht als Nacht zu deuten ist,
besonders charakteristisch dargestellt ist. Auch in der
Mythe von Fillentamba ist dieser Zug nicht zu verkennen.
Allerdings nicht hinkend oder einarmig, ist die Gott-
heit doch wenigstens in der zweiten Mythe der Hände
beraubt. Das „Wandern 4 * ist in der Enjebiribi-Mythe zur
Darstellung gebracht, in der auch eines der interessantesten
Motive, ein Motiv der Vogelmythe auftritt. Die Gottheit
steckt die Köpfe der Erschlagen in eine Vogelhaut. In
der Mythe von den drei Geistern, die die Farbe des Mittags
(weiss), Abends und Morgens (rot) und der Nacht (schwarz)
zu repräsentieren scheinen, ist eine Wanderung in die Unter-
welt erzählt. Das Motiv: „Verschlungen werden 44 ist auf-
fällig in der Taba-Mythe etc.
Im allgemeinen kann man sagen, dass eine grosse
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Reihe von Anzeichen der Degeneration zu bemerken ist.
Die Deutung des Namens Enjebiribi ist auf Volksetymo-
logie zurückzuführen. Am Schlüsse mehrerer Mythen, wie
auch in solche eingeflochten, sind Sentenzen, Sprichwörter
und Lehrsätze der Moral angefugt. Die Erklärung der
Vielbeinigkeit der Spinne ist originell aber sekundär.
Der Charakter Anansie's ist kein idealer. Anansie
ist diebisch, grausam, fressgierig. Vor allen Dingen ist
Anansie ungemein schlau.
Demnach findet sich anscheinend kein Grund gegen,
wohl aber eine Anzahl von Gründen für die Annahme,
dass die Spinnenmythen ein gutes Teil solarer Motive
enthalten. Eine spezielle Bedeutung der Spinne werde
ich im nächsten Kapitel noch zu erörtern haben.
Einer der Gr finde, die mich dazu bewegen in der
Spiune eine Gottheit der Sönnenmythologie zu erblicken,
ist seine Beziehung zu den Kühen. Ochsen und Kühe
sind für die afrikanische Mythologie sehr bedeutungsvoll.
An den Apis brache ich wohl kaum zu erinnern. Heitsi-
Eibib lässt sich als Gras von der Kuh verschlingen und
als Stierkalb wieder zur Welt bringen. Akotia verlangt
Opfer von Rindern.
Ochsen werden im östlichen Sudan hochgeehrt. Ochsen-
bilder sind angebetete Gegenstände bei den Heiden der
Haussaländer. Ochsenmasken stammen aus dem Bali-
Lande 6 ).
Die Schilluk haben eine Art Kultus der Sonne und
des Niles, beide besitzen in dem Dorfe üao Kühe, die
ihnen geheiligt sind und die Sorge dieser Herden ist Wahr-
sagerinnen, Duendam genannt, anvertraut; diese allein können
sie auch melken, denn ein gewöhnliches Weltkind
•) Vita Hassan Bd. I S. 40, 47, 58/9. „Allg. Hist. d. R.* Bd. IV
S. 4S7. Staudinger S. 128.
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Avürde statt Milch, Blut erhalten. Ein Teil dieser Kühe war
früher im Nil verborgen und ist aus demselben mit zarten
Netzen emporgezogen worden. Die Flussgötter des Nils
Blüten seitdem ihre Herden so sorgsam, dass man gar kein
•Geräusch vernimmt. Während der Nacht schlagen die
Geister Pfähle ein, um ihre Kühe daran zu binden, sie
-selbst gehen in den Busch oder steigen daraus empor, so
oft man Nebel auf demselben bemerkt. — In Ruanda glaubt
man, das Tosen der Vulkane sei das Gebrüll der Ochsen-
lierden, an der Küste wird erzählt, Ochsen-Götter erzeugten
Erdbeben. Die Sansibariten meinen, die Erde lagere auf
<lem Horn eines Ochsen, lege er sie auf das andere Horn,
«o entstehe Erdbeben. Die Betschuanen endlich betrachten
•die Sonne als die Augen eines Ochsen 7 ).
Aehnliche Beziehung herrscht auch im Malajischen
Archipel. Die Bewohner Süd-Sumatras glauben ebenfalls,
<lass die Erde von einem Ochsen getragen werde 8 ). Es
ist das eine aus Asien stammende Anschauung, die sich
in gleicher Weise nach den australischen Inseln im
Osten und dem afrikanischen Continent im Westen ausge-
breitet hat.
Immerhin ist es eine charakterische Erscheinung, wenn
auch im Kreise der Spiunenmythen derOchse als der Spinnen-
Verschlinger gewisserniassen auftritt,
7 ) Petermann und Hassenstein S. 23. Stuhlmann 8. 94. Götzen
S. 192. Muffet u. Anderson Bd. II S. 205.
s ) Müller i. d. „Verh. d. Herl. Ges. f. Anthrop." 1892 S. 285.
Ricnzi Bd. I S. 144 (vergl. auch S. 274). Bei den Mandans repräsen-
tiert eine weisse Ochsenhaut die Sonne. Wied Bd. 11 S. 169 171.
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XIX. Kapitel.
Die Sonnenbahn und deren Ableitung in Afrika.
Fragmente von Sonnenmythen. — Die Sonne im Totenland. —
Die Seele folgt der Sonne. — Umkehrung; der Mensch stammt vom
Himmel. — Die Eanda. — Strick, Kette, Baume alt* Sonnenpfade.
— Sonnenbahnmythen. — Sonnenbahnmythe als einmaliges Ereignis.
— „Turmbau zu Habel". — Sonnenbahnbrücke. — Die Spinnenfaden.
— Der Strick in der Hütte. — Das Motiv des Trauerstriekea. —
Der Trauerstrick. — Priesterabzeichen oder Götterpfade. — Der
Uebergang zum Profanen. Der Strick im Geheimbund. — Strick-
amulette und Speiseverbote. — Das aelbstkrüftige Amulett. — Krank-
heitsamulette. — Geisterstricke im allgemeinen. — Verbreitung.
„Thoramulette." Erklärung der Tafel III. — Der Strick als Be-
lebungsmittel. — Die Geisterschlinge und -angel. — Menschenfang
= Mensehenbeseelung. — Verbreitung der Knotenstrieke. — Ent-
wicklung derselben in Oceanien — in Afrika. — Die n Aroko u oder
.symbolischen Botschaften.
Wenn — um so deu Sehluss zu ziehen aus den Ergeb-
nissen der letzten Kapitel, — wenn man auch nicht sagen
darf, dass die Motive der Sonnenmytliologie in Afrika
herrschen, so ist es sicher, dass, wo sich Spuren und Frag-
mente einer höheren Mythologie finden, auch die Zeichen
einer Sounenmythologie nicht fehlen.
So ist denn auch das Schicksal des Menschen mit dem
Laufe der Sonne verbunden. Im Tode wandern die Seelen
auf der Sonnenbahn. Im Sonnenuntergänge sinken die
Menschen in das Jenseits.
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31« —
Dementsprechendes fanden wir schon mehrfach. Die
drei grossen Sonneuhclden sind Hnbeane, Schango und
Heitsi-Kibib. Mit Hubeane wurden alle Mensehen von
Kammapa verschlungen. Schango ist in die Unterwelt ge-
gangen und lebt bei den Toten. Heitsi-Eibib lebt in den
Gräbern der Verstorbenen l ).
Was Forster vom tahitischen Glauben berichtete, er-
zählt Leo Afrisanus aus Benin. Nach dem Tode leben die
Seelen in der Sonne, Wadell teilt aus Alt-Kalabar das
Gleiche mit. Die Seele eines Kranken liess sich nicht mehr
zurückhalten, sondern flog auf zur Sonne 2 ).
Die Basuto legen das Land der Toten nach Sonnen-
untergang. Ein alter Buschmann erzählte Campbell, die
Sonne würde später aufgehen, wenn man die Toten nicht
mit der Sonne zugewandtem Gesichte begraben würde.
Ein sterbender Hovaoffizier befahl seineu Söhnen kurz vor
seinem Tode, dass sie nach seiner Bestattung gelegentlich
den Verschlussstein des Grabes aufheben sollten, auf dass
die Sonnenstrahlen auf seinen Leichnam fieleu 3 ).
Diesen durchaus poetischen Anschauungen entspricht
es, wenn ein Angolaneger in traulicher Stunde Soyaux von
den Wanderungen der Völker der Sonne nach erzählte 4 ).
Auf diese Weise werden die unerreichbar fernliegenden
und unverständlichen Ereignisse am Himmelszelte mit den
unbekannten Schicksalen der Toten in Beziehung gebracht.
Wie den Oceaniern und Nordwestamerikanern sind
den Wambugwe die Sterne Menschen. Der Hof um die
strahlende Mittagssonne ward Livingstone von den Barutse
') Mereiwky: „Beitrage" 8. 124. Haarhof S. 17. Endemann 8. «4.
KUU: „Yoruba 4 * 8.52. Anderson Bd. II 8. 03.
s ) Leo Afrikanua 8. 481. Bastian: „Fetisch 44 8. 39 40.
') Kndemnnn 8.44. Campbell 8.169 70. Ratzel: „Völkerkunde 44
1. Aufl. Bd. 1 8. 74. Kllis: „Three visits." 8. 312.
*) 8<>yaux Bd. II 8. 123.
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folgendennassen erklärt: „Die Barimo (Seelen) halten ein
Pitscho (eine Versammlung) ab: Siehst Du nicht den Herrn
(die Sonne) in der Mitte?" — Wenn Sonnenschein von
Regen begleitet wird, sagen die Dahomeer, die Seelen zogen
zu Markte 5 ).
AVenn Sonne abends in die Höhle zu ihrer Frau hin-
abgestiegen ist, eilt der Ball auf hoher Brücke, den Blicken
unsichtbar wieder nach Osten. So erzählen die Massai.
So mag etwa die nächtliche Bahn der Toten entstanden
sein. Die Basuto nennen „jene Lichtgegend über ihren
Häuptern den Weg der Götter". Den Ga ist die Milch-
strasse die Heerstrasse der zur Gottheit wandernden Geister.
Nach Aschanti- Glauben ist sie entstanden aus dem vom
Körper der ins Jenseits eilenden und weiss bemalten Toten
gefallenen Thon. Den Loango -Negern ist die Milchstrasse
Umsila Zambi, der Weg des Gottes 0 ).
Die limkehrung der Anschauung: „Die Seele des
Toten folgt der Sonne über den Himmel hin ins Jenseits",
lautet: Die Menschen stammen von der Sonne ab; oder
„Die Menschen kommen vom Himmel."
So macht denn Obatalla das erste Menschen paar Oki-
kischi und Iffe, und schickt sie vom Himmel auf die Erde
hinab. Diese Anschauung der Yoruba kehrt in Kalabar
und bei den Madi wieder 7 ). Andererseits schafft Lisa, der
Sonnengot der Kwe, das erste Menschenpaar. In Unyoro
stammen die Menschen vom Chamaeleon (der Sonne) ab,
dessen Nachkommenschaft die Knie bevölkerte. Die
*) Baumann: „Massailand* S. 1SS. Livingstone: ..Missionsreisen*
Bd. I S. 259. Burton: „Dahonie" Bd. II S. 157.
") Baumann: r Massailand" S. 168. Bastian: „Allerlei" Bd. II.
Eniltz 8. 4M. Casalis bei Schneider S. 72. Steiner im „Globus* S. H5
u. 53. Bastian: „Loangoküste" Bd. II S. 229.
T ) Burton: „Abeokuta" Bd. I S. 18(i. Bastian: „Fetisch' S. 94.
Ratzel: „Völkerkunde* 1. Aufl. Bd. I 8. 178.
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— 318 —
Schwänze gingen verloren und die ursprünglich bleiche
Hautfarbe wurde unter der glühenden Sonne bald zu einer
dunklen 8 ). Endlich sind auch die bedeutsamen Merkmale
der totemistisehen Eanda der Damara zu erwähnen. Diese
Kasteneinteilung kommt vom „Winde" her. Das wichtigste
Geschlecht der Ovakneneyuwah (yuva heisst bei den Bantu
die Sonne) stammt von der Sonne her 9 ).
Wie vollständig in Afrika, dem Erdteile der niederen
Mythologie auch die Sonne in das Bereich der Todes-
Menschen Entstehungsmythen gezogen worden ist, mag am
besten aus den im 15. Kapitel besprochenen Mythen von
den schwarzen und weissen Menschen erkannt werden.
Aber auch die Vogelmythe hat schon zu den Beziehungen
von Seele und Sonne geführt. Die Anschauungen vom
Kampfe am Eingange zur Unterwelt wurden schon (im
1). Kapitel) berücksichtigt, so dass ich zu dem in vor-
liegenden Kapitel Dargestellten noch auf eine hübsche
Reihe von anderweitigen Aeusserungen der Anschauung
von der Seelen -Sonnen -Folge verweisen kann. Nur eine
wichtige westafrikanische Mythe will ich noch zergliedern,
aus der Entsprechendes zu ersehen ist, ehe ich zu der
Sonnenbahn im Speziellen übergehe.
Von der herrschenden Gottheit 10 ) sind Untergötter
über gewisse Länder, Menschen, Tiere, Kräuter, Fluss und
so weiter eingesetzt. Dieselben müssen ihrem Herrn jähr-
lich von der Führung ihres Amtes Rechenschaft ablegen.
Es geschieht das in einer allgemeinen Versammlung aller
Götter an dem Hofe des grossen Gottes. Wer seinem Amte
ein Genüge gethan hat, der wird von der grossen Gottheit
*) Ellis: „Ewe 4 8. 65. Emin Pascha 8. 91. Ratzel: „Völkerkunde 14
1. Aufl. Bd. 1 8. 470.
•) Merensky i. d. „Verh. d. Berl. Oos. f. Anthrop." 1892 S. 378.
Hahn: r Herero u S. 501 2. Galton 8. 79. Anderson Bd. 1 S. 237.
10 ) Oldendorp 8. 321/2.
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— 319 —
zur Bezeugung seines Wohlgefallens mit einen glüh ende it
Eisen in der Unsterblichkeit und in dem Amte eines-
Gottes auf ein Jahr bestätigt; welche aber dem bösen
Geiste zugelassen haben, ungerechte Kriege unter den
Nationen zu stiften, oder Pest, Feuerschaden und der-
gleichen in dem ihnen angesviesenen Gebiete wissentlich
haben vorkommen lassen, die werden ihres Amtes entsetzt
und werden sterblich. Aus Verzweiflung und Bosheit
sollen dergleichen abgesetzte Götter sich zu der Gottheit
des Uebels schlagen.
Es wäre eine interessante Arbeit einmal diesen r Mitt-
lern zwischen Gott und den Menschen" nachzuspüren, wie
sie von Cruikshank, Schlegel, Steiner und mehreren anderen,
so hier auch von Oldendorp dargestellt werden. Aber das
ist jetzt nicht unsere Sache. Auch ohne diese weist die
Mythe Zuge auf, die ihren Ursprung verraten. Die jähr-
liche Berufung ist als das jährliche Totenfest zu deuten,
wie es in Nord -Guinea in den meisten Bezirken gefeiert
wird. Durch das jährliche Totenfest werden die Seelen
aller in diesem Jahre gestorbenen in das Jenseits befördert.
Die, die nicht mit hinüber kommen, werden sterblich, das
heisst, sie irren auf der Erde umher, die andern werden
mit einem glühenden Eisen markiert. Dies glühende Eisen
ist die Sonne. Ich brauche nur auf analoge Anschauungen
in Oceanien zu verweisen (Kapitel 11); um es verständlich
zu macheu. Also auch hier folgen die Seelen der Gerechten
(siehe a. a. 0.: „Sitte und Sittlichkeit") der Sonne.
Die Bahn der Sonne und der Pfad der Toten nimmt
schon in der grossen kosmogonischen Mythe, oder wenigstens
in den uns erhaltenen Resten derselben bestimmte Formen
an. Eine Eisenkette ragt da aus der Grube, wo Schango
in die Tiefe gestiegen ist, auch hält sie der Sonnengott in
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— 320
der Unterwelt mit der Hand fest 11 ). Nach einer Version
der Schöpfungsmythe von den weissen und schwarzen
Menschen kam Gott dem Weissen zu Hülfe, Hess ein langes
Seil vom Himmel herunter und leitete ihn über das grosse
Wasser hiuüber. Dem Stricke begegnen wir in der Sonnen-
mythe der Ewe wieder. Viele Buschleute stellen sich die
scheinbare Bewegung der Sonne als einen fortgesetzten
Kampf um den Besitz der wärme- und lichtspendenden
Sonne eines starken Volkes im Westen mit einen weniger
starken im Osten, welche dieselbe mit daran befestigen Tau
zu sich ziehen, vor. Da die Leute im Westen stets be-
ginnen, aber wenn sie ermüdet denen im Osten nachgeben,
so wiederholt sich täglich die Prozedur von neuem 12 ).
In Oceanien trafen wir Strick, Kette, Baum und Spinnen-
faden. Der Baum kehrt in der Wakamba Mythe wieder.
Im Anfange verkehrte das ganze Firmament samt der
der Sonne friedlich auf Erden. Als aber eines Tages die
Sonne einer Adansonie zu nahe gekommen war und dieser
Baum dadurch verdorrte, entzündete sich ein Streit, der
zu einer Scheidung der Gestirne von der Erde führte 13 ).
Auf diesen Bindegliedern zwischen der Erde und dem
Himmel, die in einerseits als festgelegte Gestaltungen der
Sonnenbahn, andererseits vielleicht auch als Sonnenstrahlen
aufzufassen sind, gleiten nun die Toten ins Jenseits und
kamen der Umkehrung entsprechend, die Ahnen vom
Himmel herab.
Nach madegassischem Glauben steigen die Götter bis-
weilen an den silbernen Faden, der den Toteu als Himmels-
leiter dienen, herab. Eine Basuto Leichenklage lautet:
") Ellis: „Yoruba" 8. 51, 58.
,? ) Herold Bd. V 8. 143. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. 1
8. «19.
ls ) Hildebrandt 8. 387. Ratzel: „Völkerkunde 14 1. Aufl. Bd. 1
8. 173 4.
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— 321
Warum habe ich nicht Flügel um hinaufzufliegen?
Wenn ein starkes Seil vom Himmel herniederhinge, würde
ich mich daran klammern, würde ich hinauf klimmen,
würde ich steigen und dort wohnen! — An der Loango-
küste meint das Volk, die Seele des Toten werde an einem
Haken zu Zambi emporgezogen. Die Kitsch erzählen, im
Anfang hätten die Menschen im Himmel gewohnt. Einige
erregten nun Aergernis. Da sandte sie Gott an einem
langen goldenen Stricke zur Erde hinab. Die Gebesserten
klommen wieder empor. Ein blauer Vogel pickte an dem
Stricke bis er zerriss. Damit war die Verbindung mit dem
Himmel abgebrochen 1 *).
Eine merkwürdige Mythe, in der auch das Motiv der
Sonnenbahn eine hervorragende Rolle spielt, berichteten die
Watji: Als ihre Voreltern einst auf einem Berge standen,
hatten sie im Himmel sehr liebliche Klänge vernommen. Eine
Kette wäre darauf aus dem Himmel bis auf die Spitze des
Berges herabgelassen worden, an welcher einige himmlische
Menschen zu ihnen herabstiegen, die ihnen viel Schönes von
dem angenehmen Orte ihres bisherigen Aufenthaltes erzählt
und zugleich die Absicht geäussert hätten, bei ihnen zu bleiben,
wenn Friede und Einigkeit unter ihnen wäre; das Gegen-
teil sei ihnen abscheulich, denn sie seien Kinder des
Friedens. Darauf hätten ihre Ahnen ihnen zu verstehen
gegeben, dass sie es bei ihnen nicht nach Wunsch finden
würden, denn bei ihnen sei der Friede etwas seltenes.
Auf diese Nachricht hin hätten jene wieder ihren Abschied
genommen und wären an der Kette in den Himmel zurück-
gekehrt. Ihre Voreltern hätten ihnen mit Betrübnis nach-
geschaut. Bis jetzt habe man vergeblich auf ihre Wieder-
kunft gewartet.
") D'Unienville Bd. III S. 261. Casalis S. 256. Bastian : „Loango-
küste« Bd. II S. 223. Ratzel: „Völkerkunde" 2. Aufl. Bd. 11 8. 42.
Kaufmann 8. 125.
»
Frobentus, Weltanschauung der Naturvölker. 21
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— :tt2 —
Eine verwandte Mythe erzählen <lie Zulu. Zum
l'mkulunkulu, der auf Erden weilte, fuhr ein Wesen in
einer Wolke herab, gleich wie eiu Fels und weiss von
Gestalt. Die erschrockenen Menschen brachten ihm ein
Tieropfer dar. Die geheimnisvolle Erscheinung aber ass
nicht davon, sondern nur von dem, was sie selbst mit-
gebracht hatte. Sie weilte eine Zeitlang hier unten und
stieg dann in einer Wolke wieder empor. Dieser unbekannte
Fremde war Inkosi pezulu, der Herr im Himmel, geuannt.
Seine Gegenwart uud Macht offenbart sich im Gewitter 15 ).
Da diese Mythe von der Seelen-Sonnen-Folge in Afrika
ebenso verblichen ist wie jede andere höhere, so sind die
drei Mythen der Kitsch (Diuka), Watji und Amazulu auch
als Reste der einst herrschenden und weit verbreiteten
Mythe anzusehen. Das. was man einst als Schicksal aller
Toten annahm, ward als Erzählung eines einmaligen Er-
eignisses in die Vergangenheit verlegt, und mit anderen
Motiven der Weltanschauung vermischt,
Eine interessante Zerrform der Mythe besteht noch
in Karague. Der König Rumanika erzählte Speke: Jeder
Thronerbe setzt sich, ehe er seine Wurde antrete, an einer
bestimmten Stelle auf die Erde, worauf dieselbe sich grade
hier wie eine Säule erhebe und den darauf Sitzenden in
die Wolken trage. Sei er rechtmässig, so sinke sie laugsam
wieder herab; im entgegengesetzten Falle aber stürtze sie
zusammen und er zerschmettere 1 *). Es ist das gleiche
Motiv des Himmelspfades, aber es ist in eine andere
Gruppe von Anschauungen eingeschaltet worden.
Unter den Formen der Mythe, die als Erzählungen
eines einmaligen Ereignisses der fernen Vergangenheit noch
lebendig sind, erscheinen die, die man unter dem Namen
,Ä ) Oldendorp 8. 'MO. Schneider 8. HS nach Wangemann.
16 ) Speke S. 222. Ratzel: „Völkerkunde- 1. Aufl. Bd. I S. 471.
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- 3*23 -
„Mythen vom Turmbau zu Babel" zusammenfassen kann,
besonders interessant. Eine solche traf Livingstone an den
Victoriafällen an. Folgende Form wird fast gleich von den
Aschanti, Akuapim und Accra erzählt. Ich folge den
Akuapim. Diese Neger erzählen, ihre Vorfahren hätten
gesagt, sie wollten etwas unternehmen, um zu Nyankupong
hinauf zu gelangen. Zur Ausfuhrung dieses Planes stellten
sie alle ihre Fufu-Mörser aufeinander; es mangelte aber
noch einer, um bis oben hinauf zu reichen und doch hatten
sie keinen mehr. Nun wurden sie einig, den untersten,
auf dem alle übrigen ruhten, herauszuziehen und ihn zu
oberst zu stellen. Sie thaten es und siehe, die ganze
Schicht fiel über den Haufen, und beinahe wären sie davon
erschlagen worden, ein Schicksal, dem sie nur durch die
Flucht entgingen 17 ). Diese Sage ist um so interessanter,
als der Fufu-Mörser eine sehr bedeutende Stellung in der
Anschauung dieser Völker einnimmt. Als eine Frau nicht
Fufu stossen konnte, weil der Himmel zu nahe war, rückte
Nyankupong das Firmament in die Höhe. Nach anderer
Version stiess die Frau mit dem Mörser dem Gotte in das
Gesicht. Um die herannahenden feindlichen Heerestruppen
aufzuhalten, stellten die Dater als Schutzmittel ein paar
Holzstössel in den AVeg 18 ).
So deuten alle diese Mitteilungen nach „oben". Auch
die Ganga steigen nach oben, wenn sie Rat von den Gott-
heiten erhalten wollen 19 ). Aber auch als Brücke tritt die
Sonnenbahn auf. Einen solchen muhammedanisch an-
") Livingstone: r ,Missiousreise u Bd. II S. 186. Ratzel: „Völker-
kunde" l.Aufl. Bd. I S. 607. Barth: „Volkswagen" S. 466. Münd- ■
liehe Mitteilung von Paul Steiner. Fufu wird aus gestobenen
Yams bereitet.
,8 ) Rottmann S. 14. Barth: „Volkttaagen" S. 4656. Schneider
S. 34.
'») Cruickshank S. 238.
21*
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gehauchten Bericht der Akpotoneger will ich noch be-
rücksichtigen, dann aber von dieser weitausgehenden Razzia
in das Gebiet der ungeformten Seelen-Sonnen-Folge Mythen
zu Ketten, Stricken und Spinnenfäden zurückkehren.
Der Meinung der Akpoto-Neger zufolge führt von du*
Erde bis zum Eingang in das Jenseits eine ungeheure
Brücke (Dogokadaruka), die so lang ist. dass man, um sie
zu überschreiten, tausend Jahre (Duku sekaru) brauchte.
Sie führt über einen bodenlosen Abgrund und ist so schmal,
wie die Schneide eines Schwertes. Die wahren Gläubigen
allein sind berufen, sie zu überschreiten. Sie sind gewiss,
das Ziel zu erreichen; aber die Zeit, welche sie hierzu
brauchen, ist je nach der Art ihres irdischen Lebenswandels
verschieden. Manche müssen sie zu Fuss überschreiten;
ihre Reise wird, wie man sich denken kann, sehr lange
währen. Besser daran als sie sind diejenigen, welche sie
zu Pferde zurücklegen werden; sie laufen keine Gefahr,
kommen aber nur im Schritt vorwärts. Noch andere, den
ersten und zweiten an Heiligkeit überlegen, reiten über
die Brücke im Galopp; die wirklich Heiligen endlich ge-
langen im Fluge, d. h. inherhalb eines Zeitraumes, dessen
Länge dem Nichts entspricht, hinüber 20 ).
Tawhaki und der Gott Whinni (die Spinne) .tragen in
Neu-Seeland die Seele am Spinnenfaden in das Jenseits.
Der Spinnenfaden als Kommunikationsmittel zwischen den
Menschen und den Geistern spielt auch in Westafrika eine
grosse Rolle 21 ). Der Endoxe, d. h. der Geist, klettert
ebenfalls an einem Spinnenfaden zur Gottheit empor. Ich
halte daher die Mythe, nach der die Spinnengottheit
Anansie den Menschen erschaffen hat, für eine Umkehrung;
im Tode trug die Spinne die Seelen ins Jenseits — als
*°) Burdo S. 162.
") Bastian: „Loangokünte" Bd. II 8. 161, 268, 240.
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8-25 —
eine Todesgottheit offenbart sich Anansie in weitaus den
meisten Mythen — also schuf sie auch den Menschen.
Die Ableitung der Sonnenbahn lässt sich in Afrika
viel deutlicher verfolgen, als in Oceanien. Je tiefer man
die niederen Anschauaugen hinabsteigt, desto klarer und
vollständiger entrollt sich das Bild der Anschauung —
immer angenommen, dass es gelingt die grosse Menge
der dnrcheinder geschlungenen Fäden zu entwirren. Es
gehört eine geübte und vorsichtige Hand dazu; bei jedem
rauhen Angriff zerreissen die Stränge und die Arbeit ver-
doppelt sich.
Die Gbalo oder Sprecher der Ga verkehren nicht mit
den Geistern, sie setzen sich denn in ihrer runden Hütte
unter die Spitze des Daches. Von dieser herab hängt eine
Kette. An dieser rüttelt der Gbalo bis sich der Geist
herablässt, worauf er sich mit ihm unterredet. Römer
erzählt den besonders interessanten Fall , dass von der
Spitze des Daches ein Faden von Bast gehangen habe, der
einer Priesterin auf den Rücken gefallen sei; auf diesem
Wege kam der Geist hinab, ergriff die Priesterin d. h.
nahm Besitz von ihr und sprach durch ihren Mund. Im
Hause des Owu kletterte der Geist auf einer Leiter herab.
Kaurischnüre hängen auch von dem Symbol des .lagd-
gottes Oschusi u. s. w. 22 ).
Bedeutungsvoller für Sitten und Anschauungen wird
aber auf einem anderen Gebiete der Strick. In Aschanti
werden eine Reihe von Schnüren um Rat gefragt. In Ost-
afrika wird der einer Person ausgetriebene Geist in einen
Gegenstand gebannt, der um Brust, Arm, Kopf und so
weiter gebunden ist. Wenn ein Mann das Amulett des
Gottes Bo, eine Franze aus trockenen Palmblättern, um den
") Steinhauser S. 140. Römer 8. 56 - 58. Bastian: „ Fetisch" 8. 42.
Bohner S. 239. Hoff mann S. 270.
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- :m\ —
Hals trägt, schützt ihn dies vor allem Zauber und er kann
auch wenn er gefangen wird, nicht getötet werden 23 ).
Doch lässt sich das, worauf diese Anschauungen sich
aufbauen, noch klarer aus folgendem erkennen. r Lobo u
hcissen gewisse Amulettringe der Isubu, die die Eigen-
schaft haben, den Träger mit gewissen Geistern in Be-
ziehung zu bringen. Eine weisse Korallenkette, die die
Okomfu ((ianga) um den Hals tragen, dient dem Zweck,
dass die Gottheit in sie hinabsteige 24 ). Damit ist
ein ausserordentlich wichtiges Rindeglied, das in Oceanien
fehlte und mühsam ergänzt werden musste. gewonnen.
Dadurch wird nämlich vor allen Dingen der Trauerstrick
verständlich. Der Ueberlebende will mit dem Toten noch
in Beziehung bleiben und in dem Strick, den der Trauernde
um Hals oder Lenden trägt, ist ein Kommunikationsmittel
geboten. Betrachten wir die Verbreitung des Trauerstricks
in Afrika.
Ein Hauptteil der Trauertracht besteht bei Bullom
und Temne in einem Halsbande von 3—4 Schnüren weissen
Kauris. Wenn sie zu Hause bleiben, tragen sie anstatt
") Bowdieh: „Mission* 8.483. Burton: „Lake Region* Bd. 11
8. 352/». Burton: „Yoruba - Bd. II 8. 79.
s *) Burton: „Abeokuta* Bd. II 8. H3. 8teiner im „Globus" 8.300.
Wichtig ist auch folgendes: Wenn es sich darum handelt, einen
Todesfall zu erkunden, so ist unter vieleu anderen Mythoden folgende,
welche in Bonguela üblich ist, bemerkenswert^Man bindet dem
Toten eine Ferlsehnur um die 8tirn und nun fragbihn der Oanga,
ob er selbst ausgehen wolle, den Schuldigen zu finden. Fällt die
Antwort durch jenes Mund bejahend aus, so tragen die Verwandten
die Leichen in einer Hängematte im Dorfe und in den umliegenden
Ortschaften umher, bis »ie vor einer Hütte stehen bleiben und er-
klären, der Tote halte nie hier fest und lasse sie nicht weiter, da
hier der Morder zu finden seilte. — Falkenstein 8. 215 (>. — An
dieser Form der Leiehenbefragong, die der gewöhnlichen im allge-
meinen vollständig entspricht, ist das Umbinden der Perlkette wichtig-
Der (ieist soll sich an ihr in den toten Leib herablassen.
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827
der Kauris eben so viele schwarze Samenkörner von einem
gewissen Baume, der dem Bananen bäume sehr ahnlich
sieht und von dem Bullom Pukkollo, von denTemne Oppollo
genannt wird. Wenn sie hingegen in einen andern Ort
gehen, müssen sie die Kauris allemal anthun. Die Trauer-
halsbänder der Kinder bestehen aus den Samenkörnern des
Pokkolo, die mit Kauris untermischt sind. Andere er-
wählen Palmstränge um Brust und Nacken statt der Kauri-
und Samenketten. Interessant ist, dass bei diesen Völkern
die Männer, die das Grab graben, ein Fialsband von
Kauris tragen. — In Liberia gilt als Zeichen der Trauer
ein tingerdicker Ring von Stroh, bei den Vey „banga" ge-
nannt, der ineist um den Kopf, bei den Frauen auch wohl
um den Hals getragen wird 23 ).
Clappertons Wirtin, eine Witwe, in Wawa trug einen
Strick um den Kopf, einen anderen um den Hals, noch einen
um den Leib, bis die Trauerzeit verflossen sei oder sie einen
anderen Mann gefunden habe. Im östlichen Sudan ist der
um den Hals gelegte Trauerstrick der Dinka als das nord-
östlichste Vorkommen unter den diese Sitte übenden
Negervölkern bemerkenswert. Auch die A-Barmbo-Frauen
geben ihrer Trauer über den Verlust ihres Herrn und Ge-
bieters durch das Tragen eines mehrfach um den Hals
gewundenen dicken Bastringes Ausdruck 2Ö ).
») Mattheus 8.102.3. Winterbottern S. 305, 304. Bürtikofer
Bd. 11 S. 324.
■*) Clapperton S. 123. Junker Bd. II 8. 514. Schweinfurth S. 43.
Nach Yaundesitte tragen die Frauen eines Verstorbenen einen langen,
aus zerschlitzten Pisangblftttern gefertigten Hinternschmuck, einen
gleichen, jedoch weniger dicken über die Scham. Zenker S. 09.
Morgan S. 188. Barth: „Reisen" Bd. II S. 644 und a.a.O. Als
Zeichen der Trauer binden sich die Marawi ein zwei Finger breites
Stück weissen Tuches oder in Ermangelung dessen ein trockenes
Palmblatt oder Strohgeflecht um die Stirn, die nächsten Verwandten
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— 328 —
Auch im Congobeeken kommt der Trauerstrick vor,
doch sind zur Zeit die näheren Angaben nicht feststellbar.
Bei den Betschuanen tragen trauernde Angehörige eiserne
Halsketten statt der kupfernen und Witwen und Waisen
eine Schnur um dem Kopf. Das Trauercostüm der Damara
besteht aus einen um den Hals geschlungenen Riemen, an
dessen beiden Enden kleine Stückchen Strausseneierschalen
befestigt sind 27 ).
Die Trauersitte der Hottentotten, ein Schaf netz strick-
artig um den Hals zu binden, erinnert an Gebräuche der
Galla. Will bei diesen der Kalidscha einen Kranken heilen,
d. h. einen bösen Geist aus ihm austreiben, so hängt er
sich vor dem Beginn der Ceremonien getrocknete Ein-
geweide von Ziegen um den Hals 28 ).
Der Strick oder die Perlkette, an der ein Geist in
den Menschen hinabsteigt, hat sich nun nach mehreren
Seiten im Cultus eine hervorragende Stelle erobert. Nicht
nur als Trauerstrick, sondern auch als Priesterabzeichen
kehrt die Geisterschnur wieder.
In Dahome sind die Priester und Priesterinnen durch
verschieden zusammengesetzte Ketten gekennzeichnet. Die
Priesterinnen Mau's tragen lange Halsschnüre, an denen
ein Paar Kauris immer mit schwarzen Samenkörnern ab-
wechseln. Die Priester Nesus, des Gottes der Herrscher-
familie sind durch Arm- und Nackengehänge von Kauris,
die durch rote und schwarze Samenkörner getrennt sind,
aber als Zeichen grösserer Trauer einen Streifen desselben Zeuges
um die "Weichen. Gamitto a. a. O. S. 286 7.
I7 ) Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I S. 300. Hahn: „Herero*
8. 494. Anderson Bd. I S. 243. Witwen der Waregga trauern um
ihre Gatten durch ein Schwarzmalen des Gesichtes, „fügen ausser-
dem noch um die Stirn gewundene Bäuder van dürren Bananen-
blüttern hinzu. 44 Stanley: „Durch d. dunkeln Weltteil" Bd. II S. 128.
2 *) Kolb S. 195. Krapf Bd. I S. 99.
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— 329 —
ausgezeichnet 29 ). Die Frauen Lissas, des Sonnengottes,
tragen lange Schnure von weissen und schwarzen Perlen
und die des Mondgottes Gleti solche von Kauris 30 ).
Dso und Bo scheinen auch in dieser Beziehung ver-
wandt. Der eine ist der Gott des Feuers, der andere der
des Krieges. Die Verehrer des ersteren tragen die Dso-
vodu oder Dso-sesa genannten Amulette. Auch sind sie in
ihreu Häusern aufgehangen. Die Arm- und Halsringe be-
stehen aus einem Stricke von geflochtenem Baste, der mit
roter Erde beschmiert ist und an dem Perlen oder kleine
Steinchen befestigst sind. Die Amulette für Haus und
Geräte sind einfache Grasstricke; sie sind ebenfalls rot
und in Abständen mit trockenen Blättern versehen. Die
Gottheit soll die so Gekennzeichneten und deren derartig
geheiligtes Eigentum schützen. Der Träger und Besitzer
giebt sich durch solche Merkmale als getreuer Diener des
Dso kund 31 ).
Bo wird naturgemäss besonders von Kriegern verehrt,
die ihm zu Ehren Pferdeschwänze und Stränge von Kauris
tragen. Ausserdem stellt eine Franze von getrockneten
Palmblättern, Azan genannt, um eine Person oder Sache
gebunden, unter Bo's speciellen Schutz. Ein so geschützter
Mann kauu im Kriege kein Leid erfahren und als Ge-
fangener nicht getötet werden. Bo schützt auch diese ihm
getreuen Krieger vor Zauber 32 ).
Am entwickeltsten tritt aber der Brauch in Abeokuta
auf. Die meisten Bewohner der Stadt tragen Perlen von
verschiedener Grösse und Farbe, die die besondere Ver-
ehrung bezeichnen. Nackenschnüre von grossen viel-
J ") Skerchley S. 473. Burton: „Dahome" Bd. II S. 154. Ellis:
,Ewe« 8. 67.
ao ) Ellis: „Ewe" S. 65 und 66.
81 ) Schlegel S. XV. Ellis: „Ewc* S. 47. Skerchley S. 471.
") Burton: „Dahome" Bd. II S. 144. Ellis: „Ewe u 8. 68 und 69.
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farbigen Perlen, unter denen drei besonders gross sind,
zeigen die Diener der Ymaya, der (iöttin der Bäche und
►Ströme an. Völlig weisse Perlen werden von den An-
betern Obatala's, schwarz und weisse, die mit roten ab-
wechseln vou den Verehrern Schango's getragen. Weisse
kleine indische Kauris sind die Ornamente von kleinen
Gottheiten und werden als solche von den Dienern des
Gottes Buruku 33 ) und der Göttin Amanlu 34 ) als Schmuck
verwendet. Die Anbeter Ifas 33 ), die Palmnus-Priester ge-
nannt werden, sind durch das Tragen an Fasern aufgereihter
Palmennüsse gekennzeichnet. Armbänder von Erz und
alle Ornamente derselben Art sind Symptome der Ver-
ehrer des weiblichen Stromgottes Oschun. Schlangenanbeter
und nach anderen auch die dem Ogun- Flusse Dienenden
haben einen Eisenriug um den linken Arm 36 ).
Aber auch ausserhalb der Kwe- und Yoruba Provinz
treffen wir diese Priesterabzeichen. Die ßrafo, priester-
liche Henkersknechte der Fanti — sind durch Eisen ketten
ausgezeichnet 37 ). Das Amtszeichen des Bodio, des hohen
Priesters der Kru — ist ein um den Knöchel getragener
King, der mit derselben Verehrung und Wurde betrachtet
wird, wie die älteste Krone in Europa. Der Verlust
dieses Würdezeichens wurde einer grossen Schmach gleich
kommen. Dem Udum — Priester der Kramanti — wird bei
39 ) Buruku verursacht Ohnmaehtsaufälle und tötet durch die
Pocken.
'*) Die Göttin Amanta tötet ohne "Waffen.
") Ifa ist der Gott der PalumuHorakel. Vergl. EUis: „Yoruba 4 *
S. 56 ff.
»■•) Burton: „Abeokuta 44 Bd. I 8. 107. Ellis: „Yoruba" S. 39.
S7 ) „West African Sketches" 8. 4C>. Hie tanzenden Krieger Asehan-
tis hielten zwischen den Zähnen eine lange eiserne Kette, an deren
Knde ein Stück Papier mit Schriftzeichen befestigt war. Bowdieh:
„Mission" S. äO.
Digitized by
— 331 —
•
der Weihe seiner Würde und seines Amtes eine Schnur
mit geweihten Sachen um den Hals gehangen 38 ).
Ich will nur noch auf den eisernen Zickzackring am
Anne der Priester Kheviosos — des Blitzgottes als einer
besonders interessanten Abwandlung hingewiesen haben 39 ),
und mich jetzt in einem eigenen Abschnitt der üppigen
Fülle der Strick- und Ring-Amulette zuwenden.
Zunächst verdient erwähnt zu werden, dass nicht alle
die Ketten und Ringe, die in Afrika angetroffen werden,
dem Cultus angehören. Sie sind auch Hoheitszeichen welt-
licher Art geworden. Das Abzeichen der Jamwo -Würde
ist ein Ring aus Elephantenhaut 40 ). Als Hoheitszeichen
der Wassumbwa gilt ein Armband aus Schlangenhaut am
rechten Handgelenk. Den ersten Rang nach dem Herrscher
nehmen in Benin drei Männer ein, die den König stets
begleiten. Als Zeichen ihrer hohen Stellung schenkt ihnen
der Monarch eine Korallenkette, die sie stets um den
Nacken tragen müssen. Dieselbe ist ungemein wertvoll
* 8 ) Wilson: «West-Afrika* 8.93. Oldendorp S. 329.
*") Sehlegel S. XV. Ellis: „Ewe* 8. 38. Steiner im „Globu*«
S. 134.
40 ) Der Ring heisst „Lukann" und besteht aus einer Kupftr-
spange, „die ganz dick mit Sehnen des Elepfanten, oder auch mit
der Haut dieses Tieres überzogen ist, ho dass er einer Wurst gleicht."
Pogge S. 225. — Die Ceremonie, die dem Nachfolger eines Cazembe
den Thron sichert, wird von Gamitto folgendermassen beschrieben:
Der Thronerbe knieet zu den Füssen des Toten nieder, umfasst mit
seiner rechten Hand die Rechte des Toten und streift mit der Linken
vom Arme des letzteren einen ' , Zoll dicken, mit Schlangenhnut
überzogenen Armring auf seinen eigenen Arm über, so dass der
Ring keinen Augenblick vom Arm des Toten oder dem seines Nach-
folgers entfernt ist. Dieser Ring ist das Zeichen der königlichen
Gewalt und unzertrennlich vom Arme des Herrschers. — Gamitto
in der Ztsehr. f. allg. Erdkunde Hd. VI, Berlin 1850, S. 400-101.
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— 332 —
und die Trager müssen ihrer wohl achten 41 ). Eine An-
deutung, auf welchem Wege wir die Deutung dieser Sitten
zu suchen haben, giebt die Beschreibung des Gebrauches, den
die Wakamka üben, ehe ein Mann in den „Kambi" d. h. die
gesetzgebende Körperschaft aufgenommen wird.
Der Hauptteil der Zeremonien besteht in dem Anlegen
der „luho u oder „uvo u . Dies ist ein Ring aus dem Horn
oder der Haut des Rinoceroses. Er ist ein Zeichen der
Kambi -Würde. Sein Platz ist am Oberarm; zunächst aber
wird er um das Handgelenk gelegt und der Kandidat muss
Schenkungen machen, bei deren jeder der Ring etwas nach
oben rückt, bis er endlich, gleichzeitig mit der Verarmung
des Prätendenten an seinem Platze angelangt ist* 2 ).
Der Name r luho a oder „uvo u erinnert zuerst an die r lobo w
der Isubu. Dieses sind die Ringe, deren Tragen den Verkehr
mit den Geistern anbahnt. Andererseits versetzt der Brauch
und diese Namensverwandtschaft uns in die Geheimbund-
sitten, in Vergeistigungsgebräuche, denen wir nun im Be-
zirke der heiligen Ringe, Ketten-, Stricke nachspüren wollen.
Nach allem schon früher Besprochenen kann die Beziehung
Verwunderung nicht erregen, denn dass die Herrscher
ebenfalls häufig die Vergeistigungszereraonien durchmachen
müssen, ehe sie ihres Amtes walten können, ward schon
früher erörtert.
Den Anknüpfungspunkt bietet eine Sitte der Nquiti-
Se!<te im Mussorongho- Lande. Diese versammelte sich
zu nächtlichen Tänzen in den Wäldern und Hess den
einzuweihenden Kandidaten über einen geweihten Strick
schreiten, um ihn nach seinem Tode wieder erwecken zu
können * 3 ).
Die Geheimbundsitten sind auf das Vergeistigungs-
41 ) Götzen S. 81. „Westafrican Sketches- S. 74.
* 2 ) New S. 109 10.
*") Bastiaa: „San Salvador* S. 202 nach Cavazzi.
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— 333 -
motiv zurückzuführen. Während der Aufuahmezeit stirbt
der Mensch infolge der streng gehaltenen Verbote, Nahrung
zu sich zu nehmen. Durch das Einhalten aber gewinnt
er aber auch die Kraft der Geister, so dass er nach seiner
Wiederbelebung im Besitze der Geistergewalt ist. Darauf
zielt auch die Sitte der Nquiti hin. Der geweihte Strick,
über den der Kandidat springen muss, ist der Geisterpfad,
mittelst dessen er auch nach seiner Vergeistigung zurück-
kehren kann.
Da durch die Vergeistigung auch eine Beziehung zu
den Toten angeknüpft werden kann und von diesen alles
erwartet werden darf und verlangt wird, so sprosst in
diesen Ideenkreis eingeschaltet, das Motiv des Geisterstrickes
und Geisterringes üppig, nach allen Seiten Wurzel schlagend.
Eine kleine Anthologie entsprechenden Sitten mag das er-
läutern.
Die Madagassen, die etwas von der Gottheit erreichen
wollen, tragen gewöhnlich während sie opfern, Stränge
von Perlen von verschiedenen Farben um Nacken und
Handgelenk **). In Loango wird, so sich jemand einem
Mokisso weiht, ein Ring um den Arm gelegt. Sie schwören
auch bei diesem Ringe; falls ein Ausspruch nicht wahr
sei. soll eben dieser Mokisso sie strafen. Wer sich dem
Mokisso Moanzi ergiebt, trägt einen Kupferring und darf
nicht Kola essen, pjne andere Quixille — Quixille sind
Gebote und Verbote, die von den Mokissos auferlegt werden
— lautet, dass der Geweihte eines Mokisso statt einer
Mütze eine Schnur um den Kopf tragen muss. Auch bei
**) Ellis: „Hist. of Mad." Bd. 1 8. 435. Als Ramahavaly ver-
brannt wurde, wurden gleichzeitig 9 grosse hölzerne Kasten, in
denen sich verschiedene Zauber, die als Stirnbinden, Halsketten und
Armringe gotragen wurden, und die damit Geschmückten in der
Schlacht beschützen sollten, vernichtet. Sibree S. 337. lieber Rama-
havaly Kap. 4.
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— 334 —
deu Mandiugo legen die, die ein Gelübde auf .sich ge-
nommen haben, einen eisernen King um den Arm 45 ).
Auch um den Malassie hat sich in Loango ein Orden
gebildet. Dieser Mokisso ergreift den in seinem Tempel
auf einem Stuhle seiner Harrenden. Die Kandidaten machen
eine Zeit der Enthaltungen durch. Als Erkennungszeichen
tragen die Mitglieder den Sase genannten Ring, der aus
einem Eisenstreifen mit anhängender Frucht besteht und
die Nahrung von Wild- und Ziegenfleisch seinen Trägern
verbietet, dagegen ihnen seinen Schutz verleiht. Der Ring,
der als Figur 4 auf beifolgender Tafel III („Geisterschnüre
der Tschi") abgezeichnet ist, hat folgende Bedeutung: Er
übt eine beschützende Macht auf seinen Träger aus, wenn
die Gesetze beobachtet werden. Diese lauten: Des Morgens
früh muss sofort in den Ring gebissen werden 46 ). Dadurch
wird der betreffende Verehrer vor allem Bösen beschützt.
Spricht aber der Besitzer mit jemand oder kehrt eine
Frau im Hause oder Hofe, oder niesst jemand, so dass
der Besitzer es hört, bevor er in den Ring gebissen hat,
so ist das Gesetz übertreten und er darf nichts essen vor
Sonnenuntergang. Trinken darf er dagegen so viel er will.
Der Ring wird am linken Damnen getragen. Trinkt der
Verehrer irgend etwas, so bekommt das Amulett auch
davon, d. Ii. es wird etwas bespritzt 47 ).
Es gehen also infolge der Enthaltungsgebote auf
dem Wege des Ringes, der Kette etc., des G eiste rstriekes
besondere Fähigkeiten auf den Träger über. Es mag auch
oftmals die Kraft in das Amulett übertragen werden, so
4S ) Dapper S. 532 u. 537. „Allg. Hist. d. R." Bd. III 8. 241.
4 ") Das „Beissen 44 erinnert an das in Kap. 11 Gesagte. Sieherlich
ist aueh hier ein Uebergehen eines Geistes in den Träger mit der
Handlung ursprünglich bezweckt.
* ) Bastian : „Luangoktiste" Bd. II S. 1S3. Mitteilung von Missionar
Martin.
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r
— 335 —
dass es selbst thatkräftig wird. Ich glaube aber, dass
oftmals die dazu gehörigen Enthaltungsgebote übersehen
sind. Letzteres ist nun allerdings bei einem so trefflichen
Beobachter wie Bastian nicht anzunehmen, weshalb für die
nächste Angabe der erste Fall in Betracht kommt.
Es werden unter den Mussorongho Leute angetroffen,
die durch ein am Oberarm getragenes Strickamulett die
Fähigkeit erhalten, sich in Krokodile zu verwandeln. Sie
ergreifen den Menschen, den sie unter das Wasser schleppen,
um ihn zu ersticken, und wenn sie mit ihnen an die Ober-
fläche des Wassers zurückkommen, beleben sie die Ge-
storbenen wieder, um sie an einer anderen Stelle aufs
Neue zu ertränken. Wird deshalb beim Baden an jemandes
Arm das Strickamulett bemerkt, so ersehlagen ihn die
Anwesenden und werfen ihn ins Wasser 48 ).
Eine andere Gruppe von Amuletten repräsentiert die
Variationen des Motives auf dem Gebiete der Krankheits-
zauberei. Unsere Figur 5, ein Amulett der Tschi, wird,
wenn jemand krank ist und die Krankheit von ange-
schiedenen Geistern verursacht wird, um den Kopf gebunden
und die Perlenschnüre werden hinter dem Ohre befestigt
oder auch einfach über die Finger hereingezogen. Dadurch
kann der abgeschiedene Geist den Kranken nicht mehr
töten und das Amulett lässt den Kranken wieder gesund
werden. — Ist - nach Anschauung der Accra — die Ursache
eiuer Krankheit, dass zuviel über den Kranken geschwatzt
wird ,s<> wird eine kleine Henne gebracht, der Kranke damit
bestrichen, dann der Henne der Bauch aufgerissen, die drei
gewöhnlichen Lebensmittel : Salz, Pfeffer und Palmöl hinein-
gethan, worauf sie vor dem Dorfe mit kleinen Pflöcken
in den Boden gespiesst wird. Dem Kranken wird dazu
eine heilige Schnur um die Hand gebunden 49 ). Ein Ring,
* 8 ) Bastian: Loangoküste- Bd. II 8. 248 9.
**) Mitteilung von Missionar Martin; Steiner im „Tagebuch*.
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— 33« —
der um den Arm des Kranken vom Ganga gebunden wird,
mag, wenn die Krankheit auf Bruch der Quixille zurück-
zufuhren ist, in Zukunft vor dem Kuckfall sichern. Ausser-
dem ist der halbgeöffnete Eisenring des Bulunga und eine
Umwickelung mit der Faser eines heiligen Baumes an der
Loangoküste als Schutzmittel gegen Krankheiten bekannt 50 ).
Bei den Hottentotten ist auf den Brauch des „Anders-
machens" hinzuweisen. Es wird dem Kranken das in Strick-
form zusammengedrehte Netz eines Schafes um Hals und
Schultern gelegt. Der Kalidscha der Galla hängt sich vor
Beginn der Zeremonien, mittelst deren er dem Kranken
einen bösen Geist austreibt, die getrockneten Eingeweide
einer Ziege um den Hals 51 ).
Diesen Gebräuchen und Anschauungen, die ich hier
nur zusammenstelle, um ein Bild ihrer Verbreitung und
Häufigkeit zu bieten, liegt insgesamt das gleiche — aller-
dings oft unbewusste — Motiv zu Grunde, das in folgenden
Hauptzügen sich bewegt. Entweder es soll ein Geist in
den Träger des Geisterstrickes einziehen, der ihn vor allen
fremden Einflüsseu schütze. Oder es soll ein ungebetener
Gast abziehen. Endlich wird der Geisterstrick auch zum
eigentlichen Schutzamulette, d. h. ohne sich weiter darüber
klar zu werden, dass eigentlich der Strick nur der Weg
ist, auf dem ein Geist ein oder auszieht wird der Strick
zu dem selbstkräftigen Amulette. Als solches ist es mit
Leichtigkeit in den Bastringen zu erkennen, die west-
afrikanische Mütter ihren Kindern um Lenden, Hals und
Arme binden 52 ).
Diese Geisterstricke treffen wir nun überall. An der
Küste trägt jeder irgend welche Amulette, während die
R0 ) Bastian: „Loangoküste" Bd. II S. 163, 165, 166.
»M Krayf Bd. I 8. 99. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I S. 103.
**) „Aus allen Weltteilen" 1896 S. 294. Wilson: „Westafrika-'
S. 261. Des Marchais Bd. I 8. 283.
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- 337 -
annereu Neger des Innern oft schon zufrieden sind, wenn
sie einen Bindfaden über die Waden gebunden haben.
Manchmal ist dieser letztere ein Matebbe, der, wie ins
Haar gesteckte Federn, unverwundbar macht. Bei den
Kru-Negern sieht man die Wadenschnüre fast konstant.
Die katholischen Missionare waren für einige Zeit sehr
stolz darauf, diesen Zweig des „Fetischdienstes" gründlich
ausgerottet zu haben dadurch, dass auf ihren Befehl die
Stricke fortan nur von Palm blättern, die am Palmsonn-
tagen geweiht waren, gemacht werden dürften 53 ).
Mit dieser Entwickelungsdarstellung werden alle die
Ring- und Strickamulette verständlich, die sonst noch aus
dem Bereiche der Mandingo 3 *), Accra, Kado (im Haussa-
gebiet), Loango, Bakongo 55 ), Uganda, A-Lur, Wanika 56 ),
auch der exportierten Maroni- und Surinam-Neger 57 )
stammen und die nur leichte, meist unklare Spielformen
des gleichen Motives sind.
Erwähnenswert sind noch die Thoramulette, lieber
den Weg am Eingange eines Loaugodorfes ist oftmals ein
Thorweg — aus Holzstücken oder Bambus — mit herab-
hängenden und im Winde flatternden Fransen aus Binsen
oder Schilf, um die Behausungen gegen bösen Einfluss zu
schützen, überspannt. Noch deutlicher wird es, wenn statt
den Fransen mehrere Ringe aneinander herabhängen über
einen Thorweg, der im Hintergrunde zu einer Geisterhütte
M ) Bastian: „San Salvador" S. 79/80. Nach ihm Sehultze S. 101/2.
**) Gray and Dochard S. 49. Httttikofer Bd. II S. 226.
B5 ) Steiner im „Globu«» S. 299. Rohlfs Bd. II S. 178/9. Bastian:
„Loangoküste* Bd. II S. 222, 241. Cavazzi Bd. I S. 370.
5 «) Speke S. 253, Taf. III, Fig. 9. Stuhlmanu S. 518. New 8. 106.
Krapf Bd. I S. 418.
") Creveaux S. 40. Spitzly i. d. „Verh. d. Beil. Ges. f. Anthrop."
1889 S. 213, mit Abbildgn.
Frobcnius, Weltanschauung der Naturvölker. 22
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— 338 —
führt, wie das Büchner bei Ratzel abbildet 58 ). Diese ge-
weihten Gegenstände über den Wegen, die in Guinea als
Weihefäden, in Aschanti als Opfertiere, in Ostafrika als
Amulette etc. 59 ) hängen, stellen in primärer Anschauung
den Pfad der Geister dar, die hier als Schützlinge einer
Behausung, eines Heiligtumes oder eines Dorfes weilen
mögen.
Zum Schlüsse des Abschnittes gebe ich noch, um ein
Bild der Vielseitigkeit dieses Motive» zu bieten, die Er-
läuterung der Tafelfiguren 60 ), von denen Fig. 4 und 5
schon erwähnt ist, Fig. 2 weiter unten besprochen werden
soll. Es wird einem jeden leicht werden, die verwandt-
schaftlichen Beziehungen aufzufinden.
Fig. 1. Nkrabea = Schicksals- Amulett. Wenn «las
Schicksal, mit dem jemand in die Welt gekommen ist,
nicht gut ist, so ist dieses Amulett imstande, es zum Besten
zu wenden.
Fig. 3. Das eiserne Kettchen kann zu jedem belie-
bigen Amulett gefügt werden. Geht jemand irgend wohin
und er hat dieses Kettchen bei sich, so hat er dieselbe
Kraft, wie das Amulett selbst.
Fig. (5. Sisi- Amulett. (Unter Sisi verstehen die Tschi
den unteren Teil des Rückens, von einer Lende bis zur
anderen.)
Wenn jemand das sisi wehe thut, — und das kommt
bei den Negern sehr oft vor, — so bindet er sich dieses
Amulett um die Lende; dann muss der Schmerz weichen. —
58 ) Bastian: „Loangoküste" Bd. I S. 202. Ratzel: „Völkerkunde*
1. Aufl. Bd. I Einleitung S. 35. Siehe auch Stanley: „Livingstone*
Bd. I S. 169 Nr. 1.
Si ) Monrad S. 50. Bowdich: „Mission 14 S. 49. Bastian: „Allerlei 11
Bd. II S. LV. Dapper S. 537. Bastian: „Loangoküste" Bd. I S. 54.
Stuhlmann S. 188, 513, 719.
■°) Nach Angaben des Missionars Martin.
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— 339 —
Sieht er nun jemand auf dem Stil der Haue sitzen, so
wird der betreffende andere die Krankheit, gegen die er
das Amulett eben tragt, bekommen und er selbst ist frei
von Schmerzen.
Fig. 7. Gynapaw-Amulett. Tragt jemand dieses Amu-
lett und er giebt in einem Strik einen anderen einen
Stoss an den Kopf, oder auf die Brust, so giebt es eine
Geschwulst, die aufbricht, oder aber der Geschlagene fällt
sofort auf den Boden. Ist dies der Fall, so ist der Liegende
besiegt und darf nichts weiter thuen.
Fig. 8. Frauen- Amulett. (Dasselbe ist in der Rich-
tung des Pfeiles verschiebbar.) Es wird angewendet zur
Verhütung von Frühgeburten und um die Hüften getragen.
Angezogen wird es von unten herauf nach oben, ausge-
zogen nach oben über den Kopf. Wer es umgekehrt
macht, hat die Bestimmung übertreten und die Folgen zu
tragen.
So wuchert ein einmal dem alltäglichen Leben mit
der Fülle der Bedürfnisse anheimgefallenes Motiv bis ins
Unentwirrbare.
Der Strick, an dem die Geister in das Jenseits ge-
langen 61 ) wird zu dem Wege, auf dem Belebung geschaffen
wird, führen. Es ist dies das gleiche Motiv, welches sich
in dieser Form nach dem Gesetze der Umkehrung äussert.
Kinderlose Eltern lassen sich in Accra auf folgende
Weise heiligen und Kindersegen verschaffen. Sie müssen
sich mit dem Weih-Wasser, das im Tempel in einem grossen
Topfe sich befindet, waschen. Der Wulamo flicht aus
dünnen Schlingflanzen einen Kranz und legt ihn in eine
grosse hölzerne Schüssel. Erst wird nunmehr mit der
M ) So (in Liberia) auch die Bitten an Verstorbene, indem eine
„sarata" genannte Schnur aus weissen Glasperlen unter Gebeten auf
den Weg gelegt wird. Büttikofer Bd. II S. 325.
22*
!
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— 340 —
*
heiligen hölzernen Schöpfkelle heiliges Wasser über das
Ehepaar gegossen, dann über den Kranz in der Schüssel.
Der Wulamo weiht dann noch das Wasser in letzterer,
indem er sich Stirn, Brust und Schultern damit wäscht,
sodass das Wasser in das Holzbecken zurückläuft. Dann
wäscht sich das Ehepaar mit dem geweihten Wasser, welches
aus der Schussel ausgegossen wird, so dass es auf der
Erde gegen sie läuft. Der Kranz wird nun entwirrt, und
mit den einzelnen Ranken der Schlingpflanze Hals, Hände
und Füsse der beiden bekränzt, die darauf noch mit der
heiligen weissen Farbe bestrichen werden 62 ).
Der Sinn ist nicht schwer zu verstehen. Vom
Priester geht die belebende Kraft aus, die die Ranken
dann absorbieren. Die Ranken leiten in das betende Paar
den Kindersegen. Auf gleiche Weise siud vielleicht auch
die Elfeiibeinringe, die Ehepaare am Niger tragen, zu deuten.
Sicherlich hängen mit diesen Ideen aber die Ringe zu-
sammen, die schwangere Frauen in Akkra anlegen, so
wie die Schnur, die wir in Fig. 8. unserer Tafel abgebildet
haben (siehe oben), nur ist das Motiv bei diesen durch
Nebenbedeutungen unklar geworden * 8 ).
Auch den jungen Mädchen, die in den Jevhe auf-
genommen werden, wird der Kopf mit einer mehrfachen
Baumwollenschuur umwunden. So mag der Geist des
Bundes in sie ubergehen. In Accra wird der, der den
Bastbart der Besessenheit erregenden Trommel erfasst, zum
Tanze gezwungen, selbst, wenn es ein alter Mann ist 64 ).
t2 ) Steiner im „Tagebuch".
") Uurdo S. 110 1. Isert S. 193/4.
■*) Spieht S. 76. Römer S. 52 3. Manche Aeeraneger lausen sich
vom Ganga einen Topf mit geweihtem Wasser vor die Thür stellen,
mit dem sie sich jeden Morgen besprengen oder ihr Angesicht
waschen. Viele haben über demselben einen Strang oder Büschel
Palmbast hangen, den sie jeden Morgen einige Male durch die
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— Ml —
Um alle Parallelen zu den ozeanischen Anschauungen
und Sitten zu ziehen, gilt es noch die Schlingen und die
Zeremonien des Geisterfanges in Afrika aufzusuchen.
Wenn ein Accra-Neger den Thäter eines Diebstahls
nicht herausbekommen kann, so lässt er „die Seele des
Diebes binden" und stellt sie so der Ahndung der Geister
anheim. Das kann natürlich nur mit Hilfe des Ganga
und dessen geheimnisvollen Beziehungen geschehen. Dieser
giebt dem Bestohlenen zwei Messern ähnliche Hölzer,
zwei Zipfel Zeug, in welche geriebene Stoffe wie Erde,
faules Holz etc. eingebunden sind und an die je eine grosse
Kuri-Muschel befestigt ist. Zu diesem muss der Bestohlene
oder welcher die Prozedur des Bindens der Seele oder des
Geistes vornehmen will, für einen langen Strik von Baum-
bast und zerriebenes Rotholz sorgen. Mit dieseu Dingen
versehen, begiebt sich jener auf die Weisung des Ganga
hin am frühen Morgen an das eine Ende des Dorfes und
spannt die lange Schnur auf der Hauptstrasse entlang aus,
nässt das geriebene Kotholz mit Wasser an und bestreicht
die Schnur mit demselben. Hierauf befestigt er an jedes
Ende der Schnur eines von den vorhin genannten Bündel-
chen und beginnt damit das „Kahla Binden", wie die
Zeremonie genannt wird. Nun nimmt er die beiden messer-
artigen Hölzer und beginnt unter den entsetzlichsten Ver-
wünschungen des Diebes die Schnur von dem einen Ende
aus auf die Hölzer aufzuwickeln. Die Verwünschungen
gipfeln darin, dass dem Dieb ein elendes Umkommen und
sehmählicher Tod angewünscht wird. — „Sterben soll er!
Elendlig umkommen soll er! etc." — Nach Beendigung
der Aufwicklung wird das Ganze neben dem Weg zur
Plantage unter einem Stein begraben und ein vom Ganga
Finger gleiten lassen, wobei sie verschiedene Bitten ausstoßen. —
Steiner im „Globus" S. 54.
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— 342
erhaltenes Pulver von zerstossenem Holz — gleich dem in
dem Bündelchen verwahrten — auf der Stätte ausgestreut.
In Geduld wird die Wirkung und die Strafe der Geister
alsdann abgewartet 65 ).
Schon Steinhäuser erwähnt die Hong-Schnüre. die
aus dem Baste eines Baumes, Namens „Hong" hergestellt
werden. Gewisse Leute verfertigen und verkaufen solche
Hongschnüre. Durch sie erhält jeder, der einem anderen
das Lehen nehmen (»der sonst etwas Böses thun will, dazu
die Macht. Hat man nämlich eine solche Schnur, so sucht
man etwa ein Bein auf, das der zu Tötende von einer
Mahlzeit übrig gelassen, und umbindet es mit der Schnur,
während man ihm den Tod, Verrücktheit oder sonst etwas
wünscht. Darauf muss der andere sterben oder es wieder-
fährt ihm sonst etwas Ueldes, falls er nicht ein Schutzmittel,
das aus der gleichen Quelle fliesst, gebraucht 60 ).
In die Gruppe der Seelenschlingen gehört auch Fig. 2,
ein Amulett der Tschi. Wenn 07 ) man nämlich jemand
hasst und möchte ihm etwas Böses anthun, so hat dieses
Amulett die Macht, ihn verrückt zu machen. Ruft man
dagegen den gehassten Namen und fährt mit der Angel
— deren eine Spitze abgebrochen ist, — durch die Luft,
so fängt man des Verwünschten Herz und er wird dadurch
ein Kind des Todes, den er nicht allzulange danach er-
leiden wird.
Doch nicht nur bei den Ga und den Tschi werden diese
Geisterschlingen angetroffen. Die Gola ziehen Spinnenfäden
durch Nadelöhre und lassen sie fliegen und zwar auf den
zu, den sie zu bezaubern gedenken und den sie dadurch
in Todesgefahr bringen, wenn er nicht bei Zeiten einige
°') Steiner im „Tagebuch".
•■) Steinhauser 8. Hl. Steiner im „Globust" S. 299.
41 ) Mitteilung von Missionar Martin.
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- 343 —
Arznei gebraucht. — Die Seelen der Toten steigen in
Loango zum Himmel empor, wenn nicht ein übelwollender
Zauberer sie mit Ketten fängt und sie so zwingt ein dienst-
barer Geist seiner grausigen Unthaten zu werden
AVer in Togo den Eidschwur des Jevhe benutzen will,
bildet aus den frischgewaehsenen Blättern der Oelpalme
und des Anya-Baumes — der auch Blitzbaum genannt
wird — einen Ring. Diesen wirft er bei Gelegenheit dem
Beleidiger wie eine Schlinge über den Kopf 69 ).
Damit kommen wir zu der letzten, einer der klarsten
Sitten, die auf dem Motive des Geisterstrickes sich gebildet
haben, nämlich der eigenartigen Weise, wie bei den Accra,
die Priester erwählt werden.
Während nämlich die „Todeskostüme" für einen ver-
storbenen Priester gefeiert wird, hat der Götterbote
„Akotia" 70 ) für den neuen Ganga eine Frau suchen. Mit
einem Kränzchen zieht er durch die Orte und wirft dieses
dem Mädchen, das er für den neuen Priester zur Frau er-
krönt hat, um den Hals und macht sich dann davon. Die
Familie des Mädchens hat dieses in das Haus des neuen
Priesters zu bringen, nachdem sie vorher dreimal mit der
Braut jubelnd durch das Dorf gezogen sind 71 ).
Dass gerade Akotia die Schlinge fängt, dessen Be-
ziehungen zu den Sonnengöttern bekannt sind, ist besonders
charakteristisch. An der Schlinge soll -- nach primärer,
.sicherlich längst erstorbener Anschauung — der Geist in
die neue Priesterin einziehen. Besonders charakteristisch
ist die Erwählung der Priester des Lakpa.
In einer geheimen Sitzung der Okomfoi — Ganga —
und der Stadtältesten wird die Person des Nachfolgers im
,H ) Dapper S. 399. Bastian: „Loangoküste" Bd. II 8. 225.
•») Spieth S. 88.
70 ) Siehe Kap. 16.
71 ) Steiner im „Tapobuch 14 .
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Amte eines Wulamo ~- Priester — des Lakpa festgestellt.
Hierauf wird ein Bote in den Busch gesandt, um von einer
Palmenart die zartesten Sprosslinge zu holen. Diese werden
in einen Topf gethan, mit Rotholz gefärbt und zu einer
Halskette geflochten. Solche kleinen Halsbänder sind ge-
schätzte Amulette. Das übrig gebliebene Farbwasser wird
als wirkliches Lebenswasser verkauft.
Die erwähnte Halskette wird nun einem anvertraut,
der sie heimlich mit sich führen und dem Erkorenen bei
günstiger Gelegenheit unversehens um den Hals zu werfen
hat; damit ist er für immer als Wulamo erklärt. Er wird
als solcher nun vor den Rat gerufen, wo ihm einer, der
auch von Geburt zum Wulamo berechtigt ist, das Haupt-
haar scheert. Letzterer ist nun auch von Stund ab sein
Asistent. Damit ist die Insteallation des Wulamo zu Ende
geführt. Die Halskette darf er nie wieder ablegen und
eben so wenig sein Haupt scheeren lassen bis zu seinem
Tode. Darauf wird als Frau des Wulamo das schönste
Mädchen der Umgebung auch heimlich mit einer Strick-
schlinge durch üeberwerfen erwählt 72 ).
Ich möchte das Kapitel über die Bedeutung der Strick-
amulette und Geisterstricke nicht ohne den Hinweis auf
eine audere Entwickelungslinie beendet haben. Die Knoten-
stricke, die ich meine, erfreuen sich einer weiten Verbrei-
tung. In Liberia, Wheida, Loango, Angola 73 ), auf Mada-
gaskar 7 *) und in Australien 75 ). Auf den Philippinen und
72 ) Steiner im „Tagebuch". — Nach Steinhauser ist das Amt de*
Wulamo des Lakpa erblich und geht auf den Sohn über. Nur seine
Frau wird derartig eingefangen.
,3 ) Büttikofer Bd. II S. 318. „Allg. Hist. d. R> Bd. IV S. 409.
Bastian: „Loangoküste* Bd. II S. 38/9, 2«4. „San Salvador- 8.235.
Zenker S. 49.
7> ) Andree Bd. I S. 185.
") Bastian: „Oceauien* 8. 120.
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345 —
Nikobaren 76 ) in Mikronesien 77 ) und Polynesien 78 ) wird
gerechnet mittelst einer den Rechentafeln „unserer Kinder
entsprechenden Methode". Es werden in einen Strick
Knoten gemacht. Wird man zum Feste geladen, so merkt
man die Anzahl der noch ausstehenden Tage an Knoten
in einem Strick; jeden Tag wird einer gelöst und am Tage
des Festes ist keiner mehr vorhanden. So werden im Jahr
auf dem Markte Tage und Geldbeträge in mehr oder weniger
komplizierter Weise berechnet.
Doch ist natürlich diese einfache Sitte, die wir auch
im civilisierten Huropa im „Knoten im Taschentuche u kennen,
nicht das uns Interessierende, sondern eine Art der com-
plicierteren Bedeutung, die der Knotenstrik annimmt. —
Geknotete Bastfäden dienen auf oceanischen Inseln oft bei
Krankheitszaubern und aus ihnen wird geweissagt 79 ). Die
Gedächtnisnetze Fitschis nehmen auf den Pal aus noch Ver-
schlingungen bei Botschaften an 80 ), so dass sie schon den
peruanischen Quipus 81 ) sich nähern. Am interessantesten
ist aber folgende Mitteilung Sempers. Dieser Reisende er-
hielt von einem Palauinsulauer einen Schildblattpfriemen,
an welchem zwei kurze Faden durch einige Knoten mit
einander verschlungen waren. „Dieses Ende des Fadens 1 ',
so sagt der Eingeborene, „das bin ich, jenes bist Du; wir
beide sind durch diesen Knoten, wie ihn nur Brüder ge-
brauchen, verbunden. Gieb den an Tomue, er kennt meinen
™) Schadenberg in „Verh. d. Berl. Oes. f. Anthrop.* 1SH8 8. 35.
8voboda Bd. 1 S. IUI).
") Rienzi Bd. II 8. 78 nach La Gobien. Bastian: „Oceanien 14
8. 103, 105. Chanmso Bd. II S. 232. Kotzebue Bd. I S. 173.
78 ) Mallery 8.224 nach G. Turner. Bastian: „Oceanien" S. 244.
7 ") Kubary S. 41. Bastian: „Oceanien* 8. 105. Finsch: „Ethnol.
Er f.* 8. 317.
Hö ) Bastian: „Oceanien" 8. 120.
Gottfried Bd. I 8. 45. Andrcc Bd. I 8. 194 ff. Mallery 8. 224 ff.
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— 346 —
Pfriemen: von nun an bist Du auch sein Freund und
Bruder"
Dieselbe Kntwickelung in der Bedeutung tfes anfangs
-oinfach geknoteten Strickes lässt sicli in Afrika nachweisen.
Schon an der Loangoküste nimmt er gewisse symbolische
Merkmale an, die das einfache Aufzählen übertreffen. Bei
den Herero wird der Bote durch einen in bestimmter Weise
gekerbten Stock autorisiert 83 ). Das erinnert an die Boten-
stöcke der Australier.
Geradezu merkwürdig kompliziert wird das System
in Nord-Guinea. Einen Sprichwörter-^Rosenkranz" könnte
man eine Schnur oder einen Faden nennen, au welchem
eine Menge Gegenstände der verschiedensten Art angereiht
sind, deren jeder in Beziehung steht zu einem Sprichwort.
Kin sangkundiger Neger bedient sich dieses Rosenkranzes,
um seine improvisierten oder auswendig gelernteu Lieder
zu singen, in welche er geschickt die Sprichwörter ein-
zuflechten weiss, an welche ihn der Rosenkranz erinnert **).
k^-^^St^ Die nebenstehende Zeichnung ist
^^^JJJ^^^^^s^ die Botschaft, die ein Jebu-General
^^f*"*^ J an einen eingeborenen Prinzen richtete.
^ Sie besteht aus 6 Kauris. r Sechs" in
^*'» aasaööS ^ der Jebu-Sprache heisst E-fä und dies
Botenschritt aüs \oruba. kommt von dem Worte fa = ziehen.
Sie sind zu zweien angeordnet, Oberseite gegen Oberseite an
einem langen Strick. Die doppelte Anordnung und Stellung
der Oberseite gegen Oberseite deuten Freundschaft und gute
Kameradschaft an. Die Anzahl drückt den Wunsch aus,
nahe zu dem zu ziehen, an den die Botschaft gerichtet ist,
während der lange Strick eine beträchtliche Entfernung
und einen weiten Weg andeutet. Es lautet die Botschaft:
•*) Andree Btl. I S. 186.
Bastian: „Loangoküste" Bd. I S. 181. Hahn: „Herero u S. 292.
"*) „Katech. und Beschreibung" S. 32 Nr. 681.
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— 347 —
„Obgleich der Weg zwischen uus sehr weit ist, ziehe ich
Dich doch zu mir und setze ineiu Gesicht dem Deinen
gegenüber. So wünsche ich denn, Dein Angesicht mir
gegenüber und Dich zu mir zu ziehen 85 ). u
Diese Zeichenschrift ist in Yoruba und Nufe sehr aus-
gedehnt und anscheinend auch unter den Gebildeten ge-
bräuchlich * 6 ). Bestimmte Lagen und bestimmte Gegen-
stände haben immer bestimmte Bedeutung. So haben
ungerade Zahlen und Nummern stets schlechte Bedeutung,
wogegen gerade Zahlen einen guten Sinn haben.
So mag eine einzelne Kauri als eine ungünstige Ant-
wort auf ein Gesuch oder eine Botschaft übersandt werden * 7 ).
Also nicht nur Mythologie und Kultus, sondern auch
Sitten und Gebräuche des alltäglichen Lebens haben dem
Strick eine weitere Bedeutung und Beziehungen verliehen,
die einen mächtigen Kreis geistiger Interessen in ihm ver-
körpert sein lassen.
Uloxam S. 2(>5.
8 ") üollmer S. ICH ff. Crowthor: T ,Grammar" 8. IV. Crowtlier
and 3Lrtcgregor S. 169 70.
87 ) Bloxam 8. 298.
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XX. Kapitel.
Die Schöpfongmythe in den westlichen und östlichen
Provinzen.
Die Sehöpfungsmythe der Yoruba. Olorun. — Ohatala. —
Odudua. — Aganju. Yemaja. Orungan und Yemaja. Der
(lötterursprung. Analogien in Sonnenmythen. — Einst lag der
Himmel auf der Erde. — Tag und Nacht. — Himmel und Erde =
Vater und Mutter der Welt. Himmeleinsturz. — Die Schöpfungs-
inythe der Wanyoro. — Motiv der Sonnenmythen. Oceanische
Schöpfungsmythen. — Tangaroa. — Bäume in Sehöpfungsmythen. —
Aufheben de» Himmels. — Männliche und weibliehe (rötter. —
Niedersinken der Erde. - Einsturz des Himmels. — Australische
und nordwestamerikanisehe Analogien. Der Oktopus in der ocea-
nisehen Sehöpfungsmythe. — Der Oktopus in den nordwestanierika-
nisehen Sonnenmythen. - Erdgötter. - Erstlingsfeste in Afrika.
Wirklich klare d. h. unverfälschte umfangreiche, un-
verkennbare Formen einer Sehöpfungsmythe sind in Afrika
selten. Es sind mir eigentlich nur zwei bekannt, die die
Bezeichnungen unverfälscht und unverkennbar verdienen.
Die eine, die einzige wirklich grosse, ist die der Yoruba,
die andere ist die der Wanjoro.
Die Sehöpfungsmythe der Yoruba.
Die Yoruba besitzen zwei Himmelsgötter: Olorun und
Obatala.
Olorun ist der göttliche Himmel, der Gott, der zu
weit, zu gleichgültig und zu gross ist, um sich um den
Menschen zu kümmern. Der Name bedeutet Besitzer des
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34t)
Himmels; Ellis hat überseheu, dass er auch Besitzer der
Sonne heisst, denn „orun" heisst gleichzeitig Firmament
und »Sonne. Olorun besitzt keine Priester, von ihm wird
kein Bildnis angefertigt, es giebt keine Tempel Oloruns.
Nur sehr selten, wenn alle Götter ihre Hülfe versagen,
ruft ihn der Yoruba an. Man kann sagen Olorun lebe
mehr im Sprichwort als in der Anschauung oder im Culte —
gleich wie der Himmel, dessen Namen wir auch oft ge-
brauchen, vielleicht missbrauchen oder falsch verwenden.
Auch ist er nicht allmächtig, denn ein Sprichwort sagt:
„Kin Mensch kann nicht Regen machen und Olorun kann
Dir nicht ein Kind geben." Denn zu Obatalas Funktionen
gehört das Gestalten des Kindes im Mutterleibe. Jeder
Gott hat seine Pflichten.
Obatala ist der Hauptgott der Yoruba. Sein Name be-
deutet; „Gott des weissen Gewandes." Weiss ist nämlich
seine Farbe; weiss sind seine Tempel, seine Bilder, seine
Amulette. Seine Diener, Priester und Verehrer tragen
weisse Gewandung. Obatala ward von Olorun geschaffen,
so sagen die Priester. Der übergab ihm das Firmament
und die Welt ; er selbst zog sich zurück. Wenn Obatala
also ebenfalls ein Himmelsgott ist, so ist er doch anthro-
pomorpher aufgefasst als Olorun. Einer Mythe zufolge, die
allerdings nicht allgemein zu sein scheint, hat Obatala
das erste Meuschenpaar aus Thon geformt. Durchweg
herrscht aber die Ansicht, dass Obatala das Kind der
♦
Mutter schenke, d. h. unter ihren Herzen forme, und daher
richten Frauen, die sich nach der Mutterschaft sehnen,
ihre Gebete an Obatala.
Odudua oder Odua ist die Hauptgöttin der Yoruba.
Sie ist die Mutter, welche empfängt. Der Name kommt
von „do" = „schwarz sein" und „dudu" — „sch\varz u
her. Die Neger halten eine schwarze Haut für eine grosse
Zierde auch für schöner als die gewöhnliche Zigarrenfarbe.
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350
Odudua ist als eine sitzende, ein Kiud säugende Frau
dargestellt.
Odudua ist das Weib Obatalas. Aber sie ist gleich-
altrig mit Olorun und nicht von diesen geschaffen, wie ihr
Gemahl. Andere Eingeborene glauben zwar, sie sei in Ife
entstanden, doch ist dies eine vollständig sekundäre Mythe.
Odudua stellt die Erde dar und ist mit dem anthropomorphen
Himmelsgott verheiratet. Obatala und Odudua, Himmel
und Erde stellen, wie die Priester sagen, zwei grosse ge-
schlossene Kalebassen dar, welche einmal geschlossen nicht
geöffnet werden können. Dies wird in den Tempeln sym-
bolisch durch zwei weisse untertassenförmige , eng auf
einander gefugte, und so eine abgeflachte Kugelform
bildende Kalebassen zur Anschauung gebracht. Die obere
repräsentiert das Himmelsgewölbe, die untere die sich
diesen am Horizont anschmiegende Erde.
Einer weit verbreiteten Mythe zufolge ist Odudua blind.
Am Anfang der Welt waren sie und Obatala in der Dunkel-
heit einer grossen geschlossenen Kalebasse eingeschlossen.
Obatala lag im oberen, Odudua im unteren Teile der-
selben. Die Mythe berichtet nicht davon, wie sie in
diese Lage gekommen sind, sondern weiss nur davon zu
erzählen, dass sie lange in dieser Lage gewesen sind, zu-
sammengepresst, unbehaglich, hungrig. Da begann Odudua
zu schelten; sie tadelte ihren Mann ob der Einsperrung.
Es entspann sich ein arger Streit, in dessen Verlauf Oba-
tala wütend seiner Frau die Augen ausriss, weil sie ihre
Zunge nicht beherrschen konnte. Da verfluchte ihn Odudua.
Sie sprach: „Nur Schnecken sollst du in Zukunft essen ! a
Das ist der Grund, warum Obatala Schnecken als Opfer
dargebracht werden. Da die Mythe Odudua ihre Augen
nicht wieder gewinnen lässt, muss man annehmen, sie sei
l ) Ellia: „Yoruba" S. 35—4«.
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— 351
blind gewesen. Aber kein Eingeborener sieht sie als
blind an.
Odudua ist ferner die Göttin der Liebe. Viele Ge-
schichten werden von ihren Lieben und Abenteuern er-
zahlt. Ihr Haupttempel ist in Ado, der Hauptstadt des
Staates gleichen Namens, der nördlich von Badagri liegt.
Es wird von der Anlage des Ortes eine lange Geschichte
der Liebe Oduduas zu einem Jäger erzahlt, dein sie beim.
Abschied für ihn und alle hier in Zukunft Wohnenden
Heil und Segen im Angedenken ihres Glückes zugesagt
habe.
Vor dieser Tändelei mit dem Jäger schenkte Odudua
ihrem Gatten einen Knaben Aganju und ein Mägdlein Ye-
maja. Der Name Aganju bedeutet: unbewohnter Land-
strich, Ebene, Wüste — nach Burton Firmament — Yemaja
heisst: Mutter der Fische. Der Nachkomme von Himmel
und Erde mag also Wasser und Land repräsentieren.
Yemaja ist die Göttin der Bäche und Ströme, sie steht
den Wasserordalen vor. Sie wird dargestellt als eine weib- •
liehe Figur gelber Farbe ; blaue Perlen imd weisse Kleider
trägt sie. Die Verehrung von Aganju scheiut ausser Brauch
gekommen zu sein, aber auf einem offenen Platz vor des
Königs Residenz in Oyo wurde der Gott ehemals verehrt.
Yemaja heiratete ihren Bruder Aganju und schenkte
ihm einen Sohn mit Namen Orungan. Dieser Name ist
zusammengesetzt aus Orun = Himmel — bezw. = Sonne
— gan von ga — hoch sein; er scheint zu bedeuten: In
der Höhe des Himmels. Er scheint dem Khekheme, dem
freien Lufraum der Eweer (Siehe Kap. 3) zu entsprechen
und gleich diesem den offenen Kaum zwischen Himmel und
Erde zu repräsentieren. Der Nachkomme von Wasser und
Land würde demnach unserem Luftraum gleichkommen.
Orungan verliebte sich in seine Mutter und da sie sieb
weigerte, seiner sündhaften Leidenschaft zu willfahren, be-
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352
nützte er die Gelegenheit der Abwesenheit seines Vaters
und vergewaltigte sie. Sogleich nach diesem Ereignis
sprang Yemaja auf die Fusse und verliess händeringend
und schreiend den Platz. Orungan verfolgte sie und ver-
suchte sie zu tnisten. Er versicherte ihr niemand wurde
etwas davon erfahren; er könne nicht ohne sie leben. Er
hielt ihr die schöne Aussicht vor. mit zwei Gatten, dem
einen im Geheimen, dem anderen öffentlich zu leben. Aber
sie verwarf alle seine Vorschläge mit Ekel und raunte von
dannen. Orunga jedoch raste hinter ihr her und beinahe
hatte er sie mit dem ausgestreckten Arme erreicht, um sie
festzuhalten, da schlug sie rücklings auf den Boden.
Sofort begann der Körper furchtbar zu schwellen,
zwei Wasserströme quellen aus ihren Brüsten und der Körper
zerbarst. Die Ströme aus Yemajas Brüsten vereinten sich
und bildeten eine Lagune. Ihrem zerklüfteten Leibe ent-
sprossten :
1.
Dada
Die Gottheit der Pflanzen.
• 2.
Schango
r
des Blitzes.
3.
Ogun
r
des Eisens und Krieges
4.
Olokun
V
der See
5.
Oloso
r
V
der Lagune Olosa
(5.
Oya
r>
r
des Niger
mm
t .
Osch un
n
r
des Oschun-Fliisses
8.
Oba
r
r
des Oba-Flusses
i).
Orischa Oko
r>
r
des Landbaues
10.
Oschosi
r
'*
der Jagd
11.
Oke
r>
r>
der Berge
12.
Aje Schalagu
-
r
des Reichtumes
13.
Sehankpanna
r
r
der Blattern
14.
Orun
-
der Sonne
15.
Ose hu
r
des Mondes.
Zur Erinnerung
an
dieses Ereignis wurde einer Stadt
der
Name lfe gegeben.
lfe das Aufschwelleu, das Auf-
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— 353
bersten. — Sie ward dort gegründet, wo Yemajas Körper
niederstürzte und zerbarst. Diese Stelle ward — vielleicht
kennt man sie noch — bis zum Jahre 188*2 wo die Stadt
durch die Ibadan zerstört ward, gezeigt.
Erwähnenswert ist, dass nicht alle Götter Yemajas
Leibe entsprosseu.
Welchem Ideenkreise, welchen Motiven ist diese
Schöpfungsgeschichte entsprossen ?
Bedenken wir, dass die Uebertragung bestimmter
Funktionen und Thätigkeitskreise an einzelne der indivi-
duellen Mythenb ildungskraft des einen Bezirkes „Yoruba 44
zuzuschreiben ist, dass somit weniger die Arten der Götter
als der Verlauf, die Züge der Mythe in Betracht kommen,
dass wir in eben diesem Bezirke Yoruba die grosse Be-
deutung des Schango erkannt haben, — Schangos des Sonnen-
gottes — , so ist es nicht scbwer drei wichtige Momente
herauszufinden, die in anderen mythologischen Bezirken
wieder aufgefunden und mit dem dortigen zu vergleichen
sind, die einen Anhaltepunkt für die Antwort auf die
Frage: „Woraus wächst die Schöpfungsgeschichte empor? 4 *
geben können. Es sind diese drei Punkte: 1. das Auf-
«inanderliegen Obatalas und Oduduas. 2. Die Verfolgung
Aganju's. 3. Der Niedersturz der Yemaja.
Für die Verfolgung der Yemaja durch Aganju biettt
Yoruba selbst die Paralelle. Schango verfolgt in gleich
rasender Weise die Oya. (Siehe Kap. 14). Die Sonne
hatte auch dort eine direkte Beziehung zur Mythe vom
Feuerdiebstahl, also zu der Mythe, derzufolge z. B. Maui
von dem unterirdischen Gotte verfolgt wird. Dieses Moment
führt also in den Kreis der Sonnenmythen.
Einmal zu der Vermutung gekommen, dass auch hier
dem Rhythmus der Sonnenmythen nachgespürt werden müsse,
ist es nicht mehr schwer, die Beantwortung für die Frage
Frohenius, Weltanschauung der Naturvölker. 23
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— 354 —
aufzufinden. — Im Anfange liegen auch die Menschen
in Kammapas Bauch dicht gedrangt, so dicht, dass das
Schwert des sich befreienden Hubeane — die Strahlen
der aufgehenden Sonne — sich mühsam durch sie hindurch
zwängen muss, wenn Hebuane nicht die Tausende ver-
letzen will.
Das ist der erste Punkt. Obatala und Odudua sind
in der Kalebasse eng aufeinander gezwängt 2 ). — Der
Himmel liegt in der Dunkelheit auf der Erde. — Da reisst
Obatala der Odudua die Augen aus. — Die Sonne steigt
empor.
Also ist in der enggedrückten Lage Obatalas und
Oduduas die Dunkelheit der Nacht dargestellt und es
schliesst sich folgerichtig an sie der Sonnenaufgang an.
Das gleiche Motiv bietet eine Akwapim Sage. Der zu-
folge soll in alten Zeiten der Himmel der Erde viel naher
gewesen sein, denn heute. Wenn jemand Fische wollte,
so stupfte er mit einen Stecken den Nyankupong — der
Verkörperung Nyame's des Himmel — und siehe, es kamen
Fische heraus und sie fielen gleich den Regentropfen, nur
grösser, auf die Erde. Nach einem solchen Fischregen
hatte der Betreffende nichts weiter zu thun, als aufzulesen.
Aber was geschieht? Ein Weib stiess einst Fufu in einen
Mörser. Aber es ging sehr schlecht, denn die Höhe ge-
nügte nicht. Sie sagte daher zu Nyankupong: „Erhebe
Dich ein wenig, ich habe nicht Raum genug für einen
Fufnstössel!" Nyankupong gehorchte und fragte: „Bis
hierher?" „Nein", sagte sie, „noch weiter!" So that er
dreimal; endlich hiess sie ihn Halt machen. — Auf diese
Weise kam es, dass Nyankupong dem Erdboden so fern
k;im, dass, wenn jemand ruft, er es kaum noch hört, und
was die Fische betrifft, so sind sie jetzt sehr rar. Wäre
') Klli*: „Yorubft* S. 42. Crowther: „Voeftbulary u S. 207.
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■
355 —
jenes Weib nicht gewesen, so würde man heute noch die
Fische umsonst bekommen 3 ).
In dieser Aufgangsmythe den Fufnstössel wieder zu-
treffen, ist um so wichtiger, als aus dem vorigen Kapitel die
Fufumörser als Baumaterial zum Sonnenpfade schon be-
kannt sind. Auch die Mythe der Wamba, dass das ganze
Firmament einst der Erde naher gewesen, bis die Sonne
einem Baume zu nahe gekommen sei 4 ) — wird noch
klarer. Hier sind die Strahlen der aufgehenden Sonne,
die auf die Baumwipfel fallen (die höchsten Teile werden
zuerst beleuchtet), gemeint.
An Verständnis gewinnen auch die Götter der Madi,
wenn wir der Parallele Obatala-Odudua gedenken. Diese
glauben, der Himmel sei der Vater, die Erde die Mutter
der Welt. Aber auch im weiten Süden erzählen die Man-
jema, Buschmänner und Makalaka von einem männlichen
Gotte des Himmels und einem weiblichen der Erde 5 ).
Der Niedersturz der Yemaja muss auf ein Motiv des
Unterganges zurückgeführt werden. Wir kennen es von
den Herero, Kanga und Loaugo und Wanyoro. Auch die
Mythe der Temne, dass vor dieser Welt schon eine andere
gewesen sei 6 ) sagt derselbe. Jeden Tag entsteht im Grunde
genommenen ein neues Weltbild.
Die Ovaherero erzählen: Vor vielen, vielen Jahren
Hessen die „Grossen im Himmel" (Eyuru) wegen der zu-
nehmenden Gottlosigkeit der Menschen den Himmel auf
s ) Barth: „Volkswagen 44 S. 465 ö\ Ratzel: „Volkerkunde 14 2. Aufl.
Bd. II 8. 40. Sehneider 8. 34.
4 ) Hildebrandt S. 387. Ratzel: „Völkerkunde 44 1. Aufl. Bd. I
8. 173/4.
") Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I 8. 173. Livingstone:
„Letzte Reise 44 Bd. II 8. 180. Bastian: „Loangoküste 44 Bd. II 8. 208.
Mauch 8. 40. Campbell S. 169.
•) Schlenker: „Tradition* 44 8. V.
23*
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356
die Erde niederfallen und infolgedessen verloren fast alle
Menschen das Leben; nur einige wenige blieben übrig.
Diese wenigen, die am Leben geblieben waren, nahmen
in ihrer Not, da der Himmel sehr schwer auf der Erde
lastete, ein schwarzes 7 ) Schaf und opferten dieses
den Grossen im Himmel. Da beschlossen diese, die letzten
Menschen zu verschonen und zogen den Himmel wieder
zurück und so halten sie ihn bis auf den heutigen Tag.
Seit jener Zeit kann aber niemand mehr in den Himmel
steigen. Denn die Grossen im Himmel haben Wächter
ausgestellt, welche dort Wache halten müssen, wo Himmel
und Erde zusammen stossen. Diese Wächter sind gewaltige
einäugige Riesen 8 ).
Also die grossen Riesen halten Wache, da wo Himmel
und Erde zusammen stossen, wo also die Sonne auf und
unter geht. Ihre Beziehung ward, da sie einäugig sind,
schon früher erkannt. Sie hier in der Mythe vom Tage
und der Nacht in dieser Gegend wieder zu treffen, ist be-
sonders anziehend.
Die Kanga und Loango haben ebenfalls eine Tradition
von einem Einsturz des Himmels, der eine allgemeine
Vertilgung des Menschengeschlechtes herbeigeführt hat.
Nachdem sie aber alle erschlagen waren, erschuf die Gott-
heit neue Menschen 9 )
In Unyoro, dessen Schöpfungsmythe wir uns nunmehr
zuwenden wollen, treffen wir die Mythe vom Himmelein-
aturz wieder. Auch hier ist sie auf die abendliche Stunde
des Dunkelwerdens zurückzuführen.
7 ) Schwarz ist die Farbe der Nacht.
8 ) Hahn: „Herero tt S. SOö/6.
•) Oldendorp S. 309. Bastian: „Loangoküste" Bd. II 8. 218 An-
merkung 8.
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— 357 —
Die Schöpfungsmythe der Wanyoro.
In uralter Zeit waren der Menschen viel auf Erden.
Sie starben nie, sondern lebten ewig. Da sie aber über-
mütig wurden, und keine Gaben darbrachten, ergrimmte
Niavankja oder Kagra, der die Geschichte der Menschen
lenkte. Er warf das ganze Himmelsgewölbe auf die Erde
nieder und tötete sie alle. Um aber die Erde nicht ver-
ödet zu lassen, sandte Niavankja einen Mann und eine
Frau „von oben" hernieder. Beide waren geschwänzt.
Sie zeugten einen Sohn und zwei Töchter, ?die mit ein-
ander Umgang pflogen. Eine gebar ein ekelhaftes Tier,
das Chamäleon, die andere einen Riesen, den Mond.
Beide Kinder wuchsen auf. Bald aber entstanden Streitig-
keiten, denn das Chamäleon war böse und heimtückisch
und zuletzt nahm Niavankja den Mond hinauf, von wo er
noch immer zur Erde herabschaut. Um aber an seine
irdische Abkunft zu erinnern, wird er gross und leuchtend
und nimmt dann ab. wie um zu sterben, stirbt aber nicht,
sondern geht in zwei Tagen um den Horizont von Osten
nach Westen und erscheint, müde von der Reise, klein am
Westhimmel wieder.
Die Sonne aber ergrimmte so heftig über ihren neuen
Nebenbuhler und brannte diesen so stark, dass noch heute
die Flecken auf seinem Gesicht sichtbar sind. Das Chamä-
leon und seine Nachkommenschaft bevölkerten die Erde,
die Schwärze ging verloren und die ursprünglich bleiche
Hautfarbe ward unter der glänzenden Sonne bald zur
dunklen 10 ).
Die Mythe beginnt auch hier mit dem Himmeleinsturz,
der als einmaliges Ereignis in die ferne Vergangenheit
,0 ) Emin Pascha S.90,1. Ratzel: „ Völkerkunde 44 Y. Aufl. Bd. I
S. 469/70.
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- 358 -
geruckt (siehe voriges Kapitel), aber auf das allabendliche
Hereinbrechen der Dunkelheit zurückzuführen ist.
Das Chamäleon ist in diesem Falle von der Sonne ge-
trennt. Die Mythe weiss auch nicht zu erzählen, wo die Sonne
herkommt. Das Chamäleon ist bösartig und die Sonne
grimmig. So wie hier Mond und Chamäleon, so sind sonst
Mond und Sonne Geschwister. — Mit einem Worte, die
Mythe hat eine Wandlung erfahren, durch Trennung von
Chamäleon und Sonne, die wie auch noch im nächsten
Kapitel besprochen werden soll, nach primärer uigritischen
Anschauung identisch sind.
Damit darf auch diese Mythe auf ein Motiv der Sonnen-
mythologie, auf den Gegensatz des Tageslichtes und des
Nachtdunkels zurückgeführt werden. Die Schöpfungs-
mythe ist also sekundär, sowohl in Yoruba als in Unjoro
als in anderen Gegenden, deren Mythen zufolge im An-
fange der Himmel auf der Erde ruhte oder der Himmel
auf die Erde geworfen ward. „Sie ist sekundär" heisst,
sie ist nicht entstanden auf eiue Frage nach dem Ent-
stehen der Welt, sondern eine Antwort auf die Frage nach
dem Entstehen des Tages und der Nacht ward in die weite
Vergangenheit gerückt, als die Frage nach dem Werden
des All s aufdämmerte.
Die Erscheinung knüpft sich an viele andere gleich-
artige an, so dass man sagen kann: eine primäre Schöpfungs-
mythe giebt es nicht.
"Wenden wir uns nunmehr nach Oeeanien und prüfen
die Schöpfuugsmythe dieser Völker.
Im Gegensatz zu Afrika bietet, wie wir nun schon
öfters betonen konnten, Oeeanien mächtige, gewaltige, ein-
gehende, umfassende Kosmogonien. Die kann ich hier
nicht zergliedern, sondern ich beschränke mich darauf,
einige Teile, die wichtigsten, zu besprechen. Beginnen wir
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— 35«) —
die Untersuchung mit Erinnerung an die zwei Haupt-
momente der Yoruba-Mythe, die gepresste Lage Obatalas
und Oduduas und den Niedersturz der Yemaja.
Als die beiden Götter Obatala und Odudua zusammen-
gepresst in der Kalebasse liegen, reisst Obatala der Ge-
mahlin die Augen aus — die Sonne steigt empor, der
Himmel hebt sich, es wird Tag. So lag im Anfange Tan-
garoa im Ei. Er zersprengt die Schale, da wird es Tag 11 ).
Das Ei ist also ideutisch mit der Kalebasse, der Vorgang des
Tagesanbruches in Oceaniens und Afrikas Mythologie,
also in dieser selben Form vorhanden. Weshalb gerade
das Ei besonders geschickt für diese Mythe ist, ward im
ersten Kapitel besprochen.
Wir gelangten in Afrika von dieser Version zu der
Mythe vom Aufheben des Himmels. Auf Neu -Seeland
liegen Rangi und Papa, Himmel und Erde im Anfange
eng aufeinander gepresst. Ihre Kinder sind in Finsterniss
gehüllt. Da beraten sie, wie zu helfen sei. Tamatauenga,
nach anderen Maui, schlügt vor, sie zu erschlagen. Taue-
matua aber, der Gott der Wälder spricht dafür, sie nur
zu trennen. Dieser Antrag geht durch und Tane stützt
Kopf und Füsse gegen die Mutter, hebt mit dem Rücken
den Vater und also werden Himmel und Erde getrennt.
Dass Tane-matua, der Gott der Bäume, der Trennende
ist, ist deshalb besonders interessant, weil die Höhe der
Baume und Busche in den Mythen der anderen Inseln
eine besondere Rolle spielen und weil auch die Wakamba-
mythe erzählt: als die Sonne einem Baume zu nahe ge-
kommen war, hob sich der Himmel empor.
So heisst es auf Rarotonga, der Himmel habe der
Erde so nahe gelegen, dass die Menschen nur kriechen
konnten. Ein Mann stemmte ihn darauf ruckweise empor,
11 ) Ellis: „Pol. res." Bd. II S. 43. Tyrmann und Bennet Bd. 11
S. 31. Lesaon Bd. II 8. 131, 2.
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— 360 —
erst bis zur Höhe der Tevepflanze (4 Fuss), dann bis zu
der des Kauarikibaumes (einer Sykomore), dann bis zu
den Berggipfeln und dann bis zur Höhe, die der Himmel
heute hat 12 ). Ellis fand die gleiche Mythe auf Tahiti.
Der Mann war dort der Gott Rua 13 ). Audi auf Samoa
heben die Pflanzen den Himmel 14 ).
Auf letzterer Insel entdeckte Turner eine Lesart der
Mythe, die eine frappirende Aehnlkhkeit mit den Akwapim-
version hat. — Im Anfange lag der Himmel dicht auf der
Erde. Da kam zu einer Frau ein Mann; der bat um einen
Trunk Wasser. Er wollte, sagte er, auch den Himmel höher
heben. „Hebe ihn zuerst in die Hohe w , sagte sie. Er hob
ihn. r Ist es genug?" frug er dann. „Nein, noch ein
wenig höher! u Da hob ihn der Mann noch höher 15 ).
Auch die Motu berichten, im Anfange habe der
Himmel auf der Erde gelegen. Aber ein Mann, der zornig
war über den Zank seiner zwei Weiber, durchschnitt das
Kohr, das Himmel und Erde zusammenhielt, so dass
ersterer emporstieg, letzterer herabsank. Auf den Gilbert-
inseln hat der Gott Rigi den Himmel emporgehoben, um
den Menschen und Tieren Existenzmöglichkeit zu ver-
schaffen 16 ).
Auf diese Weise ist der Himmel respective die Sonne
der männliche, die Erde der weibliche Teil der Schöpfung.
Nicht nur Rangi und Papa sind so gedacht, sondern so
denken sich auch die Bewohner der östlichen kleinen
Inseln Indonesiens Himmel und Erde als Vater (Mann)
und Mutter (Weib) des Weltalls 17 ).
,2 ) Williams: „Narrative" 8. 542. Sehirren S. 42. Bastian:
„Oceanien" S. 1.
1S ) Ellis: „Pol. Res.- Bd. II 8.43.
u ) Turner S. 245.
»*) Turner 8. 246.
") Chalmers 8. 174. Parkinson: „Gilbert* S. 101 — 104.
") Riedel 8. 195, 337, 372, 410.
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— 3(U —
In der Mythe von Orungan und Yemaja stürzt letztere
da nieder und bringt die Götter hervor, wo der Sonnen-
untergang in der Schango-Mythe festgestellt werden kann.
Etwas gleiches treffen wir in der Mythe der Carolinen,
die aussagt, die Tochter des Urgottes habe sich inmitten
der Luft schwanger gefunden, sei zur Erde hergestiegen
und niedergekommen, worauf sogleich die kahle Oberfläche
der Erde mit Gras, Blumen und Obstbäumen bedeckt mit
Menschen bevölkert worden sei 1 *).
Verlegen wir nun die Flucht der Yemaja in die Unter-
welt, — was erlaubt scheint, da die Mythe der Verfolgung
auf das Feuerdiebstahlmotiv zurückgeführt werden kann,
— so verstehen wir diesen Zug sofort. Wir bemerken
nämlich, dass die Sonne ebenfalls dem Körper der Yemaja
entspringt. Die zweite Gottheit ist Schango, die vierzehnte
Orun. Die erste Gottheit ist ausserdem Dada, die der
Pflanzen, deren Bedeutung für den Sonnenaufgang wir nun
genugsam kennen.
Danach würde für den Sonnenaufgang und somit die
Schöpfung ein neues Bild entstehen. Bis dahin ist die
Erde still stehend und der Himmul sich erhebend gedacht.
Nunmehr bleibt der Himmel in seiner Lage und die Erde
sinkt hinab. Diese Umformung schreibe ich dem Einfluss
der Himmeleinsturzmythe zu. Es ist also eine umgekehrte
Untergangsmythe, die als Schöpfungsmythe in den Anfang
verlegt ist.
In Oceanien lässt sich das sehr gut verfolgen. Auf
Samoa existiert die Einsturzmythe: They say, that of old
the heavens fall down 19 ).
Die Tahitier haben eine Tradition, nach der einst die
grossen Götter in ihrem Zorn die ganze Welt in Stücke
,8 ) Hoekin 8. XXIII.
>*) Turner 8. 245.
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362
gebrochen haben sollen, dass alle die Inseln um sie herum
nur Stücke von dem sind, was einst ein grosses Land war.
Auf Tonga wirft Hikuleo die hohen Inseln vom Himmel
herab, auf anderen Archipelen Tangaroa 20 ).
In der Mythe der Tonganer und Samoaner wirft
Tangaroa dem schaffenden Vogel oder Boten, Kijikiji oder
Tuli die Erde oder einen Stein hinab, auf dem diese aus-
ruhen und schaffen mag 21 ).
Aehnlich liisst der Himmelsgott der Battak eine Hand
voll Erde herabgleiten, aus der der Erdball von den am
Stricke oder Faden herabgekommenen Sohne oder Mädchen
geformt wird 22 ).
Nach der Ansicht der Toagalen auf den Phillipinen
ward der Vogel des Urbeginnes, da nichts als Himmel
und AVasser existierte, des Fliegens müde. Er setzte die
beiden Elemente in Streit und darauf schleuderte der
wütende Himmel Felsen herab, die jetzt als Inseln auf
dem Ocean liegen und auf denen der Vogel sich aus-
ruhen konnte 23 ).
Es erübrigt, die analogen Erscheinungen in australischen
und liordwestamerikanischen Mythen zu erwähnen. — Einst
ruhte — nach australischen Mythe der Himmel auf der
Erde. Da kam eiu Mann mit einem Stabe und schob ihn
in die Höhe, so dass die Sonne ihren freien Lauf hatte.
Also auch hier ist der Lauf der aufgehenden Sonne aus-
gesprochener Weise bedeutungsvoll. Auch die Himmel-
einsturz-Mythe kennen wir aus Australien, wenn auch in
etwas abweichender Form. Einst war Pund-jel mit den
10 ) Wilson: „Missionsreise" 8.365. Schirren S. 36. Waitz, Bastian,
KUis etc.
S1 ) z. B. Bastian : „Samoanische' 1 S. 10.
21 ) Pleyte S. 290. Brenner S. 217, H.
") Maroden S. 303.
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— 363
Yarra sehr unzufrieden. Da warf er einen Stern vom
Himmel und tötete viele 24 ).
Eine nordwestamerikanische Mythe fangt mit den
Worten an: Damals war der Himmel noch nahe der Erde.
Darauf folgt die Herstellung der Pfeilbrücke. Einst war
also diese Mythe ebenfalls auf einem Motiv der Sonnen-
mythe aufgebaut. Eine Niedersturz-Mythe ist insofern vor-
handen, als die Kootenay erzählen, vor diesen Menschen
hätte schon ein Menschengeschlecht existiert, welches aber
getanzt habe, bis alle tot zu Boden stürzten 25 ).
Eine weitere Gruppe wichtiger Mythen, die auf dem
Motive der Himmel- und Erdtrenuung aufgebaut sind,
findet sich in den östlichen Provinzen in enger Beziehung
zum Tintenfisch, Kraken oder Oktopus.
Einst lag nach der Tradition von Rajatea der Himmel
auf der Erde und dem Ocean, festgehalten durch die
Beine eines ungeheuren Tintenfisches. Aber Maui stieg in
die Tiefe und kämpfte mit ihm. Er zerhieb ihn und darauf
fuhr der Himmel in die Höhe 26 ). Maui der Sonnenheld
tötete den Kraken. Das deutet wiederum unverkennbar
auf das tägliche Lichtwerden hin.
Auf Samoa kämpft der aus der Urzeit hereinragende
Kraken mit dem Eeuer und erliegt 27 ). Auf Neu-Seeland
treffen wir den Oktopus wenigstens in den dem Rhylmus
der Sonnenmythologie zufolge umgebildeten Wandermythen,
in dem er den dritten Kahn in die Tiefe zu ziehen sucht 28 ).
") Howitt S. 205. örough Smyth Bd. I S. 456.
") Boa«: „Vcrli." 1892 S. 333, 1891 S. 172.
") Tyrmann und Bennet Bd. I S. 520. Siehe auch Sehirren
S. 42, 81, 113. Bastian: „Oceanien u S. 20 1.
27 ) Bastian: „Samoanisehe u S. 13, auch S. 39 ff.
") Sehirren S. 113.
Auch auf Hawaii' 29 ) gehört der Oktopus zu den uralten
(lottern.
Von den Gilbert-Inseln 30 ) endlich ist eine wichtige
Umgestaltung der Mythe bekannt. Im Anfang lag der
Himmel dicht auf der Erde als Kugelschale. Da half ein
Heros den Göttern ihn in die Höhe schieben. Seine
Schwester unterstützte ihn dabei als Tintenfisch. — Viel-
leicht um auf diese Parallele wenigstens hingewiesen zu
haben, ist auch der Taschenkrebs, der nach niassischer
und battakscher Anschauung im Innern der Erde ruht, ein
Verwandter des Octopus. Er verursacht Ebbe und Flut.
Wenn er mit der grossen Schlange in Conflict gerät, er-
zittert die Erde 31 ).
Da nun auch in der nordwestamerikanisehen Mythologie
der Tintenfisch auftritt, fragt es sich, ob seine Bedeutung in
dieser Mythologie die gleiche ist, wie in den oceanischeu.
Das Zusammenhalten vertritt der Octopus iu der Mythe
der Tlatlasikoala. Dort muss er mit seinem langen
Armen die Dachbalken am Hause des Raben zusammen
halten. Von diesem Stamme hören wir auch von einem
Kampfe des Raben mit dem Kraken, aus Britisch Kolumbien
dagegen von einem Zweikampfe des Sonnenhelden der
Catlotlq mit dem Tintenfische, dem dabei die Fangarme
abgeschlagen werden. Endlich erzählen die Tlinkit: Jeleh
habe für seinem Olim den Octopus gefangen, der habe im
Hause angefangen, mächtig zu schwellen, wodurch die
Flut herbeigeführt worden sei. Jelch zog aber seine Vogel-
kleider an und flog gen Himmel empor 32 ).
") Bastian: „Allerlei* Bd. I 8. 114. „Ozeanien" 8. 87, 2*20, 226 7.
„Hawai" 8. 27.
>0 ) Ratzel: „Völkerkunde- 2. Aufl. Bd. I 8.288. Bastian: „Oze-
anien* S. 21, 98.
J1 ) Rosenberg 8. 175. Brenner 8. 224.
") Boa«: „Verh." 1893 8. 252, 247, 1892 8. 83. Krause: „Tlinkit*
8. 257.
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>
— 3G5 —
Der Sonnenheld und der Rabe repräsentieren dem-
nach hier in gleicher Weise die Sonne. Der Rabe fliegt
gen Himmel, — die Sonne geht auf. Denn die vorher-
gehenden Sonnen spielen in der Unterwelt. Auch werden
dem Kraken die Tentakeln abgeschlagen. Daraus ist zu
ersehen, dass also auch hier der Kraken das während der
nächtlichen Dunkelheit Himmel und Erde zusammenhaltende
Element ist.
Klarer wird dies noch aus der Mythe der Catlotlq
der zufolge der Sonnenheld in der Unterwelt tagsüber
(siehe Seite 151 u. 152) mit dem Tintenfische bedeckt ist 33 ).
Seier führt das auf den Strahlenglanz der Sonne zurück.
Er hat übersehen, dass diese Scenen in der Unterwelt
sich abspielen. Danach strahlt des Nachts — die Nacht
in der Oberwelt gleich dem Tage in der Unterwelt —
beim Sonnenbesitzer die Sonne, des Tags ist sie in der
Oberwelt. Also heisst das auch, dass der Oktopus im
Dunkel oberirdischer Nacht, die Strahlen der Sonne be-
deckt. Das Motiv in dem der Kraken in Nordwestamerika
seine Rolle spielt ist das gleiche wie das oceanische.
Ich will nun noch eine Mythe von den Inseln der
Torresstrasse erwähnen, die Mythe von Malu 34 ). Der
Wanderheld Malu verwandelt sich iu einen Oktopus und
fällt eine fischende Frau an. Diese tötet ihn aber und
nimmt ihn mit nach Hause. Dort wird er in einem Korbe
aufgehängt. Nachts beginnen seine Augen aber zu leuchten,
er lässt sich auf die Erde fallen und beginnt auf der
Insel umher zu wandern.
Hier erscheint mir der Oktopus gewisse Symptome der
unterirdischen Sonne angenommen zu haben, wozu er ja
auch schon in der Mythe der Catlotlq neigt.
3S ) Boas: „Verh. u 1892 S. 3H/9.
") Haddon: „Seeular" 8. 14H. „Legend»" 8. 181 ff.
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36(5 —
Ich will kurz noch der Vollständigkeit halber den
afrikanischen „Erdkultus" erwähnt haben, wenn man von
einem solchen sprechen darf. Die Betrachtung der Mond-
mythen schliesst dann im folgenden Kapitel den Cyclus
ab. Denn von einer Verehrung des Himmels kann wenig
in Afrika gesprochen werden. Höchstens ist aus Wetter-
zaubereien ein schwacher Anklang zu vernehmen 35 ). Der
Name der „gleichgültigen Gottheiten" ist oftmals mit dem
Worte für Himmel identisch (z. B. Olorun).
Die Verehrung der Indonesier für die Mutter Erde ist
genugsam besprochen 36 ). In solcher Weise ist in Afrika
dieselbe nicht ausgebildet.
Ausser Odudua ist die Loangogottin Mokisso Insie,
die Mutter aller Gottheiten, die in einer Erdpyramide ver-
sinnbildlicht ist, bemerkenswert 37 ). Diese Erdpyramide
erinnert an früher erwähnte Beziehungen zur Sonnen-
mythologie. In gleicher Weise gemahnt an diese Verwandt-
schaft die schon betonte Zuhülfeziehung der Diener Akotias
und des Feuerpriesters Chitome 38 ) beim Weilen des Bodens
und der Erstlinge.
Im allgemeinen darf man wohl sagen, dass den Afri-
kanern die Erde Mutter des Alls und auch der Sonne ist,
dass die Weihuug der Erstlinge aber mehr der Sonne als
der Erde gilt. So scheint dies in dem oftbeschriebenen
Yamsfeste am Niger, dem Waje der Fall zu sein 39 ).
Andererseits sind diese Erstlingsfeste, die wir mehr oder
") i. B. Coquilhat S. 291.
as ) Vergl. Riedel, Pleyte, Ratzel, Brenner etc.
37 ) Bastian; „Loangoküste* Bd. I S. 85 ff., Bd. II S. 1)0/1, 220, 229,
241. Schneider 8. 200.
") Vergl. Kap. lt> und 17.
,9 ) Horton S. 1801. Crowther and Taylor 8. 287. Burdo S. 115.
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weniger ausgeprägt im ganzen Westafrika treffen, auch mit
den Wetterkultus in Beziehung zu bringen.
Die Mitteilung, dass die Bari ihre Stühlchen stets bei
sich tragen, um nicht durch etwaige Berührung des Bodens
die Erde zu beleidigen 40 ), steht vereinzelt da.
*°) Bastian: „Allerlei" Bd. II 8. CVIII. — Ueber Bauopfer und
Verwandte«; Hoflfmann 8. 133. Römer 8. 154.
XXI. Kapitel.
Die Todes- und Mondmvthen in westlichen und östlichen
Provinzen.
Der afrikanische Mondkultus. — Die Mondmythologie. Mond-,
Sonne-, Himmelsverehrung. — Das Wiederaufleben des Menschen und
des Monde». — Mau. — Todesbewusstsein. — Die Todesmythe des
Zulu. — Die Todesmythe der Hottentotten. — Hase. — Eidechse. —
Chamäleon. — Das Erwachen des Todesverstandnisses. — Rhythmus
der Sonnenmythen. — Die polynesische Todesmythe. Die Todes-
mythe in Indonesien, Mikronesien, Melanesien. — Die Wemut der
Todeserkenntnis. — Formwechsel-Motiv und Hautwechsel-Motiv. —
Das Gleiche in Afrika. - Die Selbstverständlichkeit des Todes. —
Der abnehmende und zunehmende Mond bei den Afrikanern. — Neu-
mondfeste. — Vorstelluug vom Mondwechsel. — Das Schicksal der
Gestirne und des Menschen. — Orun und Oschu. — Der Mond als
Frau. — Mondmythe in Neu-Guinea. Mondmythen Oeeanien». —
Mondmvthen Nordwestamerikas und Australiens.
Fast schoo zu spät erinnere ich aber nun endlich
daran, dass der grösste Teil der Afrikaner auf dem Stand-
punkte der Mondverehrung steht. Was wir an Sonnen-
mythen fanden, waren Trümmer und verdrängte, versteckte
Götter. Der Mond ist überall mit einem bestimmten, wenn
auch wenig grossen oder bedeutendem Anschauungsschatze
umgeben. Märchen und Fabeln knüpfen sich an seine
Wandlungen, seine Formen, seine Wege. Und das kann
nicht Wunder nehmen. Ein alter Schriftsteller sagt: Ganz
Afrika tanzt bei Nacht. Dazu tritt, dass die Form-
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I
— 369 —
Veränderungen des Mondes eher das Aufsehen nach Aus-
nahmen ausschauender Wildlinge erregen muss. Mit einem
gewissen Rechte nennt Schultze den Mondkultus die erste
und niedrigste Stufe der Verehrung der Himmelskörper.
Das wichtigste Motiv der Mondmythen ist das Todes-
motiv. Da wollen wir einmal zurückschauen auf den
Untergang und die — die Bedeutung des Gesetzes vou der
Umkehrung wird nun bekannt sein. — Entstehungsmythen.
Der Tod des Menschen trat in Beziehung zum Untergange
der Sonne, der die Seele des Toten folgt. Und in gleicher
Weise ist die Entstehung der Erde und des Menschen
auf die Motive der Sonnenmythen zurückzuführen. Die
Schöpfungsmythe schildert den als einmalig in die Ver-
gangenheit geschobenen, täglich zu beobachtenden Vorgang
des Tagwerdens. Die Entstehung des Menschen und eine
zweite Entstehungsmythe fusst auf den Umkehrungen der
Sagen von der Fahrt in das Jenseits — Rohrursprung —
von Untergang der Sonne im Fels. — Höhlenursprung —
von der Vogelmythe — Eiursprung — etc.
Ueberall Motive der Sonnenmythen! Wenn es nun
wahr ist, was Schultze bewiesen zu haben glaubt und was
durchaus nicht zu verwerfen ist, wenn es auch zu schroff
in der Trennung der einzelnen Entwickelungsphasen durch-
geführt ist, dass eine Reihenfolge der Verehrung der
Himmelskörper bei den Völkern sich erkennen lasse,
dass Mondverehrung, Sonnenverehrung und Himmelsver-
ehrung auf einander folgen, — wenn das wahr ist, so muss
sich die Frage aufdrängen, ob denn die Aera der Mond-
verehrung keine Spuren hinterlassen habe? Hat diese keine
Mythen erzeugt? Bilden die Menschen der Aera der Mond-
verehrung noch keine Entstehungs- oder wenigstens Unter-
gangsmythen? Oder haben die Priester und Völker, die
die Sonnenmythen tragen, alle Spuren und Reste der
Mondmythologie ausgerottet? Wie endlich ist in der
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker.
24
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- 870 —
Zeit der Mondverehrung das Verhältnis höherer und nie-
derer Mythologie?
Diese Fragen, deren Beantwortung geradezu ausschlag-
gebend für die Lösung unseres Problems ist, müssen wir
bei der Prüfung der beiden Mythen, die die hauptsäch-
lichsten und auch beinahe einzigen uns bekannten sind,
der Mythe von der Entstehung des Todes und von der
Liebe zur Sonne in den Vordergrund stellen. Die Mytho-
logie desjenigen afrikanischen Volkes, das einen reichen
Schatz von Mondmythen besitzt, der Buschmänner muss
erst klar gelegt werden, um in Untersuchungen unserer
Art hineingezogen werden zu können.
Merolla beobachtete bereits in Kongo, dass die Idee
des Fortlebens mit den Wandlungen des Mondes verknüpft
wurde. Wenn Neumond eintrat, fielen die Leute auf die
Kniee und sangen: „Möchte mein Leben so erneuert werden,
wie Du erneuert wirst. u Bastian erwähnt den Gesang:
„Eantua fua = der Mensch stirbt und Eantua jinga = der
Mensch lebt wieder 1 ). u Der Namaqua sagt: „Er stirbt
und wird wieder lebendig und so auch wir 2 )."
Diese Angaben enthalten das Motiv der primären
Mondmythe. Wir können hier schon die Bemerkung ein-
schieben, dass, während den Völkern der Sonnenmythologie
ein, wenn auch beschränktes Verständnis für den Tod eigen
ist, dieses den Menschen der Mondmythologie noch fehlt.
Bei ihnen herrscht noch viel mehr die Vergleichung mit
dem Schlafe. Der Mensch lebt wieder auf wie der Mond;
so denken sie. Einen gewissen Uebergang bietet die Mytho-
logie Loangos.
Die Neger Loangos bringen den Ursprung der Endoxe
in der Schöpfungsmythe mit dem ersten Sterben in Ver-
') Merolla in „Allg. Hißt. d. B. tt Bd. IV 8. 662. Bastian: „Loango-
küste" Bd. II 8. 228.
r ) „Das kleine Xamaqua-Land" S. 381.
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— 371 -
bindung. Dieses aber trat erst nach einem G otterstreite
ein, während anfangs das Leben beständig währte und
sich mit dem Neumond stets erneuerte 3 ).
In Dahome ist der entsprechende Zug in Maus Thätig-
keit wiederzufinden. Von Ellis wird dieser Mau eigentüm-
licher Weise nicht erwähnt in der Eigenschaft. Er erwähnt
nur Mawu. Mau ist nach Skerehleys eingehender Dar-
stellung einmal das höchste Wesen, das über dem Himmel
wohnt und sich nur bei besonderen Anrufungen um die
Menschen kümmert. Mau ist, wie der Autor meint, in
jeder Hinsicht eine antropopathische Gottheit. Er verfügt
über die Zukunft der Menschen, indem die guten und
schlechten Handlungen derselben an je einem Ende eines
Stockes notiert werden. Wenn beim Tode eines Menschen
nur die gute Seite nach unten balanciert, so kommt er
in das Kutomen, das Totenland. Mau ist ausser-
dem die Gottheit des Mondes. — Eigentümlicherweise
erwähnt Ellis ein Orakelinstrument, der Bewohner Porto
Novos, das Obatala lenkt, welches mit der Totenwage
Maus Aehnlichkeit hat 4 ). Aus letzterer Form, die auch
die gleiche Beziehung des Todes zum Monde andeutet,
geht schon hervor, dass das Todesbewustsein rege ist. Und
das lässt sich auch aus den folgenden Mythen schliesseu,
die ich deshalb anderweitig sekundäre Todesmytheu ge-
nannt habe, weil sie beweisen, dass die Träger derselbe»
das Stadium schon verlassen haben, in der die Menschen
noch nichts von der Selbstverständlichkeit des Todes
wissen 5 ). Die Form dieser Mythen scheint über das
») Bastian: „Loangoküste" Bd. II 8.161.
*) Skerchley S. 461, 473. Ellis: „Yoruba" 8. 401. Die Bewohner
Porto Novos sind Ewe. Obatalla ist aber ein Yoruba-Gott, worauf
zu achten ist.
5 ) „K. Schiffsschnabel" 8. 11, 54.
24*
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- 37*2 —
ganze südliche und westliche Afrika ausgebreitet zu
sein 8 ).
1. Unkulunkulu sandte einst nach der Zulumythe
ein Chamäleon aus. Er sagte zu ihm: „Gehe, Chamäleon,
gehe und sage: Lass die Menschen nicht sterben." Das
Chamäleon ging aus; es ging langsam, es legte den Weg
langsam zurück, und als es ging, ass es von der Frucht
eines Baumes, welcher Ubukwebozane heisst. — Später
sandte Unkulunkulu eine Eidechse hinter dem Chamäleon
her, als dieses schon eine Weile fort war. Die Eidechse
ging; sie lief und beeilte sich sehr, denn Unkulunkulu
hatte gesagt: „Eidechse, wenn Du angekommen bist, sage:
Lass die Menschen sterben.** So ging die Eidechse und
sagte: „Ich verkündige Euch, man hat gesagt: Lass die
Menschen sterben." Die Eidechse kam zu Unkulunkulu
zurück, bevor das Chamäleon seine Bestimmung erreicht
hatte, das Chamäleon, welches zuerst ausgesandt war und
verkündigen sollte: Lass die Menschen nicht sterben. Später
kam es an, rief aus und sagte: „Lass die Menschen nicht
sterben." Aber die Menschen antworteten: „0, wir haben
das Wort der Eidechse gehört, sie hat uns das Wort ver-
kündet, man hat gesagt: Lass die Menschen sterben. Wir
können Dein Wort nicht hören. Nach dem Worte der
Eidechse werden die Menschen sterben 7 )."
'2. Der Mond, so erzählen die Hottentotten, sandte
einst ein Insekt zum Menschen, welchem er sagte: „Gehe
zu den Menschen und verkündige ihnen: So wie ich sterbe
*) Chrisfaller schreibt: „Ich »ah mich einmal veranlasst, eine
afrikanische Sage vom Ursprünge des Todes vergleichend zu be-
handeln. Sie findet sich bei mehreren Kaffern Völkern, aber auch bei
den Tschi-Kegern der Goldktiste und bei den HaussaOfegern." S. 35.
Ich habe die erwähnte Arbeit nicht auffinden können.
7 ) Haarhotf S. 44/45 nach Callaway. Merensky: „Beiträge" S. 124.
Ca<alis 8. 135. Schneider S. 65.
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— 373 —
und sterbend lebe, so sollt Ihr auch sterben und sterbend
leben. " Das Insekt ging fort mit der Botschaft, wurde
aber unterwegs vom Hasen überholt, welcher fragte: „Mit
welcher Botschaft eilst Du von dannen?" Das Insekt ant-
wortete: „Ich bin vom Monde zu den Menschen geschickt,
um ihnen zu sagen, dass, so wie er stirbt und sterbend
lebt, sie auch sterben werden und sterbend leben." Der
Hase sagte: „Weil Du ein schlechter Läufer bist, lass
mich gehen." Mit diesen Worten rannte er von dünnen.
Als er die Menschen erreicht hatte, sagte er: „Ich bin vom
Monde geschickt, Euch zu sagen: Wie ich sterbe und sterbend
zu Grunde gehe, in gleicher Weise sollt auch Ihr sterben
und völlig zu Grunde gehen." Dann kehrte der Hase zum
Monde zurück und verkündete dort, was er zu den Menschen
gesagt hatte. Der Mond tadelte ihn ärgerlich und sagte:
„Solltest Du den Menschen etwas überbringen, was ich
nicht gesagt habe?" Mit diesen Worten hob er ein Stück
Holz auf und schlug ihn auf die Nase. Seitdem ist des
Hasen Nase gespalten, und die dunklen Flecke, welche
wir jetzt auf der Mondoberfläche sehen, sind die Wunden,
welche der Mond bei dieser Gelegenheit vom Hasen empfing 8 ).
Der Vergleich der beiden Mythen ergiebt ein sehr
interessantes Resultat. Die erstere sagt aus, dass alle
Menschen sterben müssen, die zweite, dass, wenn der Mensch
stirbt, er nicht wiederkehrt, wogegen der Mond ja auch
stirbt, aber wiederkehrt. Die zweite ist demnach die ältere
Form, aber merkwürdigerweise auch eine arg umgebildete.
Wenn wir nämlich das erste der drei handelnden Tiere,
Hase, Eidechse und Chamäleou, auf seine Bedeutung in der
Mythologie prüfen wollen, so finden wir Auskunft in einer
sehr anziehenden kleinen Abhandlung von Büttner, die
•) Bleck Nr. 31 und 33. Haarhoff 8. 49. Anderten Bd. II S. 64 5.
Ratzel: „Völkerkunde" 1. Auflage Bd. I S. 30.
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374
besagt, dass die Mythe und G estalt des Hasens auf ein
Miss Verständnis in der eigenen Sprache oder eiueu lin-
guistischen Umbildungsprozess zurückzuführen ist 9 ).
Das zweite Tier, die Eidechse, ist eine Figur der
Ahnenmythologie. Im Teile l haben wir noch darüber
gesprochen. In diesem Falle hängt sein Auftreten viel-
leicht mit Ideen der Malajien, der Bogabos und Madegassen
zusammen, die bei Sonnen- und Mondfinsternis meinen,
ein Krokodil oder ein Drache nahe dem betreffenden Gestirne,
es zu verschlingen 10 ).
Das dritte Tier ist das wichtigste. Im westlichen Afrika
und in Unyoro ist das Chamäleon in ausgesprochener Weise
ein Tier des Kreises der Sonnenmythen. Es krönt den
theekannenförmigen Topf des Sonnengottes Lissa, als
dessen Bote es fungiert. Es ist fernerhin als Sonne, wie
wir sahen, Stammvater der Menschen. Bei den Kaftern
ist die Stammmutter der Menschen von einem Chamäleon
befruchtet 1 1 ). Im Falle unserer Mythe ist nun das Chamäleon
der Bote des Mondes.
Mit diesen Vorkenntnissen ausgerüstet, kann ich nun
die Fragen, die oben gestellt wurden, anders formulieren.
Sie lauten, auf das Chamäleon übertragen: Stammt das
Chamäleon aus der älteren Mondmythologie oder aus der
jüngeren Somienmythologie? Aus welcher ist es in die
andre übertragen?
Ich glaube die Frage so beantworten zu können, dass,
da die Wiedererstehungsidee. die nur den Mondmythen eigen
•) Büttner in „Ausland" 1882 8. 494.
,0 ) Schadenberg i. d. „Ztschrft. für Ethnologie" 1885 Bd. XVII
8. 32. Buschmann 8. 41/2.
11 ) „Globus 14 1894 Bd. 66 8. 283. Burton: „Yoruba" Bd. II 8. 147.
Kllis: „Ewe" S. 65. Skerchley 8.472. Ratzel: „Völkerkunde" 1. Aufl.
Bd. I S. 469 70. Kmin 8. 91. Bastian i. d. „Ztschrft. tür Ethnologie"
Bd. I 8. 47.
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— 375
zu sein scheint — und das steht ziemlich fest — das
Motiv: „ich (der Mond) lebe und lebe sterbend", alt ist.
Die Todesidee d. h. die aufkeimende Ahnung, dass der
Mensch sterben muss, ist erst mit der Sonnenmythologie
gekommen.
Dazu tritt ein für mich entscheidender Fall. Nämlich
die beiden Formen der Mythe, sowohl die der Hottentotten
als die des Zulu und Basuto, zeigen den Rhythmus der
Sonnenbahnmythen. Langsam steigt das Chamäleon, das
nicht das Sterben bringt, am Himmel entlang. Der Hase,
der die Todeskunde trägt, eilt schnell herab, die Sonue
geht unter und mit ihr die Seelen der Toten. Der Unter-
gang ist durch den Kampf des Hasen mit dem Monde und
durch den Hass, den die Menschen der Eidechse zuwenden,
versinnbildlicht.
Was mich in der Annahme dieser Lösung der Mythe
als einer richtigen bestärkt, ist die Analogie in Oceanien,
dessen Mythen ich mich zuwende, ehe ich die afrikanischen
Mondmythen weiter verfolge.
Nach polynesischem Glauben kam mit Maui der Tod
in die Welt, als er von der Hine-nui-te-po verschlungen
ward. Wenn es Maui gelungen wäre, durch den Rachen
seiner Ahnen ohne Schaden zu schlüpfen, „ würden die
Menschen heute nicht zu sterben brauchen" l2 ). Die Ab-
stammung der Mythe aus dem Kreise der Sonnensagen
bedarf keiner Beweise mehr. Für mich ist aber besonders
wichtig, dass Hine-uni-te-po die Mondgöttin entweder
jetzt noch ist oder gewesen sein muss. denn Hine ist
der Mond. Der Mond ist der Verschlinger aber nicht
nur in Neu-Seeland. Auf der Babar-Gruppe werden die
Menschen, die eines gewöhnlichen Todes sterben, die
,s ) Thomson: „New Zealand" Bd. I S. 110. S. auch Schirren
S. 34 nach Shortland.
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37tf
Speise des Rarawaliai, eines Geistes, der im
Mond wohnt und die Ursache des Todes ist 13 ).
Aber auch die primäre Mondmythe hat unter den
Oceanieru ihre alte Gestalt noch nicht überall verloren.
Die Bewohner der Karolinen erzählen, in den ersten Zeiten
habe man den Tod noch nicht gekannt; er war nur ein
kurzer Schlaf. Die Menschen verliessen das Leben an
dein letzten Tage des abnehmenden Mondes und wenn er
wieder anfing, auf dem Horizonte zu erscheinen, so standen
sie wieder auf. Das Vitana oder Schicksal der Hova hing
von der Lichtgestalt und der Haltung ab, die der Mond
bei der Geburt eines jeden hatte. Die Tahitier erzählten,
dass die Geister, wenn der Mond abnehme, ihren Katua
speissten, dass aber die Wiederherstellung des Ratua
fortschritte. wenn der Mond zunahm. — Letzterer ist eine
interessante Umkehrimg insofern, als sonst die Götter die
Seelen speisen **).
Auf die Verwandtschaft der Sterblichkeitssagen in
Südafrika und auf Fidschi haben schon Peschel und Ratzel
hingewiesen. Die Fidschianen lassen zwei Götter, Mond und
Ratte, sich streiten, ob die Menschen wie der Mond sterben
und wiederkehren oder wie die Ratte einfach sterben
sollten. Die Ratte siegte; nun sind die Menschen sterblich 15 ).
Was aus dieser Art der Darstellung herausgelesen
werden muss, ist die allmählich aufkeimende Vermutung,
dass die durch die anthropomorphisierende Gestaltungskraft
geschaffene Beziehung zwischen dem Schicksal des Mondes
und dem des Menschen nicht existiere. Auch aus anderen
ia ) Riedel 8. 361.
") Hoekin S. 23. Sibree S. 350. Cook 3. R. Bd. II S. 204.
") Williams: „Fidji" Bd. I S. 305. Ratzel: „Völkerkunde' 1. Aufl.
Bd. I S. 302, Bd. II S. G69. Auch in Nieder-Guinea und am Alt-
Calabar wird die Ursache menschlichen Sterbens auf einen ursprüng-
lichen Streit zurückgeführt. Vgl. Bastian: „Loangoküste" Bd. II S. 227.
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— 377
Mythen der Fidschianer klingt der wehmütige Ton dieser
Erkenntnis. Als der erste Mensch gestorben und begraben
war, verlangte ein Gott, dass er wieder ausgegraben werden
sollte. Aber die Menschen sagten, er liege seit vier 16 ) Tagen
im Grabe und stinke. Wegen dieses Ungehorsams der
Voreltern sterben die Menschen und kehren nicht wieder.
Die Seele sollte wie die Gestirne wieder zurückkehren.
Sie kommt aber nicht wieder. Das soll die Mythen deuten.
Auch die Dinka singen:
Am Tage, als Gott alle Dinge erschaffen,
hat er die Sonne erschaffen
Und die Sonne geht auf und geht unter und kehret wieder,
hat er den Mond erschaffen
Und der Mond geht auf und geht unter und kehret wieder,
hat er die Sterne erschaffen
Und die Sterne gehen auf und gehen unter und kehren wieder,
hat er den Menschen erschaffen
Und der Mensch kommt hervor, geht in die Erde und
kehret nicht wieder 17 ).
Eine etwas andere Gestalt nimmt die Fidschi-
Mythe vom Streite des Mondes mit der Ratte auf den
Inseln an, wo das Hautwechselmotiv hinzutritt, das in
folgender Version dem Formwechselmotive entspricht, Auf
den Neu-Hebriden stritten vor alten Zeiten einmal eine
. Frau und eine Krabbe. Die Krabbe hatte das Vermögen,
wenn sie alt war. die Haut zu wechseln, worauf sie wieder
jung ward, die Frau nicht, deshalb tadelte sie Tagar —
wohl Tagaro oder Tangaroa— , dass er die Menschen fehler-
haft erschaffen habe. Andererseits wird aber auf Salomonen
'*) Die Zahl 4 in dieser Mythe spricht stark für ihre solare Ab-
stammung. In dun meisten nordwestamerikanischen Mythen kehren
die Sonnenhelden anch erst am 4. Tage auf die Oberwelt zurück!
17 ) Williams: „Fidji" IM. I S. 204 ö. Mitterrutzner S. 59.
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— 378 —
Banks und Neu-Hebrideu erzählt, die Menschen hätten
früher die Haut wechseln können — wie ja auch vieler
Orts die Mythe, in alten Zeiten wären die Menschen mit
dem abnehmenden Mond hingesiecht und mit dem zu-
nehmenden wieder erstanden, bekannt ist. Eine alte Frau
legte einstmals die alte abgezogene Haut wieder an und
dadurch verloren die Menschen dies Vermögen. Auf der
Barbargruppe existiert die letztgenannte Mythe ebenfalls.
Auch dort ist eine alte Frau der Grund des Verlustes
dieser ausgezeichneten Eigenschaft 18 ).
Die gleiche Mythe treffen wir aber auch in Afrika
wieder. Leza — ein Gott der Wafipa — stieg einst auf
die Erde nieder und richtete an alle Lebewesen die Frage:
„Wer will den Tod nicht sehen?" Zum Unglück schliefen
die Menschen (es war also Nacht) und auch die Tiere,
ausgenommen die Schlange. Diese antwortete: „lch. u
Infolgedessen müssen die Menschen und Tiere sterben, die
Schlange dagegen braucht nur einmal jährlich ihre Haut
zu erneuern, um ihre Jugendfrische wieder zu gewinnen 19 ).
So weist den jede Einzelheit auf eine analoge Ent-
wicklung der Mythen in Afrika 20 ) und Oceanien hin.
Und doch existiert ein Unterschied. Die Afrikaner — von
den Westafrikanern haben es viele Reisende berichtet —
glauben nicht an die Selbstverständlichkeit des Todes. Die
Oceanier dagegen, wenigstens die Völker der polynesischeu,
1H ) Codrinigton S. 283, 260, 265, 283/4. Riedel S. 362.
'») Josset S. 49/50.
I0 ) Der Einfluss der Sonnenmythologie auf die Todesmythen geht
z. B. aus folgenden Angaben hervor: „Jua, die Sonne, gilt in Ost-
afrika als Ursache des Todes. In Unyoro kündet Sonnenfinsternis
des Herrschers Tod. In Yoruba ist — siehe weiter oben — der
Marne des Sonnengottes die Bezeichnung für einen allzu frühen Tod. —
Burton: „Lake Regines" Bd. II S. 364. Emin S. 93. Crowther: „Voca-
bulary" 8. 861.
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f
— 379 -
auch der melanesischen Grenzinseln haben dies Verständnis
schon gewonnen.
Die alte Anschauung, dass der abnehmende Mond
sterbe, der zunehmende wieder auflebe, hat sich auf afri-
kanischem Boden in mancherlei Sitten und Meinungen
Denkmale geschaffen.
Es sei nur erwähnt ein Glaube der Wabondei. Wenn
jemand die Stangen zu einem neuerrichteten Hause schneidet,
so hat er wohl darauf Acht zu geben, diese Arbeit bei
zunehmendem Monde auszuführen, denn wenn sie bei ab-
nehmendem Monde geschehen würde, so würden die
Stangen bald faulen, während sie im anderen Falle für
sehr dauerhaft gelten. Weiterhin verknüpft man die
Schwere der Krankheit mit dem Stande des Mondes 21 ).
Der Herrscher von Lnyoro füllt bei zunehmendem Monde
seine Amuletthörnlein und so auch die Westafrikaner 22 ).
Feste zur Zeit des Neumondes werden wohl im ganzen
Afrika 23 ) gefeiert. Nur sind sie an einigen Orten im
Aussterben begriffen, z. B. bei den Betschuauen. Im
Norden schliessen die Gebräuche sich direkt an die Feier
des mohamedanischen Kamathan au.
Wichtig und interessant für anthropopathische Götter-
*') Baumann: „Usambara" S. 125. Bastian: „Loangoküste" Bd. II
S. 228. Vgl. auch Schneider S. 125.
") Speke 8. 259. Junker Bd. III 8. 282. „Allg. Hist. d. B."
Bd. IV 8. 661. Bastian: „Loangoküste" Bd. II 8. 224.
") Sudan: Rohlfs Bd. III 8. 173; Sehweinfurth 8. 236. Nord-
westaf rikuner: Dapper S. 360; „Allg. Hist. d. B." Bd. III S. 630.
Westafrikaner: Dapper 8. 427; Kömer 8. 84/5; Oldendorp S. 326;
Cavazzi Bd. I 8. 243; Bastian: „San Salvador" 8. 95; Südafrikaner:
Campbell S. 242; Livingstone: „Missionsreisen" Bd. I S. 274; Ratzel.
„Völkerkunde" 1. Aufl. Bd. I 8.370. Hottentotten: Kolben 8. 96 ff.;
vgl. Schmidt, Alexander, Nieuve etc. Ostafrikaner: Junker Bd. III
S. 581; Speke 8. 523, 224/25 etc.
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— 380 -
bildung ist die Vorstellung, die die Neger vom Mond-
schein haben. Folgendes erfuhr Baunibach bei den Basuto:
Das erste Viertel des Mondes wird bezeichnet mit:
„Er feilt die Hörner ab. u Vollmond = „Er hat die Hörner
abgefeilt''.
Wenn es bald zu Ende geht mit dem Mondschein und
der Mond kurz vor Sonnenaufgang erst sichtbar wird =
„Er weint" oder „Er grüsst die Sonnne*.
Am Tage darauf, wo er bekanntlich erst nach Sonnen-
aufgang sich sehen lässt, heisst es = „Er geht vorbei*.
Am darauf folgenden Tage, wo man ihn fast nicht
mehr sieht, sagen sie = „Er feiert im Osten 1 '.
Hiernach heisst es = „Er sitzt* oder „Er ist ge-
storben''.
Beim Neumond wird gesagt = „Neumond* oder „Ein
ganz kleines Hörnchen.*
Sie glauben auch nicht, dass es ein und der-
selbe Mond ist, der wiederkehrend aufgeht: nein
es ist nach ihrer Ansicht immer ein neuer Mond,
so dass jeder Monat seinen eigenen Mond hat.
Sie glauben auch, dass jeden Tag eine neue Sonne em-
porsteigt, da die alte im Meere versinkt. Nur die Sterne
und die Erde stehen fest 24 ).
Bei den Zulus heisst „Zwei Monate vergehen, ehe*,
— „Zweimal wechselt des Mondes Bart, da*. — Die Na-
maqua erzählen vom Monde, dass er zuweilen Kopf-
schmerzen habe, dann lege er die Hand an den Kopf,
darum werde er so klein. Die Maudingo schreiben die Mond-
finsternis einer Katze zu^ die ihre Pfote zwischen den Mond
und die Erde legt 25 ).
2i ) Wangemann: „ßasutoland" 8. 17.
2ft ) Kretz»chmer Bd. 48 8.141. „Das kleine Namaqua-Lati.*"
8. 881. „All*, llist. d. B. tl Bd. III 8. 240.
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— 381
Die Vorstellung der Basuto weicht insofern von allen
anderen ab, als sie nicht mit der Mythe. „der Mond stirbt
und lebt sterbend" und alleu daraus folgenden Anschau-
ungen in Einklang zu bringen ist. Der Gegensatz, dem
diese neue Vorstellung bietet, beruht darin, dass in der
Zeit der Mondmythologie der Mensch sein Schicksal nach
den Schicksalen des Mondes gestaltet glaubte. In den
späteren Zeiten wird sein Schicksal der Massstab oder
die Schablone, nach der er die Ereignisse am Himmel
deutet, Der Mensch stirbt, ergo der Mond stirbt auch.
Wir sehen derart das Selbstbewusstsein steigen. Er,
der Mensch, beginnt mit seinen Augen die Welt zu messen.
Er beginnt sich als „Erster 1 * zu fühlen.
Das Verhältnis von Sonne und Mond erhellte schon die
im 17. Kapitel mitgeteilte Ewe-Mythe von Lissa und Gleti:
Die Yoruba erzählen von Orun und Oschu fast das
Gleiche 25 ).
Sonne, Mond und Sterne stammen aus dem Leibe der
Yemaja; Orun, die Sonne und Oschu. der Mond sind Götter,
aber die Sterne scheinen nicht angebetet oder verehrt zu
werden. Der Kultus von Sonne und Mond ist jetzt übrigens
veraltet und Opfer werden ihnen nicht mehr dargebracht,
obgleich das Erscheinen des Neumondes gewöhnlich durch
ein Fest gefeiert wird. Die Sterne sind die Töchter Sonne
und Mondes. Die Knaben oder jungen Sonnen trachteten,
als sie aufwuchsen, darnach ihren Vater auf dem Laufe
über den Himmel, dahin, wo See und Himmel sich treffen,
und wo, wie die Yoruba sagen, der Ort ist. an den die
weissen Männer gehen, um mit den dort gefundenen Sachen
ihre Schiffe zu füllen, zu folgen. Doch Orun, eifersüchtig
auf seine Macht, wandte sich zu ihnen, um sie zu töten.
Einige suchten Zuflucht bei Olosa, einige bei Olokun und
der Rest bei der Grossmutter. Yemaja, welche sie in Fische
verwandelte. So sind die Söhne aus dem Himmel ver-
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- 3S2 —
trieben worden, die Töchter aber blieben bei der Mutter
dem Monde, und begleiten sie des Nachts 26 ).
So ist hier der Mond Nebenperson in einer Sonnen-
mythe. Aber es ist nicht nötig, dass dies Verhältnis —
denn fast alle Völker scheinen Sonne und Mond als Mann
und Weib zu betrachten 27 ) — immer so gewesen sein
muss. Ich will nur darauf hinweisen, dass, wenn die
Völker Afrikas früher im Matriarchat gelebt haben, dass
dann die Stellung des Mondes vielleicht eine höhere w r ar,
als die der Sonne. Denn sie ist eine Frau, die Mutter.
Die oceanischen Verhältnisse der Mond- und Sonnen-
mythen gleichen denen Afrikas. Die Weise, den Todes-
gedanken an den Mond zu knüpfen, kennen wir schon.
Ich erwähne noch ein Beispiel. Auf Neu Guinea gräbt
ein junger Mann in der Erde eine tiefe Grube. Er hebt
einen blinkenden Gegenstand empor. Der wächst gewaltig.
Es ist der Mond, eine schöne Frau, die arg mit dem Schatz-
gräber schmält, weil er ihre zu frühe Geburt bewirkt habe.
. Darauf verschwindet sie am Horizonte. Der Mann geht
auf die Wanderschaft, die Frau zu suchen, sie zu heiraten.
An einem Flusse trifft er sie und setzt sich auf die Kleider,
die sie abgelegt hat. Da verkündet sie ihm, dass er da-
durch dem Tode geweiht sei, ebenso wie jeder, der sie
berühre. Da dies nun aber doch der Fall sei, so mag er
den letzten Tag mit ihr verbringen; er heiratet die Frau
Mond, geht nach Hause, bereitet ein grosses Fest und stirbt.
Der Mond ist von Vornherein der Sonne, die hier auch
") Ellis: „Yoruba" S. 82,3. In Bezug auf die Vernichtung der
Sonnensöhne verweise ich auf das im 17. Kap. S. 286 Gesagte. Jeden
Tag geht eine Sonne unter.
") z. B. Burton: „Dahome" Bd. II S. 155. Dapper S. 539. Ernest
Deligne im „Congo Illustre" 1893 S. 83. Bastian: „Loangoküste" Bd. I
S. 326. Bastian: „San Salvador" S. 148 9. Soyaux Bd. II S. 123. Bau-
mann: „Massailand" S. 136.
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— 383 —
männlich gedacht ist. geweiht. Doch es ist keine glück-
liche Ehe. Die Frühgeburt des Mondes verschuldet das,
denn nun besitzt er nicht alle Kräfte etc. 28 ).
Das Hautwechsel-Motiv erblicke ich in dem Tode, der
auf das Berühren der Kleider des Mondes folgt. Sonne und
Mond sind auch sonst Ehepaar 29 ). Besonders charakte-
ristisch und ausschlaggebend für das Alter der Sonnen-
und Mondmythologie ist es. dass auf Hawai Hina die Mutter
Mauis ist 30 ).
Die anderen Mondmythen Oceaniens sollen ander-
weitig besprochen werden. Das vorliegende Material und
die erkannten Parallelen genügen unseren Schlüssen.
Erwähnenswert ist nämlich, dass in Australien die
Sonne die Frau und der Mond der Mann ist. — Nach
nordwestamerikanischem Glauben leben die Toten auf dem
Monde. Die Tsinshiain lassen den Helden auf der
Pfeilkette — also auf dem Wege der aufgehenden Sonne —
zum Monde emporsteigen, der ihm die Verhaltungsmass-
regeln hin das Leben der Menschen giebt. Das ist sicher
ein interessanter Rest aus der Zeit der Mondmythologie.
Üebrigens ist auch in Nordwestamerika der Mond der Ge-
mahl der weiblichen Sonne 31 ).
Vielleicht ist der alte Himmel, zu dem die Sonueu-
helden emporklimmen, um seine Tochter zu ehelichen, der
diese immer arg verfolgt, als der alte Mondgott aufzufassen;
andererseits ist in dieser Gestalt jener Wärter am Eingang
zur Unterwelt zu gedenken 32 ).
»*) Romilly S. 134 ff.
s ") Codrington S. 348. Meinicke S. 334/5. Bastian: „Oceanien"
8. 9, 1, 97. Riedel S. 270. Schadenberg i. d. „Ztschrft. f. Ethnologie"
1885 Bd. XVII S. 132 etc.
,0 ) Bastian: „Oeeanien" S. 232. „Hawai" S. 26.
ai ) Angas Bd. I 8. 89. Boas: „Verb." 1895 S. 231, 1893 S. 47 und
1895 8. 201/2.
**) Vergl. Kap. 9 über die Untergangsraythen.
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IV. Teil.
Die Weltanschauung.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 25
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XXII. Kapitel.
Die Religion yoiii Standpunkte der Ethnologie.
Religionswissenschaften. — Theologie. — Terminologie. — Reli-
gion. — Problem der Weltanschauungslehre. Fetischismus. —
Alte terminologische Methode. — Schurtz über „Religion 14 . — Religion
und Weltanschauung. — Weltanschauung. — Animalismus. — Manis-
mus. — Solare und lunare Weltanschauung. — Das Problem des
Todes. — Schöpfungsmythen. — Gesetz von der Umkehrung. — Bei-
spiele. — Beweglichkeit und Einheitlichkeit. — Gesetz vom Wandel
der Beweggründe. — Beispiele etc. — Gesetz von der Einschaltung.
— Linguistische Beispiele. — Tsui-Goab. — Methode. — Boas. —
Schurtz.
Es sind die verschiedensten, sogar entgegengesetzte
Standpunkte und Voraussetzungen, mit denen Gelehrte der
einzelnen Wissenschaftszweige die Religion und ihre Ent-
wickelung behandeln. Die Menschheit hat die wichtigsten
Fragen des Daseins in sie verknüpft, hat hier geschaffen,
gegrübelt und umgearbeitet, sodass es zu den schwersten
Aufgaben einer jeden Wissenschaft gehört, in den Grenzen
des eigenen Arbeitsfeldes Wege und Bahnen, Ziel, Ge-
schaffenes, Thatsächliches, Erreichtes zu erkennen und sich
in demselben zurecht zu finden. Der Religionsgelehrte
hat ja nicht wie andere in einem Reiche zu arbeiten, so
wie der Mineraloge sein Steinreich, der Zoologe sein Tier-
reich hat, sondern wo er hinschaut, befindet sich ausser-
halb des eigenen Landes und des eigenen Gehirnes ein
anders geartetes Bild, andere Formen und anderes Sinnen.
25*
Und doch, solange der Gelehrte uoeh in der eigenen
Weltanschauungsprovinz bleibt, wird ihm das Trachten und
Streben nach der Erkenntnis des Gedachten und Geschaffenen,
der Geschichte der Bauwerke, in denen er seit Kindes-
jahren einherwandert , noch erleichtert durch die Erfah-
rung und die Erziehung. Denn das, was viele Generationen
hintereinander erschaffen und gedacht haben, hat er in
jungen Jahren nochmals wie im Fluge durchlebt. Er ist
daheim.
Anders aber der Gelehrte, der in das fremde Land
zieht unter Leute, die er nicht versteht, in eine Welt, di •
nicht die seine ist. Es ist natürlich, dass er das nicht
findet, was er kennt, was er gedacht hat. Und wenn die
Schöpfung jener nur in andere Farben gekleidet ist; es
wird ihm schwer fallen, seine eigenen Ideen in diesem
Maskenanzug wiederzuerkennen. Daher haben viele Ge-
lehrte und Reisende erzählt: „Die Leute haben keine
Religion".
Und wer von dem Standpunkte seiner Weltanschauung
aus eine andere betrachtet, wer das wieder finden zu
müssen meint, was seine Mutter ihm lehrte, und was er
seihst nach Art der Väter sich aufs neue erschuf als
Wohnhaus, in dem er sein Dasein verbringen wollte, der
mag ausziehen, wohin er will, er wird aus jedem Erdteile
heimkehren und wird, wenn er ehrlich ist, sagen: „Sie
haben keine Religion".
Ich sage das hier, um allen jenen Leuten gerecht zu
werden, die also urteilen. Es ist die erste Wissenschaft,
der hier der Zoll der Pietät nicht versagt werden darf.
Die Ethnologen, die sich mit der „Religiou" der Natur-
völker beschäftigt haben, stehen den Verhältnissen und
den Ansprüchen der Wissenschaft anders gegenüber. Aber
das ist noch wenig erkannt, und es wird hier noch soviel
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gegen die Wissenschaft gesündigt, dass man mit Recht
sagen kann, dieser Teil der Ethnologie und vieler eth-
nologischer Werke gleicht noch recht sehr den Raritäten-
kabinetten des Mittelalters.
Der Hauptgrund liegt darin, dass das Fundament
schwankt, auf dem gerüstlos gebaut wird. Das soll heissen,
dass eine unglaubliche Unklarheit herrscht, einmal über
das, was eigentlich zu thun ist, andererseits über den Stand-
punkt, den der Kulturmensch dem Wildling gegenüber ein-
nimmt. Ich brauche auf nichts anderes hinzuweisen als
die Terminologie, d. h. das Werkzeug, mit dem gearbeitet
wird.
Fachausdrücke und Beziehungen sind zuletzt auch nur
Wörter und damit allen Gefahren, die für die sprachliche
Ausdrucksweise vorhanden sind, unterworfen. Im Tages-
leben ist ein mis verstandenes und unklares Wort meist wenig
wirkungsvoll. Aber im Reiche der Wissenschaft sind so
schwankende, unbegrenzte oder schlechte Bezeichnungen
wie die der jungen, ethnologischen Weltanschauungslehre
gefahrbringende Werkzeuge, hemmende und schädliche
Stoffe, wogegen gute, d. h. klare und allgemein gleich ver-
standene den Weg nicht allein dem Einzelnen, sondern der
ganzen Wissenschaft bahnen würden.
Wie wenig anderen Disciplinen ist gerade die Welt-
aii8chauungslehre in der Völkerkunde den Gefahren der
Unklarheit, des Misverstandenwerdens ausgesetzt. Denn
einmal ist die Weltanschauung eines Naturvolkes nicht
etwas ausgeprägt Klares, scharf Umgrenztes, sondern etwas
Bewegliches, zum zweiten entwerfen uns die Träger einer
Weltanschauung nicht ein Bild derselben, — abgesehen
davon, dass sie die Unterschiede ihrer Anschauung vor
der unseren nicht kennen, hören wir nur von den Formen,
in denen sie zu Tage treten, nicht aber von dem Gehalt.
— zum dritten erhalten wir unsere Materialien nicht von
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Ethnologen, geschulten Männern, sondern von Laien, die ihre
Vorstudien im Lederstrumpf, in der Bibel, im Herodot
oder im besten Falle in der Geschichte der Philosophie
gemacht haben. Die Folgen solchen Entwickelungsprozesses
sind überall ersichtlich. Mit vollkommenem Verkennen
der Probleme haben auch Gelehrte Fragen aufgeworfen
wie : Haben die Bantu eine Religion oder nicht? Sind die
Dajak Polytheisten? Ist in Maui oder in Tangaroa der
Rest des „wahren Gottesbewustseins" aufzusuchen? etc.,
Fragen, die überhaupt nicht solche der Wissenschaft sein
können. Ich erwähne das nur, um zu zeigen, wes Teufels
Kind eine unklare Ausdrucksweise ist. Ich glaube, Schurtz
war der erste, der vom ethnologischen Standpunkte aus
dem Wort „Religion" zu Leibe gerückt ist.
Mit dem Erkenntnis dieses Uebels ist ein Steinlein
gelöst, das für jeden Mitarbeiter an solchen Fragen zur
Lawine heranwachsen kann. Denn nun heisst es Wandel
zu schaffen. Den Fehler haben schon manche erkannt.
Abhilfe ist noch wenig geschaffen. Man hat nach meiner
Ansicht einen Weg eingeschlagen, der mehr Unheil als
Segen herbeigeführt hat.
Aus dem Mittelalter ist eine Reihe von Bezeichnungen
überkommen, die eigentlich nur den einen Wert besitzen,
dass sie nichts bedeuten. Diesen Worten nun haben die
Gelehrten ihre Aufmerksamkeit gewidmet und haben si< !t
bemüht, sie zu beleben, d. h., sie mit einen gelehrten Gehalte
zu versehen. Das haben nicht wenige und sicher keiner
mit schlechtstem Willen gethan. Jeder gab einem Worte
einen andern Sinu und — nun kommt der Fehler — ver-
wandte nun die sämtlichen Vorkommnisse des Namens in
seinem Sinne, konstruierte also eine Weltanschauung auf
seiner ihm eigentümlichen Basis mit dem Material, das
andre für ihn gesichtet halten.
Wie viele haben nicht über den Fetich ismus gearbeitet,
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391 -
ihn wirklich mit Ernst und regem Interesse behandelt,
haben einen Sinn in das Wort gelegt und dann die Fetische,
Fetischmänner, Fetischschnüre, Fetischtänze, Fetischmasken,
Fetischtrommeln, Fetischbilder, Fetischopfer, Fetischtempel,
Fetischpriester, den Fetischismus so behandelt, als ob
Schulze, Muller, Schmidt X. Y. Z. denselben Sinn in das
Wort gelegt hätten, das er darin suchen zu müssen meint.
Und doch ist mit eins gegen hundert zu wetten, dass diese
braven Leute sich bei dem Worte Fetisch nichts andres
gedacht haben, wenn sie es überhaupt erwogen haben, als
dass man ja doch nichts dahinter zu suchen habe als
Fetischismus, d. h., um mit Wuttke (S. 95) und Schneider
(S. 94, 186, 180), zwei gelehrten Leuten (denn der eiue
war Privatdozent, der andre ist Professor), zu reden, „roher
Geisterglauben", „läppische Phantasie", „albernes Fetisch-
system", „kindischer Aberglauben" etc.
Der beste Beweis dafür, dass das Unternehmen solchen
Arbeitens vergeblich ist, ist. dass heute noch jeder Reisende,
Missionar und leider auch fast alle Ethnologen das Wort
Fetisch so lustig und heiter weiter verwenden, als sei es
wunder welch' gelehrter und gehaltsvoller terminus technicus,
der niemals missverstanden werden könnte, weshalb wir
denn auch nie Näheres hören, nie das vernehmen, was an
wissenswerten Wesenszügen zu erfahren ist. Es geht alles
unter dem Namen Fetisch unter. So lange nicht einfach
die Berechtigung, solche Bezeichnungen zu verwenden,
genommen wird, so lange werden die Reisenden sich ihrer
Pflicht entziehen, denn sie werden sich ihrer Pflicht gar-
nicht bewusst, da sie nicht wissen können, was der Ethnologe
braucht, dass der Ethnologe mehr wissen will, als von der
Heiligkeit oder dem Fetischwesen eines Gegenstandes. Ich
betone, dass also den Reisenden dieser Vorwurf nicht gelten
kann.
Was wir brauchen, ist Klarheit und Einheitlichkeit
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in einer Ausdrucksweise, die durch einen Grundstock von
einerseits brauchbaren und andrerseits notwendigen Fach-
ausdrucken ermöglicht wird. Alles andre, solche Ausdrücke,
die mehrere Deutungen zulassen oder eigentlich keine be-
sitzen, und solche, mit denen Begriffe verbunden sind, die
nicht Allgemeingut der Menschheit sind, müssen nach
Möglichkeit ausgemerzt werden.
Zu den ersteren gehört das Wort Fetisch, zu den zweiten
das Wort „Religion«.
Damit stehen wir vor dem schweren Problem der
Religion. Was ist Religion? Wie soll ich es definieren?
Ich meine, es sei nicht möglich, von einer Religion der
Naturvölker zu sprechen, nicht etwa, als besässen die
Wildlinge sie nicht, aber deshalb, weil jenen noch nicht
der Gegensatz oder eine Trennung von Religion und Philo-
sophie eigen ist. Es soll das sogleich näher erörtert werden.
Nur will ich erst die treffliche Arbeit von Schurtz: „Ueber
den Begriff der Religion vom Standpunkte der Völkerkunde"
besprechen. Ks kann nur jedem empfohlen werden, diese
Arbeit selbst zu lesen.
Schurtz erkennt in den schwankenden Bildern der
Religionen drei Grundfarben, die sich ineinander mischen,
bald die eine, bald die andre schärfer hervortreten lassend.
Er krystallisiert Kultus, Mythologie und Mystik heraus.
„Die Verschmelzung der verschiedenen Bestandteile ist nie
so vollständig, dass nicht einer oder der andre vorherrsche, —
die altklassischen Religionen pflegten mit Vorliebe die
Mythologie, der Islam legt das Hauptgewicht auf den Kultus,
der Buddhismus entspringt der Mystik und sie bewahrt
in ihm ihren Vorrang. Die Religion des Chinesentums
endlich hat sich fast ganz zur trocknen, sekundären Moral-
lehre ausgebildet." Der Kultus, der dem Willen des Menschen
entspringt, kann sehr wohl selbständig entstehen, wird
aber im allgemeinen eine Folge und Begleiter in der Mytho-
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logie, der als Forderung des Verstandes Entstandenen, auf-
treten. Die Ahnenmythologie leitet zur Mystik über.
„Vielleicht können wir das, was uns ein Ueberblick
über die Sitten der verschiedenen Völker lehrt, in die
Worte zusammenfassen: Es giebt sehr viele Völker, bei
denen von Religion in unserm Sinne nicht die Rede ist;
aber es giebt keines, das nicht Anfänge der Religion in
eiuer oder andern Form besässe. u — Das ist Schurtz'
Autwort auf die Frage, ob es religionslose Völker gäbe.
Den Ansichten von Schurtz kann ich mich nur an-
schliessen. Immerhin ist est nicht möglich, seine Einteilung
durchzuführen, was übrigens auch nicht sein Bestreben ist.
Er hat aber ein Bild der uugemeiuen Beweglichkeit, die
sich durch sprachliche Schranken überhaupt nicht fesseln
liisst, und ausserdem einige Quellgebiete gegeben. Einen
bessern Beweis als die seinen kann man dafür, dass das
Wort als abschliessender, klarer Fachausdruck für die
Naturvölker nicht verwendbar ist, kaum erbringen.
Um aber ein Wort einzufügen, mit dem alles das, was
man unter Religion verstehen kann, alles das, was wir
nicht, wohl aber jene, und umgekehrt, was wir, nicht jene
an Anschauung und Anschauungsäusserung besitzen, gesagt
ist, spreche ich von der Weltanschauung. Unter Welt-
anschauung ist alles zusammengefasst, was an Wissen und
Glauben im Besitze der Völker ist. In diesem Sinne ist
also die Religion der Kulturvölker ein Zweig der Welt-
anschauung, der sich lostrennt, wenn die Wissenschaften
sich festigen.
Unter den Weltanschauungen der Naturvölker, die hier
lediglich zu behandeln sind, kann eine Verschiebung des
Schwerpunktes beobachtet werden, insofern, als das Interesse
der Menschen, die Summe der Kausalitätsfragen sich er-
weitert und so allmählich der Mythologie ein weiterer Spiel-
raum geboten wird. Diese Erweiterung der Mythologie
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ist in den vorhergehenden Kapiteln eingehend besprochen.
Wenn hier kurz rekapituliert wird, so geschieht das, um
einige Ausdrucke, die notwendig werden, # einzufügen.
Als niederste Stufe der Mythologie musste die Tier-
mythologie bezeichnet werden. Man mag hier von Ani-
malismus sprechen. Der Hauptcharakterzug der anima-
listischen Weltanschauung ist Campbell (S. 171) aufgefallen.
Er sagt: „Er (ein Buschmann) konnte keinen einzigen
Unterschied zwischen den Menschen und dem Tiere an-
geben, sondern wusste nicht anders, als dass ein Büffel
ebensowohl als ein Mensch mit Bogen und Pfeil schiessen
könne, wenn er solche hätte. u Daraus geht hervor, dass
der Mensch sich in dieser Zeit noch lediglich als gleich-
wertiger Teil der Naturmaschinerie hält, sich in keiner
Weise als vollkommener, fähiger, als vernünftig im Gegen-
satz zum unvernünftigen Tier hält. Als Ausläufer des Ani-
malismus sind der Totemismus und die Tierfabel zu nennen.
Vergl. m. Arbeit: „Die Buschvölker" i. d. „Afrika" 1898.
Einen vielleicht gleichartigen, zur Blüte aber erst
späther gelangenden Teil der Weltanschauung bildet der
Mauismus, die Ahnen Verehrung. Wenn ich für das
alte Wort Ahnenkultus hier Manismus einsetze, geschieht
es, weil das ältere nur von Kultus respektive Verehrung,
also nicht von Anschauung spricht: und weil von Manismus
das oft notwendige Adjektiv manistisch gebildet werden
kann.
Die Zeit des Manismus ist die der niederen Mytho-
logie als Vorläuferin der aus ihr erwachsenden hohen
Mythologie. In dem ersteren Stadium beachtet der Mensch
noch nicht den Wandel der Gestirne, Tag und Nacht; sein
Interessenhorizont ragt nicht über das Schicksal des Mit-
menschen hinweg, es ist an das Problem des Todes ge-
knüpft. Im letzteren erblüht die grossartige Sonnenmytho-
logie: die Sonne als Bild des Werdens, des Gedeihens, als
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- 395 —
Licht- und Lebensspendende wird der Mittelpunkt alles
Dichtens und Trachtens. Da.s Leben des Menschen und
das Dasein des All wird an sie geknüpft. Es ist die gross-
artige Zeit der solaren Weltanschauung erreicht.
Der solaren Weltanschauung geht die lunare voraus.
Sie ist noch unklar, ist noch iunig mit dem Manismus ver-
wachsen, und der Mond nimmt bei weitem nicht die hohe
Stellung in der Mythologie ein. wie die Sonne in der
späteren. Charakteristisch für die Zeit der manistischen
und Ulnaren Weltanschauung ist die überall hervortretende
Frage nach dem Tode, der Todesursache. Der Anfang
kümmert die Menschen dieser Epoche noch nicht, sondern
nur das Ende, der Tod.
Gerade die Entdeckung des neuen Problemes. der
Frage nach dem Werden der Dinge verleiht der solaren
Weltanschauung, und der hohen Mythologie ihren mächtigen
Schwung. Es entsteht eine grosse Freude im Denken und
Schaffen über dies neue Thema.
Soweit haben wir die Weltanschauung der malajo-
nigritischen Kulturepoche verfolgen können.
Im Rahmen der animalistischeu, manistischen, lunaren
und solaren Anschauung haben wir unsere Studien gemacht.
Als besonders interessant muss das Problem des sich er-
weiternden Schaffens erkannt werden. Lud in diesem Ent-
wicklungsprozesse bildet die Entstellung des Denkens über
den Anbeginn der Dinge, welche Richtung des Denkens
wir als eine verhältnismässig späte Errungenschaft erkannt
haben, den wichtigsten Punkt. Die letztere bietet einen
festen Standpunkt, von dem aus das Problem der sich ent-
wickelnden und erweiternden Weltanschauung beurteilt und
in Angriff* genommen werden kann.
Es ist, so ist nachgewiesen, die Mythe von der
Schöpfung nicht etwa als eine neue Erfindung oder
Erdichtung entstanden, sondern sie ist als eint;
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3<)6 —
Umkehrung der Mythe vom Untergänge zu be-
zeichnen. Wir stehen hier vor einem neuen Gesetz.
1. Gesetz von der Umkehrung.
Jede manistische Mythe spricht von einer Bewegung,
sobald sie das Problem des Todes behandelt, dass der
Ansatzpunkt der niederen Mythologie ist. Es handelt
sich um die Veränderung des Zustandes im Momente des
Uebensabschluss.
Die hohe Mythologie nimmt diese Bewegung an,
schafft und bildet die Entstehungsmythe, indem sie Mythen
vom Tode des Menschen umdreht, so dass die Richtung
zum Beginn des Lebens gewonnen wird. Dieser Prozess
wird durch die anfänglich manistische Auffassung der
Sonne ermöglicht. Ein Beispiel erörtert dies. Die Nord-
westamerikaner setzen am Ende des Menschenlebens
die menschlichen Ueberreste in einer Kiste bei. In der
Mythe lassen sie am Anfang der Dinge die Sonne in
einer Kiste sich befinden.
Am leichtesten wird jedem das Verständnis durch
eine Reihe guter Beispiele geboten werden. Akea ist auf
Hawai der Gott der Toten, der Unterwelt. Viele geben
an, von diesem abzustammen. — Nach Angabe der Dajak
bedeuten alle Worte in der Seelenstadt gerade das Um-
gekehrte des irdischen Sinnes, z. B. ist süss = bitter;
bitter = süss; stehen = liegen etc. — Die ltalmenen nehmen
zwei Welten an. Wer stirbt, kommt in die andere; wer
hier reich ist, ist dort arm, wer hier sündigt, wird dort
brav l ).
Nach nordwestamerikanischer Anschauung stellen die
Wappenpfeiler die Reihe der Ahnen dar; nach eine Mythe
worden die Pfähle erst aus der Unterwelt geholt. — Die
') Ellis: „Hawai- 8. 438. Grabowsky: „Tod. Begräbnis* S. 187.
Steller S. 270.
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3»7
eigentliche animalistisch-totemistische Mythe der Nordwest-
amerikaner lautet, „die Seele geht nach dem Tode in ein
Tier über u . Als Umkehrung ist folgende Mythe der Nutka
und vom Cap Flafctery zu bezeichnen. Im Anfange weilten
nur die Vögel und anderen Tiere auf Erde. Sie wussteu,
dass sie einst in Menschen und wirkliche Tiere verwandelt
werden würden. — Mit am deutlichsten unter allen That-
sachen der afrikanischen Mythologie spricht das Gesetz
der Umkehrung aus der Mythe, dass die wohlthueuden
Ganga aus bösartigen Geistern zu heilbringenden Priestern
geworden seien 2 ). —
Eine Sitte, die anzeigt, in welchem Punkte die Um-
kehrung in der Mythologie vor sich geht, ist der Brauch,
die Leichen mit ans Kinn gezogenen Knieen in kauernder
Stellung zu bestatten. Das ist die Lage des Kindes im
Mutterleibe.
Zwei Formen von Umkehrungen sind wichtig, die eine
wegen ihrer Häufigkeit, die andere wegen ihrer ver-
wirrenden Wirkung. — Die eine : Während im allgemeinen
das Beschmieren mit Hühnerblut als Belebungsmittel gilt,
also als Anziehungsmittel, verwenden die Nikobaren es
als Schutzmittel gegen die Geister, es ist Abwehrmittel.
So werden vielfach aus dem gleichen Motiven einerseits
Schutz-, andererseits Trutz-Amulette gestaltet. — Die zweite:
Die Ursprungsform der Verknüpfung manistischer und
solarer Anschauung lautet: Die Seele des Sterbenden geht,
oder am Ende des Lebens geht die Seele zur Sonne. Die
Umkehrung: Der Mensch stammt von der Sonne ab, lernten
wir vorne kennen. Auf den Kingsmill wird diese Form
in anderer Richtung nochmals umgekehrt: Das erste
Menschenpaar brachte die Sonne hervor 3 ). (S. 117.)
*) Boas: „Verh. tt 1898 8. 235. Jakobsen 8. 40. Boas: „Verh.*
1892 8. 314. Swan 8. 64.
s ) Svoboda Bd. IV 8. 14. Parkinson: „Gilbertinsulaner« S. 104.
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— 398 —
Aber wir brauchen, um Umkehrungen zu finden nicht
zu den Wildlingen des Südens uns zu wenden. Der Satz:
„Wem Gott lieb hat, den zuchtigt er u ist nicht als eine
Umkehrung des Erfahrungsatzes, dass ?om Schicksal hart
geprüfte Menschen tüchtig werden *).
Im Uebrigen glaube ich, dass die grosse Menge der
in den ersten Teilen zur Erörterung gelangten Umkehrungen
genügt, um jedem einen Begriff von der Wichtigkeit und
der gewaltigen Wirkungsweise des Gesetzes von der Um-
kehrung zu geben.
Das Gesetz von der Umkehrung ist ein Beweis für
die ausserordentliche Beweglichkeit der Weltanschauung,
das Fehlen vollständig fester Ideen und scharfer Um-
grenzung derselben.
Das Gesetz von der Umkehrung erinnert fernerhin an
die Einheitlichkeit der Weltanschauung.
Von der Beweglichkeit kann in der Ethnologie kaum
gesprochen werden, ohne des von Schurtz für die Völker-
kunde zugänglich gemachten, folgenden Gesetzes zu ge-
denken.
*J. Gesetz vom Wandel der Beweggründe.
Schurtz hat dies Gesetz eingehend in seiner Arbeit
über die Speise verböte erörtert: „Eine Sitte bleibt,
diesem Gesetze gemäss, oft in ihrer Form unver-
ändert bestehen, aber der Zweck, dem sie dient,
ändert sich/'
Thatsächlich bietet die Entdeckung dieses Gesetzes,
welches natürlich stark angegriffen wurde, die einzige Mög-
4 ) Oftmals» werden Mythen durch eine Umdrehung der Erfahrung
gebildet. Ich erinnere an die Seelenfahrtsmythen der Oeeanier. In-
dem die Erinnerung daran, dass ihre Väter frber den Ocean zu Schiff
gekommen aind, umgekehrt wurde, entstand die Meinung, die Seele
de» Toten gleite im Kahn in das Land der Seligen.
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— 809 —
lichkeit in den wirren Gebilden priinitver Weltanschauungen
einige Ordnung zu erkennen, überhaupt ein Verständnis
für sie zu gewinnen. Die Methode Bastians, der Andree
in den „Parallelen" folgt, hat eine immense Menge von
Arbeitsmaterial, Sitten. Mythen, Anschauungen, An-
schauungsäusserungen jeder Art gezeitigt. Aber es sind
diese Materialien nicht verwendbar, ohne das von Schurtz
in Form dieses Gesetzes gebotene Werkzeug.
Es ist im vorliegenden Werke das Gesetz ganz ausser-
ordentlich oft herangezogen, was wohl niemanden ent-
gangen ist. Es ist mit Hülfe seinermöglich geworden, die
schwierigen Fragen der primitiven Mythologie zu erkennen
und auch wohl zu lösen. Vor allen Dingen wäre ohne
Kenntnis dieses Gesetzes das Gesetz von der Umkehrung
kaum erkannt worden.
In ganz einfachen Dingen ist es schon erkennbar.
Ost- und Nord-Afrikaner verwenden den europäischen Löffel
als Helm- und Haarschmuck. Schurtz führt an, dass das
Wurfmesser zum Beil, der Bogen zum Musikinstrument,
die Keule zum Scepter. das Boot zum Hausdach werden
kann 5 ).
Am wichtigsten wird das Gesetz aber für den, der
die Uebertragung des Gegenstandes einer Kulturprovinz in
eine andere studiert. Dafür ist das Beispiel des Löffels
sehr charakteristisch. Es ändert sich bei solcher Ueber-
tragung Sinn oder Form in gleicher Weise wie eine Rebe,
die man aus den Weinländern Frankreichs an den Rhein
verpflanzt. Es tritt dann oft ein Process ein, der als
wichtigstes Ergebnis des Wandels der Beweggründe zu be-
zeichnen ist. Ich will das eingehend erörtern.
5 ) Rebmann bei Krapf B<1. II 8. 3«. Junker Bd. II 8.39. Schurtz:
„Speiseverbote" 8. 7 8.
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- 400
3. Gesetz von der Einschaltung.
Beispiele für die Einschaltung mögen zunächst aus
der Linguistik genommen werden. Der Name, den die
alten Sophisten führten, wandelte sich am Ende des 5. Jahr-
hunderts schon. Vorher waren es die Weissen, da wurde
dies Wort direct ein Schimpfwort, aber es hat eine ganz
eigene Bedeutung angenommen.
Der Name Tyrann hatte bei den alten Griechen eben-
falls eine verschiedene Bedeutung in verschiedener Zeit.
Wie mein Lehrer Prof. Hans Haeussler es erwiesen hat,
haben die Beziehungen objectiv und subjectiv im Laufe
zweier Jahrhunderte direkt den Sinn ausgetauscht. Es
sind das Erscheinungen, die durch das Gesetz vom Wandel
der Beweggründe gedeutet werden.
Dies ist der Vorgang der bekannt sein muss, um den
der Einschaltung zu verstehen. Das Wort „Miniatur" hat
im Zeitalter der Klosterwissenschaften seinen Ursprung;
und zwar stammt es von dem Worte „Minium" = Menich
her. Die Initialen etc. wurden in dieser Farbe ausgeführt.
Heute verbinden wir mit dem Worte Miniatur den Begriff
der Kleinheit, sprechen von Miniatur-Ausgaben (kleinem
Bücherformat) und Miniaturfiguren als besonders kleinen
oder kleineren Gegenständen, als wir sie in alltäglichen
Leben gewohnt sind. Das kommt daher, dass wir das
Wort mit dem lateinischen Worte „minor" = kleiner in
Beziehung bringen. Der Sprachgebrauch hat hier also den
Sinn des von dem uns fremd gewordenen Worte Minium
oder Menich abstammenden Wortes Miniatur aufgegeben
und es in den bekannteren des Wortes minor = kleiner
eingeschaltet.
In der Ornamentik ist Stolpe das gleiche schon auf-
gefallen. Er sagt: „Es geschieht oft, dass, wenn eine
Entwicklungsserie sich einem bestimmten vorher bekannten
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— 401 —
geometrischen Motiv genähert hat sie sich auf Grund
dieser Verwandtschaft das fremde Element einfach ein-
verleibt" 6 ).
Wenn wir bedenken, dass ein Volk stets bemüht ist,
eines fremden Wortes Form, bei der Uebernahme in eine
verwandte des eigenen Sprachgebrauches umzuwandeln,
dass z. B. Kotzebue's Name auf Radak zu Totabu, Cooks
auf Tahiti zu Tuti, Forster s zu Matara, Hodges zu Oreo,
Banks zu Tapane etc ward 7 ), so darf es nicht Wunder
nehmen, dass Götternamen verwandte Formen und andere
Bedeutung von einem ihn übernehmenden fremden Volke
erhalten, dass dies mit Anschauungen und Sitten ganz
gleich ist. Auf Grund dieser Ansicht habe ich die Reihen
der Götternamen in Afrika aufgestellt (vergl. Kap. 13).
Ich stehe in diesem Falle nicht allein mit der Methode,
den Namen eines Gottes ohne Rücksicht auf den derzeitigen
Sinn in den verschiedeneu Formen bei verschiedenen Völkern
aufzusuchen. Schon Büttner H ) hat die Ansicht aus-
gesprochen, die sich wie folgt bei mir auf Grund der Er-
kenntnis des Gesetzes von der Einschaltung gebildet hat.
Tsui-Goab übersetzten die Hottentotten mit „Wundkuie".
Bei Völkern des Sudan finden sich ähnliche Götternamen.
Nikob, niekob etc. Die Bezeichnungen decken sich mit
dem Worte für Himmel. Diese Bezeichnung dürfte die
ältere sein. Himmel und Sonne sind oft gleiche Wörter
(z. B. djuva und orun gleich Himmel und Sonne). Der
Name mit diesem Sinne für einen Gott mit solaren Eigen-
schaften, wie sie Tsui-Goab 9 ) (vergl. Kap. 15) besitzt, darf
8 ) Stolpe s. 4».
7 ) Hawkesworth Bd. II 8.122. Kotzebue Bd. I S. 167. Cook,
Zweite Reise, Bd. I S. 832.
») Büttner im „Ausland" 1882 8. 494.
•) Tsui-Goab und Heitsi Eibib dürfen als ursprünglich identisch
gelten.
Frobenius, Weltanschauung der Naturvölker. 26
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— 402 —
wohl als älterer bezeichnet werden, als der mit dem Sinne*
„Wundknie". Also nehme ich an, dass die Hottentotten;
den Namen übernommen haben; da für sie keiu Sinn da-
rin war, gaben sie ihm den Sinn eines Wortes verwandt-
schaftlichen Klanges (also Tsui-Goab) und statteten ihn
mit dem Märchen von den zwei kämpfenden Häuptlingen,
von denen einer am Knie verwundet ward, aus. Also
wurde der Gott aus der solaren in die manistisehe An-
schauung eingeschaltet.
Dieses Gesetzes Wirkungskraft in der Weltanschauung
ist sehr ausgedehnt. Die vorhergehenden Kapitel weisen
eine reiche Zahl von Beispielen auf.
Methode.
Bis zu einem gewissen Grade kann gesagt werden,
dass aus dem so weit Ausgeführten, schon die Methode
mit der der Verfasser die Weltanschauung der Naturvölker
behandelt hat, hervorgeht.
Die hier angewendete Methode mythologischer Ar-
beiten, beruht auf den Fundamentalsatz, dass wir von den
Eingeborenen selbst nichts wissen, es sei denn die Wirkung
deren Wissens, keinesfalls aber ihr Wissen selbst Und
zwar ist dieser Mangel der Kenntnis zurückzuführen auf
das unscharfe Denken jener und das Ueberwiegen des in-
stinktiven Denkens, ferner unsere zumeist mangelhafte
Sprachkenntnis und ein Fehlen jener zutrauliehen Freund-
schaft, die das Herz überquellen lässt und das „Tiefe u
offenbart, ferner auch sehr viel anderes, worunter besonders
Erwähnung finden mag, dass jene nicht ahnen, wir dächten
und vermöchten zu denken, etwas anders denn sie 10 ),
endlich und vor allem ist unsere mangelhafte Kenntnis in
der Litteratur erwähnswert.
,0 ) Lesenswert ist: Vierkandt 8. 252 ff. über die mythologische-
Denkweise.
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— 403 —
Und hier ein Stossseufzer! Ich erinnere an die afri-
kanische Litteratur. „Reisewerke u , sagt Tschudi „sind
der Ausdruck individueller Anschauugen u . Er hat Recht
und das besonders hinsichtlich der afrikanischen Reisewerke.
Ganz abgesehen davon, das der eine Reisende ein Land
fruchtbar, ein zweiter es unfruchtbar, der eine die Ein-
wohner liebenswürdig, der aridere sie gewaltthätig und roh
nennt, ist alles und sind — was uns besonders interessiert —
die Besprechungen der Feinheiten wiedersprerhend. Wer
einmal ganz klar sehen will, lese zuerst das Reisewerk
von Junker. Welche nette Menschen schildert er! Was
für behagliche Stunden hat er dort unten verlebt! Dann
lese man Stanleys Werke.
Also infolge aller dieser Thatsachen besteht eine voll-
standige Unkenntnis des Wissens und Meinens der Ein-
geborenen. Wir kennen einzelne „ Aberglauben u , einzelne
Mythen, einzelne Vorstellungen, aber es fohlt uns die
Kenntnis der Strucktur der Weltanschauung, der Motive.
Denn so müssen und können wir nur die Entwicklung
der Weltanschauung verstehen, dass die Kultur und also
auch die Weltanschauung der Primitiven ein selbständiger
Organismus ist, dessen Maschinenteile die Mensehen sind,
dass also die Wildlinge uicht die Gesamtheit dieses emi-
nenten Organismus überblicken können, dass sie daher als
Objekte der Kultur bezeichnet werden müssen.
Also abgesehen von allem anderen, geht aus diesem
hervor, dass die Primitiven nichts vom Zusammenhange
und der Abstammmung ihrer Motive wissen, dass es also
auch nichts nützen würde, wenn wir auf Reisen gingen
und danach frügen. Sie können als Einzelne nicht darauf
antworten und wir können nur aus der vielseitigen Menge
der Mitteilungen und Berichte, nicht etwa das Weltan-
schauungsbild eines Kopfes, sondern die Entwicklung
2fi*
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— 404
der Weltanschauung einer Epoche und die Weltanschauung
eines Volkes in ganz grossem Sinne erkennen.
Damit ist die Methode, die notwendig erscheint, um
einer primitiven Weltanschauung Wesen und Entwicklung
zu untersuchen, bedingt, Im vorliegenden Werke ist aber
noch ein zweiter Kreis von Problemen zur Behandlung
gelangt. Wie beweisst man kulturelle oder genetische
Verwandtschaft zweier Völker auf Grund der Weltan-
schauung? Wie verändert sich das Bild einer Weltau-
schauung8form, wenn sie in einen anderen Ideenkreis eine
andere Anschauungswelt übertragen wird?
Darauf antworten die drei ersten Teile so vollständig,
dass ich hier nur noch einmal auf die Erscheinung hin-
zuweisen brauche, die an anderem Orte angedeutet ist.
Die grossen Entwkklungszüge von der animalistischeu
bis zur solaren Weltanschauung sind auf der ganzen Erde
gleich. Was abweicht, das sind nicht die herrschenden
sondern die dienenden Motive (vergl. Arch.f. Relig.). Bei der
Mischung, die meist mit Völkerwanderung verbunden ist.
bilden sich nun alleinstehende, herausgeschleuderte, abge-
rissene Teile als Sitten. Mythen, Kunstdenkmäler etc., die
auch in dem Volke weiter bestehen, das sie nicht hervor-
gebracht hat, sondern sie nur übernommen hat. Hierher
gehören z. B. in Afrika gewisse Reste wie die Seelenfahrts-
mythe, der Kameruner Schiftschnabel, die Rohrursprungs-
mythe, die Jonasmythe.
Eine reiche Fülle solcher allein und verirrt sich kümmer-
lich fortschleppender Sitten findet sich in den beiden Kapiteln
der Fanauymythe vereinigt und gegenübergestellt. Es ist
aber nicht nur die Mythologie und das Sittenleben, sondern
es sind auch die linguistischen und, was sich meinen end-
giltigen Beurteilungen entzieht, wahrscheinlich auch die
anthropologischen Merkmale für Beweise kultureller und
— 405 -
descendentaler Verwandtschaft mehr auf Nebenformen
und Einzelbildimgen als auf Grundzüge zu prüfen.
Wenn ich über Methode spreche, bin ich verpflichtet,
gerade in diesem Werke, in dessen Gesichtskreis Nordwest-
amerika mit eingeschlossen ist, die Arbeit von Boas über
die Entwicklung der Mythologie zu besprechen. Es ist
eine angenehme Pflicht, denn in ihr liegt eine Behandlungs-
weise vor, die anscheinend noch nie so weitgehend ange-
wandt ist, auch nicht hat angewendet werden können.
Boas zergliedert die Mythen, die bei vielen Stämmen ge-
sammelt worden sind, in die einzelnen Formteile und
konstatiert mittelst statistischer Tabellen, wo die Ausgangs-
punkte und wo die Ausläufer einer Mythe liegen. Die
Resultate loben den Meister; sie sind wirklich prächtig.
Nur zwei Fragen müssen sich aufdrängen. Wie weit
reicht denn die Möglichkeit dieses Verfahrens? Und wie
weit ist dasselbe Gefahren ausgesetzt? Diese Fragen müssen
um so mehr aufgestellt werden, als Boas Schurtz in der
schärfsten Weise mit folgenden Worten angreift:
Ein sprungweiser Vergleich wie der von Schultz (nicht
Schurz) in „Das Augenornameut" jüngst versuchte, kann
zu nichts führen, da er ganz auf einer willkürlichen —
und in diesem Falle missverstandenen — Deutung von
Thatsachen beruht die aus ihrem natürlichen, historischen
und geographischen Zusammenhange herausgerissen sind"
(Entwicklung, S. 51*2).
Ganz davon abgesehen, dass Boas das „missverstandene u
nicht ausführt — und es wäre für mich den Ethnologen,
der mit den Resultaten Scburtzs, meines Vorgängers auf
dieser Seite des Erdballes zu rechnen hat, doch sehr
wichtig, die Ansicht eines so ausgezeichneten Ethnographen,
trefflichen Kenners und scharfen Beobachters, wie es Boas
ist, zu hören, — ist die Ansicht vollständig einseitig.
Es ist ganz unmöglich, überall in derselben Weise vor-
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— 406 —
zugehen. Die Beharidlungsweise muss stets die Art des
Stoffes und des Zieles im Auge behalten.
Boas ist durch die nordwestamerikauische Mythologie
verwöhnt. Er hat in diesen Arbeiten eine einzelne durch
bestimmte Merkmale, die seine Arbeitsweise eben geschaffen
haben, ausgezeichnete Provinz berücksichtigt und sich nur
nach Anklängen und Bindegliedern an den Grenzen der-
selben, also Auslaufern von innen nach aussen und umge-
kehrt, umgesehen, und ausserdem lediglich die Form
berücksichtigt.
Er konnte das, denn die Formen sind dort nicht in
dem Maasse der Umwandlung ausgesetzt wie z. B. in der
westafrikanischen Provinz. In Nordwestamerika, wo alle
Mythen durch totemistischeu und animalistischen Grund-
stock zusammengehalten werden, handelt es sich bei der
Umbildung und Neubildung mehr oder weniger um eine
Umordnung der vorhandenen Motive. Thatsächlich erstreckt
sich alle Umgestaltung auf die Form. Da ist seine Methode,
die ich als die ethnographisch-statistische bezeichnen möchte,
sicherlich am Platz.
Schon im oceanischen Gebiete würde aber der, der in
gleicher Weise den gleichen Stoff bearbeiten wollte, gar
bald die Grenzen der Möglichkeit erreichen und um wie
vielmehr uud eher würde der Fall in Afrika oder nur in
Westafrika eintreten. Hier ist nie die gleiche Mythe an
die gleiche Gottheit gebunden, denn jeder Stamm hat eiue,
wenn dieses überhaupt bei ihm vertreten ist, andere Form
desselben Motives. Hier fehlt stets, möchte man sagen,
ein Teil, hier fehlt der einheitliche Charakter, den die
Mythen der nordwestamerikanischen Provinz tragen.
Ein Vergleich, der sich lediglich auf die Form erstreckt,
führt hier zu gar nichts, denn nur in der niederen Mythologie,
in den abgeleiteten Motiven zeigt sich eine allerdings er-
staunliche Gleichförmigkeit. Gleichförmigkeit in diesen
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— 407 —
Teilen kann aber keine Schlüsse gestatten. Das Iiiesse
nämlich z. B. die Verehrung der Steine, die man über die
ganze Erde hinweg verfolgen kann, überall auf dasselbe
Hauptmotiv zurückleiten. Das würde massenhafte und
greuliche Irrschliisse zeitigen.
Ks handelt sich um ein doppeltes Verfahren. Das
eiue kann man in einer Provinz oder in einem Bezirk zur
Geltung bringen, d. h. nur, wenn sie ein so klares Bild
wie die Mythologie in Nordwestamerika bietet. Dies Ver-
fahren, welches Boas augewendet hat, ergiebt nur in sehr
begrenzter Weise die zu erstrebenden Endresultate, nämlich
die Erkenntnis der ursprünglichen Formen und zwar ledig-
lich die der Formen, kaum aber die des Gehaltes.
Die Methode Schurtzs aber, aus ungleichen Formen, die
sich in analogen Verhältnissen äussern, den Motivgehalt
zu erkennen, kann bei der Verfolgung eines Motives über
mehrere Provinzen allein zu einem Resultate führen. Dies
Verfahren wird man auch anwenden müssen, wenn man
den Motiv ge halt einer Provinz erkennen will.
In Afrika kann aber z. B. in jedem Falle nur diese
letztgenannte Behandlungsweise, die ethnologisch-analytische
zu einem Resultate führen. Dass sie exakt und richtig
angewendet, reiche Früchte trägt, das mag vielleicht das
vorliegende Werk lehren.
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Anhang.
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Litteratur.
Um die Anmerkungen am Fusse der Seiten nach Möglichkeit
•zu kürzen, wurden immer nur der Autur und, so mehrere Werke
desselben zur Verwendung gelangten, auch das Werk nur mit einem
Worte bezeichnet. Es folgt jetzt das Verzeichnis der verwendeten
Litteratur, wie es dies System notwendig macht. Die Autstellung
des letzteren hat für den Leser noch den Vorteil, dass er übersehen
kann, was dem Verfasser zur Hand war. In diesem Falle ist nun
nicht alles verzeichnet worden, was ich vor der Abfassung des vor-
liegenden Werkes durchgegangen habe, sondern nur die Werke, die
wirklich Material lieferten.
Es sind nun einzelne Arbeiten, die es wohl verdient hätten,
nicht verzeichnet und auch nicht benutzt. Ich citiere als wichtigste,
zwangsweise unberücksichtigt gebliebene Autoren Callaway, d'Eieh-
thal, White. Gill, Brinton, Wilhelmi, dann einige wichtige Werke
von Boas, Bastian, Howitt etc. Aber man wolle die schwierige Lage
des Verfassers berücksichtigen, der zur Zeit der Niederschrift dieses
Werkes in der Schweiz weilte und den grössten Teil der zur
Verwendung gelangten Werke hat aus Deutschland kom-
men lassen müssen.
Am damaligen Wohnorte desselben, in Basel, sind nur sehr
geringe ethnologische Litteraturquellen.
Dafür kann ich aber mit einer recht hübschen Anzahl weniger
bekannter und sonst schwer erhältlicher Werke aufwarten. Äusser-
ndem stand mir, was viel heissen will, das ungedruckte Tagebuch
des Missionar Paul Steiner zur Verfügung, dem ich vieles Neue und
noch Unbekannte entnehmen konnte. Ich sage dem liebenswürdigen
Manne hier meinen wärmsten Dank. Ferner ist es meine ange-
nehme Pflicht, den Herren, die mir in Basel beim Arbeiten in
Museen und Bibliotheken behilflich wareu, zu danken. Es waren
412 —
dies Prof. Kollmann (Ethnogr. Museum), Hausvater Käser (Basler
Mission), sowie die Herren Keller und Grossmann.
Ausserdem konnte ich die kgl. öffentliche Bibliothek in Dresden
und die Bibliothek der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin, letztere
durch die ausserordentlichen Bemühungen meines Vaters, benutzen.
Eine Reihe wichtiger Werke musste ich mir anschaffen.
Der grösste Teil der so aufs mühsamste zusammengetragenen
Litteratur besteht aus Reisewerken, die lediglich dem Zwecke dienen
konnten, Material zu liefern. Diejenigen Werke, welche in höherem
Sinne Verwendung fanden, sind die Arbeiten von Sekurtz, Ratzel,
Bastian, Seier, Boas, Schirren. Folgende Werke sind unter diesen
die wichtigsten.
Ueber Nordwestamerika: Schurtz: „ Augenornamente 1 ', Seier:
„Lichtbringer", Boas: „Entwicklung".
Ueber Oceanien: Schurtz: „Augenornament 11 , Schirren: „Maui-
Mythus".
Ratzels und Bastian'» erdumspannende Werke haben die Be-
deutung der Anregung gehabt. — Für Afrika stehe ich in meinem
Sinne immer noch allein. Die Arbeiten von Ratzel (Bogen), Schurtz
(Tracht und Wurfmesser) und H. Frobenius (Hütten) haben andere
Ziele als diese Arbeit, aber haben bedeutend zur Klärung der Ver-
haltnisse in Afrika selbst beigetragen. Bastian'» Arbeiten, die
auch die Weltanschauung betreffen, sind auf anderen Grundideen
aufgebaut als die vorliegenden Studien.
Wenn nun noch berücksichtigt wird, was im Laufe des Werkes
über Litteratur und Autoren gesagt ist, so kann leicht erkannt
werden, welch tieferer Sinn aus dem Zusammenhange der folgenden
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— Die Berliner Mission im Basutc-Lande. Berlin 1877.
— Die Berliner Mission im Koranna. Berlin.
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Wil>on, J. Leigthon, Westafrika. Deutsch von Lindau. Leipzig 1862.
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Zjeller, Hugo, Da» Togoland und die Sklavenküste. Stuttgart 1885.
— Forschungsreisen in der deutschen Kolonie Kamerun. Bd. I— III.
Stuttgart 1885.
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Verlag von Emil Felber in Weimar.
*
Von den
Beiträgen zur Volks- und Völkerkunde
liegen bisher vor:
Band I. Volksglaube u. Volksbrauch der Hieben-
bürger Sachsen. Von Dr. Heinrich
von Wlislocki. 5. — M.
„ II. Die Entwicklung der Ehe. Von Th.
A che Iis. 2.60 „
„ III. Lieder und Geschichten der Suaheli.
Uebersetzt und eingeleitet von C. G.
Buttner. 4.—
„ IV. Geschichten und Lieder aus den neu-
aramäischen Handschriften der König-
lichen Bibliothek zu Berlin. Von
Mark Lidzbarski. 6.
„ V. Grundriss einer Entstehungsgeschichte
des Geldes. Von H. Schurtz. 3.-
„ VI. Die Weltanschauung der Naturvölker.
Von L. Frobenius.
n VII. Anthologie aus der asiatischen Volks-
litteratur. Von A. Seidel.
Ä VIII. Die Slovinzen (Lebakassuben). Von
F. Tetzner.
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